Titus Simon Wem gehört der öffentliche Raum Titus Simon Wem gehört der öffentliche Raum Zum Umgang mit Armen und Randgruppen in Deutschlands Städten Gesellschaftspolitische Entwicklungen, rechtliche Grundlagen und empirische Befunde Mit Beiträgen von: Nadin Wendt, Elke Lehmann, Mandy Krause Leske + B udrich, Opladen 2001 Gedruckt auf säurefreiem und alters beständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für die Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich ISBN 978-3-8100-3279-9 ISBN 978-3-322-94994-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-94994-3 © 2001 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Verlag Leske + Budrich, Opladen Inhalt 1. Vorbemerkungen .................................................................... 7 1.1 Ziele und Rahmen ...... ............................................................... 8 1.2 Zeit- und Ablaufplanung ........................................................... 10 1.3 Abgrenzung zu anderen Studien ............................................... 11 2. Alte und neue Konflikte um die Aneignung des öffentlichen Raumes .............. .......... ........................................ 15 2.1 Segregation und Modeme ......................................................... 15 2.2 Der Sicherheitsdiskurs: das Beispiel "jugendliche Gewalttäter" ..................................... 19 2.3 Das Primat der Ordnungspolitik ................................................ 22 2.4 Coca Cola und Bratton: zur Amerikanisierung der Sicherheitsdebatte in Europa ............................................... 26 2.5 Kritische Notizen zur amerikanisch-europäischen Debatte um die "sichere Stadt" ................................................. 30 2.6 Von Bratton lernen, heißt siegen lernen .................................... 34 2.7 Alte und neue Regulierer im öffentlichen Raum ....................... 35 2.8 Die Urbanisten haben den Kampf gegen die Sicherheits-Populisten und die Theoretiker der Business- Community bis auf weiteres verloren ....................................... 39 3. Auswertung zur aktuellen rechtlichen Situation .................. 43 3.1 Zur zeitlichen und inhaltlichen Entwicklung der Debatte ......... 43 3.2 Die Zäsur durch die Normenkontrollbeschlüsse des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim ..................... ........... 48 5 3.3 Sprachregelungen ...................................................................... 50 3.4 Ausgangspunkte: Landespolizei- und Ordnungsbehördengesetze ........................................................ 52 3.5 Weitere Rechtsgrundsätze und Problemstellungen ................... 53 3.6 Betteln - Lagern - Alkoholkonsum: Darstellung unter besonderer Würdigung der wichtigsten Ergebnisse aus den Gutachten Heckers .. ...... ......... 54 3.6.1 Problembereich Betteln ............................................................. 54 3.6.2Das Lagern, Verweilen und Nächtigen ..................................... 56 3.6.3 Alkoholgenuß in der Öffentlichkeit .......................................... 59 3.7 Platzverweis sowie Betretungs-bzw. Aufenthaltsverbote ........ 61 4. Kommunale Fallstudien ........ .................................................. 67 4.1 Nadin Wendt Düsseldorf: Sauberkeitsbedürfnisse in der Rheinmetropole . .... 67 4.2 Mandy Krause Leipzig goes West ..................................................................... 80 4.3 Elke Lehmann Schwäbisch Hall: Au' nach d'r Abschaffung d'r Kehrwoch' sott' s sauber sei ........................................................................ 103 4.4 Corinna Genz Kommunale Sicherheits- und Ordnungspolitik dargestellt am Beispiel der Innenstadt von Hannover - eine Skizze . ..... .... 121 5. Empirische Befunde aus der Republik ... .................. ..... .... .... 