Bofinger· Collignon· Lipp (Hrsg.) Wahrungsunion oder Wahrungschaos Peter Bofinger . Stefan Collignon Ernst-Moritz Lipp (Hrsg.) Wahrungsunion oder Wahrungschaos? Was kommt nach der D-Mark GABLER Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Wlihrungsunion oder Wlihrungschaos? : Was kommt nach der D-Mark / Peter Bofinger ... (Hrsg.). -Wiesbaden : Gabler, 1993 ISBN-I3: 978-3-409-14140-6 e-ISBN-13: 978-3-322-84019-6 DOl: 10.1007/978-3-322-84019-6 NE: Bofinger, Peter [Hrsg.] Der Gabler Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. © Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler GmbH, Wiesbaden 1993 Lektorat: Edith Karos Das Werk einschlieBlich alier seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzuHissig und strafbar. Das gilt insbe sondere fiir Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Hiichste inhaltliche und technische Qualitiit un serer Produkte ist unser Ziel. Bei der Produktion und Auslieferung unserer Biicher wollen wir die Umwelt schonen: Dieses Buch ist auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die EinschweiBfolie Polyathylen besteht aus organi schen Grundstoffen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freiset zen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. ISBN-13: 978-3-409-14140-6 Vorwort der Herausgeber Die Maastrichter Beschlusse zur Schaffung einer Wirtschafts- und Wahrungs union (WWU) in Europa haben im Jahr 1992 zu einer ungewohnlich intensiven wissenschaftlichen Debatte gefuhrt. Sie wurde ausgelost durch ein Memoran dum, in dem 62 fUhrende deutsche Wirtschaftswissenschaftler erhebliche Bedenken an dem gesamten Konzept der WWU zum Ausdruck brachten.1 Daraufhin wurde von 52 europaischen Professoren ein Gegen-Memorandum verfaBt, daB sich mit den Bedenken der Kritiker auseinandersetzt und zugleich die Vorteile der WWU herauszuarbeiten versuchte.2 Um die Debatte von der zwangslaufig vereinfachenden Ebene der Memoranden wieder in ein wissen schaftliches Fahrwasser zuruckzubringen, haben wir im Sommer 1992 zusam men mit den deutschen Mitgliedern der Assoziation fUr die Europaische Wahrungsunion beschlossen, am 7. Oktober 1992 eine wissenschaftliche Konferenz zu veranstalten, zu der die wichtigsten Vertreter der beiden Lager eingeladen wurden. Da die Thematik mit den EWS-Krisen von Herbst und Winter 1992 zusatzlich an Brisanz und Aktualitat gewonnen hat, sollten die Ergebnisse des Symposiums in aktualisierter Form einem breiteren Publikum zuganglich gemacht werden. Dabei haben wir die in Frankfurt vorgelegten Papiere durch eine Reihe weiterer einschlagiger Arbeiten erganzt, die in etwa zu gleicher Zeit fertiggestellt worden sind. Mit der Ratifizierung der Maastrichter Beschlusse durch den Deutschen Bundestag ist nunmehr zwar in formaler Hinsicht ein gewisser SchluBstrich unter die Debatte gezogen. Gleichwohl steht auBer Zweifel, daB die Diskussion in der Offentlichkeit noch lange nicht am Ende ist. Auch die Beitrage in diesem Band sind kontrovers. Sie werden also nicht zu einer abschlieBenden Klarung fUhren konnen. Durch das breite Spektrum der hier reprasentierten Meinungen wird dem Leser jedoch fur seine Meinungsfindung eine sehr umfassende Informationsgrundlage geboten. Unser besonderer Dank gilt Frau Inge Kuhlbauch und dem wissenschaftlichen Stab des Lehrstuhls fUr Geld und internationale Wirtschaftsbeziehungen der Universitat Wurzburg, die die umfangreichen Arbeiten zur Fertigstellung dieses Bandes mit viel Engagement erledigt haben. Wir danken auch den Mitgliedern der Assoziation fur die Europaische Wahrungsunion, der