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Zur Geschichtstheologie von Vasaris Vite PDF

18 Pages·2012·10.07 MB·German
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Originalveröffentlichung in: Ganz, David (Hrsg.): Das Bild im Plural : mehrteilige Bildformen zwischen Mittelalter und Gegenwart, Berlin 2010, S. 271-288 Gerd Blum Zur Geschichtstheologie von Vasaris Vite (1550) Kunstgeschichte als „große Erzählung" und Bildsystem Im Jahr 1550 wurden, unter dem Namen des Malers und Architekten Giorgio Vasari, die Lebensbeschreibungen der besten italienischen Architekten, Maler und Bildhauer von Cimabue bis auf unsere Zeiten veröffentlicht. Dieser Gründungstext der west­ lichen Kunstgeschichtsschreibung ist 1568 in zweiter, erweiterter und veränderter Auflage erschienen. Die gesamtgeschichtliche Erzählung der Kunstgeschichte be­ ginnt mit der Genesis und der Erschaffung des Menschen durch Gott und endet in der ersten Auflage mit dem Jüngsten Gericht Michelangelos. Die „ große Erzählung " der Kunstgeschichte, die Vasari und seine Koautoren 1550 vorlegten, folgt in wichtigen Punkten der Erzählstruktur der Bibel mit ihrem eschatologischen Rahmen von Adam bis zur Apokalypse. Die Vite greifen auf die gesamtgeschichtlichen Epochenmodelle der sechs Weltalter und insbesondere der drei Heilszeiten zurück, wie sie seit der patristischen Bibelausdeutung in der christlichen Geschichtstheologie formuliert und durch die Universalchroniken des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ver­ breitet wurden - als gesamtgeschichtliches Periodisierungsschema der Geschichte des Menschen ab orbe condito. Das übergreifende Gliederungsschema, das dem Aufbau der Vite in ihrer Erstausgabe zugrunde liegt, verbindet Erzählungen aus den Leben der Künstler zu einer „ großen Erzählung " vom Leben der Kunst. Es kann zugleich als ein System der Ordnung von Bildbeschreibungen verstanden werden. Das kunstgeschichtliche Periodisierungsschema von Vasaris Vite orientiert sich nicht nur (wie bekannt) an Vorgaben der antik-paganen Geschichtsschreibung und Rhetorik, sondern auch - und vor allem - an der Bibel, an den gängigen Epochenein­ teilungen der christlichen Geschichtstheologie und an den Universalchroniken ihrer Zeit. So wird der „progresso della rinascita " von Cimabue bis Michelangelo in drei Epochen gegliedert, die den heilsgeschichtlichen Epochen ante legem, sub lege und sub gratia entsprechen. Der „ Plural der Bilder " wird in eine einheitlich konzipierte gesamtgeschichtliche Erzählung über die Geschichte der Kunst integriert. Vasaris Vite als gesamtgeschichtliches Erzählsystem und die Geschichtsschreibung der Universalchroniken1 Die Vite2 (Abb. 1) Vasaris und seiner Koautoren3 begründeten - dies ist mittler­ weile Allgemeingut der Forschung - die klassische, totalisierende Konzeption von Kunstgeschichte als systematisch strukturierte „große Erzählung" vom künstleri- Abb. 1: Giorgio Vasari, Le vite de' piü eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani, da Cimabue insino a' tempi nostri: descritte in lingua Toscana, da Giorgio Vasari, Pittore Aretino, Con una sua utile & necessaria introduzzione a le arti loro (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Signatur R 16 Vas 1-3), Frontispiz Zur Geschichtstheologie von Vasaris Vite (1550) 273 sehen Fortschritt. Vasari hat außerdem die Epochen-Trias von Antike - Mittelalter - Renaissance für die Kunstgeschichtsschreibung kanonisiert und zugleich den Begriff der „rinascita" (T 234 und passim) eingeführt. Damit hat er die Konzeption einer ,Wiedergeburt der Antike' als Epochenbegriff