Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Philosophisch-historische Klasse Jahrgang 1954, Heft 1 Waage und Geld in der Merowingerzeit von Joachim Werner Vorgetragen am 5. Februar 1954 Mit 7 Abbildungen und 2 Karten im Text und mit 2 Tafeln München 19 54 Verlag der Bayerischen Akademie der Wissenschaften In Kommission bei der C. H. Beck’schen Verlagsbuchhandlung Druck der C. H. Beck’schen Buchdruckerei Nördlingen Nach dem Zusammenbruch der römischen Rheingrenze in den Jahren 406 bis 407 stellten die gallischen Münzstätten die Ausprägung von Kupfermünzen mit dem Bilde des Honorius und Arcadius ein. Diese münztechnische Maßnahme beleuchtet schlagartig den Zusammenbruch der differenzierten spätantiken Geldwirtschaft nordwärts der Alpen, einer Wirtschaft, die von Staats wegen auf der Adäration (Ablösung in Geld) der Grund steuer und der fiskalischen Verwaltungsaufgaben aufgebaut war.1 In Italien fanden nach den Untersuchungen von H. Geiß1 die entsprechenden geldwirtschaftlichen und grundsteuerlichen Zu stände wesentlich später, im ausgehenden 6. Jahrhundert, ihr Ende, und erst die langobardische Herrschaft kannte keine Aus prägung von Kupfermünzen mehr. Der tiefgreifende wirtschaft 5 liche Wandel während des · Jahrhunderts in Gallien und wäh rend des 7. Jahrhunderts in Italien spiegelt sich also geldgeschicht lich im Verschwinden der Kleinmünzen, ein Vorgang, auf dessen Tragweite für das Langobardenreich zuerst G. P. Bognetti hin wies.2 Was jeweils erhalten blieb und ins frühe Mittelalter weiter geführt wurde, war der schmale „Oberbau“ des Geldwesens: die Ausprägung von Münzen in Edelmetall, in Gold und Silber. In den gallischen Münzstätten Trier, Lyon und Arles endete unter Valentinian III. (425-455) bzw. Julius Nepos (474-475) die offizielle römische Prägetätigkeit und damit auch die Ausgabe von regulären Gold- und Silbermünzen.3 Die irregulären Nach prägungen, die es seit dem späten 4. Jahrhundert gab,4 hielten sich im 5. Jahrhundert mengenmäßig in bescheidenen Grenzen, und erst im 6. Jahrhundert wurden in größerem Ausmaß Solidi und Trienten (Drittelstücke) mit Bild und Legende des ost 1 Vgl. hierzu Pauly-Wissowa, Realenzyklopädie 1, 340 ff. (O. Seeck) und grundlegend H. Geiß, Geld- u. naturalwirtschaftliche Erscheinungsformen im staatl. Aufbau Italiens während der Gotenzeit. Beiheft 27 d. Zeitschr. f. Sozial- u. Wirtschaftsgesch. 1931, 4 ff. 2 G. P. Bognetti, Il Problema monetario dell’economia longobarda e il „panis“ e la „scutella de cambio“. Arch. Storico Lombardo 9, 1944 (1945). 3 E. Babelon, Traité de monnaies grecques et romaines 1 (1901) 997 ff. 4 K. Regling, Der Dortmunder Fund röm. Goldmünzen (1908) 22. 4 Joachim Werner römischen Kaisers nachgeprägt, die sich durch den Stil, die meist verderbten Umschriften und ein leicht abgeschwächtes Gewicht gut von ihren byzantinischen Vorlagen scheiden lassen.5 Aus der Masse der anonymen Prägungen verschiedenster Herkunft heben sich auf Grund stilistischer Merkmale eine westgotische, eine gallo-fränkische und eine burgundische Gruppe heraus. Im Gegen satz zum ostgotischen Italien spielte gemünztes Silber gegenüber dem Gold kaum eine Rolle. Diese Nachprägungen nach Vorbil dern des Anastasius (491-518), Justinus I. (518-527), Justinianus (527-565) und Justinus II. (565-578) liefen das ganze 6. Jahr hundert und einige Jahrzehnte darüber hinaus um. Das 7. Jahr hundert stand sonst im Zeichen der merowingischen Monetar- münzen (Münzen mit Namensangabe von Münzmeister und Prägeort), samt und sonders Goldtrienten mit immer schwächer werdendem Goldgehalt, die dann um 700 zuerst durch die angel