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Was zum Teufel ist mit der Musik los: Eine Art Musiksoziologie für Kenner und Liebhaber (German Edition) PDF

136 Pages·1982·1.025 MB·German
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Preview Was zum Teufel ist mit der Musik los: Eine Art Musiksoziologie für Kenner und Liebhaber (German Edition)

Urs Frauchiger Was zum Teufel ist mit der Musik los Eine Art Musiksoziologie für Kenner und Liebhaber Zytghgge Inhalt Nächtliches Gespräch mit einem inzwischen verstorbenen Herausgeber 7 Ich weiss nicht 16 Kunst und Kopie 17 Brevier für Radiohörer 2 5 Platter Schall 41 Nahsehen und Fernhören 5 2 Mit Musik geht alles besser — Musik zur Arbeit 5 7 Man bittet, nicht auf den Dirigenten zu schiessen 62 Vom Nerokomplex und vom Ayatollah-Effekt 7 3 Publikumsbeschimpfung 82 Wieviel Demokratie erträgt die Musik? (Parodie I) 87 Wieviel Musik erträgt die Demokratie? (Parodie II) 91 Doityourself 102 Von Kunst und Kartoffeln. Rede zur Einweihung einer Musikschule 111 Kammermusik in einer Zeit ohne Kammern? 119 Alternative Kultur 125 Statt eines Vorworts: Nächtliches Gespräch mit einem inzwischen verstorbenen Herausgeber «Ich habe Ihr Manuskript gelesen», sagte der Herausgeber, «es ist bemerkenswert, sehr bemerkenswert.» Da wusste ich schon Bescheid. «Was gefallt Ihnen denn nicht daran?» fragte ich; «ist es der Stil, beziehungsweise, ich will sagen, ich meine, das Fehlen einer bestimmten Stilebene?» «Bs entbehrt nicht einer gewissen skurrilen Eleganz», sagte der Herausgeber. Er lehnte sich zurück, um die Formulierung auf der Zunge zergehen zu lassen. Durch die Glasfront seines Büros sah man, wie die Abendsonne hinter dem Fraumünster verglühte. Ein paar Jugendliche schlugen drunten die Scheiben der parkierten Autos ein. Sic taten es mit dem Ernst eines Sä- mannes, der über seine Äcker schreitet. Die Schläge und das Klirren folgten sich in regelmässigen Abständen. «Ich habe meinen Wagen in der Tiefgarage», sagte der Her- ausgeber, «und was ich noch sagen wollte, ich sehe kein Ziel- publikum. An wen richten Sic sich? Man schreibt nicht Bücher in den leeren Raum.» «Musik geht alle an», sagte ich. «Ich achte Ihren Idealismus», sagte der Herausgeber, «auch wenn er seine Existenz wohl vorwiegend der relativen Abge- schlossenheit Ihres Wirkungskreises verdankt. Aber Sie werden verstehen, dass ich meine Bücher auch verkaufen muss. Und dafür muss ich wissen, an welche Bevölkerungs- schichten Sie sich richten, damit ich dort voll einfahren kann.» «Dass Sie die Reizworte «Provinz» und «Klassen» vermie- den haben», sagte ich «wird den Fortgang unseres Gesprächs erleichtern.» 7 «Ich bin Pragmatiker, nicht Ideologe», sagte der Herausge- ber heiteren Gemüts, «ich erhoffte mir von Ihnen ein Sach- buch, ein leichtgeschriebenes Sachbuch, ein Buch für die Zehn- tausende, die sich um anspruchsvolle Musik bemühen, aber nicht das Privileg genossen, sie aus erster und kundiger Hand lernen zu dürfen.» «Es ist ein Sachbuch», sagte ich trotzig. «Ich will nicht bestreiten», sagte er ernst, «dass Sie eine be- merkenswerte Fülle bizarrer Informationen hineinverarbeitet haben, und persönlich hat mich Ihre Art, diese