Daniela Dahn Westwärts und nicht vergessen Vom Unbehagen in der Einheit ro ro ro Rowohlt 16.-22. Tausend März 1998 Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reineke bei Hamburg, Juni 1997 Copyright © 1996 by Rowohlt . Berlin Verlag GmbH, Berlin Umschlaggestaltung Walter Hellmann unter Verwen- dung eines Bühnendekorationsentwurfs zu « Das gelobte Land » von Wladimir Majakowski, 1919 Gesamtherstel- lung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3 499 60341 1 Dieses E-BOOK ist nicht für den Verkauf bestimmt ! 1 Zu diesem Buch Jüngsten Umfragen zufolge akzeptiert nur noch jeder dritte Ostdeutsche die westliche Ordnung, und jeder zweite gibt an, daß es ihm heute schlechter geht als erwartet. Dieser Unzufriedenheit spürt Daniela Dahn bei sich und anderen nach: erklärend, rechtfertigend, polemisierend. Mit verschärfter Angriffslust schildert sie aber auch die im wahrsten Wortsinn kopflose Reaktion vieler «Wessis» auf solch herausfordernden «Osttrotz ». Wer es wagt, Vergangenes zu verteidigen und die eigene Biographie nicht zu bereuen, gilt als unverbesserliche ideologische «Altlast», womöglich sogar als demokratieuntauglich. Die Autorin Daniela Dahn, geboren in Berlin; JournalistikStudium in Leipzig; danach Fernsehjournalistin. Seit 1949 ihrer Kündigung 1981 arbeitet sie als freie Autorin. Gründungsmitglied des « Demokratischen Aufbruchs », Mit- glied des P.E.N. seit 1991. Mehrere Gastdozenturen in den USA. Buchveröffentlichungen u.a.: «Spitzenzeit» (1983), « Prenzlauer Berg-Tour» (1987), «Wir bleiben hier oder Wem gehört der Osten» (rororo aktuell 13423) «Vertreibung ins Paradies» (rororo aktuell essay 2.2.379). Inhalt Osttrotz wider die neue Herrlichkeit Dialogischer Prolog........................................................................................3 Und wehre dich täglich Mein Unbehagen als Autorin...........................................................................4 Die Banalität des Guten Mein Unbehagen als Antifaschistin...............................................................12 Vor Tische las man's anders Mein Unbehagen als Linke............................................................................26 Der Westen sieht rot, der Osten schwarz Mein Unbehagen als gewesene DDR-Bürgerin............................................43 Im Namen der Mutter und der Tochter Mein Unbehagen als Frau.............................................................................56 Vertreibung ins Paradies Mein Unbehagen als Neubundesbürgerin.....................................................61 Mein Behagen als Citoyenne Monologischer Epilog...................................................................................74 Anmerkungen................................................................................................77 2 die man bei der fälligen Rückbesinnung tragen soll. So Osttrotz wider die neue Herrlichkeit, ist schließlich beides fragwürdig geworden: Versagen Dialogischer Prolog eingestehen und Versagen nicht eingestehen. Um durch Hätten Sie nicht Lust, ein Buch über die Unzufriedenheit vieler den Dschungel der Vorurteile Schneisen des Verstehens schlagen Neubundesbürger zu schreiben: über Osttrotz? fragt mein Ver- zu können, bedarf es klarer Differenzierung. Aber gerade das lag. Ich wüßte gar nicht, was das sein soll – Osttrotz. Mir ist mir doch ausgetrieben worden. Unmittelbar während geht es gut. Ich bin nicht trotzig. der Wende gab es kein größeres Bedürfnis, als aufzude- Trotz ist uns a priori durchaus sympathisch. Ist er doch immer cken und aufzuarbeiten. Es war uns fatalerweise sogar auch eine Reaktion des Widerstehenwollens. Eine Widerspenstig- dringlicher, als über künftige Konzepte nachzudenken. keit gegen Vereinnahmung, Fremdbestimmung, Züchtigung. Sie Nachdem die neue Herrlichkeit die DDR mit Haut und meinen es freundlich? Merkwürdig. Ich assoziiere eher Haaren auf den Scheiterhaufen geworfen hat, um sicher- ein bockiges Kind, das nicht in der Lage ist, angemessen zugehen, dar jeglicher alternative Ansatz verkohlt, hat zu reagieren. Als « Trotzer» bezeichnet man jedenfalls sich die Situation verkehrt. Will man diesem angehäuften eine zweijährige Kulturpflanze, die auch im letzten Vege- Scheitern entkommen, werden Selbstverteidigung und tationsjahr keinen Blütenstengel bildet. Anklage des Anklägers zur Überlebensnotwendigkeit. Darin liegt ja die reizvolle Ambivalenz des Themas. Wir empfin- Die wechselseitigen Dämonisierungen erschweren eine Annäherung. den diesen Trotz natürlich auch als Betrugsmanöver, das die Auf- Ließe sich darauf nicht verzichten? arbeitung der Vergangenheit blockiert, das Gewordenes nostalgisch Mir ist offenbar entgangen, dar die Dämonen auch den verklärt und so Neugier und Offenheit verhindert. Glauben Sie Westen befallen haben, mir schien, sie tobten sich alle wirklich, dar wir im Osten mehr «aufzuarbeiten» haben bei uns aus. In dieser Abwehr von Kritik und Neuansät- als Sie im Westen und dar man bei Ihnen dabei so viel zen sehe ich übrigens ein geradezu belustigendes Maß an offener ist? frage ich, nun schon leicht trotzig. Davon ge- Westtrotz. hen wir allerdings aus. Ist nicht das eigentliche Skandalon dieses zeitgenössische Drama Ich glaube, die Summe der Verdrängungen ist immer der unbefleckten Erkenntnis, eine Art Urteilswahn, der beiderseits gleich. das jeweils Fremde mit den eigenen Kategorien mißt und also gar Das würde bedeuten, dar auch die Summe der Schuld gleich sein nicht wissen kann, was da taxiert wird? mühte. Den