sächsisch-friesischen Sceattas und wenig später durch die fränki schen Denare, also durch eine Silberwährung, abgelöst wurden. Sichere Zeugnisse für eine Prägetätigkeit rechts des Rheins im 6. und 7. Jahrhundert gibt es nicht.6 Linksrheinisch blieb die Ausprägung von Münzmeistertrienten innerhalb des heutigen germanischen Sprachgebietes im wesentlichen an die Städte ge bunden, während in Innergallien auch an vielen kleineren Plätzen vorübergehend von wandernden Monetären geprägt wurde. Neben den vielfältigen irregulären Nachprägungen des 6. Jahr hunderts und den Monetarmünzen des 7. Jahrhunderts liefen nach Ausweis der Bodenfunde in den vorwiegend germanisch besiedel ten Landschaften des austrasischen Reichsteils noch zahlreiche fremde Münzsorten um: Silbermünzen der Ostgotenkönige und Justinians aus der Münzstätte Ravenna, ostgotische und byzan tinische Goldmünzen (Solidi und Trienten, geprägt in Konstan- 5 Die folgenden Ausführungen über Münzprägung und Münzumlauf im Merowingerreich beruhen auf: J. Werner, Münzdatierte austrasische Grab funde (1935) 5 ff. — W. Reinhart, Die früheste Münzprägung im Reiche der Merowinger. Deutsches Jahrb. f. Numismatik 2, 1939, 37 ff. - P. Le Gentil homme, Le Monnayage et la circulation monétaire dans les royaumes bar bares en occident (Paris 1946). 6 F. Wielandt nimmt mit nicht ganz überzeugenden Gründen merowingi- sche Prägetätigkeit in Bodman am Bodensee an. Zeitschr. Gesch. d. Ober rheins 52, 1939, 424 ff. Waage und Geld in der Merowingerzeit 5 tinopel oder im Exarchat von Ravenna), Trienten des spanischen Westgotenreiches und des italischen Langobardenreiches, am Ende des 7. Jahrhunderts auch friesische Trienten und angel sächsische Sceattas. Die fehlende Prägetätigkeit in den weiten rechtsrheinischen Gebieten des Merowingerreiches und die bunte Zusammensetzung ihres Münzumlaufs stehen in scharfem Gegen satz zu der besonders im 7. Jahrhundert recht ausgedehnten Prägetätigkeit in Gallien mit über 800 Prägeorten und an 2000 mit Namen bekannten Monetären.7 Ich habe seinerzeit aus dieser Tatsache im Anschluß an A. Dopsch den Schluß gezogen, daß in den überwiegend romanisch besiedelten Teilen des Mero wingerreiches ein nicht unerheblicher Bedarf an gemünztem Gold sowohl in den Städten wie auf dem offenen Lande vorhanden war und nach Art des Steuerwesens auch vorhanden sein mußte. Soweit von privater Seite Gold für die Ausmünzung durch den Monetär zur Verfügung gestellt werden konnte, ist sicherlich mit Adäration der Steuern - vor allem bei den grundsteuerpflichtigen Romani possessores8 - zu rechnen. Für die Blütezeit der Monetar- münzen trifft diese Annahme zweifellos zu. Ob Adäration aber allerorts und während des ganzen Zeitraums die Regel war, muß man bei dem Versiegen des Goldzuflusses nach Gallien und der Erschöpfung der Edelmetallvorräte im 7. Jahrhundert stark bezweifeln. Das Absinken des Feingehaltes der Trienten und ihr Ersatz durch die Silberwährung gegen Ende dieses Jahrhunderts scheint nämlich eine progressive Angleichung der merowingi- schen Gebiete mit Prägetätigkeit an die Gebiete ohne Präge tätigkeit anzuzeigen. Münzverkehr und Prägetätigkeit beschränk ten sich um 700 mehr und mehr auf die Bedürfnisse des Fern handels und gewisser städtischer Mittelpunkte. Die Entwicklung tendierte also zwangsläufig zu einem allgemeinen Rückgang des Münzumlaufs und damit zum Abbau des ursprünglich vorhandenen südnördlich verlaufenden Wirtschafts- und Kultur gefälles. 7 Werner 20 f. und Le Gentilhomme 78f.— Die Prägeorte auf Karte 1 sind nach Werner 18 Abb. 1 eingezeichnet. 