Informationen fast unbemerkt und hinterrücks an den Mann zu bringen, sehr angesprochen. Ich habe viel Sinn für die Abgefeimtheit Ihrer Methode. Gerade das hat mich ja dazu verleitet, offen mit Ihnen zu sprechen. Abgefeimte wissen Offenheit in der Regel zu schätzen.» Ich war plötzlich sehr müde. Der milde schottische Whisky tat seine Wirkung. Draussen war es Nacht geworden. In der Ferne heulten die Polizeisirenen. Die Schwäne tauchten ihre Schnäbel ins eigene Gefieder und trieben schlafend auf dem heilig nüchternen Wasser der Limmat. Ich raffte mich auf: «Können Sie denn nicht einmal in Ihrem Leben ein Buch ver- öffentlichen, das sich an niemanden richtet?» «Wozu auch?», sagte er streng, «das kauft kein Mensch, und es wird verramscht.» «Grossartig!» rief ich, «das Beste, was geschehen kann. Die klassenlose Gesellschaft haben wir nur noch in den Antiquaria- ten. Da kommen die Leute, die wenig Geld und viel Zeit luben. Das ist mein Zielpublikum!» Sic Linien der Kritik ins offene Messer», sagte der Heraus- geber. ich danke für Ihre Fürsorge», sagte ich mit fester Stimme, das werde ich zu ertragen wissen.» Ich trank mein Glas in einem Zug und schob es ihm herausfordernd hinüber. Er füllte es , nichtohne einen besorgten Blick auf den Inhalt der Flasche N Leider überzog ich nun die Situation: «Der einzige ehren- werte Platz ist der zwischen den Stühlen.» Seine Art, den unverhofften Vorteil auszunützen, war nicht eben dezent. «Der Schlachtruf aller Opportunisten», sagte er, «ich achte jeden Standpunkt, aber irgendwo muss einer stehen. Der Rundschlag macht noch keinen Heine.» «Der Feind ist überall», hörte ich mich sagen. Ich hatte nun vollends die Fassung verloren und überliess ihm kampflos das Feld. «Der Feind», sagte er milde, «das Wort verrät Sie. Ihre Ar- gumentation bestärkt mich in dem Hindruck, den ich von der Lektüre Ilires Manuskripts her schon hatte. Eine gewisse rechthaberische Eitelkeit macht sich da breit. Wenn ich nur an Ihre Manie denke, den Leser zu duzen. Der Leser, der für den Kauf des Buches allenfalls in Frage käme, lässt sich nicht gerne duzen, er mag es nicht, wenn man ihm auf die Haut rückt, und der, der es sich gefallen liesse, ist kein potentieller Käufer, weil ihn Ihre Probleme überhaupt nicht interessieren.» Verzagtheit umfing mich. Am liebsten hätte ich geweint. Natürlich entging ihm mein Zustand nicht. Der letzte Schlag war leicht und präzis. «Es ist ein überflüssiges Buch», sagte er. Wir rauchten schweigend. Die Sache war gelaufen. Draussen wickelte sich das übliche Satyrspiel der letzten Tagesstunde ab: ein paar Polizisten balgten sich mit ein paar Jugendlichen. Das Scharmützel wurde beiderseits mit einer auffallenden Lustlo- sigkeit geführt, die letzte Reprise vor leeren Rängen bei Saison- ende. «Eine Frage noch, bevor Sie gehen», sagte der Herausgeber. Ich wollte kundtun, dass ich keineswegs zu gehen beabsichtige, ehe die Flasche leer sei, doch er ahnte meinen Einwand und schob ihn mit einer herrischen Geste beiseite. «Eine Frage noch», sagte er. «Ich hätte Ihnen, wenn nicht die Klugheit, so doch die Instinktsicherheit zugetraut, in Ihrem Manuskript musikwissenschaftliche Implikationen tun- liehst zu