Oscar W. Gabriel · Bernhard Weßels · Jürgen W. Falter (Hrsg.) Wahlen und Wähler Oscar W. Gabriel Bernhard Weßels Jürgen W. Falter (Hrsg.) Wahlen und Wähler Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 2005 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Frank Schindler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältig ungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinn e der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-16413-7 Inhalt Vorwort 9 Oscar W. Gabriel/Jürgen W. Falter/Bernhard Weßels I Analysen der Bundestagswahl 2005 Die politische Vorgeschichte der vorgezogenen Bundestagswahl 15 Everhard Holtmann Sowohl-als-auch: Die Bundestagswahl vom 18. September 2005 40 Forschungsgruppe Wahlen e.V. Ein Schritt vorwärts und zwei zurück? Stabiles und wechselndes Wahlverhalten bei den Bundestagswahlen 1994 bis 2005 78 Hans Rattinger/Harald Schoen Vorwahlumfragen 2005 – ein Debakel? Ist der Ausgang von Wahlen noch vorhersagbar? 103 Richard Hilmer Bundestagswahlkampf 2005 – Strategische Rationalität versus personalisierte Emotionalität 117 Jens Tenscher Kampagnendynamik im Bundestagswahlkampf 2005 146 Rüdiger Schmitt-Beck "Frau Merkel wird doch noch Kritik ertragen können…": Inhalt, Struktur, Wahrnehmung und Wirkung des wirtschaftspolitischen Teils der Fernsehdebatte 2005 177 Jürgen Maier Angenähert oder ausdifferenziert? Das Wahlverhalten in Ost- und Westdeutschland bei der Bundestagswahl 2005 202 Hanna Kaspar/Jürgen W. Falter 6 Inhalt Wählerwanderung bei der Bundestagswahl 2005: Umfang, Struktur und Motive des Wechsels 228 Jürgen Hofrichter/Michael Kunert Issuewählen bei der Bundestagswahl 2005: Eine empirische Schätzung der Verlustfunktion der deutschen Wählerschaft 251 Susumu Shikano/Joachim Behnke Kandidatenorientierungen und Wahlentscheid bei der Bundestagswahl 2005 267 Oscar W. Gabriel/Silke I. Keil/S. Isabell Thaidigsmann II Analysen aus Anlass der Bundestagswahl 2005 Die Entwicklung sozialer Konfliktlinien in den Wahlen von 1994 bis 2005 307 Martin Elff/Sigrid Roßteutscher Zur Sozialisation von Neuparlamentariern im 15. Deutschen Bundestag 328 Andreas M. Wüst Sie, Sie, Sie oder Er? Die Kanzlerkandidatur Angela Merkels im Spiegel der Daten einer experimentellen Befragung 346 Markus Klein/Ulrich Rosar Parteien und Kanzlerkandidaten bei den Bundestagswahlen 2002 und 2005 – Was, wenn sie zueinander passen, was, wenn nicht? 358 Bernhard Weßels Die verschwundene Popularitätsfunktion: Sind Arbeitslosigkeit und Inflation für das Wählerverhalten der Deutschen noch von Bedeutung? 380 Gebhard Kirchgässner Regionalisierung des Wahlverhaltens und des Parteiensystems seit 1949 399 Oskar Niedermayer Der Einfluss der Bundespolitik auf die Stimmabgabe der Bürger bei Landtagswahlen unter besonderer Berücksichtigung der Stärke der Parteibindung 421 Kerstin Völkl Professionalisierte Kampagnenführung – eine systematische Messung 457 Rachel K. Gibson/Kim Jucknat/Andrea Römmele Inhalt 7 "Zittrige Wählerhand" oder invalides Messinstrument? Zur Plausibilität von Wahlprojektionen am Beispiel der Bundestagswahl 2005 484 Thomas Plischke/Hans Rattinger Die "Amerikanisierung" der Medienberichterstattung über Bundestagswahlen 510 Frank Brettschneider Kognitive Mobilisierung oder nicht-kognitive De-Mobilisierung? Eine längsschnittliche Analyse der deutschen Wählerschaft für die Jahre 1976 bis 2005 536 Dieter Ohr/Hermann Dülmer/Markus Quandt III