der Kunstgeschichte lange vor Michelets Begriff der „Renaissance" formuliert, indem er Künstler und Kunstwerke zwischen Cimabue und Michelangelo erstmals in eine klar konturierte Epoche mit Anfang, Mitte und Höhepunkt eingefügt hat.4 Trotz aller nachdrücklichen Einwän­ de und Relativierungen, die sich schon bald auf die Präferenz der Toskana und auf fragwürdige und fingierte ,Fakten'5, später auch auf die historiographische Gesamt­ konzeption der Vite bezogen, sind der Kanon und die Kategorien der westlichen Kunstgeschichtsschreibung weiterhin maßgeblich von Vasaris gesamtgeschichtlicher Erzählung der Kunstgeschichte geprägt.6 Vasari ist außerdem ein Wegbereiter des modernen Geniebegriffs.7 „All of art history is footnotes to Vasari."8 Dieser Satz von Robert Williams - eine Variation der berühmten Sentenz, dass alle europäische Philosophie als „a series of footnotes to Plato" anzusehen sei9 - macht den Status der unter dem Autornamen Giorgio Vasari erstmals 1550 gedruckten Vite de 'piü eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani als paradigmatisches Modell für die neuzeitliche westliche Kunst­ geschichtsschreibung deutlich. Nach Julius von Schlosser ist „Vasari [...] in allem, im guten wie im schlechten Sinne, der wahre Kirchen- und Ältervater der neueren Kunstgeschichte."10 Wie kompilierten und komponierten Vasari und seine Koautoren aus mündlich kursierenden Überlieferungen und Künstleranekdoten, aus archivalischen Akten und (auto-)biographischen Überlieferungen eine Summe der Kunsttheorie und zugleich eine bis heute weithin kanonische Geschichte der Kunst, ein systematisch-historisches Kompendium der Schwesterkünste, dessen erstes Substantiv „Vite" und deren letztes Wort „morte" (T 991; Schluss der Vita des Michelangelo) lautet?" Svetlana Alpers stellte fest, dass ein großer Teil der Vite Vasaris, die bereits in der Erstauflage über 1 000 Seiten einnehmen, aus Beschreibungen und Aufzählungen von Werken besteht - und nicht vor allem aus Erzählungen aus den Leben der Künst­ ler.12 Der umfangreichste Index der Erstausgabe beinhaltet nicht die Künstlernamen, sondern Bauten und Bildwerke. Dieses nach Orten gegliederte Register führt auf 29 Seiten (T 1003-1032)13 etwa 2 100 Einträge an. Wie ordneten Vasari und seine Ko­ autoren die Fülle der imaginären ,Eikones', die teils ausführlichen Beschreibungen und die teils knapp aufzählenden Nennungen dieser gewaltigen Zahl von Bauten und Bildern zu einem Kanon der Geschichte der „arti del disegno" (T 3)? Die Anleihen der Vite bei der antiken Historiographie sind im 20. Jahrhundert eingehend erforscht worden.14 So liegt Vasaris Anverwandlung der seit Petrarca vertrauten Trias aus Antike, Mittelalter und rinascita an die Geschichte der Künste seit Cimabue das antike Muster von Wachstum, Blüte, Verfall und neuem Werden zugrunde.15 Vasaris Rückgriffe auf die christliche Geschichtstheologie und auf die mittelalterliche und frühneuzeitliche Universalchronistik sind jedoch - dies soll im Folgenden ausgeführt und begründet werden - ebenso gewichtig. Sie betreffen (1) die Aufeinanderfolge von systematischer summa und historischer chronica in den 274 Gerd Blum Vite; (2) den eschatologischen Rahmen ihrer „großen Erzählung" ab Adam von der Genesis bis zum Gericht - beziehungsweise, im Fall der Torrentiniana, bis zu des­ sen nach Vasari unübertrefflichen Veranschaulichung durch das Giudizio universale Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle; (3) die teleologische Orientierung der Kunstgeschichte Vasaris im Allgemeinen und des „progresso della rinascita" (T 125) im Besonderen.16 Zu