Deutschen Bank und der Dresdner Bank, deren UnterstLitzung die Konferenz moglich gemacht hat. Januar 1993 Peter Bofinger, Stefan Collignon, Ernst-Moritz Lipp 1 Abgedruckt in Anhang I, S. 232 2 Abgedruckt in Anhang II, S. 234 v Autorenverzeichnis Prof. Dr. Peter Bofinger Universitat Wurzburg Dr. Stefan Collignon Direktor fUr Forschung und Kommunikation, Assoziation fUr die Europaische Wahrungsunion, Paris Dr. Heiner Flassbeck Leiter der Abteilung Konjunkur, Deutsches Institut fur Wirtschaftsforschung, Berlin Dr. Hans-Peter Frohlich Stellvertretender Leiter der Hauptabteilung Wirt schafts- und Sozialwissenschaften, Institut der Deutschen Wirtschaft, Koln Prof. Dr. Otto Gandenberger Universitat Munchen Prof. Dr. Daniel Gros Centre for European Policy Studies, Brussel Dr. Wilfried Guth Mitglied des Aufsichtsrats der Deutschen Bank AG, Frankfurt Prof. Dr. Rolf Hasse Universitat der Bundeswehr Hamburg Prof.Dr.Dr.h.c. Norbert Kloten Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium fur Wirtschaft Dr. Ernst-Moritz Lipp Direktor und fruherer Chefvolkswirt der Dresdner Bank AG, Frankfurt sowie Aufsichtsratsmitglied der Dresdner International Advisors Prof. Dr. Renate Ohr Universitat Stuttgart-Hohenheim Prof. Dr. Wolf Schafer Universitat der Bundeswehr Hamburg Prof. Dr. Olaf Sievert Prasident der Landeszentralbank in Sachsen und Thuringen Prof. Dr. Alfred Steinherr Europaische Investitionsbank, Luxemburg Dr. Hans Tietmeyer Vizeprasident der Deutschen Bundesbank, Frankfurt Prof. Dr. Roland Vaubel Universitat Mannheim VI Inhalt I. Oas Pro und Contra Renate Ohr Europaische Wahrungsunion -ein richtiger Schritt fUr Europa Olaf Sievert 13 Geld das man nicht selbst herstellen kann - Ein ordnungspolitisches Pladoyer fUr die Europaische Wahrungsunion Hans Tietmeyer 25 Europaische Wahrungsunion und Notenbank als Gestaltungsaufgabe II. Politische Okonomie der Europaischen Zentralbank Peter Bofinger 43 Politische Okonomie und makrookonomische Vorteile der Euro paischen Zentralbank Roland Vaubel 59 Die Politische Okonomie einer Europaischen Zentralbank - Probleme und Losungsvorschlage III. Fiskalpolitische Aspekte der Wahrungsunion Otto Gandenberger 65 Europaische Wahrungsunion und offentliche Finanzen - Handlungs bedingungen der Haushaltspolitik in der Zeit nach der D-Mark - IV. Alternativen zur Wahrungsunion Heiner Flassbeck 81 Die Alternativen zu Maastricht: - EWS, flexible Wechselkurse oder eine andere Wahrungsunion Wolf Schafer 95 EWS oder flexible Wechselkurse? VII V. Der Obergang zur Wahrungsunion Stefan Collignon 105 Krise im Europaischen Wahrungssystem oder: Wie gewinnt die Europaische Wahrungsunion ihr Vertrauen zuruck? Rolf Hasse 123 Die "Nach-Maastricht-Ara": Neuorientierungen fUr den Ober gang zur Europaischen Wahrungsunion VI. Implikationen der Wahrungskrise bei dem IntegrationsprozeB Daniel Gros und Alfred Steinherr 143 Von der Krise im EWS zur Starkung der Europaischen Wahrungsunion Ernst-Moritz Lipp 153 Was kommt nach den Wahrungsturbulenzen? Hajo Riese 161 Schwache des Pfundes und Versagen der Deutschen Mark - Anmerkungen zur gegenwartigen Krise des Europaischen Wahrungssystems - VII. Politische Aspekte der Wahrungsintegration Hans-Peter Frohlich 189 Europaische Wahrungsunion ohne Politische Union Norbert Kloten 205 Maastricht -die Foigen fUr Europa Wilfried Guth 217 Welches Europa? Die Gemeinschaft nach Maastricht VIII. Anhang Memorandum fUhrender deutscher Wirtschaftswissenschaftler zur 233 Wahrungsunion vom 11. Juni 1992 Fur die Wirtschafts- und Wahrungsunion: Eine Stellungnahme 235 