Wahn hör ich wohl, allein mir fehlt dieser Krän- Wer weiß... kungszwang. Die eigenen Massstäbe bleiben aber unver- Auf den Beweis wären wir gespannt. zichtbar. Alles andere hiesse: Gehirnwäsche. Das Ich habe wenig Ehrgeiz, zu denen zu gehören, die im- Grundmißverständnis zwischen Ost und West besteht mer das System bekämpfen, das gerade zusammen- doch darin, dar eine Seite denkt, sie gibt ihr Letztes, gebrochen ist. Der Abschied von den alten Lebenslügen während die andere meint, man nähme ihr das Letzte. läuft parallel zur Ankunft in den neuen. Wir erleben jetzt Viel zu nehmen war ja da wahrlich nicht. Außer Spesen nichts hautnah, wie Legenden entstehen, und halten plötzlich gewesen. auch Gesichertes für Legende – das ist produktiv. Und Ausser Erblast nichts abgefasst? Immerhin sind 95 Pro- macht trotzig. zent des Volkseigentums, also Betriebe und Grundbe- 7 sitz, zahllose Immobilien, Hotels und Schlösser in west- Wir denken, Sie sind nicht trotzig? liche Hände übergegangen. Eine entschädigungslose Was weiss ich denn – verdammt noch mal. Enteignung – da mag bei vielen keine rechte Dankbar- Ihr Blick nach vorn interessiert uns. Dennoch sperren offenbar keit aufkommen. Eines ist doch wohl auch in östliche Hände auch Sie sich osttrotzig, mit dem Wissen von heute zurückzu- übergegangen: die D-Mark. schauen. Und obwohl die keiner mehr missen möchte, merken Welches Wissen meinen Sie? Es gibt dazu eine treffende wir plötzlich: Die weitgehende Abwesenheit von Privat- Karikatur: Auf einer kleinen, baldachingeschützten Ba- eigentum, von Erbschafts- und Steuerangelegenheiten, lustrade stehen ordengeschmückte Hochwürden, neben vom Primat des Geldes also, hat die Ostmentalität nach- ihnen ein Ritter mit seiner Lanze. Sie alle schauen auf ei- haltig und nicht nur nachteilig geprägt. Die Erfahrung nen Mann im Büßerhemd, der an einen Pfahl gebunden der Zweitrangigkeit von Geld ist unser Kapital. Das lässt auf einem Scheiterhaufen steht. Vor ihm hockt ein Rich- sich natürlich schwer aufrechnen gegen euer richtiges. ter in Robe, der gerade das Streichholz entzündet und Aufrechnen ist immer eine Form von Abwälzen. Kann sich nicht dazu sagt: « So, gleich können wir uns gemeinsam unsere jeder aus sich selbst erklären? Biographien erzählen.» Gerade in der Marktwirtschaft werden doch Verschul- Wir erwarten keine Karikaturen von Ihnen. dungen und Guthaben permanent gegeneinander aufge- Schade. Denn die im Osten akzeptierte Spielregel lautet rechnet, das ist die einzige Chance, um in die Offensive doch: Wir stellen die Angeklagten, ihr die Richter. Und zu gehen. Wer differenzieren soll, muss auch durch zeit- Angeklagte können mit nichts mehr moralische Lorbee- geschichtliches Einordnen relativieren dürfen. Jede neue ren gewinnen als mit dem kniefälligen Eingeständnis von Gesellschaft verabschiedet sich von der alten mit Kli- Fehlern, Schuld und Schande. Das sind die Modefarben, schees. Zurück bleiben Defizite. Was genau vermint ihr denn? 3 Uns fehlt etwas, was euch nicht fehlt. Ich sehe was, was Spass machte dieses Land nun auch denjenigen Schrift- du nicht siehst. stellern, die gottlob weder reine Schurken noch reine Hel- Und wir wissen, was ihr nicht wissen wollt. Das wäre das Thema. den waren (beides befähigt nämlich nicht sonderlich Und deshalb fragen wir Sie, ob Sie in einem Buch so eine Art Ar- zum Schreiben), die aber für sich in Anspruch nehmen chäologie des Osttrotzes betreiben könnten. konnten, dem Elementaren der Kunst verpflichtet gewe- So altertümlich ist aber dieser spezifische Trotz gar sen zu sein: der Wahrhaftigkeit. Wir schrieben in neuge- nicht. Auf den prähistorischen Schichten ruht der gründeten Zeitungen, organisierten Solidaritätsveran- Schnee von gestern und der Staub von heute – die Gra- staltungen in Kirchen, wurden in unabhängige Untersu- bungen müssten vieles bergen. Episodisches und Analy- chungskommissionen delegiert, drehten Filme, für die es tisches, Persönliches und Grundsätzliches, Ironisches keine Abnahmen mehr gab, entwarfen neue Gesetze und und Polemisches. Manche Funde böten, wenn über- Statuten. haupt, nur für den West-, andere nur für den Ostleser Es war die bislang intensivste Zeit meines Lebens. End- Aufschlussreiches. Da wären Provokationen und Frikti- lich, endlich war beinahe mühelos möglich, wofür wir onen unvermeidbar. Disharmonische Brüche sind in der westli- uns all die Jahre gemüht hatten. Endlich schien die Ver- chen Moderne kein Problem – nur zu. geblichkeit besiegt, das Zeitalter der Sinngebung an- Wenn ich Sie richtig verstehe, geht es Ihnen nicht um gebrochen. eine Erklärung der DDR, sondern um eine Erklärung Doch das Reich der Freiheit, in dem die bürgerlichen und des Phänomens, wie man mit den bedrückenden DDR- die sozialen Menschenrechte garantiert waren, währte Erfahrungen bei der Ankunft in der Grossen Freiheit nur ein halbes Jahr. Dann brach für die besitzlosen Ost- Nr. BRD soviel Unbehagen empfinden kann? So ungefähr. deutschen das Reich der Besitzenden aus. Eine Mehr- Alte Erfahrungen wären an neuen zu messen; dabei wäre plausi- heit, voll ungestilltem Verlangen, diesmal den Verspre- bel vorzurechnen, wieso angeblich ein gewisses Verlustgefühl he- chungen einer Obrigkeit glauben zu können, hatte es rauskommen kann. gewählt. Die Folgen sind bekannt: Millionen Ostdeut- Dies nachfühlbar zu machen nötigt mir aber einen un- sche gerieten in fatale Abhängigkeiten von Alteigentü- dankbaren Versuch auf: Nachdem sich alle, die es brau- mern, drei von vier Industriebeschäftigten