nennen sind außerdem (4) die in der Geschichtsschreibung der Vite enthaltenen Anspielungen auf die traditionellen sechs Weltalter der christlichen Geschichtstheologie und schließlich (5) die Unterteilung der Kunstgeschichte seit Cimabue - und damit des „progresso della rinascita" (T 125) - in drei Epochen,17 die deutliche Analogien zu den drei biblisch-patristischen Heilszeiten ante legem - sub lege - sub gratia aufweisen.18 (1) Die Vite Vasaris bestehen aus einem theoretischen (T 23-110) und einem histo­ rischen Teil (T 111-991). Der offizielle Drucker des Herzogs Cosimo L, Lorenzo Torrentino,19 legte mit den zwei Bänden der Vite2" eine Synthese von theoretischer Summa der drei Schwesterkünste und kunsthistorischer chronica vor - eine Syn­ these von Kunsttheorie und Kunstgeschichte mit kanonischem Anspruch. Der einleitende theoretische Teil' ist der erste Traktat, der alle drei Schwesterkünste systematisch behandelt (T 23-110). Anschließend erzählt der ,historische Teil' die Geschichte der Kunst und Architektur seit der Erschaffung des Menschen (T 111) und seit den frühen orientalischen Hochkulturen (T 111-113) bis zu Vasaris Gegenwart (Vita di Michelangelo, T 947-991), wobei besonders die toskanische und italienische Kunst seit Cimabue behandelt wird (T 126-991). Letzteres geschieht in drei Teilen bzw. drei Serien von Lebensbeschreibungen, denen jeweils synoptische Proömien vorangestellt sind. Eine solche Synthese von ,Summe' und ,Chronik' wurde auf dem Gebiet der Bildenden Künste erstmals in Vasaris Vite verwirklicht. Vorgezeichnet ist sie in der hochmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Universalchronistik:21 So umfasst der früher Hugo zu­ geschriebene Liber exceptionum des Richard von Sankt Viktor im ersten Teil drei systematische Bücher, deren erstes die artes behandelt, und anschließend sieben historische Bücher ab Adam bis zu den Franken.22 Die so genannte His- toria tripartita oder Chronica in tribus partibus distincta23 des von den Medici geförderten und 1523 auf deren Betreiben hin kanonisierten hl. Antoninus von Florenz (Antonio Pierozzi)24 war von ihrem Autor als historisches Supplement zu seiner systematischen Summa Theologica konzipiert worden.25 (2) Die Vite beginnen mit der Erschaffung der Welt und des Menschen durch den Deus artifex (T 9-11). Ihr Text endet in der Erstausgabe kurz nach einer Be­ schreibung des Jüngsten Gerichts Michelangelos (T 981 -985) - jenes zum artifex divinus und zum ,Übervater' der drei Schwesterkünste stilisierten Künstlers, auf dessen Werk hin, als ihren Höhepunkt und Telos,die Vite von 1550 komponiert sind. Dass Vasari die Geschichte der Kunst seiner eigenen Zeit in einen übergreifenden heilsgeschichtlichen Rahmen ab orbe condito und in einen teleologischen Pro- gress einfügt, ist weder der florentinisch-frühhumanistischen Geschichtsschrei­ bung26 noch der ,modernen' Historiographie seiner Zeitgenossen verpflichtet. Zur Geschichtstheologie von Vasaris Vite (1550) 275 Deren Prinzipien sind nämlich innerweltliche Kausalität und Konzentration auf zeitliche und regionale Ausschnitte aus der Geschichte, besonders auf Ereignisse der Zeitgeschichte.27 Vasari greift mit seinem universalgeschichtlichen Ansatz hingegen auf die mittelalterliche und bis in das 16. Jahrhundert lebendige Tra­ dition der Universal- und Weltchroniken zurück. Die Universalchroniken ab orbe condito des Jacopo Filippo Foresti da Bergamo (Erstausgabe 1483) und des genannten Medici-Heiligen Antoninus von Florenz erlebten bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zahlreiche Auflagen. Forestis Chronik