125 5.1 Ergebnisse der Befragung von 100 ausgesuchten Mitgliedseinrichtungen der KAGW und des ZHW................... 125 5.2 Ausgesuchte Fragestellungen an 616 Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe.. ............... ...... ........... ..................... ..... 134 6. Es ist noch nicht alles unter Kontrolle - Zusammenfassende Betrachtung ........................................... 141 Literatur ........................................................................................... 149 Die AutorInnen dieses Bandes ........................................................ 153 6 1. Vorbemerkungen Die Praktiker und Praktikerinnen jener Arbeitsfelder, die ihre Klientel im öffentlichen Raum erreichen, signalisieren seit längerem, daß der Vertrei bungsdruck auf mißliebige Einzelpersonen und Gruppen seit Jahren zu nimmt. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Sucht- und der Wohnungs losenhilfe haben - meist in lokalen Zusammenhängen - derartige Prakti ken kritisiert und haben auch versucht, mit zum Teil markanten Aktionen auf diesen Mißstand hinzuweisen. Die nun vorgelegte Arbeit, deren em pirische Befunde im Rahmen meines Forschungssemesters während des Wintersemesters 2000/2001 im Auftrag der Katholischen Arbeitsgemein schaft Wohnungslosenhilfe (KAGW) und der Bundesarbeitsgemeinschaft Straffälligenhilfe (KAGS) erstellt wurden, soll einen zusammenfassen den Überblick zu den unterschiedlichen Facetten der aktuellen Vertrei bungspraxis vermitteln. Wertvolle Hinweise gaben mir die Mitglieder aus dem Kreis der bei den Verbände, die sowohl die Konzeption als auch die Zwischenergeb nisse im Rahmen ihrer Beiratstätigkeit begleiteten. Besonders zu danken habe ich Manfred Hammel für eine Reihe wertvoller Hinweise zu rechtli chen Aspekten, den drei Studentinnen Mandy Krause, Elke Lehmann und Nadin Wendt für ihre Bereitschaft, einwöchige Recherchen in drei ver schiedenen Städten vorzunehmen, Rene Grummt, welcher mich bei der Befragung von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe wirkungsvoll un terstützt hat, sowie meinem Kollegen Peter Schruth für die kompetente Durchsicht des 3. Kapitels. 7 1.1 Ziele und Rahmen Die Zentren der großen Städte mit ihren Straßen, Plätzen, Parks und Bahn höfen wurden seit jeher von verschiedenen Bevölkerungsgruppen in ganz unterschiedlicher Weise benutzt. Dabei standen und stehen auch heute noch die klassen- und gruppenspezifischen Formen der Aneignung und der Nut zung des öffentlichen Raumes in vielfacher Konkurrenz zueinander. Der öf fentliche Raum ist umkämpftes Terrain, wobei die Garanten der "öffentli chen Sicherheit und Ordnung" schon immer bestrebt waren, diese Ausein andersetzungen im Sinne der besitzenden Klassen zu entscheiden. Die Ge schichte belegt eine Fülle von Konflikten und eine endlose Sammlung von Formen der Regulation, deren Gemeinsamkeit die Verdrängung von Un derdogs, von Armen, Prostituierten, Obdach- und Wohnungslosen, Alko hol- und Suchtmittelabhängigen sowie auch jener Teile der Jugend waren, die in sehr unterschiedlicher Weise "die Ordnung störten". Der seit Beginn der 80er Jahre geführte Diskurs um neue, "postmo dern" genannte Formen gesellschaftlichen Lebens und Organisation hat spätestens mit dem Beginn der 90er Jahre seine Konkretion in neolibera ler Ideologie und Politik erfahren. Neben anderen Facetten gehört hierzu auch ein - gelegentlich "New Welfare" genanntes - Konzept der Armen politik, das den klassischen Wohlfahrtsstaat als nicht mehr finanzierbar denunziert. Schon seit geraumer Zeit hat diese Auseinandersetzung auch Fragen künftiger Urbanität erreicht. Ferner findet der Neoliberalismus seinen Ausdruck in den Auseinandersetzungen um eine "schlankere öf fentliche Verwaltung", was