wurden aus chen, so schön in einem bis zur Unkenntlichkeit ver- ihren Betrieben, neun von zehn Bauern von ihren Ä- zeichneten DDR-Bild eingerichtet haben, muss diese ckern vertrieben. Eine krisenhafte, sich aber immer noch Harmonie gestört werden. Es gilt, dieses geheiligte Co- selbst versorgende Wirtschaft musste zur künstlichen micbild zu entzaubern, die Schreckensvisionen zu ver- Ernährung an den westlichen Waren- und Geldtropf an- sachlichen, um ein paar einstige Annehmlichkeiten wie- geschlossen werden: Märkte schaffen ohne Waffen. der kenntlich zu machen. Das Thema zwingt geradezu, Nun war Anpassung auf der ganzen Linie gefragt. Unse- mich, ganz gegen den Zeitgeist, auf die bescheidenen re basisdemokratischen Gesetzentwürfe hatten sich er- Vorteile der DDR und die unbescheidenen Nachteile der übrigt. Die neuen alternativen Zeitschriften gewannen Bundesrepublik zu konzentrieren. Sie werden mir das zwar Abonnenten, aber keine Inserenten. Sie gingen fol- am Ende nicht vorwerfen? Das können wir nicht versprechen. gerichtig ein. Die damals ausgesprochen populär gewor- Wer Trotz bestellt, wird Trotz bekommen – sind Sie auf denen östlichen Sender wurden abgeschaltet. Verlage ein offensives Buch wirklich vorbereitet? mussten schliessen. Es geht um die Zerschlagung des in- Sie haben uns zumindest vorgewarnt. tellektuellen Potentials Ost, hiess es im Sommer 1991 auf einer Medienkonferenz in Berlin. Ziel erreicht? Statistisch gesehen, ist saubere Arbeit geleistet worden. Und wehre dich täglich, Vor der Enquete-Kommission des Deutschen Bundes- Mein Unbehagen als Autorin tages zur Aufarbeitung von « Geschichte der SED- Diktatur » konnte festgestellt werden, dass etwa eine Die DDR ging unter, als sie gerade anfing, Spass zu ma- Million Menschen in Ostdeutschland von der Elitenresti- chen. Und zwar nicht nur für ein paar Dutzend Bürger- tution betroffen sind. Psychologisch gesehen, ist damit rechtler, sondern für Millionen Menschen, die endlich der Bogen überspannt worden. Die für die Abwicklun- ihr Schicksal in die Hand genommen hatten: demonstrie- gen Verantwortlichen haben zu viele aus dem Publikum ren gingen, auf Versammlungen sprachen, Resolutionen dieses «Potentials» zu sehr brüskiert, was östlichen Intel- verfassten, sich neuen Gruppen anschlossen, Plakate lektuellen jetzt eine unerwartete Renaissance beschert, malten, Häuser besetzten, Parteien und Verbände grün- weil ihre Prognosen über die Folgen eines überstürzten deten, Menschenketten bildeten, unabhängige Studenten Beitritts bedauerlicherweise eingetroffen sind. und Betriebsräte wählten, Flugblätter druckten, die alten In meinem letzten Buch' hatte ich beispielsweise festge- Chefs absetzten, in Städten und Dörfern Runde Tische stellt, dass in Ostdeutschland mehrere Millionen Men- einrichteten. So viel Selbstbestimmung war nie. Und schen in existentieller Unsicherheit leben, weil sie nicht damit so viel neues Selbstbewusstsein. Das darf nicht wissen, wie lange sie noch in ihren Wohnungen, Häusern vergessen werden, wenn man sich wundert, wie hartnä- und Wochenendgrundstücken bleiben können. Von so ckig viele Neubundesbürger ihre Erfahrungen und Bio- manchem Westleser wurde dies als masslos übertrieben graphien verteidigen. angesehen. Inzwischen haben die von mir angegriffenen 4 Gesetze vollendete Tatsachen geschaffen: In den von Westen auf wenig Gegenliebe stiess. Umgekehrt natür- Rückgabeforderungen besonders betroffenen Gebieten lich im Osten: Was zunächst aussichtslos erschien, ist ist nach Angaben von Gemeinden bereits fast ein Fünf- vorerst geglückt: Ich konnte mir einen Grossteil meiner tel der Bevölkerung ausgetauscht: Mieter und Pächter Leser erhalten. raus, Eigentümer rein. Unerfahren in der Abhängigkeit von privaten Hausbesitzern, liessen sich viele Ostdeut- Von diesen Lesern wurde ich in den Jahren 1987/88 zu sche hinausdrohen, hinausschikanieren, hinausbeste- etwa 8o Diskussionen eingeladen. Lesungen wurden üb- chen, hinausklagen. rigens schlecht bezahlt. Dennoch konnte ich nicht ein- Nachdem Ende der besondere Kündigungsschutz in fach darauf verzichten, so üppig hatte ich es nicht. Mein 1995 den neuen Ländern ausgelaufen ist, steht eine weitere Hauptantrieb aber war die Neugier, ich wollte den Kon- «Welle der Vertreibung» bevor, wie Manfred Stolpe sag- takt zu den Menschen nicht verlieren. So las und disku- te. Der Deutsche Mieterbund geht von einer halben Mil- tierte ich in Bibliotheken und Betrieben, in Jungen Ge- lion Betroffener aus. Brandenburgs Justizminister Hans meinden und Jugendclubs, in Altersheimen und vor Kin- Otto Bräutigam, dessen Ministerium sich von Anfang an derkrippen-Erziehern, in Parteischulen von SED, LDPD für einen besseren gesetzlichen Schutz der Neubundes- und NDPD, in privaten Gesprächskreisen und bürger engagiert hat, nannte den Beschluß eine « un- überfüllten Kirchen, vor kleinen, unabhängigen Frauen- glaubliche Härte». Es handele sich offensichtlich um eine und Friedensgruppen und auf grossen Dorffesten. Man Konfrontation von ostdeutschen und westdeutschen In- könnte meinen, ich müsse völlig schizophren gewesen teressen. sein. Doch Verstellung war nicht nötig. Die Stimmung, Darum handelte es sich von Anfang an. Auch als ich die die Sorgen und Fragen waren nämlich überall etwa die- Eigentumsregelung des Einigungsvertrages als «ein selben. Die DDR-Binnenstrukturen waren längst nicht Schutzgesetz für Westeigentümer» charakterisierte, hiel- so monolithisch, wie man sich das heute offenbar vor- ten das manche für unangemessen. Was