erschien seit 1488 mehrfach auch in italienischer Sprache, so in Venedig 1535, 1540 und 1543.28 Die lateinische Fassung der so genannten Schedeischen Weltchronik von 1493 war in Italien weit verbreitet und wurde u.a. in Florenz, Bologna und Venedig vertrieben, wie aus der Endabrechung über den Verkauf des Buches hervorgeht.29 Universalchroniken ab orbe condito waren auch in der Frühen Neuzeit weiterhin die verbreiteten Standardwerke historischer Orientierung, zumal sie durchaus humanistische Bildungsinhalte aufgriffen, diese jedoch in den theologisch kanonisierten Rahmen der Heilsgeschichte integrierten. Während Foresti und der hl. Antoninus ihre Geschichtsschreibung ab initio mundi nicht bis zum Jüngsten Tag, sondern lediglich bis in die eigene Zeit füh­ ren, spannen Universalchroniken des Mittelalters häufig einen Bogen zwischen Schöpfungstag und Endzeit. Dies ist der Fall bei Hugo von Sankt Viktor30 und bei Otto von Freising, dessen Chronica der wichtigste Mitarbeiter Vasaris bei der Strukturierung der Torrentiniana, Pier Francesco Giambullari, nachweislich benutzt hat.31 Giovanni Villanis trecenteske Chronik von Florenz, die 1554 bei Torrentino erschien (und die bereits Kailab als eine Quelle der Vite erkannte), endet mit den Anzeichen des nahen Weltunterganges. Die historische Erzählung der Schedeischen Weltchronik endet ebenfalls mit dem Jüngsten Gericht.32 (3) Auch mit der teleologischen Ausrichtung ihrer Kunstgeschichte (in den Proö- mien) und ihrer Künstlergeschichte (innerhalb der drei Serien von Biographien) greifen Vasari und seine Koautoren auf Strukturen und Topoi der christlichen Geschichtstheologie zurück, wie sie sich seit der Patristik herausgebildet hatten und wie sie in den Universalchroniken der Frühen Neuzeit weiterhin vermittelt wurden. Vasari erzählt die Geschichte der rinascita der Künste seit Cimabue als Fortschreiten in Stufen, wobei, wie noch gezeigt werden soll, wichtige Prota­ gonisten auf Personen der Bibel rückverweisen.33 (4) Vasari überträgt jedoch nicht nur einzelne biblische Motive, sondern - neben dem eschatologischen Rahmen der biblischen „großen Erzählung" von der Genesis bis zum Gericht - auch die gesamtgeschichtliche Epochenstruktur der Bibel, wie sie seit der Patristik gedeutet worden war, auf seine Erzählung der italienisch-toskanischen Kunstgeschichte seit Cimabue und Giotto in toto. Die Vite greifen dabei auf die traditionelle geschichtstheologische Epochenabfolge der sechs Weltalter (Adam - Noah - Abraham - David - Propheten der Baby­ lonischen Gefangenschaft - Jesus) zurück: Vasaris historischer Teil' beginnt, wie erwähnt, mit der Erschaffung Adams (Till). Cimabue wird - im Rückgriff auf Thesen von Giovambattista Gelli und Giambullari über Noah als Stamm- 276 Gerd Blum vater der etruskisch-toskanischen Kultur und Sprache sowie als Gründer von Florenz - zum Begründer der neuen toskanischen Kunst nach der ,Sintflut' des Mittelalters („l'infinito diluvio de'mali",T 126)34 erklärt. Anschließend erscheint Giotto als Stammvater einer neuen Schule, als ,Abraham' einer neuen Kunst, dessen pastorale Herkunft auf die Hirtenwelt der alttestamentlichen Patriarchen und zugleich auf die antike Heldensage mit ihren auserwählten Hirtenknaben35 verweist. Die natürliche' Kunst von Giotto, die der Maler ohne Kenntnis der Regeln der Kunst und „ohne Lehrer" („senza maestro", T 147) erlernt hat, er­ weist ihn als der Epoche der lex naturalis zugehörig: „merito d'esser chiamato discepolo della natura, e non d'altri", wird es über Giotto in der zweiten Auflage der Vite heißen.36 (5) Für die Aufteilung der Viten der