8 Vgl. zu deren Stellung und Steuerpflichten H. Dannenbauer, Die Rechtsstellung der Gallorömer im fränkischen Reich. Die Welt als Geschichte, 1941, 51 ff. 6 Joachim Werner Entscheidend ist und bleibt, daß dem Geldwesen des Mero wingerreiches auf seinem gesamten Territorium der breite Unterbau der Kleinmünzen für den Marktverkehr fehlte, der für das spätantike Stadium des 4. J ahrhunderts so charakteristisch war. Eine reine Edelmetallwährung von der Art der merowingschen, westgotischen oder langobardischen besaß wirtschaftlich zwar eine regulierende Aufgabe als Wertmesser, ermöglichte auch die Hortung von Münzen, schränkte aber andererseits den Gebrauch der Münze als Tausch- und Zahlungsmittel rigoros ein. Im Ver gleich mit den überaus differenzierten geldwirtschaftlichen Ver hältnissen der spätrömischen Zeit bedeutete dieses Verkümmern sehr wesentlicher Funktionen der Münze einen beachtlichen Rückschritt.9 Grundsätzlich wurde der reine Stoffwert (Realwert) des Edelmetalls nach Feingehalt und tatsächlichem Gewicht in Rechnung gestellt, während daneben Nominale und Stückelung der Münzen nur in jenen Landstrichen ihre Bedeutung behielten, in denen in größerem Ausmaß geprägt wurde. Da die Funktion der Münze derart eingeengt wurde, kann man die mit ihr ver bundene Wirtschaftsform entweder als stark reduzierte Geld wirtschaft oder als hochentwickelte Naturalwirtschaft bezeichnen, je nachdem, ob man terminologisch von der Rolle des gemünzten Edelmetalls als Wertmesser ausgeht oder von der Tatsache, daß der Güterverkehr selbst in der Hauptsache durch Tausch und Naturalleistung abgewickelt wurde.10 Das gemünzte Geld lief zwar um, hatte als Edelmetall aber einen so hohen Eigenwert, daß es, soweit es nicht überhaupt vom Fernhandel mit Luxus gütern absorbiert wurde, höchstens bei Kauf und Verkauf hoch wertiger Güter als Zahlungsmittel diente. Die Kleinmünzen für den täglichen Verkehr fehlten dagegen, und damit die Indizien einer voll entwickelten Geldwirtschaft im spätantiken Sinne. Der 9 In der geldgeschichtlichen Terminologie folge ich K. Gebhart, Münz- und Geldgeschichte (1949). K. Gebhart (München) habe ich für manche Anre gung und klärende Gespräche über das hier behandelte Thema sehr zu danken. 10 Die hier gegebene Charakterisierung der Wirtschaftsform entspricht etwa der Konzeption W. Levisons. Vgl. W. Levison, Das Testament des Diakons Adalgisel-Grimo vom Jahre 634. Trierer Zeitschr. 7, 1932, 70: „Der Verkauf von Land gegen Geld beweist, daß der vorherrschenden Naturalwirtschaft doch geldwirtschaftliche Bestandteile nicht fehlen.“ Waage und Geld in der Merowingerzeit 7 Bereich des Geldumlaufs blieb auf jene Schichten der Bevölke rung beschränkt, die sich den Besitz von Edelmetall leisten konnten. In der „Monetarlandschaft“ des Merowingerreiches, wo die vom König approbierten Münzmeister ihre Prägetätigkeit aus übten, also hauptsächlich in Gallien südlich der Seine, oblag die Prüfung des für den König, für einen Bischof, ein Kloster oder für Private gemünzten Goldes dem Münzmeister. Er hatte so wohl das ihm ausgehändigte Rohmaterial auf den Feingehalt hin zu prüfen, wie die Trienten nach der Prägung mit rechtem Ge wicht seinen Auftraggebern wieder abzuliefern. Die Arbeit der im Lohnwerk tätigen Monetäre garantierte also zumindest theo retisch Gewicht und Feingehalt der merowingischen Monetar- münzen. Solange der Goldvorrat noch einigermaßen ausreichte und die Ausprägung stetig und allgemein blieb, unterschieden sich die Geldverhältnisse in der „Monetarlandschaft“ kaum von den gleichzeitigen Zuständen im langobardischen Italien und im westgotischen Spanien. Die Goldtrienten