passierte denn, stellt. Gerade das hat letztlich die schnelle Erosion be- wenn Alteigentümer aus der DDR Ansprüche im Wes- fördert. ten anmeldeten? Mehrere Fälle sind an mich herangetra- Dennoch war es nicht selbstverständlich, praktisch von gen worden. Nur ein Beispiel: Der Ostberliner Schrift- allen gesellschaftlichen Kräften gleichermassen akzep- steller Walter Kaufmann stellte nach der Wende den An- tiert zu werden. Es hatte Ende der siebziger Jahre doch trag, die Duisburger Villa seiner jüdischen Eltern, die starke Polarisierungen gegeben. Doch das war vor mei- von den Nazis ermordet worden waren, rückübertragen ner Zeit als Autorin. Manchmal fragte ich verunsichert, zu bekommen. (Zu DDRZeiten war es den Bürgern un- weshalb man gerade mich eingeladen habe. Ich hoffte tersagt, mit offiziellen Behörden der Bundesrepublik zu wohl wie jeder DDR-Autor, dass man meine Texte be- korrespondieren.) Anwalt Otto Schily übernahm den sonders mutig fände. Zu meiner Enttäuschung war das Fall und meinte: Das erledigen wir mit links. Doch er ausschlaggebende Motiv offenbar ein anderes: Man musste sich von Rechts wegen belehren lassen. Das glaubte, in der Art, wie ich Geschichten erzähle, eine Bundesministerium der Finanzen teilte Herrn Kaufmann Menschenfreundlichkeit und Toleranz herausgelesen zu im Juni in einem Brief mit: haben, der man sich nicht entziehen könne. Ich fand 1995 « Die Fristen sind seit langem endgültig abgelaufen. Da mich damit ab und fühlte mich sogar herausgefordert zu es sich um Ausschlußfristen handelt, kommt auch bei einer Vermittler- und Pendlerrolle zwischen den dialog- unverschuldeter Fristversäumnis eine Wiedereinsetzung bereiten Reformkräften in Parteien, in Kirche und Op- in den vorigen Stand nicht in Betracht. (...) Ob und ggf. position. Kontakte gab es, gemeinsames Handeln leider welche Ansprüche die für die frühere britische Zone zu- nicht. ständige Nachfolgeorganisation wegen des Grundstü- Dabei entsprach die Deutlichkeit der von meinen Zuhö- ckes Ihrer Eltern geltend gemacht hat, ist mir nicht be- rern geäusserten Kritik oft nicht dem erwarteten Kli- kannt und kann jetzt nicht ermittelt werden, da die schee. Ich erinnere mich an eine überaus aufmüpfige, die Nachfolgeorganisation inzwischen aufgelöst worden ist. Verhältnisse scharf angreifende Diskussion im vollen Ansprüche nach dem Gesetz zur Regelung offener Ver- Saal des Franz Clubs im Prenzlauer Berg (formal ein mögensfragen sind nicht gegeben, da dieses Gesetz nur FDJ-Club). Während ich enttäuscht war, dass es im Her- für im Beitrittsgebiet belegenes Vermögen gilt. » zen der Opposition, in der ebenfalls gutbesuchten Um- Der Gesetzgeber hat es ermöglicht, dass in Ostdeutsch- weltbibliothek der Zionskirche, wo ich zwischen Bildern land 2,2 Millionen Anträge auf Rückgabe von Immobi- von Bärbel Bohley las, eher verhalten zuging. Wahr- lien gestellt werden konnten, in Westdeutschland aber scheinlich misstrauten sich hier gegenseitig alle mehr als kein einziger. Nicht einmal auf Entschädigung. So offen in der normalen Öffentlichkeit, in der ich spätestens seit durften die offenen Vermögensfragen natürlich nicht Mitte der achtziger Jahre oft erlebt habe, dar kein Blatt sein. Die Einheit ist erst vollendet, wenn auch der letzte mehr vor den Mund genommen wurde. Ostdeutsche aus dem Grundbuch gestrichen ist, prophe- Das hing vermutlich auch zusammen mit der Kultur der zeite jetzt ein Dresdner Kabarett. privaten und inoffiziellen Gesprächskreise, die es überall In meinem Buch kritisierte ich die undemokratische Re- im Land gab und in denen Tacheles geredet wurde. Ich gelung der Eigentumsfrage, kein Wunder, dass es im besuchte allein drei solcher Zirkel regelmässig. Einer war 5 der von Gastgeber Werner Wagner initiierte Pinchclub, Schwäche war sie zu einer samtpfötigen Diktatur gewor- der sich um den verfemten Philosophen Peter Ruben den. Ich komme darauf noch zurück. scharte. Wir diskutierten Sozialismus-Deformationen, War ich privilegiert, dass ich so urteile? Selbstverständ- das westliche Gesellschaftsmodell interessierte nicht. Es lich. Schriftsteller zu sein ist leider ein Privileg an sich. hatte nichts mit uns zu tun. Dachten wir. Aus diesen Wer Schrift stellt, stellt auch Fragen. Und Fallen. Wer Kreisen rekrutierten sich später Teile der Bürgerbewe- Schrift stellt, stellt ein Bein und schiesst aus der Hüfte. gungen und zahlreiche Initiatoren der Wende. Beispiels- Er ist schwer bewaffnet. Selbst wenn er friedfertig bleibt, weise hat die Runde von zehn Autorinnen, die wir uns provoziert er mit subversiver Unabhängigkeit. Wer un- seit Jahren monatlich treffen, um uns aus unseren Arbei- abhängig ist, ist nicht zu disziplinieren. Wer nicht zu dis- ten vorzulesen, die erste Protestresolution des Herbstes ziplinieren ist, ist hochgradig privilegiert. (So privilegiert 89 verfasst. Auf dieses Signal hin wurden dann sofort die wie heute war ich damals allerdings noch nicht. So viele Musiker aktiv, die Theater, die Akademien... Angebote zu publizieren, so viele Möglichkeiten, Stipen- Hat man denn meine Kapriolen geduldet? Bin ich nicht dien, Arbeitsaufenthalte oder Projektzuschüsse zu bean- schikaniert worden? Alle Repressionshämatome schon tragen, gab es nicht. Und Goethe-Institute in aller Welt vergessen? Anfang der achtziger Jahre sind mir immer hatten wir auch nicht.) wieder Reiseanträge abgelehnt worden, einmal durfte ich Wie kann ich angesichts staatlicher Zensur das Wort Un- nicht zur Produktion meines Hörspiels nach Westberlin, abhängigkeit