vermeiden. Was Ihnen wohl ansteht, ist die hebens- würdige Aura der provinziellen Ahnungslosigkeit. So aber fallen Sie zwischen Stuhl und Bank.» «Eben, da fühle ich mich wohl!» rief ich. «Wir haben das Thema bereits erschöpfend gestreift», sagte er missmutig. «Seis drum. Aber wenn schon, warum halten Sie sich nicht an die aktuellen Promotoren der Szene? » «Sie meinen?» fragte ich. «Carl Dahlhaus zum Beispiel», sagte er. «Er hat die Musik- wissenschaft auf die Höhe der bedeutendsten circensischen Er- eignisse gehoben. Ein Ausblick auf ihn aus Ihrer naiven Per- spektive wäre nicht reizlos gewesen. Oder, da es sich ja um so- ziologische Aspekte handelt, Tibor Kneif, der Junggereifte. Nicht zu reden von Heinz-Klaus Metzger, dem Chaplin der Szene. Doch Sie halten sich an Adorno. Das ist doch einfach seit 1968 nicht mehr möglich. Nibelungentreue in Ehren, aber sie darf nicht zur Folklore verkommen.» «Sie kennen das Phänomen der Verspätung», warf ich ein. «Sie meinen die originalen gothischen Truhen aus dem 17. Jahrhundert im Bündnerland? Der Antiquitätenmarkt ver- dankt ihnen viel», sagte er spitz. «Marktwirtschaftliches Denken ist mir fremd», sagte ich, «mich interessiert die Poesie.» «Die Poesie?» wiederholte er. Das Wort war in seinem Büro noch nie gefallen. Morgen würde er den Raum desinfizieren lassen müssen. «Adorno war ein Dichter», sagte ich. Irgendwie haben wir die Flasche doch noch leergekriegt. Als ich die zweite vom Bücherbord holte, wo sie, dem geübten Auge unverborgen, hinter dem neuen Bestseller des Verlags versteckt war, einem Reisser über das Geheimnis der ägypti- schen Königsgräber, stiess ich auf keinen nennenswerten Wi- derstand mehr. Ich goss ein, und er sprach, sprach über seine schon in der Gymnasialzeit versandete Karriere als Organist in Schwamendingen, wo er die Kasualien zur allgemeinen Zufrie- 10 denheit betreut habe, sprach über seinen ersten unhonorierten Fernsehauftritt als Drummer der «Riverboats», sprach über seine kleine Tochter aus neuester Ehe, die er abgöttisch zu lieben behauptete. Auch habe sie sein musikalisches Talent geerbt. «Ich gebe sie jetzt in ein Internat ins Bündnerland», sagte er, «sie soll nicht in Zürich aufwachsen, in dieser Unrast, unter diesem Leistungsdruck, nicht unter diesen Gnomen. Sie soll freie gesunde Menschen um sich haben, die von ihrer Hände Arbeit leben und sich damit begnügen.» Am liebsten ginge er selber mit, sagte er. Er war etwas blass geworden. «Spielt sie ein Instrument?» fragte ich. «Cembalo», sagte er,« das die Töne bewegt wie Herbstblät- ter im Wind.» Er schneuzte sich. «Sweelinck», sagte ich. Da schneuzte er sich gleich noch einmal. «Die Variationen über <Mein junges Leben hat ein Endj», sagte ich. Da weinte er und bot mir das Du an. Dann sprach er über das Militär. Man könne über das Mili- tär sagen, was man wolle, aber hier komme man wirklich mit dem Volk in Berührung. Dieses demokratische Grunderlebnis habe seine weitere Laufbahn entscheidend geprägt. Die Vorge- setzten hätten ihm oft vorgeworfen, er gehe mit seiner Truppe zu verständnisvoll um, er sei zu väterlich mit seinen Leuten, aber die hätten ihn geliebt, und wenn es draufangekommen sei, seien sie hinter