Künstler seit Cimabue in drei „eta" (T 6 und passim) war offenbar die oben bereits angesprochene Lehre von den drei Heils­ zeiten (Natur, Gesetz, Gnade) maßgeblich: Der erste Teil der Vite (ab T 111), welcher Cimabue, Giotto und das Trecento behandelt, wird insgesamt mit der biblischen Epoche ante legem parallelisiert. Dabei ist es durchaus topisch, dass die Stufe ante legem als tempus legis naturalis mit dem Naturzustand gleich­ gesetzt wird.37 Der zweite Teil der Vite (ab T 222/3) entspricht der biblischen Epoche sub lege. Seine wichtigsten Exponenten sind „Filippo, Donato, Paulo Uccello e Masaccio" (T 284). Die Künstler der zweiten Epoche der rinascita begründen und kanonisieren ein Regelwissen über die Kunst: Uccello, Brunelleschi und Alberti formulieren die Regeln der Perspektive; Brunelleschi führt nach Vasari die Säulenordnungen der Antike wieder ein („gli ordini antichi buoni",T300);38 Masaccio begründet die wahre Methode und beschreitet die „vera via" (T 284) der Malerei; Donatello gar kann „regola de gli altri" genannt werden (T 233). Vorzüglich beherrschten die besten Meister des 15. Jahrhunderts „Regola, Or- dine, Misura, Disegno et Maniera" (T 555), aber sie erreichten doch nicht die künstlerische Vollendung, sie behielten doch eine „maniera secca, et cruda" (T 558), sie blieben bei aller Kenntnis der Regeln doch „aspre e difficili" (ebd.). Sie arbeiteten zumeist „senza errori" (ebd.) - jedoch auch ohne „spirito di prontezza" (ebd.) und ohne vollkommene „grazia". Insgesamt entsprechen die Charakteristika, die Vasari seiner zweiten Epoche der rinascita verleiht, der pau- linisch-patristischen Einschätzung des Zeitalters sub lege als einer Zwischenzeit, die zwar schon göttliche Gesetze kenne und einhalte, diese aber noch carnaliter und nicht spiritualiter verstehe, da sie noch nicht der Gnade (gratia) teilhaftig geworden sei.39 Leonardo begründet schließlich die terza maniera. Er erreicht „disegno perfetto" (T 558) und „grazia divina" (ebd.). Bekrönt wird die dritte Epoche durch die Werke des „graziosissimo Raffaelo da Urbino" (T 559), vor allem jedoch durch Michelan­ gelo, der nicht nur den „principato" einer Kunst, sondern aller drei Künste innehat (T 560). Dank seinem „giudizio" (T 560) und seiner „grazia" (T 561) haben die Künste ihren „ultimo termine" (T 560) und ihre „si maravigliosa perfezzione" Zur Geschichtstheologie von Vasaris Vite (1550) (ebd.) erreicht, welche auch die Antike übertrifft. Michelangelo verfügt über „una grazia piü interamente graziosa" (T 561) und eine „piü assoluta perfezzione" (ebd.). Durch Gottes Güte wurde Michelangelo ein solcher „ingegno" verliehen, „che ci mostrasse [...] l'infinito del fine" (T 948). Bereits Leonardo, der, wie bemerkt, am Anfang der terza maniera steht, wird unter dem Vorzeichen einer „grazia piü che infinite*' eingeführt (T 562).40 Wie die mosaischen Gesetze nach christlicher Auffassung gegenüber den Offen­ barungen der neutestamentlichen Botschaft, welche die Epoche sub gratia einleiten, noch unvollkommen sind, so mangelt es auch der Kunst der zweiten Epoche Vasaris bei aller sozusagen buchstabengetreuen Erfüllung der Gesetze des „disegno" an jener „somma perfezione" (T 555) und jener „somma grazia" (T 557), welche die dritte Epoche - die Kunst seit Leonardo - erreicht habe. Erst in der dritten Epoche kommt zur Beherrschung der Regeln die Freiheit („licentia", T 556), hinzu, die erst jene vollkommene Grazie ermögliche, welche jedes Maß und jede vorgeschriebene Regel übersteige („una grazia, che eccedesse la misura", ebd.). Die dritte und letzte Epoche der rinascita wird in der