überhaupt in den Mund nehmen? Ich rede ein anderes Mal wurde eine Studienreise verhindert, weil von meinen Erfahrungen als Autorin. Die beschränken der Einlader politisch nicht genehm war. Damals regte sich auf die achtziger Jahre und haben etwa mit den ich mich masslos auf. Heute langweilt mich die Erin- Fünfzigern oder Sechzigern nichts zu tun. Wenn zu nerung. Im Mai 1985 wurde das Kulturabkommen zwi- meiner Zeit das Manuskript eines prominenten Kollegen schen der DDR und der BRD unterzeichnet. Danach nicht gedruckt wurde, dann gab er es eben in den We- war es für Künstler, die einen Reiseantrag stellten, ohne sten. Das brachte Ärger, war aber durchzustehen. Stefan einen Pfennig Devisen zu beanspruchen, leichter gewor- Heym hat es immer so gemacht. Ich war nicht promi- den. Aber selbst als ich dienstlich schon reisen konnte, nent, musste also im Lande klarkommen mit dem Mit- hatte ich privat noch Trouble. In meinem leider nur äus- teldeutschen Verlag. serst sporadisch geführten Tagebuch habe ich damalige Bei meinem zweiten Buch gab es Einwände an 35 Stel- Unwörter notiert. Eins der grausamsten stand auf einer len. Eine Stelle konnte ein Wort sein oder ein ganzes Ka- Tafel im Polizeipräsidium, in einem grossen Warteraum pitel. Ich verhandelte zunächst mit meiner Lektorin, für Leute, die Anträge auf private Westreisen gestellt dann, zäher schon, mit der Cheflektorin, dann mit dem hatten: Entscheidungsabholung. Dieses Wort charakterisiert Verlagsleiter. Bis auf ein paar Nebensächlichkeiten hinreichend die ganze Anmassung des Systems. Wer die- konnten wir uns nicht einigen. Die Sache schien verfah- sen Raum auch nur einmal mit negativem Bescheid ver- ren. Monate vergingen. Schliesslich sagte mir die Chef- lassen hat, wird die kalte Wut nie vergessen. lektorin, was sie gar nicht durfte: dass sie meine Argu- Dagegen konnte man sich nur mit einer Haltung wapp- mente verstehe, zu Kompromissen aber nicht befugt sei, nen, die ein anderes Unwort umschreibt: Duldungsstarre. da die Einwände nicht aus dem Verlag kämen, sondern Ein Zustand, in den die Sau bei der künstlichen Befruch- aus der Hauptverwaltung. Das Wort klang wie Olymp. tung verfällt. Ein physischer Schutzmechanismus gegen Donner und Blitz. Und meinte wohl: Was ist nun: ent- eine psychische Zumutung. Ein Grossteil der DDR- weder – oder. Ich entschied mich für « oder ». Bat im Bevölkerung litt an Duldungsstarre. Auch mir war sie, Büro des Oberzensors um einen Termin. Das war, was wie gesagt, in Zeiten der Ohnmacht oder in Erholungs- ich gar nicht wusste, offenbar sehr unüblich. Klaus phasen zwischen nervenaufreibender Auflehnung hilf- Höpcke war so überrascht, dass ich den Termin recht reich. Bedenklich wurde der Befund eigentlich erst, bald bekam. wenn er chronisch zu werden drohte, wenn man sich aus Er hörte sich meine Vorwürfe gegen sein Haus an und eigener Kraft nicht mehr daraus befreien konnte. gab vor, weder mein Manuskript noch die Einwände zu Nach zwölf Jahren Faschismus war das deutsche Volk kennen. Das war durchaus möglich bei der Fülle der zu einst der totalen Duldungsstarre verfallen. Nach 7o bzw. genehmigenden Titel. Er versicherte, sich zu erkundigen 4o Jahren Realsozialismus gab es noch genügend Selbst- und mir ein Gespräch mit den zuständigen Kollegen zu erweckungskräfte, wie Gorbatschow und die Herbstre- ermöglichen. Vierzehn Tage später saß ich zwei biederen volution bewiesen. Das hatte eben damit zu tun, dass die Damen gegenüber. Schon nach den ersten Sätzen wurde Repressionen für die grosse Mehrheit der Bevölkerung mir klar, wie unsicher sie waren. Sowohl was den Gegen- zwar entwürdigend waren, aber mit der Zeit schwächer stand als auch was die Situation betraf. Ach du lieber wurden. Die Deutsche Demokratische Diktatur war kei- Himmel, dachte ich, das ist also die Zensur, vor der die ne permanente oder gar sich zuspitzende Unterjochung. Nation zittert! Wir gingen alle Stellen durch, aus heutiger Vielmehr hat sie nach stalinistischem Start immer mehr Sicht lauter Lächerlichkeiten. Ich war ziemlich aufge- Kreide fressen müssen: Innerdeutsches Abkommen, bracht, und siehe, die Damen (hatten sie Weisung?) lie- Vertrag von Helsinki, Unterzeichnung von UNO- ßen mit sich reden. Nicht ohne sehr betrübt dreinzu- Resolutionen. Durch Druck von aussen und eigene 6 schauen. Es muss reines Mitleid gewesen sein, dass ich derheiten, Unbequemen, Ausgegrenzten, Verurteilten, an drei, vier für mich weniger wichtigen Stellen nachgab. Schwachen. Vor der Literatur seien alle Menschen Triumph? Nein. Ich war unzufrieden. Ich hatte viel Zeit gleich. Meine Sympathie läge bei denjenigen, die nach und Nerven verloren und außerdem drei, vier schöne Stel- der Devise lebten: Bleibe im Lande und wehre dich täg- len, um die es mir plötzlich doch wieder leid tat. Ich lich. sann auf Genugtuung. Normalerweise geht man in sol- Nach mir ist Heiner Müller dran. Er antwortet nicht auf chen Fällen an die Öffentlichkeit. Wie aber wehrt man die Frage, sondern entwickelt eine zusammenhängende sich in einem Land ohne Öffentlichkeit? Das war eine Theorie über verkrustete gesellschaftliche Strukturen. der Grundfragen in der DDR. (Für mich war die fehlen- Der Moderator ist froh, dass so etwas mal ausgespro- de Offenheit, die mangelnde Öffentlichkeit immer das chen wird. Er ist seit kurzem Kandidat des ZK und Schlimmste am Realsozialismus. Dass es längst nicht al- nutzt seine vermeintliche Macht, um der Redaktion zu len so ging, dass für die Mehrheit die Kluft zum westli- drohen: Wenn hier irgendetwas herausgeschnitten wür- chen Wohlstand das Schlimmste war, begriff ich erst de, seien sie ihn los. Dies wäre insofern ein Verlust für später.) die Sendung gewesen, als er sich mehr leisten konnte als Es gab einzelne Foren und Podien, auf denen sich Öf- andere. fentlichkeit nicht vermeiden ließ. Schriftstellerkongresse Als das Ganze über den Sender geht, fehlt schließlich waren solche Gelegenheiten, bei denen jeder unzensiert doch ein Satz: Bleibe im Lande und wehre dich täglich. Dieses reden konnte. Man wusste, dar Journalisten anwesend heute geradezu DDR-patriotisch klingende Motto der sind und das Protokoll veröffentlicht wird. Eine solche Bürgerbewegung war ihnen zu weit gegangen. An Müller Chance durfte man sich doch nicht entgehen lassen. hatten sie sich nicht herangewagt. Darauf war der Mode- Obwohl ich im Herbst 1987 noch nicht einmal Mitglied, rator stolz und machte weiter. Na gut. Und was machte sondern nur Kandidat des Verbandes war, sprach ich ich? Ich blieb im Lande und wehrte mich gelegentlich. über meine Erfahrungen mit Zensur. Das Wort war bis «Ich bilde mir ein, Zivilcourage gehabt zu haben. Dafür dahin völlig tabuisiert, nie hatte ich es öffentlich ausge- habe ich viel Prügel bekommen, aber das hat mir nichts sprochen gehört. Während ich meinen Diskussionsbei- ausgemacht. Das ist doch das normale Leben. » Mit die- trag hielt, ahnte ich nicht, daß Christoph Hein zur glei- sen Worten blickte der langjährige Intendant des WDR, chen Zeit in einer anderen Arbeitsgruppe dieses Thema Friedrich Nowottny, in einer Talk-Show auf seine Tätig- sehr viel schärfer und grundsätzlicher behandelte. Und keit zurück. Warum wird unsereinem ein solcher Satz im Plenum am Nachmittag noch mal Günter de Bruyn. niemals zugestanden? Ich habe etwas Ärger gemacht und Wenig später wurde das Genehmigungsverfahren durch viel mehr Ärger gekriegt, in dieser DDR – natürlich. A- die Hauptverwaltung abgeschafft. Endlich einmal mu- ber ich habe niemals gedacht: Aha, das ist die Diktatur. cken die Schriftsteller auf, und gleich haben sie Erfolg. Sondern nur: C'est la vie. So schwach war die Macht schon. Wirklich privilegiert wurde man als DDR-Autor erst, Samtpfötige Diktatur? Kommode Diktatur? Vielleicht wenn der Westen auf einen aufmerksam wurde. Ich galt treffender: eine sklerotische, zahnlose, altersschwache als «empfindsame Beobachterin der DDR-Gesellschaft. Diktatur, mit kindischen, lächerlichen Zügen, deren Al- Ihr Buch <Prenzlauer Bergtour> war für uns West- tersstarrsinn allerdings unberechenbar blieb. Eine Dikta- Korrespondenten eine wertvolle Hilfe zum Verständnis tur ist eine Herrschaftsform, auf die es keine Möglichkeit der tatsächlichen Zustände im Lande» (Albrecht Hinze, der Einflussnahme gibt. Doch der Westen hatte zahlrei- langjähriger Ostberliner Korrespondent der Süddeutschen che Mittel, erfolgreich Druck auszuüben, und letztlich Zeitung). Was Wunder, dass unsereins alle möglichen blieb auch das – nicht allzu häufige – Aufbegehren im Einladungen bekam, zu Festen und Feiern bei westli- Lande nie folgenlos. chen Journalisten und Diplomaten. Bei Empfängen in Ich jedenfalls hatte meinen Eigensinn weitgehend der «Ständigen Verspätung» traf man den halben Freun- durchgesetzt und, wo nicht, meine Verletzungen artiku- deskreis. Die Beuys-Ausstellung und die Lesung von Pe- liert. So habe ich mir in diesem Fall meine Unabhängigkeit ter Härtling in diesem Haus werden mir unvergessen bewahrt. Die entscheidende Frage war nicht, ob man bleiben. Es entstanden auch freundschaftliche Kontakte. privilegiert, sondern ob man korrumpiert war. Als der Leiter der Wirtschaftsabteilung der Ständigen Immer gelang einem das Sichwehren natürlich nicht. Ich Vertretung 1984 nach Ablauf seiner Zeit von Ostberlin erinnere mich an eine Talkshow des DDR-Fernsehens nach Bonn zurück musste, schrieb er zum Jahreswechsel im Sommer 1988. Sie hieß «Bücherrunde», in ihr sollten einen Rundbrief an uns und hundert Freunde: Autoren zu neuen Arbeiten befragt werden und ihre «Nach dem erfüllten und intensiven, sicher manchmal Gedanken zur Zeit äußern. Wie bei allen Gesprächssen- fast zu hektischen Leben in Berlin (in beiden Teilen der dungen bis zur Wende handelte es sich um eine Auf- Stadt) und in der DDR war die Rückkehr nach Bonn zeichnung, damit eventuelle Unbotmäßigkeiten noch schon ein Schock! Bonn ist nicht Berlin, das weiß jeder, korrigiert werden konnten. Auf die Frage des Modera- und trotzdem mußten wir diese Erfahrung neu machen. tors nach meiner Schreibhaltung sagte ich, dass es mir Und irgendwie sind wir in den Jahren in der DDR auch um die Sicht von unten gehe, um den Alltag so genannter kritischer und hellhöriger gegenüber der Gesellschaft in kleiner Leute, um Schicksale und Erfahrungen von Min- 7 der Bundesrepublik geworden, was die Eingewöhnung – SED-Regime, Diktatur. Wie musste das auf die Bevölke- unabhängig von Bonn – auch nicht leichter machte.» rung wirken? Während sich die Politiker um Honecker Kaum lebt man fünf Jahre im Unrechtsstaat, sieht man rissen, konnten sich viele DDR-Autoren der Westeinla- den Rechtsstaat etwas kritischer – solche Stimmen, die dungen kaum erwehren. Der Luchterhand-Verlag, bei wahrlich keine Ausnahme waren, gehörten zu unserer dem mein Prenzlauer-Berg-Buch in Lizenz erschienen Alltagserfahrung. Nein, langweilig war das geistige Leben war, organisierte für mich zwei ausgedehnte Lesereisen im Ostberlin der achtziger Jahre für mich auch nicht. Ein durch die Bundesrepublik. Anfangs war ich verunsichert: Gefühl von Isolation kam nicht so recht auf. Und es Wie würden solche Geschichten aus dem Osten aufge- schien, als gelte dies auch für meine Regierung. nommen werden? Ob es zu Unmutsäusserungen kom- Werner Brüssau, langjähriger ZDF-Korrespondent, lud men würde? Doch auch die Besucher der Lesungen wa- mich zum Dank für ein kritisches Interview zu seiner ren artig. Keiner aus dem Publikum, von den anwe- Abschiedsfete ein. Die Einladung enthielt Auszüge «aus senden Journalisten und Kritikern stellte die Frage, die dem Terminkalender eines DDR-Korrespondenten ». heute jeder stellt: Wie konntet ihr euch der Diktatur Ich habe sie mir aufgehoben: beugen? Statt dessen Wohlwollen auf der ganzen Linie. 