europaischer Wirtschaftswissenschaftler vom 8. Juli 1992 VIII Europaische Wahrungsunion - ein richtiger Schritt fUr Europa? von Renate Ohr Die Anderung der Wahrungsordnung durch den Beitritt zu einer Wahrungsunion ist eine Entscheidung, die den Ordnungsrahmen der gesamten Volkswirtschaft einschneidend beeinfluBt. Sie darf daher nur nach sorgfaltiger Abwagung von Kosten und Nutzen, von Chancen und Risiken, also nicht "aus dem Bauch heraus" getroffen werden, sondern muB rational begrUndet werden. Besteht die Gefahr, daB mit der EinfUhrung einer Europaischen Wahrungsunion eine Schwachung der wirtschaftlichen Leistungstahigkeit der Staaten Europas oder soziale und politische Spannungen in Europa drohen, so schadet sie dem Fortschritt der europaischen Integration. 1. Okonomische Argumente fUr eine Europiiische Wiihrungsunion? 1.1. Transaktionskostenersparnis? Zur BegrUndung einer Wahrungsunion wird zu allererst oft die Transakti onskostenersparnis genannt, die durch den Wegfall verschiedener Wahrungen erzielt werden k6nnte. Hierbei wird insbesondere an den Wegfall notwendiger Umtauschkosten gedacht, an den Wegfall der Kosten fUr die Informations beschaffung Uber kUnftige Wechselkursanderungen und an den Wegfall der Kosten der Absicherung gegenUber Wechselkursrisiken. In einem System fester, aber anpassungsfahiger Wechselkurse, wie es das derzeitige Europaische Wahrungssystem (EWS) darstellt, sind in normalen Zeiten die beiden letzt genannten Kostenarten (Informationskosten und Risikoabsicherungskosten) allerdings vernachlassigbar gering. Und die H6he der DevisenumtauschgebUhren schlieBlich ist weniger durch den damit verbundenen bankbetrieblichen Aufwand bestimmt als durch die fehlende Konkurrenz durch andere europaische Anbieter im Bereich von Finanzdienstleistungen. 1m Zuge der Verwirklichung des EG Binnenmarktes werden sich daher auch die teilweise Uberh6hten Umtausch gebUhren sowieso verringern mUssen. Von der - wie hoch auch immer ausfallenden - Transaktionskostenersparnis erhofft man sich eine Verstarkung des grenzUberschreitenden Handels und damit weitere Wachstumsgewinne aus einer Intensivierung der internationalen Arbeits- 1 teilung. Das Ausma~ der innerhalb Europas hierdurch noch m6glichen Wachstumsgewinne erscheint jedoch begrenzt. So zeigen empirische Studien, da~ der Au~enhandel zwischen Uindern mit flexiblen Wechselkursen nicht schwacher wachst als der Au~enhandel zwischen Landern mit stabilen Austauschrelationen. Insbesondere ist es innerhalb Europas kaum nachweisbar, da~ Handelstransaktionen oder internationale Investitionsentscheidungen aufgrund der genannten Transaktionskosten bisher unterblieben sind. 1.2. Ausschaltung des "Wiihrungschaos"? Nach den Wahrungsunruhen im September 1992 wird als weiteres Argument fur die Einfuhrung einer Wahrungsunion die Ausschaltung des "Wahrungschaos" genannt. NatUrlich k6nnen keine Wechselkursanderungen und auch keine damit verbundenen Preisveranderungen auftreten, wenn es nur eine Einheitswahrung gibt. Hierbei wird jedoch ubersehen, da~ die Wechselkursschwankungen nicht Ursache, sondern Foige 6konomischer Divergenzen sind. Genauso wenig, wie man durch das Entfernen der Skala eines Fieberthermometers das Fieber sen ken kann, kann man durch das Fixieren der Wechselkurse monetare und realwirt schaftliche Divergenzen verschwinden lassen. Sie dokumentieren sich dann eben nur in anderen 6konomischen - namlich realwirtschaftlichen - Bereichen. Diese Erfahrung mu~te seit dem Scheitern des Bretton-Woods-Systems hinlang lich bekannt sein. Die Wechselkursanpassungen