Vorrede zum dritten Teil der Vite mit traditionellen Charakteristika der heilsgeschichtlichen Epoche sub gratia versehen. Ihr Abschluss, Michelangelos Jüngstes Gericht, nimmt, wie bemerkt, das biblisch-eschatologische Ziel der Zeiten vorweg. Geprägt wird diese Epoche, um mit den Worten Julia Reinhard Luptons zu sprechen, von einem „transcendent triumvirate":41 von Leonardo da Vinci, Raffaelo Santi und Michelangelo Buonarroti, die in zunehmendem Grade „nicht mehr allein das Menschliche, sondern auch das Göttliche selbst darstellten" („che non rappresentano la umanitä sola, ma la divini- tä istessa", T 562). Leonardo, so Vasari, habe Christi Haupt in seinem Abendmahl nicht vollenden können. Das in seiner Vita zuletzt genannte religiöse Gemälde ist vielleicht nicht zufällig eine Darstellung Johannes' des Täufers. Raphael wiederum sei an einem Karfreitag geboren worden und (wie das von Vasari angeführte Epitaph von Pietro Bembo suggeriert [T 673]) an einem Karfreitag gestorben. Seine letzten Pinselzüge hätten dem Gesicht des verklärten Christus gegolten, dessen Göttlichkeit er vollendet dargestellt habe (T 668f)-42 Michelangelo schließlich, der princeps der drei Schwesterkünste (vgl. T 560), nimmt innerhalb der Vite jene systematische Stelle ein, die in der trinitarischen Theologie dem „primo padre" (TU) zukommt und die in Vasaris Kunsttheorie der disegno als „padre" der Schwesterkünste (T 19) innehat. Kraft seiner terribilitä habe Michelangelo mit seinem Fresko des Jüngsten Gerichts („questo Giudizio", T 982) zugleich ein Urteil über die Kunst aller Zeiten als sein künstlerisches „Giudizio" (Urteil, ebd.) hinterlassen. Das Jüngste Gericht Michelangelos beschreibt Vasari kurz vor der Conclusione (T 992-994), auf den letzten Seiten der Michelangelo-Vita und damit der Biographien seines Buches (T 981-985) insgesamt. Er verweist somit am Ende der Vite mit der Beschreibung des Meisterwerkes Michelangelos auf das eschatologische Ziel der Zeiten. 278 Gerd Blum Exkurs zu Periodisierung und Paginierung der Torrentiniana In der Erstausgabe der Vite von 1550 (vgl. Abb. 1) wird das hier vorgestellte Pe- riodisierungsschema durch eine strukturierende Paginierung verdeutlicht (siehe Tabelle im Anhang), welche die Unterteilung in drei Epochen der rinascita markant hervorhebt (Beginn der Prima parte delle vite Till; Anfang der Seconda parte delle vite, T 222/3; Beginn der Terza parte delle vite, T 555). Die drei Serien von Künstlerbiographien besitzen ihren Schwerpunkt - modern gesprochen - je in einem e i mb rat tau di colorc ad olio: & per mezo della tin ta, PROEMIO D E L LE lafeia per tutto il colorej iäluo che doue ella cincaua- ta, che iui refta la carta bianca. La ftconda pcü e quel VITE. la delle ombrc,che B tutta piana,& tutta tinta diacque rcllo, cecetto che doue le ombre non hanno ad effere, che quiui e incauato il Icgno. & U Terza ,chee la pri O tun duhito pumo che nonßt auoßdt ma a fbrmarfi, £ quella doue il proßilato del tuttoje in tuttiglißrittori commune, &• cmißim* cauato per tutto, (äluo che doue e'non hä l proffili toc opinionei cheUfiiäturäiitßeme conlapit cht dal ncro della penna.Quefteü ftampano al torcu- R turafußero naturalmentedaifopuli della lo & vi firimettono iÖttotrevolte ,cioevna volta Eginoprhnieramente trouate; £ ch'aUu- per eiafeuna Itampa, C che eile abbinoilmedefimo ri- n'altrinonßtno, cheatrrihuifihino a'Col­ fcontro . Etcertamcnte che cio fn bellifiima inuen- in le prime hmge de marmii& iprimi rilieui delleßatuesca Zionc» Tuttc quefte profeßiont & arti ingegnofe fi me danm anco « Gretila inuenxione delpemello O del cola