1984 finden kurz nach dem 35. Jahrestag der DDR SPD- Sogar echte Neugier und Interesse. Die Sympathiebe- SED-Gespräche in Ost-Berlin statt. kundungen werden 1989beinahe aufdringlich. Im Früh- 1985 erhält Erich Honecker in folgender Reihenfolge jahr findet in Hamburg-Wedel eine Lesereihe von DDR- Besuch: Johannes Rau, Helmut Schmidt, Herbert Weh- Schriftstellerinnen statt; Ende Mai bin ich bei den Tagen ner, Frankreichs Premier Fabius, Franz Josef Strauß, der « DDR Kultur in Göttingen », die das Bundesminis- Willy Brandt, Berthold Beitz und Oskar Lafontaine. terium für innerdeutsche Beziehungen finanziert; im Zwischendurch berichtet Brüssau von der Eröffnung Sommer habe ich, wie vor mir schon viele andere DDR- der Semper Oper und von der Flucht des Spions Tiedge Autoren, Termin beim Pädagogischen Zentrum in in die DDR. Westberlin, wo Lesung und Gespräch mit Lehrerinnen 1986 erhält Erich Honecker Besuch von Eberhard und Lehrern auf Videokassette aufgenommen werden, Diepgen, Martin Bangemann, Hans-Jochen Vogel, Bert- um sie im Deutschunterricht der gymnasialen Oberstufe hold Beitz, Herbert Wehner, IOC-Präsident Samaranch einsetzen zu können; die seit einem Jahr vorbereiteten und noch einmal Hans-Jochen Vogel. Zwischendurch «DDR-Wochen in Tübingen » fallen im November in so berichtet Brüssau vom Spione-Austausch auf der Glieni- bewegte Zeiten, dass ich absagen muss; und die zehntä- cker Brücke, vom XI. SED-Parteitag, vom Ausgang der gige «DDR-Buch-und-KulturPräsentation » in Freiburg Volkskammerwahlen: 99,94%, vom 25. Jahrestag der verlasse ich Anfang Dezember vorfristig, weil es zu die- Mauer und der ersten Städtepartnerschaft: Saarlouis – ser Zeit einfach keinen aufregenderen Ort gibt als Berlin. Eisenhüttenstadt. Während in Freiburg noch die Bolschewistische Kurka- 1987 erhält Erich Honecker Besuch von Hans-Jochen pelle spielt, werden in der Hauptstadt der DDR schon Vogel, Klaus Wedemeier und dem stellvertretenden US- die roten Fahnen eingerollt. Außenminister. Honecker reist nach Holland, in die Bundesrepublik und nach Belgien. Zwischendurch be- Emigration aus der eigenen Biographie richtet Brüssau über Prügel der Stasi bei einem Rock- konzert am Brandenburger Tor, darüber, dass Honecker Seit dem Beitritt sind nun mehr als fünf Jahre vergangen. zum Geburtstag den Titel: Held der DDR bekommt und In dieser Zeit bin ich erst zu einer einzigen Lesung nach wie die Stasi die Umweltbibliothek aushebt. Westdeutschland (inklusive Westberlin) eingeladen wor- 1988 erhält Erich Honecker Besuch von Papandreou, den. Zwei Drittel der Westdeutschen waren seither nie zweimal von Diepgen, von Rau, von Galinski, vom däni- oder weniger als eine Woche in den neuen Bundeslän- schen Premier Schlüter und wieder von Berthold Beitz dern. Als Grund geben sie an: kein Interesse. (der Geschäftsführer der Firma Krupp hat sich für die Der Prozess der Annäherung wurde durch die Einheit marode DDR-Wirtschaft unglaublich interessiert). Ho- abrupt abgebrochen. Dabei war das liebevolle Vorspiel necker reist zu Mitterrand und nach Spanien. Zwischen- schon weit gediehen. In dieser Stimmung konnte vielen durch berichtet Brüssau vom Pioniertreffen in Karl- glaubhaft gemacht werden, Beitritt sei etwas ähnlich An- Marx-Stadt und von prügelnder Stasi beim Schweige- genehmes wie Beischlaf. (Niemandem wird es schlechter marsch gegen Pressezensur in Kirchenzeitungen. gehen, sondern allen besser.) Vereinigung? Nur coitus 1989 erhält Erich Honecker Besuch von Björn Eng- interruptus. Mit fatalem Nachspiel: allgemeines Un- holm, Lothar Späth, Hans-Jochen Vogel, Walter Mom- befriedigtsein. per und – noch im Juni, unmittelbar vor Honeckers Wenn diejenigen, die nicht verstehen wollen, die östli- Krankheit – von Rudolf Seiters. chen Biographien im nachhinein umdeuten, kann man nichts machen. Wirklich betrübt bin ich erst, wenn gera- Sie alle waren artige Gäste, hielten sich ans Protokoll, de die, die ich am meisten schätze, mit ihren Deutungen toasteten dem Staatsratsvorsitzenden der Deutschen so danebenliegen. Heleno Sana schreibt in seinem an- Demokratischen Republik zu. Kein Hauch davon, was heu- sonsten sehr treffenden und einfühlsamen Buch «Vom te einzig denkbare Sprachreglung ist: Unrechtsstaat, Ende der Menschlichkeit» 8 «Die integren Autoren, Intellektuellen, Künstler und unerwünschten Hörspiele im Westen produzieren durfte, Kulturschaffenden hatten nur zwei Optionen: entweder wodurch es ihm früher als vielen anderen Autoren mög- auszuwandern oder sich in die innere Emigration zu lich war, ausgedehnte Westreisen zu unternehmen, der verkriechen.» Was für ein Irrtum, lieber Heleno! Ich war nach einer Gastdozentur sogar mit seiner jungen Frau in in aufregender Weise einem Mietwagen quer durch Amerika gefahren ist, der immer mittendrin in den Auseinandersetzungen. Natür- nach