Internationale Trends und internationaler Vergleich Erwartungsbildung über den Wahlausgang und ihr Einfluss auf die Wahlentscheidung 561 Sascha Huber/Thomas Gschwend/Michael F. Meffert/Franz Urban Pappi Motive individuellen Wahlverhaltens in Nebenwahlen: Eine theoretische Rekonstruktion und empirische Überprüfung 585 Hermann Schmitt/Alberto Sanz/Daniela Braun Einstellungen zu Werten, Ideologien und Sachfragen als Determinanten des Wahlverhaltens in Mittel- und Südosteuropa 606 Tatjana Rudi Oscar W. Gabriel/Jürgen W. Falter/Bernhard Weßels Vorwort Am 21. Juli 2005 löste Bundespräsident Horst Köhler den 15. Deutschen Bundestag auf und machte damit den Weg zu einer vorgezogenen Neuwahl frei. Anlass war die Niederlage der rot-grünen Koalition bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai 2005, einem Bundesland, das sich seit 1966 zu einer Hochburg der SPD entwi- ckelt hatte. Die Ursachen lagen freilich tiefer. Der amtierenden Bundesregierung war es nicht gelungen, die Wählerschaft von der Notwendigkeit der von ihr eingeleiteten Reform des Sozialstaates zu überzeugen. Der Streit über die Agenda 2010, mit der Bundeskanzler Schröder sein politisches Schicksal verknüpft hatte, spaltete nicht nur die deutsche Gesellschaft, sondern auch die Partei des Bundeskanzlers und fand mit der Abwahl der nordrhein-westfälischen Landesregierung einen Kulminationspunkt, der der SPD-Führung überdeutlich die Erosion der Wählerbasis signalisierte. Das vorzeitige Ende einer Regierung ist in einer Demokratie kein ungewöhnlicher Vorgang. Für Deutschland gilt diese Feststellung allerdings nicht, denn manche Beob- achter der politischen Entwicklung interpretieren die für Deutschland typische zügige Bildung parlamentarischer Mehrheitsregierungen und deren Fortbestand während der gesamten Dauer der Legislaturperiode des Bundestages geradezu als ein Gütesiegel der deutschen Demokratie. So kam es in der Geschichte der Bundesrepublik nur viermal zu einer vorgezogenen Neuwahl des Bundestages, nämlich 1972, 1983, 1990 und 2005. Abgesehen von dem Sonderfall der vorzeitigen Neuwahl des Bundestages im Jahr 1990, die nicht aus einer innenpolitischen Krise resultierte, sondern durch die Wieder- vereinigung bedingt war, weisen auch die anderen drei Auflösungsszenarien ihre Spe- zifika auf und ähneln nur bedingt den anderen. Dies gilt auch für die Parlamentsneu- wahl im September 2005. Beginnen wir den Vergleich mit einer Gegenüberstellung der Bundestagswahlen 1983 und 2005. In der Gesamtbilanz der Rahmenbedingungen überwiegen die Unter- schiede klar gegenüber den Gemeinsamkeiten. Zwar erlitt die von Bundeskanzler Schmidt geführte SPD-FDP-Koalition zwischen 1980 und 1982 einen starken Populari- tätsverlust wie er 2005 auch für die Regierung Schröder eingetreten war. Anders als 2005 mündete die Erosion politischer Unterstützung jedoch nicht unmittelbar in eine Neuwahl des Bundestages ein. Der Wechsel von der sozialliberalen zur bürgerlichen Regierung wurde nicht durch eine Bundestagswahl, sondern bereits ein halbes Jahr zuvor durch ein erfolgreiches konstruktives Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Schmidt vollzogen. Der neugewählte Regierungschef, Helmut Kohl, verfügte über eine klare Mehrheit im Parlament, verfolgte aber das Ziel, einen unmittelbaren Regierungs- 10 Oscar W. Gabriel/Jürgen W. Falter/Bernhard Weßels auftrag durch die Wählerschaft zu erhalten. Da das