ihm gestanden wie ein Mann. Sie hätten viel zu- sammen gesungen und nicht nur das Übliche, sondern sogar Morley «Nun ist die Zeit des Maien». Zum Abschied hätten sie ihm eine Wappenscheibe geschenkt. Er wankte zu den Bildbänden des Verlages hinüber. Dort hatte er sie versteckt. Er zeigte sie mir : einer hielt, auf einen Vorderlader gestützt, vorderBlüemlisalp Wache. «Es ist nicht die Scheibe, sondern die Geste», sagte er. Ich nahm die Scheibe und warf sie zum Fenster hinaus. «Bist du wahnsinnig geworden!» schrie er, «meine Scheibe!». 11 «Es ist nicht die Scheibe, sondern die Geste», sagte ich. Draussen huschte der Schein einer Stablampe über die Fas- sade. Die Scheibe war einem Polizisten direkt vor die Füsse ge- fallen, und der suchte nun den vermeintlichen Attentäter. «Herr Wachtmeister, mir ist ein militärisches Objekt ent- glitten», rief ich hinunter, «könnten Sie es bitte heraufbrin- gen.» «Holen Sie es selber!» rief er zurück. Das sah er neben mir den Herausgeber. «Einen Augenblick, Herr Doktor», rief er und las die Scherben eilends auf. Nach zwei Minuten war er da und legte sie ordentlich auf den Schreibtisch. «Viel ist nicht mehr zu machen, Herr Doktor», sagte er be- dauernd. «Macht nichts, Mosimann. Wollen Sie einen Whisky?» «Ich bin im Dienst», sagte Mosimann, «gegenwärtig heisst's den Kopf zusammenhalten. Mit den Jungen ist nicht zu spas- sen.» «Spielen Sie ein Instrument, Herr Wachtmeister?» fragte ich. «Du mit deinem blöden Wachtmeister», sagte der Heraus- geber barsch, «gehen Sie jetzt, Mosimann. Und vielen Dank.» Er drückte ihm eine blaue Note in die Hand. «Das darf ich nicht annehmen, Herr Doktor», sagte Mosi- mann, «das ist verboten.» «Ach was», sagte der Herausgeber, «kaufen Sie sich eine schone Schallplatte zu Weihnachten. Kleine Sachwerte sind nicht verboten.» «Dann werde ich die Weihnachtslieder mit der Anneliese Rothenberger kaufen», sagte Mosimann, «und vielen Dank.» «Schone Weihnachten!» rief ich ihm nach. «Einen Polizisten fragen, ob er ein Instrument spiele, so ein Blödsinn», schmollte der Herausgeber, als Mosimann weg war. Der Polizeimännerchor werde es wohl auch tun, und für das andere habe man die Heilsarmee. Er sei für strikte Gewal- 12 tentrennung. Oder ob ich etwa meine, die Polizei solle mit der Gitarre auf die Randalierer losgehen und Psalmen singen. Ich bestätigte ihm, dass ich das meine. Es brauchten ja nicht unbedingt Psalmen zu sein, da diese auf gewisse Kreise provo- zierend wirkten. «All you need is love», höhnte er. «Ich weiss noch etwas Schöneres», sagte ich, «Shakespeare.» Ich gehöre auch zu denen, die erst singen, wenn sie schon einen hinter die Binde gegossen haben. Nun sang ich: Hier brach ich ab, um mich zu schneuzen. So intensiv schneuze ich sonst in Monaten nicht. Als ich hinter dem grossen Nas- tuch hervorlugte, schneuzte er sich auch. «Schön», sagte er, «sing's nochmal.» «Wir singen es zusammen», sagte ich, «du mit deiner Bega- bung hast das schnell.» Wir sangen es zweimal zusammen, dann konnte er es und sang es noch ein paarmal allein. «Jetzt wird's schwer», sagte ich, «den Quartsext erwischen wenige sauber. Hör gut zu»:

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