hatten einheitliches Ge wicht und Größe und annähernd gleichen Feingehalt, man konnte sie zählen, untereinander auswechseln und nach Zahl horten. Es herrschte also das für das antike Geldwesen so charakteristische Ouantitätsprinzip. Es behielt solange Geltung, als die Mo- netarmünzen einheitlich und gleichwertig waren. Je mehr Mün zen mit geringem Feingehalt oder schwindendem Gewicht auf den Markt kamen, desto mehr wurde dieses Quantitätsprinzip durchlöchert und desto geringer wurde der Münzumlauf, bis schließlich die guten Goldgepräge von den schlechten im Verein mit subäraten Fälschungen, d. h. vergoldeten Kupfermünzen, völlig verdrängt wurden und sich die Hinwendung zur Silber währung vollzog. Ganz anders war die Situation in den weiten austrasischen Reichsteilen, wo entweder gar nicht oder nur spär lich geprägt wurde, dafür aber Edelmetallmünzen verschieden ster Zeitstellung und Herkunft umliefen, neben gallo-fränkischen noch westgotische, burgundische, ostgotische, langobardische, byzantinische, friesische und angelsächsische Münzen. Nominale und Stückelung bedeuteten hier wenig und das Quantitätsprinzip der „Monetarlandschaft“ ließ sich nicht anwenden, weil man nicht über genormte gleichwertige Münzen verfügte, die man 8 Joachim Werner nach der Stückzahl hätte verrechnen können. Der vielfältige und ungleichartige Münzvorrat erzwang das Qualitätsprinzip, bei dem es allein auf den Metallwert nach Gewicht ankam. Und da es keinerlei Garantie für den Stoffwert einer Münze gab, mußte sich der Einzelne selbst gegen untergewichtige, gefälschte (sub- ärate) oder legierte Gepräge sichern, mußte selbst wiegen und prüfen, ehe er eine Münze in Zahlung nahm. Wenn 1935 unter 146 Münzen aus süd- und westdeutschen Reihengräbern des 6. und 7. Jahrhunderts 18 subärate, also vergoldete Kupferfälschun gen von Solidi und Trienten festgestellt wurden,11 dann zeigt dies neben dem frommen Betrug an den verstorbenen Angehörigen, wie notwendig die Prüfung jeder einzelnen Münze in der damali gen Zeit war. Das Gewicht der Münze konnte man auf der Fein waage kontrollieren, den Feingehalt wohl nur durch Augen schein in langjähriger Erfahrung beurteilen, die Fälschung da gegen leicht mechanisch durch Kratzen mit einem harten Pro bierstein erkennen. Unter den Tausenden bisher aufgedeckter merowingischer Reihengräber gibt es einige Dutzend, zu deren Totengabe eine Feinwaage, Gewichte und Probiersteine gehören. Wenn ihre Zahl auch viel geringer ist als die der Gräber mit gleichzeitigen Münz beigaben, so sind sie doch nach Zeitstellung, Verbreitung und Ausstattung kulturgeschichtlich in mehr als einer Hinsicht in teressant. Während die spätrömischen Gräberfelder Nordfrankreichs, des Rheinlandes und Innergalliens zwar reichlich Münzen des 4. Jahrhunderts aus Bronze, gelegentlich auch aus Gold und Silber als Charonspfennige erbracht haben, ist die Mitgabe von Feinwaagen hier unbekannt. Nur drei Grabfunde des späten 4. Jahrhunderts aus Köln machen eine Ausnahme.12 Sie scheinen 11 J. Werner, Münzdat. Grabfunde 18. 12 Ein reich ausgestattetes Frauen( ?)grab mit Sandsteinsarkophag aus Köln- Rodenkirchen enthielt neben 12 Kupfermünzen des 3. Viertels des 4. Jahr hunderts zwei Bronzeschälchen einer gleicharmigen Feinwaage (Bonn. Jahrb. !49, 1939, 101 u. 98 Abb. 2, 27), ein Grab aus der Maastrichterstraße neben 14 Kupfermünzen (Julianus bis Magnus Maximus 383/388) ein Waagschälchcn (Prähist. Zeitschr. 18, 1927, 290 Abb. 32, 9) und ein Grab aus der Hofergasse einen Waagebalken mit Schälchen neben einer bronzenen germanischen Arin- brustfibel (Prähist. Zeitschr. 18, 285 Abb. 27, ti).