Grundgesetz eine vorzeitige Auflö- sung des Bundestages nur in den Fällen des endgültigen Scheiterns einer Kanzlerwahl oder einer gescheiterten Vertrauensfrage des Bundeskanzlers vorsieht, wählte Kohl den verfassungsrechtlich und –politisch umstrittenen Weg über eine fingierte Niederlage in der Vertrauensabstimmung. Dieses Vorgehen hatte auch Bundeskanzler Schröder 2005 als Ausweg aus der Akzeptanzkrise einer Regierung gewählt. Dennoch waren die Be- dingungen des Scheiterns andere als 1983. Anders als Kohl 22 Jahre zuvor hatte Schröder den Ausgang der nordrhein-westfälischen Landtagswahl als deutliches Signal für eine fehlende Unterstützung seiner Politik interpretiert und die Vertrauensfrage an die Wählerschaft auf dem Umweg über das Parlament gestellt. Schröder wollte seiner Partei und der Wählermehrheit durch die vorgezogene Bun- destagswahl die Zustimmung zu seiner Reformpolitik abringen, während Kohl eine Bestätigung des zuvor vollzogenen Regierungswechsels durch die Wählerschaft ange- strebt hatte. Nicht allein das Zustandekommen der Neuwahl, sondern auch ihr Resultat stellten sich in den beiden Vergleichsjahren sehr unterschiedlich dar: Schröder wurde abgewählt, Kohl bestätigt. Auch im Vergleich mit 1972 stellte sich die Situation im Jahr 2005 anders dar. Die erste vorzeitige Auflösung des Bundestages stand am Ende eines sehr komplizierten parlamentarischen Prozesses. Dessen erster Abschnitt war der Verlust der parlamenta- rischen Mehrheit durch die SPD-FDP-Regierung Brandt. Als zweiter Schritt folgte das Scheitern eines von der Unionsfraktion beantragten konstruktiven Misstrauensvotums gegen Bundeskanzler Brandt, der sich in dieser Abstimmung zwar behaupten konnte, aber trotz dieses Erfolges über keine parlamentarische Mehrheit für seine Regierung mehr verfügte. Den Abschluss des Prozesses bildete das Scheitern Brandts in einer Vertrauensabstimmung. Anders als 1983 und 2005 reflektierte deren Ausgang die rea- len parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse, nämlich den Verlust der 1969 von SPD und FDP errungenen Parlamentsmehrheit. Die Neuwahl brachte nicht allein eine Bestä- tigung der sozialliberalen Koalition. Diese konnte nach einem stark polarisierenden und mobilisierenden Wahlkampf ihre parlamentarische Basis deutlich verbreitern, und dies bei einer bis dahin noch nicht erreichten Wahlbeteiligung von 91,1 Prozent. Wie drei dieser vier Fälle – der hier ausgenommene ist die vorgezogene Bundes- tagswahl anlässlich der Wiedervereinigung – zeigen, resultiert die Stabilität der parla- mentarischen Mehrheitsregierungen in Deutschland unter anderem aus rigiden institu- tionellen Bestimmungen über die Parlamentsauflösung. Diese tragen einerseits zur Disziplinierung der Partner einer Koalitionsregierung bei, in schweren Regierungskri- sen erweisen sie sich aber als kontraproduktiv. Entweder zwingen sie Regierungskoali- tionen, deren Partner nicht mehr zur Zusammenarbeit bereit sind, diese dennoch fortzu- setzen oder sie erzwingen neue Regierungsbündnisse, die die Parteien unmittelbar nach der Bundestagswahl gerade nicht eingegangen waren oder lassen der Regierung und dem Parlament nur die Möglichkeit, durch eine verfassungsrechtlich und verfassungs- politisch fragwürdige Manipulationen der Vertrauensabstimmung eine Neuwahl des Parlaments herbeizuführen. Zum Zeitpunkt der Gründung der Bundesrepublik hatte die Regelung über die Möglichkeiten