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Zur Situation der zeitgenössischen englischen Lyrik: 237. Sitzung am 21. Februar 1979 in Düsseldorf PDF

48 Pages·1980·1.755 MB·German
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Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften Geisteswissenschaften Vorträge . G 241 Herausgegeben von der Rheinisch-Westfälischen Akademie der Wissenschaften ARNO ESCH Zur Situation der zeitgenössischen englischen L yrik Westdeutscher Verlag 237. Sitzung am 21. Februa'r 1979 in Düsseldorf CIP-Kurztitdaufnahme der Deutschen Bibliothek Eooch, Anao I Zur SituatÏon der zeitgenössischen englischen Lyrik I Arno Esch. - Opladen: Westdeutscher Verlag, 1980. (Vortrige 1 Rheinisch-Westlälische Akademie der Wissenschalten : Geisteswiss. ; G 241) ISBN 978-3-663-05328-6 ISBN 978-3-663-05327-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-05327-9 © 1980 by Westdeutsmer Verlag GmbH Opladen Gesamtherstellung: Westdeutsmer Verlag GmbH lnhalt Arno Esch, Bonn Zur Situation der zeitgenössischen englischen Lyrik 1. Einführende Bemerkungen ............................. 7 Il. Philip Larkin ........................................ 9 lIl. Thom Gunn 17 IV. Ted Hughes 24 V. Wesenszüge der zeitgenössischen englischen Lyrik . . . . . . . . . . . 34 Zusammenfassung der Diskussion .............. ~ . . . . . . . . . . . . . . 37 I. Einführende Bemerkungen Schon 1825 schrieb Macaulay in seinem Milton-Essay: "We think that, as civilisation advances, poetry almost necessarily declines." Vnd ähnliche KuBerungen über "Schlechte Zeit für Lyrik" lieBen sich vo.r und nach ihm unschwer zusammentragen. Aber trotz aller Prognosen vom Tod der Lyrik hat GroBbritannien gegenwärtig nach Auskunft der National Book League Association an die 200 ernstzunehmende Lyriker. In seinem British Council Pamphlet Poetry Today 1960-19731 bespricht Anthony Thwaite nicht weni ger als 114 Lyriker. Sicher werden die meisten dieser Namen unsere Zeit nicht überdauern, aber sie sind kennzeichnend für das heutige Klima. Zahlreiche Beobachter der englischen Szene registrieren seit etwa zwei ]ahrzehnten eine auBergewöhnliche Popularität von Lyriklesungen. Es gab nicht nur GroB veranstaltungen mit Lyrikern aus aller Welt vor Tausenden von Zuhörern- 1965 fanden sich zu einem solchen Symposion in der Royal Albert Hall in London 7000 Zuhörer ein -, täglich versammeln sich auch in Londoner Pubs während der Mittagszeit kleinere Gruppen von zwanzig oder fünfundzwan zig, urn Gedichtlesungen heutiger Poeten zuzuhören. Es erscheint sympto matisch, daB die Greater London Arts Association sogar einen telefonischen Rezitationsdienst eingerichtet hat ("Dial a Poem")2. Die Lyrik findet in GroBbritannien offenbar günstigere Voraussetzungen als in Deutschland3• Es ist bemerkenswert, daB englische Wochenblätter und Zeitschriften regel mäBig mehrere Gedichte veröffentlichen, und erstaunlicherweise ist für den Verlag Paber and Paber der Verkauf der Lyrikbände gewinnbringender als der seiner Romane4• Man wird daher ohne Bedenken W. W. Robsons Vrteil zustimmen: "Poetry remains the most inti mate, reflective, and delicate means of expressing the spirituallife of the individu al and the nation."5 1 Frühere überblicke gaben Alan Ross (1954), Geoffrey Moore (1958) und Elizabeth Jennings (1961). 2 Renate Schostack, »Noch ein Gedicht durchs Telefon", F AZ, 19. 7. 1973. 3 In jüngster Zeit sind auch hier Anzeichen einer »Renaissance des Gedichts" zu beobachten, vgl. W. Hinck, FAZ, 30. 5.1979. 4 Anthony Thwaite, Poetry Today 1960-1973 (London, 1973), S. 86. 6 W. W. Robson, Modern English Literature (London, 1970), S. 160. 8 Arno Esch Die heute tragende Dichtergeneration meldete sich nach dem Einschnitt des zweiten Weltkriegs zuerst urn die Mitte der fünfziger Jahre zu Wort. Für diese neue literarische Bewegung bürgerte sich nach einem Artikel des Spectator vom 1. Oktober 1954 der farblose Name 'The Movement' ein. 1956 gab Robert Conquest eine Anthologie dieser Movement-Dichter unter dem Titel New Lines heraus. Neben dem Herausgeber waren die Beiträger J. Kingsley Amis, Donaid Davie, D. Enright, Thom Gunn, John Holloway, Elizabeth Jennings, Philip Larkin und John Wain. Sie alle hielten, wie das Vorwort des Herausgebers betont, nichts mehr von technischen Experimenten, gelehrten Anspielungen, groBer Rhetorik und esoterischer Symbolik, sondern e.rstrebten wieder die klare, einfache, unpathetische Aussage. Sie