vede che deriuano dal aiftgno; il quäle e, capo neeet rire.Maio din bene, che teffere aetfuna,«? delTaltra arte : färiodi tutte: &noni'auendononfihdnuIIa.Pcrche &ildißgnacbccitfondamento diaueüe,*Krjtifleßa ani- fe bene turti i fcgreti,& i modi fono buoni: quello c* macheconeepe Hr uutri/ie mfemtießmimtiipartidegli ottinio ,pcrloqua1c -ognicoläperduta C\ ritroua, & vucüetti.fuße perfettißimo mfitDreine ditmet airre cofe, & ogni difficil' cofä,per efibdiucntafacÜe, corac po- tretc vedere nel'kggcre le vite degVartefici; i quali dal Q&ndotakißma&iofmodgran\orpod*lrmndo,&orn* la natura, & dallo Audio aiutati, nanno'fatto coft Co- to il cieh de/im chiarißimi lumi, difie/e con tinttllettopmgm pra vmane per flmezofolo del difcgno.Et cofi raccen melk limpide^j deltacrejo- nella foliditi delk terra;Crfor do qui fine alla introduzzione delletre arti,troppo mundo thuoma fioperfi con la iura inuenxione delle cofe , U piu lungamcntc forfe trattatc, che nel principio tioa prima forma dctlafcaltura Cr della pittwra, dal anale huoma tni peniai > Mc ne paffo a fcriucrc le vite. amanoamanopv (che non ß de dire il contrario )comedaue n efempkrefurcauate leßatur, Cr lefiolture,&la dfficut- Jl fine della introduzzione ta deltattitudini edet contarni; & per le prime pitture (oual che eile ßfuffen) la marhide^jca ,tunionr,&la difiordan- te Concor dia chefanno i lumi contomhre. Coß dunaueil primo modeüoondeuja Uprima imagine delthuomo fuuna maffa di terrai& tun/emycagione.pcrcioche ildiuino ^irchi- teito dcltcmpo&dtlla natwa,comeperfettißimo uolfe moßra re nelU mperfhrjcione della maleria, la uia dcl leuare,(<r del ta£gu*nerc-,nclmcdeßmo modo chefiglmnofarc i luonißtl Abb. 2: Vasari, Vite, Florenz 1550, 110f Jahrhundert: Die Prima parte delle vite (T 111-222) umfasst vor allem das 14. Jahr­ hundert (einschließlich Cimabue); die Seconda parte delle vite (T 222/3-552) das 15. Jahrhundert seit Jacopo della Quercia unter besonderer Hervorhebung Donatellos (T 333-351); die Terza parte delle vite (T 555-991) behandelt schließlich vor allem das 16. Jahrhundert bis 1550 (einschließlich Leonardo). Zur Geschichtstheologie von Vasaris Vite (1550) Wichtige Abschnitte der Vite beginnen sämtlich auf einer rechten Seite und damit mit einer ungeraden Paginierung. Auf Seite 111 (Abb. 2) beginnt der erste Teil der Lebensbeschreibungen und damit die erste Stufe der rinascita; auf Seite 223 (222 ist eine linke Seite) der zweite Teil der Vite und damit die zweite Epoche der Wiedergeburt der Künste. Auf Seite 333 (Abb. 3) beginnt die Vita Donatellos, der zwar aus chronologischen Gründen der zweiten Epoche angehört, jedoch mit seinen künstlerischen Leistungen schon die Vollendung der dritten Epoche erreicht habe.43 Auf Seite 555 (und damit auf der ersten, auf das Frontispiz folgenden Seite »* PAB.TB. II. 535 AANN II MI DOTES SINGVLAAESqVB VIKTVTES D O N A TO SCVL- IEiI«V I. B. M. COAPVS. XV. CALEND. MAIAI ANNO UCCCCXLVI. HAC HVUO SVPPOJITA T O RE FIOREN- GRATA PATRIA iBPBLl&I [VISIT. T I N O. Altri nientediminco per onorarlo ancora maggior* mentc.gh hanno aggiunto auefti altri duc. Li fcultori che noi abbiamo chiam» ti vecchi,ma non antichi; sbigottiti PHJLIPPO BRVNELESCO ANTIQVAE AUCH! dalle motte dirticulta dclla arte; con- TECTVKA E I N IT A V» A TO B.1. f. ». CJj t. duceuanole figurcloro(imal'cöpö GIVI IVO BEN B MBB.ENTI. fledi arci fizio & dl bcllezza; che, o di rncrallOjO di marmo che eile fi fuf- P. fino;altro non erano per6 che tondc; fi come aueuano cßi ancora tondi gli ipiriti, & gli in- P I P P o. gegni (tupidi & grofii. Et nafceua tutto da queßoj che ritraendofi elprimeuano fe medc(imi:& (c medeii mi aflbmigliauano. Et coli Ic pouerc coli loro, erano Talfifrtfijji/ajjö in ttitto pnue dela perfezzionedcl difegno,ocdclla Digiro htgh-o ttenuanente toßruß: viuczza.Eflendo veramente al tutto impofiibile, che Che nftfa/fif chi non ha vna coß,la poflä dare.Pcrlaqualcolä la na­ •AkogirmdoilCict mtmondußi. tura giullamcnte fdrgnata , per vederfi quaii beftare da le itranc figurc, che coftoro lafciauano al mondo, delibcru far naiccre,chi opcrando,riduccfle ad ottima forma,con buonagraziaöt proporzionc,ima!earri.