einer Parlamentsauflösung ihren Sinn als Instrument zur Krisenprävention. Sie sollten dienen, eine Neuauflage der Weimarer Verhältnisse Vorwort 11 zu unterbinden, die durch extrem häufige Regierungswechsel charakterisiert waren. In der stabilen parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik erweisen sich die re- striktiven Regelungen über die Auflösung des Bundestages als Hemmschuh bei der Lösung von Regierungskrisen. Wie die Umstände, unter denen die Wahl des 16. Deutschen Bundestages zustande kam, war auch deren Ergebnis vergleichsweise atypisch. Eine am Tag der Parla- mentsauflösung, dem 21.07.2005, durchgeführte Umfrage von Infratest dimap, signali- sierte noch eine hauchdünne Mehrheit der Parlamentsmandate für CDU/CSU und FDP. Bei der Sonntagsfrage erzielte die CDU/CSU 42 Prozent, die FDP 7 Prozent, die SPD 27 Prozent, die Grünen 12 Prozent und die Linkspartei 9 Prozent. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeichnete es sich ab, dass die amtierende Regierung zwar nicht mehr die Mehrheit der Wähler hinter sich hatte, dass aber auch die Unionsparteien und die FDP möglicherweise keine Regierungsmehrheit würden erzielen können. Mit der Linkspar- tei war eine neue politische Kraft entstanden, die in etwa über ein gleich großes Wäh- lerreservoir verfügte wie die FDP und die Grünen. In dieser Konstellation war die Bil- dung der in Deutschland klassisch gewordenen Zwei-Parteien-Regierungen keineswegs mehr gesichert. Das Scheitern des zunächst erwarteten Regierungswechsels von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb war denn auch das politisch wichtigste Ergebnis der am 18. September 2005 durchgeführten Bundestagswahl. Zwischen Ende Juli und dem Wahltag stieg der von der SPD in der Sonntagsfrage erzielte Stimmenanteil, während derjenige der Uni- onsparteien zunächst stagnierte und in der letzten Woche vor der Wahl geradezu ab- stürzte. In der Schlussbilanz lagen die SPD und die Unionsparteien praktisch gleichauf, das Gleiche galt für die drei kleinen Parteien. Außer der Linkspartei gab es keine Wahlsieger. Die Unionsparteien und die FDP hatten ihr Wahlziel insofern erreicht, als die rot-grüne Bundesregierung abgewählt worden war. Sie hatten aber das Ziel ver- fehlt, gemeinsam eine neue Bundesregierung zu bilden. Ähnlich sah es für Rot-Grün aus. Das Bündnis war gescheitert, weil abgewählt, aber erfolgreich, weil die Bildung einer Regierung aus CDU, CSU und FDP verhindert worden war. Nach den Ergebnissen der seit der Bundestagswahl 2005 durchgeführten Umfragen hat sich die mit dieser Wahl entstandene neue Struktur des Parteiensystems der Bun- desrepublik seither stabilisiert. Die Linkspartei konnte sich fest im parteipolitischen Gefüge der Bundesrepublik etablieren und erzielt in Umfragen einen Wähleranteil zwischen sieben und zwölf Prozent. Anders als vor der Bundestagswahl 2005 ist in Deutschland die Bildung einer stabilen Koalition aus CDU/CSU und FDP oder aus SPD und Grünen nicht mehr garantiert. Da es in der politischen Publizistik Deutschlands zum guten Ton gehört, Verände- rungen als Krisen zu interpretieren, war die politische Entwicklung der letzten vier Jahre ständig von der Frage nach den Zukunftsperspektiven des deutschen Parteiensys- tems und der Regierbarkeit der Bundesrepublik begleitet. Die Diagnosen einer politi- schen Zeitenwende oder einer Rückkehr zu den Weimarer Verhältnissen sind jedoch voreilig