lehnten die Modernisten der zwanziger Jahre ebenso ab wie die politisch engagierte Lyrik der Audengeneration wie auch die bardische Lyrik von Dylan Thomas und bekannten sich wieder zu den traditionellen Metren und Strophenfor men. Sechs von den insgesamt neun Beiträgern wirkten oder wirken noch als Universitätslehrer, und sie alle sind - mit Ausnahme von Elizabeth Jennings, einer Katholikin - Agnostiker. Indessen ist der Name, der so etwas wie eine Schule suggeriert, irreführend. In Wirklichkeit ist die Dichtung des Movement sehr verschiedenartig, und Donaid Davie meinte, als Conquest eine zweite Anthologie, New Lines 2 (1963), herausbrachte, daB ein treffenderer Titel 'Divergent Lines' sei. Zudem beherrschten die Movement-Dichter keineswegs allein das Feld. Schon 1957 erschien unter dem Titel Mavericks ein von Dannie Abse und Howard Sar geant herausgegebener Sammelband von Einzelgängern, die in der Preisgabe des dionysischen Elements der Dichtung eine Verarmung sahen. Ebenso kriti sierten die Beiträger zu A Group Anthology (1963), zu denen neb en Philip Hobsbaum, dem Herausgeber, Peter Porter, George MacBeth und Peter Redgrove gehörten, die Dichtung des Movement als zahm, prosaisch und klischiert. Sie hoben als Vorbilder D. H. Lawrence, Wilfred Owen und die amerikanische "Bekenntnislyrik" eines Robert Lowell auf den Schild, ihre Bewunderung galt aber vor allem dem nicht zum engeren Kreis der 'Group' gehörenden Ted Hughes. Wichtiger als die wenig eindrucksvollen theoretischen KuBerungen dies er Vertreter der modernen Lyrik sind die dichterischen Ergebnisse, und hier heben sich einstweilen als die stärksten Begabungen Philip Larkin, Thom Gunn und Ted Hughes heraus. Auf diese drei Dichter, deren Werk, wie ich glaube, entscheidende Ansätze der heutigen Lyrik spiegelt, möchte ich mich im wesentlichen beschränken. Natüdich laufen in der zeitgenössischen Lite ratur, wie in jeder Zeit, die verschiedensten Strömungen nebeneinander her, und es ist nicht mit Sicherheit auszumachen, welche Fäden in dem Geflecht Zur Situation der zeitgenössischen englischen Lyrik 9 der Gegenwartsliteratur sich einmal als die Hauptlinien in dem Gesamtmuster unserer Zeit erweisen werden. Aber wenn man einen Namenkatalog vermei den will, zwingt der Rahmen eines Vortrags zu rigoroser Auswahl. Für das mit solcher Auswahl verbundene Wagnis des Werturteils darf ich mich mit Dryden auf Velleius Paterculus berufen: "vivorum, ut magna admiratio, ita censura difficilis". 6 ll. Philip Larkin Der 1922 geborene Philip Larkin, der sich nach dem Studium des Eng lischen am St. John's College, Oxford, dem Bibliothekarberuf zuwandte und seit 1955 an der Universitätsbibliothek in Hull tätig ist, veröffentlichte neben zwei Romanen (Jill, 1946, und A Girl in Winter, 1947) in dreiBig Jahren insgesamt vier schmale Lyriksammlungen. Sein erster Band, The North Ship (1945), ist noch ein tastender Versuch, der den Dichter im Bann der Yeatsschen Versmusik zeigt. Doch klingen auch die Hauptthemen seiner späteren Lyrik - Vergänglichkeit, Trostlosigkeit, Trauer und Tod - bereits unüberhörbar an. "Nursery Tale" schlieBt mit den Versen: So every journey I begin foretells A weariness of daybreak, spread With carrion kisses, carrion farewells. Und der als Gedicht "XXVI" aufgeführte Vierzeiler verbindet, an den SchluB von Tschechows "Kirschgarten" erinnernd6a, Zeit und Tod in dem Echo eines Axtschlages im Wald: This is the first thing I have understood: Time is the echo of an axe Within a wood. Dieses Grundthema durchzieht die gesamte Larkinsche Lyrik bis hin zu seinem letzten, vor Jahresfrist im Times Literary Supplement veröffentlich ten "Aubade"7, in dem der Sprecher in früher Morgenstunde von dem Ge danken an das Sterben und den Tod bedrängt wird: 8 John Dryden, Of Dramatic Poesy and Other Critical Essays, ed. G. Watson (London, 1962), Band I, S. 77. 8a D. Timms, Philip Larkin (Edinburgh, 1973), S. 33. 7 TLS, Dec. 23, 1977. 