im September 1992 waren schlie~lich nicht Ursache 6konomischer Fehlentwicklungen, sondern ganz im Gegenteil Foige und Symptom unterschiedlicher 6konomischer Entwicklungen der EWS-Lander. Zugleich wurden sie Sanktion fUr wirtschaftspolitisches Fehlverhalten, indem diejenigen Lander, die uber einen langeren Zeitraum hin uberdurchschnittlich hohe Inflationsraten aufgewiesen hatten, deutlich abwerteten. Betrachtet man die kumulierten Inflationsdivergenzen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Italien bzw. Gro~britannien in den letzten fUnf bis sechs Jahren, so entsprechen sie nahezu genau der Abwertung von Lira und Pfund im September dieses Jahres. Allein die Tatsache einer kunstlichen Stabilitat und Fixierung der Paritaten uber 5 Jahre hinweg hatte letztendlich die Einbahn-Spekulation in Richtung Abwertung der starker inflationierenden Wahrungen bewirkt. Haufigere kleinere Wechselkurskorrekturen - wie sie das Konzept des EWS eigentlich vorsieht - hatten dies vermeiden k6nnen. 2 Bei nach wie vor existierenden nationalen Wahrungen, die mit festen Wechsel kursen verknupft sind, bewirken Inflationsunterschiede entsprechende rea Ie Wechselkursanderungen. Diese mussen irgendwann durch eine entsprechende Anpassung der nominalen Wechselkurse wieder ausgeglichen werden: Anhaltende reale Wechselkursanderungen aufgrund unterschiedlicher monetarer Politiken waren wettbewerbsverzerrend. Liegen jedoch unterschiedliche realwirt schaftliche Entwicklungen vor, so sind rea Ie Wechselkursanderungen notwen dig. Diese sind bei festen, aber anpassungsfahigen Wechselkursen moglich, indem die nominale Wechselkurskorrektur kleiner oder groBer als die Inflations differenz ist. Bei einer Wahrungsunion mit Einheitswahrung besteht naturgemaB nicht mehr die Moglichkeit von Wechselkursanderungen, allerdings auch wenig Spielraum fUr autonome Preisgestaltung (zumindest nicht im Bereich der handel baren Guter und nur begrenzt im Bereich der nichthandelbaren Guter). Realwirt schaftliche Divergenzen - etwa durch unterschiedliche Produktivitatsentwicklun gen - fUhren bei sich international parallel entwickelnden Lohnvereinbarungen nun zu eindeutigen realwirtschaftlichen Konsequenzen, namlich zu Beschafti gungswirkungen. In einem System mit verschiedenen nationalen Wahrungen dagegen konnen solche unterschiedlichen Produktivitatsentwicklungen und die damit eventuell international divergierenden Preisentwicklungen durch Wechselkurskorrekturen ausgeglichen werden. Schaltet man die Flexibilitat in diesen Bereichen aus, so verlagern sich die realwirtschaftlichen Divergenzen auf den Arbeitsmarkt. 1.3. Arbeitsmarkte als "echte Wettbewerbsmarkte"? Dieser Zusammenhang wird nun allerdings von einigen Vertretern der Wahrungsunion sogar als positiv hervorgehoben, da damit die "Arbeitsmarkte nun zu echten Wettbewerbsmarkten" wurden. Auf "Lohnfehler" konne man nun nicht mehr mit Wechselkursanderungen reagieren. Um Arbeitslosigkeit zu vermeiden, wurde nun mehr Flexibilitat im Lohnbereich notig. Das Lohnwachs tum durfe das Produktivitatswachstum nicht (oder nicht mehr als in den Partnerlandern) ubersteigen. "Fehlverhalten" wurde direkt mit Beschaftigungs verlusten sanktioniert werden. Hiermit wird nun allerdings ein ordnungspoliti sches Konzept extremster Art vertreten. Der Schritt von der Lehre der reinen Konkurrenzwirtschaft hin zur Lehre der sozialen Marktwirtschaft scheint wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Die Konsequenz aus diesen Oberlegungen ware, daB verstarkte regionale Disparitaten in Europa auftreten wurden. 3