Arnold Esch Wiederverwendung von Antike im Mittelalter Akademieunternehmen „Griechische Christliche Schriftsteller“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Hans-Lietzmann-Vorlesungen Herausgegeben von Christoph Markschies und Martin Wallraff Heft 7 Walter de Gruyter · Berlin · New York Arnold Esch Wiederverwendung von Antike im Mittelalter Die Sicht des Archäologen und die Sicht des Historikers Walter de Gruyter · Berlin · New York Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. ISBN 3-11-018426-5 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dbb.de abrufbar. © Copyright 2005 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Rainer Engel, Berlin Für die Umschlaggestaltung wurden Abbildungen eines Mosaiks aus der Hagia Sophia (Istanbul; 9. Jh.) und des Codex Vat. Graec. 1209, fol. 65r (Rom; 4. Jh.) verwendet. Das Mosaik zeigt den Erzengel Gabriel, die Handschrift den griechischen Bibeltext Exodus 14,26 f. Datenkonvertierung: Readymade, Berlin Druck und buchbinderische Verarbeitung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten (Allgäu) Vorwort Mit der Serie der Hans-Lietzmann-Vorlesungen erinnern die Berl in- Bran denburgische Akademie der Wissenschaften, die Humboldt- Universität zu Berlin und die Friedrich-Schiller-Universität Jena an den Kirchenhistoriker, Philologen und christlichen Archäologen Hans Lietzmann (1875-1942). Wir erinnern an Lietzmann, indem wir zu diesen Vor lesungen Gelehrte seiner interdisziplinären Weite einladen, deren Œuvre in die eine oder andere Beziehung mit der Lebensarbeit Lietzmanns gebracht werden kann. Arnold Esch ist zwar nicht der erste Historiker, aber der erste Mediävist in dieser Vorlesungsreihe, wiewohl er klassische Ar- chäologie studiert hat, nach eigenem Bekunden durch Hermann Heimpel aus der Antike ins Mittelalter gelockt wurde und trotz- dem – beispielsweise in einem Aufsatz über Kaiser Friedrich II. und die Antike oder über die Geschichte der Limesforschung1 – nie ganz von ihr gelassen hat. Hans Lietzmann wird man dagegen nicht zum Mittelalterhistoriker stilisieren können, und er teilt die Zurückh altung vieler seiner evangelischen Kollegen gegenüber dieser Epoche, indem er bei seinen Veröffentl ichungen von der Antike gleich in die Reformationszeit springt (wenn man einmal vom Hilfsbüchlein über die Zeitrechnung absieht2). Aber trotz dieser Unterschiede fallen mir auf Anhieb drei Vergleichspunkte ein, die Arnold Esch mit Hans Lietzmann verbinden: 1 A. Esch, Friedrich II. und die Antike, in: Friedrich II. Tagung des Deutschen Historischen Instituts in Rom im Gedenkjahr 1994, hg. v. A. Esch u. N. Kamp (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 85), Tübingen 1996, 201-226. 2 H. Lietzmann, Zeitrechnung der römischen Kaiserzeit, des Mittelalters und der Neuzeit für die Jahre 1-2000 nach Christus (SG1085), Berlin 1934. VI Vorwort Erstens verbindet Esch und Lietzmann ein dezidiertes Interesse an der Bereitstellung und Erschließung von Quellen im Rahmen von sogenannten Langzeitvorhaben. Lietzmann leitete in den Jahren 1930 bis 1942 die „Griechischen Christlichen Schriftsteller“ und die übrigen Editionsarbeiten auf dem Gebiet der spätantiken Reli- gionsgeschichte an der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Arnold Esch trug seit dem Jubiläumsjahr 1988 als Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom Verantwortung für die bekannten Langzeitunternehmen des Hau ses, beispielsweise für die Nuntiaturberichte und das Repertorium. Ein solches Enga- gement für die textliche Grundlage aller historischen Arbeit war immer schon umstritten, nicht erst in gegenwärtigen Zeiten. In einem prog