10 Arno Escb Unresting death, a whole day nearer now, Making all thought impossible but how And where and when I shall myself die. Seinen eigentlichen Geburtshelfer fand Larkin dann in dem als geistes verwandt empfundenen Thomas Hardy. Er lehrte ihn, die Vorwürfe zu seiner Dichtung in seinem eigenen Leben zu finden, einem Leben ohne au~ergewöhn­ liche Ereignisse, ohne einzigartige Intuitionen oder Offenbarungen: When I ca me to Hardy, it was with the sense of relief that I didn't have to try and jack myself up to a concept of poetry that lay outside my own life - this is perhaps what I felt Yeats was trying to make me do. One could simply relapse back into one's own life and write from it.8 Unter dem befreienden EinfluB Hardys begegnet uns bereits im folgenden Band, The Less Deceived (1955), der eigentliche, der reife Larkin. Die Be griffe des Determinismus, Pessimismus und Fatalismus dringen allerdings für Larkin nicht zum Kern Hardys vor. Wie er in seiner Besprechung "Wanted: Good Hardy Critic" feststellt: " ... the dominant emotion in Hardy is sadness. Hardy was peculiarly weIl equipped to perceive the melancholy, the misfortunate, the frustrating, the failing elements of life."9 'Sadness': das ist auch das kennzeichnende Merkmal von Larkins Dichtung. Illusionslos zeichnet er die Unzulänglichkeit des Lebens. Der Sprecher von "Toads" möchte zwar aufbegehren gegen die "Kröte" Arbeit, die eintönige Routine, aber er muB erkennen, da~ diesem Wunsch in ihm selbst etwas ent gegensteht, das 'toad-like' ist, und in dem späteren "Toads Revisited" er scheint der Alltagstrott geradezu als ein willkommenes Mittel der Lebens bewältigung bis hin zum Ende: "Give me your arm, old toad; / Help me down Cemetery Road." Gelegentlich klingt sogar eine gewisse Genugtuung darüber an, daB man nicht länger, dem Erfolg nachjagend, in den nutzlosen Lauf der Welt verstrickt bleibt, sondern wie die ausgedienten Rennpferde in "At Grass" im Schatten stehen und anonym werden kann, um am Ende des Tages, wie es mit deutlichen Todesassoziationen hei~t, von dem 'groom' heimgeholt zu werden. Immer wieder wird der Mensch in seinen Erwartun gen enttäuscht, bis ihn schlieBlich das Schicksalsschiff mit den schwarzen Segeln ereilt, das Schweigen und Vergessen bringt: 8 Calvin Bedient, Eight Contemporary Poets (London, 1974), S. 74. 9 Critica I Quarterly 8 (1966), S. 177. Zur Situation der zeitgenössischen englischen Lyrik 11 Only one ship is seeking us, a black Sailed unfamiliar, towing at her back A huge and birdless silence. In her wake No waters breed or break. ("Next, Please") Wenn auch die nach Wahrheit strebenden Protagonisten dieser Gedichte damit zufrieden sind, zu den 'Less Deceived' zu gehören, so enden ihre Refle xionen doch nicht immer in Enttäuschung oder Verdrossenheit. In dem be kannten, von eine.r Kirchenbesichtigung handeinden "Church Going" gelangt der agnostische Sprecher nach dem herablassend-ironischen Umgangston der Anfangsstrophen über die halbernsten Reflexionen des Mittelteils in der zeremoniellen SchluBklimax ("A serious house on serious earth it is") zur Bejahung ererbter Ordnung und Tradition. Mag ihm die Kirche kein leben diges Erbe mehr bedeuten, es gefällt ihm, hier schweigend zu verweilen; und es wird immer Menschen geben, die, bedrängt von der Frage nach dem Sinn des Lebens, zu diesem 'cross of ground' kommen, und sei es auch nur, urn in der Begegnung »mit so vielen Toten" sich ihrer Vergänglichkeit bewuBt zu werden. Es ist keine Rede von Sünde und Erlösung, und der Name Gottes erscheint nur einmal in der abgegriffenen Wendung 'God knows how long'; aber in einer säkularisierten Welt, in der Geburt, Heirat und Tod zu einer Sache des Standesamts und des Krematoriums zu werden drohen (wie es in einer KuBerung Larkins zu dem Gedicht heiBt)l0, gibt die Kirche diesen Ein schnitten im Leben eines Menschen immerhin noch Gewicht und Form. In einem ähnlichen Themenkreis bewegt sich der Band T he W hitsun Weddings (1964). "Strange to know nothing, never to be su.re / Of what is true or right or reai" , heiBt es in "Ignorance"; und doch müssen wir unser ganzes Leben mit der Unsicherheit leben, "That when we start to die / Have no idea why." Die wie Beichtstühle verschlossenen Krankenwagen werden zu einem stechenden Symbol des menschlichen Daseins ("Ambulances"). Wie das einen Besuch in seinem früheren College schildernde "Dockery and Son" grimmig resümiert, ist das Leben für Larkin keine heroische oder tragische Angelegenheit, sondern Life is first boredom, then fear. Whether or not we use it, it goes, And leaves what something hidden from us chose, And age, and then the only end of age. 10 "when they (the important stages of human life) are dispersed into the registrary office and the crematorium chape1, life will become thinner in consequence" (I. Hamilton, "Four Conversations", London Magazine IV (Nov. 1964), S. 73.

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