und spekulativ. Einerseits ist die Chance zur Bildung der bekannten Zweier- bündnisse unter den Bedingungen einer hochgradig volatilen Wählerschaft nicht für alle Zeiten verschwunden. Und selbst wenn die scheinbar bewährten Strukturen des 12 Oscar W. Gabriel/Jürgen W. Falter/Bernhard Weßels Parteienwettbewerbs sich ändern und neue Muster der Regierungsbildung produzieren, müssen diese in erster Linie an ihrer demokratischen Legitimität und ihren Ergebnissen gemessen werden. Im Hinblick auf ihr Zustandekommen und ihre Ergebnisse gehört die in diesem Band analysierte Bundestagswahl 2005 zu den interessanteren in der Geschichte der Bundesrepublik. Erstmals erzwangen die Wähler von Parteien, denen die Bereitschaft zum Ausprobieren gänzlich neuer Koalitionsoptionen fehlte, die Bildung einer Großen Koalition. Die Partner dieses erzwungenen Bündnisses hatten sich in den Jahren zuvor programmatisch relativ weit voneinander entfernt oder der Wählerschaft durch einen polarisierenden Stil der politischen Auseinandersetzung zumindest diesen Eindruck vermittelt. Erstmals trat eine große Volkspartei erfolgreich mit einer Kanzlerkandidatin an. Mit der Auseinandersetzung über die Reform des Sozial- und des Steuersystems hatte der Wahlkampf große Themen, aber weder die Union noch die SPD verstand es, eine Wählermehrheit von ihren programmatischen Vorstellungen zu überzeugen. Die seit der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl zu verzeichnenden Trends zu einer stärkeren Fraktionalisierung und Polarisierung des Parteiensystems sowie zur Stimm- enthaltung setzten sich ungebrochen fort. Die starke Veränderung der Parteianteile im unmittelbaren Vorfeld der Wahlen zeigen die Volatilität der Wählerschaft und die Ten- denz an, die Wahlentscheidung in sehr knappem zeitlichem Abstand vom Wahltermin zu treffen. In der Tradition des Bandes „Wahlen und Wähler“ beleuchten die in diesem Band zusammengefassten Beiträge sowohl die Standardthemen der Wahlverhaltensforschung (Teil 1) als auch vom konkreten Wahlgang unabhängige theoretische und methodische Beiträge zu allgemeinen Themen der Wahlforschung (Teil 2). Im ersten Teil finden sich Beiträge über die politische Vorgeschichte der Bundestagswahl 2005, den Verlauf des Wahlkampfes, Ost-West-Differenzen im Wählerverhalten, Wählerwanderungen sowie Themen- und Kandidateneffekte. In Anbetracht der immer wiederkehrenden und 2005 besonders heftig geführten Debatten über die Zuverlässigkeit von „Wahlprogno- sen“ werden diese aus der Perspektive der akademischen und der kommerziellen Wahl- forschung behandelt. Im zweiten Teil werden traditionelle wie neue Fragestellungen der Wahlforschung auf der Basis umfragebasierter oder experimenteller Daten behan- delt. Einige der Beiträge befassen sich mit langfristigen Entwicklungstendenzen des Wählerverhaltens in Deutschland, andere mit seinen regionalen Ausprägungen. Wieder andere thematisieren in der Tradition der Blauen Bände spezielle Fragen der Wahl- und Wählerforschung aus „Anlass der Bundestagswahl 2005“. Der Band wird abgerundet durch einen Blick auf Wahlen in anderen europäischen Demokratien (Teil 3). Danken möchten die Herausgeber allen Autoren für ihre Kooperationsbereitschaft, inbesondere aber Julia Bischoff (Universität Stuttgart) für die sorgfältige Endredaktion der Manu- skripte. Stuttgart, Berlin, Mainz, März 2009
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