all diesen Reisen immer wieder pünktlich nach lich, an Bord zu bleiben hatte seinen Preis. Niemandem Hause kam, wo man ihn in Berlin gelegentlich auf Ver- von uns ist es gelungen, die ganze Zeit ein Held zu sein. bandsversammlungen traf und wo sowohl seine Stadt- Wir haben Kompromisse gemacht und für den Mut zur wohnung als auch sein Bauernhaus Zentren geselliger Auflehnung mit Phasen der Schwäche bezahlt. Aber die Aufmüpfigkeit für Kollegen aus Ost und West waren, wahrhaftigen Bücher haben das Bedürfnis nach Zivil- ein solcher Kollege hat sich nach der Wende im Lexikon courage, Würde und Wahrheit bestärkt. Dar unser Pro- des West-PEN plötzlich zu der Formulierung veranlasst dukt ein Lebensmittel war, bezeugten die Schlangen vor gesehen, er habe seit 1984 in der «inneren Emigration in den Buchhandlungen und bei Buchbasaren. Wir haben Mecklenburg» gelebt. Was ihm im Freundes- und Bekann- zerlesene Exemplare signiert, die offensichtlich durch tenkreis nur Hohngelächter eingebracht hat. Er ist auf viele Hände gegangen waren. Wir haben Briefe mit gan- diese These nie wieder zurückgekommen. zen Lebensgeschichten erhalten, oder mit der Bitte um Zu solchen abstrusen rückwirkenden Interpretationen Rat oder einfach mit einem Dankeschön. Die Erfahrung, der eigenen Existenz kommt es durch die inquisitorische gebraucht worden zu sein, kann mir niemand nehmen. Situation, der sich Ostintellektuelle allein schon deshalb Und sie setzt sich, auf ein normales Maß reduziert, ausgesetzt sehen, weil sie im Lande geblieben sind. Nach merkwürdigerweise fort. dieser Logik müßten alle Intellektuellen der Welt, die in Wenn die Integrität von DDR-Schriftstellern jetzt an ih- einem verfehlten System leben, jede soziale und politi- rem damals öffentlich formulierten Widerspruch zur Po- sche Mitverantwortung für die weitere Entwicklung von litik gemessen würde, wäre dies nur gerecht. (Obwohl sich weisen und auswandern. Wohin? Ins nächste ver- westliche Autoren nicht nach diesem Maß bewertet wer- fehlte System. Und so weiter. Das Argument: Ich wohne den.) Aber da von den kritischen Geistern auch künftig hier, wird nicht akzeptiert. kaum Zustimmung zu erwarten ist, erfahren sie heute Es sei dem reichen und selbstbewußteren Westen eine ähnliche Ablehnung, wie sie sie seit langem gut ken- schuldhaft zuzurechnen, daß der größte Teil der Bevöl- nen. Da kommt Vertrautheit auf. kerung der ehemaligen DDR einer äußerst folgenreichen Die meisten von uns waren nicht nur nicht in der inne- Demütigung unterworfen wurde, stellte man im Mai ren Emigration, sondern wir waren viel weiter in die Ge- 1994 während der zweiten « Aktion für mehr Demokra- sellschaft hineingezogen als heute. Jurek Becker, der bei- tie » fest. Der Initiator dieser bemerkenswerten Bürger- de Systeme sehr wohl vergleichen kann, hat es im Som- initiative, Klaus Staeck, hat inzwischen mehrfach Künst- mer 1989 in seinen Frankfurter Vorlesungen beschrie- ler, Wissenschaftler und SPD-Politiker zu einem solchen ben: Ideentreff geladen. (An meiner Rolle als suchender « Bücher und Theaterstücke und Filme haben in der Pendler in der rot-rosagrünen Parteienlandschaft, in Kir- DDR ungleich größere Folgen als hier im Westen, sie lö- chen- und sonstigen Gesprächskreisen hat sich nichts sen Diskussionen aus und führen andauernd zu Ausei- geändert.) Oskar Negt fasste die Diskussion in Potsdam nandersetzungen, wie sie hier kaum denkbar sind... Die zusammen: Erklärung liegt darin, daß die Literatur der DDR ihren Immer wieder ist darauf hingewiesen worden, daß man Einfluß zum größten Teil der Existenz der Zensur ver- nicht die Biographien eines ganzen Volkes mit einem dankt. Was sich gegen die auflehnt, was sich gegen die Schlage für null und nichtig erklären kann, daß in dem durchsetzt, hat die Anziehungskraft des Unbeugsamen... Maße, wie Kompetenzen und Orientierungen der Men- Ein Grund für die Fixierung der Leser auf sozial- und schen, die sich in langen geschichtlichen Zeiträumen ge- gesellschaftskritische Inhalte ist schnell gefunden: In ei- bildet haben, der völligen Entwertung verfallen, jede ner Umgebung, in der es keine offene Diskussion über Möglichkeit der differenzierten Aufarbeitung der Ver- gesellschaftliche Entwicklungen und Fehlentwicklungen gangenheit ausgeschlossen ist. Wer alles falsch gemacht gibt... sind Bücher der letzte öffentliche Ort, wo politi- hat und wem alles, was er tut, als absolut unzulänglich sche Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden... demonstriert wird, der beginnt mit der Wiederherstel- Der Autor steht in einer Zwangslage, er hat nur die Wahl lung seiner Würde auf einer ganz anderen Ebene, nicht zwischen zwei Pressionen: Entweder gibt er dem Druck mit neugierigem Lernen gegenüber dem Ungewohnten, der Zensur nach, oder er widersetzt sich diesem Druck. » sondern mit trotzigem Beharren und am Ende mit der Diese Optionen klingen schon ganz anders als die erst- entschiedenen Verteidigung des Vergangenen. Hier wer- erwähnten von Sana. Das wirkliche Leben hat sich zwi- den, manchmal hat man sogar das Gefühl, es sei ein po- schen den Schwarzweiß-Polen abgespielt. Im inneren litisches Mittel, das bewußt eingesetzt wird, verbogene Kampf um die Grautöne lag die eigentliche Dramatik. sozialpsychologische Potentiale eigens produziert und Ein Kollege, der zu DDR-Zeiten zunehmend aufrechte damit der erfahrene Objektstatus, den die Menschen aus Bücher schrieb, die auch alle gedruckt wurden, der seine dem gerade überwundenen System mitgebracht haben, 9