mittels "neuer Steuerungsinstrumente" er reicht werden soll, in der Ablösung des Leitbildes der "sozialen Stadt" durch die Idee von der "Global Community" oder der "postindustriellen Stadt", deren Innenstädte den neuen Dienstleistern, den Kulturschaffen den und den Konsumenten vorbehalten sein sollen. Unerwünschte Submileus werden mittels verschiedener Techniken vertrieben. Dabei handelt es sich sowohl um architektonische Konzepte, die den Aufenthalt für "die falschen Gruppen" unwirtlich erscheinen las sen, als auch um klassische ordnungspolitische Instrumente. Auffällig ist, daß nach einer, die 70er und die frühen 80er Jahre umfassenden, relativ toleranten Phase eine Kontroll- und Vertreibungspraxis zunimmt, die ur sprünglich auf unterstrafrechtlichen Partikularnormen beruht, welche eine Art von Privatstrafrecht begründen (Beste 1997 in: Ronneburger 1997, S. 39). Gemeint sind damit Sondernutzungssatzungen und Gefahrenabwehr verordnungen, die den Verantwortlichen in den Kommunen geeignete In strumente zur Regulierung des öffentlichen Raumes zu sein schienen, 8 auch wenn diese - wie durch die Rechtsprechung belegt - oftmals in weiten Teilen bar jeder Rechtsgrundlage waren. Die Denunzierung und die Klärung dieses Sachverhalts haben keineswegs zu einer Ausdünnung derartiger Praxis geführt. Vielmehr sind seit Mitte der 90er Jahre vier Tendenzen zu verzeichnen: 1. Eine weitere starke Zunahme an einschlägigen Verordnungen und Satzungen. 2. Ausgeprägte Bemühungen nahezu aller Bundesländer, die ermächti gende Landesgesetzgebung so zu modifizieren, daß die im gerichtli chen Verfahren festgestellten Probleme gänzlich gelöst oder wenig stens minimiert werden. 3. Die Angleichung der örtlichen Satzungen und Verordnungen an den jeweiligen Stand der Rechtsprechung mit der Intention, so wenig wie möglich auf ordnungspolitische Instrumente verzichten zu müssen, was sich auf der Basis von Mustersatzungen bzw. Musterverordnun gen der zuständigen Ministerien bzw. kommunaler Dachorganisatio nen vollzieht, die sich so nah als noch möglich an der Grenze zur Rechtswidrigkeit bewegen. 4. Eine stark ideologisierte Debatte um "Kriminalprävention" trägt zur Legitimation der genannten Maßnahmen bei. Das Resultat ist ein Konzept von öffentlicher Sicherheit, das letztendlich auf eine Intensivierung der sozialen Kontrolle abzielt. Alltagspraktisch wer den sozialpolitische, sozialarbeiterische, stadtplanerische, ordnungspoliti sche, polizei- und strafrechtliche Maßnahmen miteinander vermengt. Sozi alarbeit steht dabei vor neuen Herausforderungen bis hin zu einer ordnungs politischen Kolonialisierung und Instrumentalisierung dieses Arbeitsfeldes. V or dem Hintergrund dieser Herausforderungen wurde im September 2000 auf der Basis der Ergebnisse früherer Besprechungen zwischen der Katholischen Arbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (KAGW), der Katholischen Bundesarbeitsgemeinschaft Straffalligenhilfe (KAGS) und der Fachhochschule Magdeburg - vertreten durch den Projektleiter und Verfasser dieser Studie - eine vertragliche Vereinbarung darüber getrof fen, daß die Fachhochschule Magdeburg (mittlerweile umbenannt in Hoch schule Magdeburg-Stendal) eine bundesweite Erhebung erstellt, welche die unterschiedlich wirksam werdenden Instrumente beschreibt, die mit dem Ziel der Minimierung der Präsenz sozial Schwacher im kommunalen Raum in Anwendung gebracht werden. Im Ergebnis sollen dabei folgende Gesichtspunkte dargestellt werden: 9 • die unterschiedlichen rechtlichen und ordnungspolitischen Strategien und Instrumente, die im kommunalen Raum Anwendung finden, • die daraus resultierenden Wirkungen auf die Betroffenen, • juristische Bewertungen der einschlägigen kommunalen Rechts- und Verwaltungspraxis, • die bislang im Bereich der