* tun bronzi, & i poueri marmi; da lei come da madre benigna, & amati, & tenuti cari, (i come eofe dallei li rodotte con lungadiligcnzia,&curagrandifsima. .a onde per mcgjio adcpierc la volontä & la dclibcra- :ionc iliaiColmoDonato nel nafcerc,di märauigliofe doti: Et in peribna quafi di fe med.-nrna lo mando qua gm tra' mortali, pieno di henignita, di giudizio,& di amore.Per i! che degnando cgli ciaicuno che opcrailc ocondilctto färcaltrui operarc/i ingcgnaflc, lafcio tcrnpre godere de le lue fauche, non fblamere gli ami Tt jii Abb. 3: Vasari, Vite, Florenz 1550, 332f des zweiten Bandes) beginnt die dritte Serie der Vite und damit die dritte und letzte Stufe der rinascita (Abb. 4). Auf der (unpaginierten) Seite 999, unmittelbar vor der ,perfekten' Seite 1 000,44 beginnt schließlich die Tavola di molti artefici nominati et non interamente descritte in questa opera - das Verzeichnis jener Künstler, denen keine eigene Vita zugebilligt worden ist. Insgesamt handelt es sich im Fall der Tor- Gerd Blum rentiniana um einen seltenes Beispiel strukturierender Paginierung (siehe Tabelle im Anhang), das ich an anderer Stelle, auch im Hinblick auf weitere Publikationen des Verlegers Torrentino und des Autors Giambullari sowie auf zwei Autographen Vasaris bzw. Giambullaris, auf denen Seitenzahlen notiert sind, ausführlicher ana­ lysiert habe.45 PROEMIO DELLA TER Z A PARTE DELLE VITE Eramcnte grande augumento fecero alle sArti}nclla ~4rihuettura, Pmura, et Scul iura QpeÜi eccellenti Maeßrj che not ab- biomo deßrhüßn auijiella ftconda parte ditjueße tute{«dggiugnmdoalle cofe de I prmvyRegoU^dme^yura3T)ifigno,et monier aß non in tuttoperfettamente, tanta almanco memo al uero; che i Ten^dt chtnoiragumeremo da tjutauanti, po~ terono mediane e tpiel lumejolleuarß &* condurß a la ßmma perfe7^wne3doue ahbiamle cofe moderne di maggior pre- riojfrpiucelebrate. Maperchepmchiaroancor'ßcono/ca la tptalita del miglioramento che 6 hämofam iprtdetti *4r tejici,nonfara certofitori di propoßto dichiarare in pocheparo le i emtjue aggiunti che io nominal :Et difcorrer*Juccmtamen te donde fia nato tpiel uero buono}chefuperato ilßcolo antico, fa il modernoßglorioß. Fu adurnjuc la regola nello archi- tettura ji modo del mißtrare dcüe antuaglieji>fßruando lepiÖ te degli edifcij antkhijtelle opere moderne: L 'ordmrfitÜdi widere Inn Genereda tahrojlche toccafß adognicorpo le memhrafiei&non ß cambiaßeropm tra loro il Dorkojo Io wcojlCorimhj&tlTofianoi&Umißtra fit unmerfalefi nello ^irchhettwra^come nella Sculturajare % corpx deüeßgu rercTti,diratt,rtr con le memhra organi%aiiparimentej&U ßmtle neUopittura: Ii difrgnofu lo Imitare il piu hello deÜ.% naturajn tutte lefigurtjcoßßolpite come dipmteJoqMat por ttuiene daloaucrclamano&tingegnotche raport4it uitt o, Abb. 4: Vasari, Vite, Florenz 1550, S. 555

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des genannten Medici-Heiligen Antoninus von Florenz erlebten bis in die zweite. Hälfte des 16. Jahrhunderts zahlreiche Auflagen. Forestis Chronik
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