ramma tischen Aufsatz über „Stand und Tendenzen der Mediävistik“ hat Arnold Esch nicht nur den wunderschönen Satz formuliert: „Etwas Zeitgemäßeres als gute Quellen erschließung gibt es nicht“3, sondern auch ein Ideal einer gesunden Mischung von schlichter Quellenedition und neuen Fragestellungen an die alten Texte entworfen, dem sich auch Lietzmann verpfl ichtet fühlte. Durch das Œuvre beider Wissenschaftler zieht sich, wenn ich das so formulieren darf, eine erfrischende positivistische Note, beispiels- weise dann, wenn in einem Aufsatz von Esch die Schwankungen im stadtrömischen Weinkonsum in den Jahren nach 1470 auf einer Tabelle dokumentiert sind4, oder wenn Lietzmann die methodische Scharlatanerie der zu Recht längst vergessenen Schallanalyse mit philologischer Exaktheit entlarvt. Zweitens scheint mir eine besondere erzählerische Kompetenz die Arbeiten von Esch und Lietzmann zu verbinden: Wenn man liest, wie Arnold Esch die Umstände und Gefahren der Reise 3 A. Esch, Stand und Tendenzen der Mediävistik, in: Stand und Per- spektiven der Mittela lter forschung am Ende des 20. Jahrhunderts, hg. v. O. G. Oexle (Göttinger Gespräche zur Geschichtsw issenschaft 2), Göttingen 1996, (7-44) 13. 4 A. Esch, Ein Gang durch das Rom der Hochrenaissance, in: ders., Wege nach Rom. Annäher ungen aus zehn Jahrhunderten, München 2003, (44-64) 58. Vorwort VII nach Rom beschreibt, die vier Dutzend Stühle im Hospiz um den Nußbaum tisch auf dem Großen St. Bernhard einem vor Augen malt und stadtrömische „Hotelk ategorien“ bis hin zum „Bed-and-Breakfeast“-Äquivalent trotz erheblicher Probleme bei der Interpretation der Abrechnungsmodalitäten rekonstruiert5, fühlt man sich selbst auf dem Wege, und wenn er mit seinen Le- sern durch das Rom der Hochrenaissance spaziert und vor dem Hotel „Gastliche Kuh“ am Campo de’ Fiori Halt macht oder die römischen Landschaften im Caffè Greco an der Spanischen Treppe einfühlsam interpretiert, sieht man sich unmittelbar in die Szenerie hineingenommen. Aber nicht nur vom Reisen, ei- nem seiner bevorzugten Themen, weiß er ebenso bildreich wie detailliert zu erzählen, auch in scheinbar ganz schlichten wissen- schaftsgeschichtlichen Aufsätzen dominieren die einpräg samen Bilder: Die großen deutschen Quellene ditionen des neunzehnten Jahr hunderts beschreibt er als „riesige Mähdrescher, die ganze Überlieferungslandschaften fl ächig abfraßen und gleich anschlie- ßend wohlsortierte, dichtg epreßte Bündel bearbeiteter Überliefe- rung ausstießen: CIL Band VI 1,2,3“6. Hans Lietzmann hat spät, erst nach vielen Jahren philol ogischer Arbeit, begonnen, seine scharf sinnigen, reich dokumentierten und luziden Analysen durch eine Erzählung zu ergänzen, und er tat es in den vier Bänden sei- ner „Geschichte der Alten Kirche“7 ebenfalls mit starkem Bezug 5 A. Esch, Deutsche Pilger unterwegs ins mittelalterliche Rom. Der Weg und das Ziel, in: ders., Wege nach Rom (wie Anm. 4), (9-29) 14; ders., Preise, Kapazität und Lage römischer Hotels im späten Mittelalter. Mit Kaiser Friedrich III. in Rom, in: ebd., (30-43) 41. 6 A. Esch, Die Gründung deutscher Forschungsinstitute in Rom 1870- 1914, in: ebd., (120-151) 127. 7 H. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche, Bd. 1. Die Anfänge, Berlin 1932; Bd. 2. Ecclesia catholica, Berlin 1936; Bd. 3. Die Reichskirche bis zum Tode Julians, Berlin 1938 (Nachdruck Berlin 1999); von den ersten beiden Bänden erschien eine englische Übersetzung, vermutlich wurde ihr Erscheinen wegen des Kriegsausbruchs 1939 eingestellt. – Vgl. Lietzmanns Wort über seinen Vorgänger Hase, das auch für ihn selbst gilt: „Der alte Hase konnte wirklich noch erzählen und VIII Vorwort auf die Details, in „Andacht zum Unbedeutenden“, wie das sein Lehrer Usener formuliert hatte. Drittens und letztens, so scheint mir, verbindet Hans Lietz- mann und Arnold Esch eine gewisse Skepsis gegenüber der in Deutschland verbreiteten Attitüde, daß das notwendige Metho- denbewußtsein der Geschichtswissenschaft „bisweilen etwas kräf- tig zur Schau ge stellt und immer mit dem Charakterwort ‚Stren- ge‘ verbunden wird“8. Beide griffen mit spitzer Feder auf, wenn bestimmte Zugangsweisen zur Vergangenheit als neu ausgegeben werden, wiewohl sie es eigentlich gar nicht sind9. Beide votieren für eine am Sachproblem orientierte Integration verschiedener Methoden und gegen einseitige Zugriffe auf das Mater ial. Und beide haben trotz ihrer Skepsis gegenüber allzu überbordender Methoden refl exion höchst anregend über methodologische Pro- bleme des Faches geschrieben, Esch beis pielsweise über Probleme der historischen Periodisierung10 und unsere etwas leichtf ertige Kategorisierung von Personen als „überlebt“, „nachgeboren“ oder eben „modern“11, Lietzmann in seinen Auseinandersetzun- gen mit Bultmann, Fuchs und Lohm eyer. Und beide haben in nicht bloß über der Welt schwebend philosophieren“ (Brief Nr. 745 vom 19. 5. 1931, verm utlich an den Kröner-Verlag, in: K. Aland, Glanz und Niedergang der deutschen Universität. 50 Jahre deutsche Wissen- schafts geschichte in Briefen an und von Hans Lietzmann [1892-1942], Berlin 1979, 664); vgl. D. Wyrwa, Hans Lietzmanns theologisches Verständnis der Kirchen geschichte, in: G. Besier / C. Gestrich (Hgg.), 450 Jahre Evangelische Theologie in Berlin, Göttingen 1989, 387-418 und E. Pältz, „Für Recht und Freiheit“. „Aufrichtigkeit und Treue“. Zum Lebenswerk und Vermächtnis des Jenaer Theologen Karl August von Hase (1800-1890), in: Beiträge zur Hase’schen Familiengeschichte Bd. 1, Mainz 1994, 9-46. 8 Esch, Stand und Tendenzen (wie Anm. 3), 9. 9 Esch, Stand und Tendenzen (wie Anm. 3), 12. 10 A. Esch, Zeitalter und Menschenalter. Die Perspektiven historischer Periodisierung, in: ders., Zeitalter und Menschenalter. Der Historiker und die Erfahrung vergangener Gegenwart, München 1994, 9-38. 11 Zeitalter und Menschenalter (wie Anm. 10), 16. Vorwort IX besonders eindrücklicher Weise die kontrollierte Phantasie für ihre historischen Analysen eingesetzt: Man schafft es kaum, sich von Arnold Eschs Idee zu lösen, daß aus dem antiken Pompeji ohne den Vesuv-Ausbruch ein unbeachtetes italienisches Landstädtchen namens Santa Maria delle Grotte12 geworden wäre, in dem alle Antiken unter dem Schutt der folgenden Bebauung verschwunden wären, und lacht Tränen über Hans Lietzmanns Fälschung einer byzantin ischen Legende, mit der der bereits erwähnte Papst der Schallanalyse als Scharlatan entlarvt wurde. Die jährlich stattfi ndende Reihe der Hans-Lietzmann-Vorle- sungen ist 1995 als Init iative der Theologischen Fakultät und des Instituts für Altertumswissenschaften der Friedrich-Schiller- Universität Jena beg ründ et worden. Seit dem Jahr 2000 fi ndet die Vor lesung auch in Berlin an der Akademie der Wissen schaften statt. Arnold Esch hat am 3.12.2003 in Jena und am Tag darauf in Berlin gesprochen. Daß beide Orte des akademischen Wirkens von Hans Lietzmann des großen Kirchenhistorikers bis heute dankbar gedenken, wird ab diesem Heft durch die gemeinsame Heraus- geberschaft des Berliner und des Jenaer Patristik ers aus gedrückt. Besonderer Dank gebührt wiederum dem Verlag de Gruyter für die kompetente und zügige Betreuung der Drucklegung. Berlin, im September 2004 Christoph Markschies 12 Siehe unten S. 13 f.
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