Wohnungslosenhilfe zu diesem Thema er arbeiteten Positionen, • die im kommunalen Raum entwickelten kritischen Haltungen und Widerstandsaktionen. Besonders hervorgehoben werden sollen hierbei: 1. der Vertreibungsaspekt, 2. der Segregationsaspekt, 3. Ordnung- und sicherheitspolitische Aspekte in Gewichtung zur Wer tigkeit von Bürgerrechten und verbunden mit der Fragestellung: Wem gehört der öffentliche Raum?" 1.2 Zeit- und Ablaufplanung Auf der Basis der in Vorgesprächen mit dem Geschäftsführer des KAGW sowie Mitglieder der Vorstände von KAGW und KAGS formulierten Zielsetzungen wurde eine Ablaufstruktur entwickelt, die zum Ziel hatte, sowohl qualitative wir auch quantitative Dimensionen erfassen zu kön nen. Im einzelnen wurden folgende Schritte unternommen: • Anschreiben an 100 ausgesuchte Einrichtungen - meist Mitglieder des ZHW und der KAGW - mit dem Ziel, erste Eindrücke aus unterschied lichen Regionen sowie Hinweise auf kompetente AnsprechpartnerIn nen zu erhalten. • Präzisierung des Auftrages in Kooperation zwischen dem Auftrag nehmer und den beauftragenden Verbänden. • Entwicklung eines Fragebogens für alle Einrichtungen und Dienste der Wohnungslosenhilfe. • Entwicklung eines Leitfragenrasters für die Gesprächsführung mit den örtlichen Multiplikatoren, welche in drei ausgesuchten Gemein wesen befragt wurden. • Durchführung und Auswertung der Multiplikatorengespräche. • Erstellung von drei exemplarischen kommunalen Szenarien auf der Basis örtlicher Befragungen aller informierter Akteure (Kommune, freie Träger, Betroffene, Polizei, Kommunalpolitik u.a.). Hierzu be- 10 trieben drei Studentinnen der Hochschule Magdeburg-Stendal jeweils einwöchige Recherchen in den beiden Großstädten Düsseldorf und Leipzig sowie in der Kreisstadt Schwäbisch Hall. • Befragung von 616 Wohnungslosenhilfeeinrichtungen in der Bundes- republik auf der Basis eines knapp gehaltenen Fragebogens. • Datenauswertung. • Auswertung der bislang erfolgten Rechtsprechung. • Erörterung von Zwischenergebnissen mit einer vom Vorstand der KAGW einberufenen Arbeitsgruppe. Bis Ende Februar 2001 wurde eine Studie mit dem Titel "Wem gehört der öffentliche Raum? - Gefahrenabwehrverordnungen und andere Instru mente zur Minimierung der Präsenz sozial Schwacher in den Innenstäd ten" erarbeitet und dem KAGW vorgelegt. Diese Arbeit wurde mit Blick auf die vorliegende Veröffentlichung im Nachgang an einigen Stellen überarbeitet und erweitert. 1.3 Abgrenzung zu anderen Studien Die hier vorliegende Untersuchung ist nicht die erste, welche sich mit Fragen des ordnungs- und polizeireichtlichen Umgangs mit diskriminier ten Gruppen befaßt. Bislang wurden - meist im Auftrag von Vereinigun gen der Wohnungslosenhilfe - fünf Studien erstellt, denen unterschiedli che Aufgabenstellungen zugrunde lagen. Vier dieser fünf Darstellungen stellen rechtliche Aspekte in den Vordergrund: • Bereits 1988 erteilte die Evangelische Obdachlosenhilfe e.V. der Uni versität Frankfurt/M. den Auftrag, ein Rechtsgutachten über die Zu lässigkeit ordnungsrechtlicher Maßnahmen gegen Nichtseßhafte zu erstellen. Das von Stolleis und Kohl 1990 vorgelegte Gutachten pro blematisierte insbesondere Alkoholverbote aufgrund straßenrechtli cher Sondernutzungssatzungen und war ein wichtiger Meilenstein für eine kritische Bewertung von Maßnahmen, die auf Grund des allge meinen Polizeirechts oder aber auf der Basis des Straßen- und Wege rechts gegen Nichtseßhafte verfügt wurden (StolleislKohl 1990). • Wolfgang Hecker, Professor an der Verwaltungsfachhochschule Wiesbaden, Abteilung Frankfurt, legte im Februar 1997 in Zusam menarbeit mit der "Lobby für Wohnungslose und Arme e.V." unter dem Titel "Die Regelung des Aufenthalts von Personen im inner städtischen Raum" ein Rechtsgutachten vor, welches die bislang 11