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W. G. Sebald: Formen des Pathos PDF

343 Pages·2022·2.092 MB·German
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W. G. Sebald: Formen des Pathos Karine Winkelvoss W. G. Sebald: Formen des Pathos Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung und der Forschungsgruppe ERIAC (Equipe de Recherche Interdisciplinaire sur les Aires Culturelles) der Université de Rouen Normandie Dieses Buch wurde von der Autorin Karine Winkelvoss selbst aus dem Französischen übersetzt. Titel der französischen Originalausgabe: Karine Winkelvoss: W. G. Sebald, l’économie du pathos. Paris: Classiques Garnier, 2021. Bei Fragen zu Übersetzungsrechten wenden Sie sich bitte an Classiques Garnier. Die Zitation der unveröffentlichten Stellen des Austerlitz-Manuskripts und der auf S. 284 genannten Quellen aus dem Nachlass erfolgt mit der freundlichen Genehmigung des Deutschen Literaturarchivs Marbach (Nachlass W. G. Sebald, Signatur A:Sebald, Winfried Georg) und der Wylie Agency (UK) (Austerlitz by W. G. Sebald. Copyright © 2001, W. G. Sebald). Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2022 Brill Fink, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress. www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-7705-6618-1 (hardback) ISBN 978-3-8467-6618-7 (e-book) Inhalt Einleitung  ......................................................... vii Aber ohne Pathos: ein Gemeinplatz?  ............................ vii Pathos, ein blinder Fleck in Sebalds Werk und Rezeption  ........ x Pathos, Trauma, Melancholie  .................................. xv Sebald und die korsischen Klageweiber  ......................... xix Pathosformeln. Mit Warburg  ................................... xxiv Kapitel 1: Pathos und Angst vor dem Falschen  ...................... 1 1.1 Dokumentarische Formen und Pathosökonomie  ........... 1 1.1.1 Die Angst vor dem Falschen, eine affektpolitische Frage  ............................... 1 1.1.2 Der dokumentarische Effekt  ......................... 7 1.1.3 Das Dokument als Pathosformel  ..................... 22 1.1.4 Literarisierung als Sentimentalisierung? Mit Klemperer  ......................................   27 1.2 Die Qualität der Empfindungen (Klüger)  ................... 34 1.2.1 Falsche Gefühle. Gegen Andersch ..................... 36 1.2.2 Ambivalenzen der Mitleidenschaft  .................. 44 1.2.3 Ein reines Ohr? Zuhören und Umschreiben  .......... 61 Kapitel 2: Die seltsame Konstellation von Pathos und Impassibilität  ... 69 2.1 Pathos-Ökonomie. Mäßigen, neutralisieren, kompensieren?  .......................................... 69 2.1.1 Das Leitbild des dokumentarischen Tons  ............. 69 2.1.2 Die seltsame Konstellation von Mitleidenschaft und Indifferenz  ......................................... 73 2.1.3 Abheben. Mit Calvino  ............................... 82 2.1.4 Schreiben im Grisaille-Stil. Über das Austerlitz-Manuskript  ............................... 97 2.2 Jenseits von Pathos und Impassibilität  .................... 106 2.2.1 Anti-Pathos oder Apathie?  .......................... 107 2.2.2 Jenseits von Pathos und Impassibilität. Mit Améry  .... 113 2.2.3 Immunisierung und Sensibilisierung. Mit Flaubert  .... 121 2.2.4 Diffuses Pathos. Asche, Sand, Staub und Schnee  ...... 134 2.2.5 Die paradoxe Expressivität der Formel  ............... 148 vi Inhalt Kapitel 3: Bild und Sprache. Intensitätsformen  ...................... 157 3.1 Bilder im Text: Intensitätseffekte  .......................... 157 3.2 Bild und Zeitformen des Pathos  ........................... 163 3.2.1 Pathos des Augenblicks. Sebald und der Laokoon  ..... 163 3.2.2 Realismus: eine Frage der Intensität  .................. 170 3.2.3 Geistesgegenwart als Widerfahrnis. Mit Barthes  ...... 176 3.2.4 Natures mortes, Fossilien und Phantome des Affekts  .. 188 3.2.5 Das Bild als Stillstellung. Zwischen Panik und Illumination  ................................... 202 3.3 Pathosformeln  ........................................... 211 3.3.1 Die Pathosformel als literarische Kategorie?  .......... 211 3.3.2 Ausdruckssteigernde Alterationen  ................... 221 3.3.3 Pathos und Tierwerden der Sprache. Mit Deleuze  ..... 233 3.3.4 Nocturama pathetica  ................................ 244 Schluss: Das Nachleben des theatralischen Pathos im Medium der Prosa  ........................................................... 251 Prosa als Filter  ........................................... 252 Paroxysmen der Hysterie? Pathos und Oper  ................ 256 Protester contre l’irréversible. Pathos und politisches Bewusstsein  ............................................. 266 Literaturverzeichnis  ................................................ 283 Personenverzeichnis  ................................................ 309 Danksagung  ........................................................ 313 Einleitung Aber ohne Pathos: ein Gemeinplatz? PATHOS: Dagegen donnern, sich empören. Hochmütig erklären, dass wahre Literatur ohne Pathos auskommt. Einen Autor dafür loben, dass er in seinem Roman der Gefahr des Pathos entgehen konnte. Schreiben: Es ist ein schönes, ernsthaftes Buch. Sofort hinzufügen: aber ohne Pathos.1 Dieser Eintrag steht nicht in Flauberts Lexikon der Gemeinplätze. Philippe Forest hat sie dem satirischen Kompendium in seiner „Kleinen Lobrede auf das Pathos“ gedanklich hinzufügt2. Ob Flaubert solche pathosfeindliche Rede in seiner Stereotypen-Sammlung verspottet hätte, wo er doch selbst sehr ernsthaft am antipathetischen Stilideal der impassibilité arbeitete? Jedenfalls erzeugt dieser fiktive Eintrag beim heutigen Leser genau die Wirkung, die das Flaubertsche Lexikon insgesamt erzeugen sollte: „wenn man es gelesen hat, dürfte man nicht mehr zu sprechen wagen, aus Angst, [spontan] einen der Sätze zu sagen, die sich darin befinden“3. Tatsächlich geschieht es ganz * Anmerkung zu den fremdsprachlichen Zitaten: im Haupttext zitiere ich aus den deutschen Übersetzungen (wo solche vorhanden sind – wo nicht, stammen alle Übersetzungen von mir), außer bei englischsprachigen Zitaten, die unübersetzt bleiben. Ein Sonderfall sind die Zitate von französischen Autoren, die Sebald in englischer Übersetzung las (Perec, Barthes) – hier zitiere ich im Haupttext aus Sebalds englischsprachigem Exemplar [aus der Autoren- bibliothek Sebald, DLA Marbach]. Die französischen Originalzitate finden sich in allen Fällen in den Fußnoten. 1 „PATHOS : Tonner contre, s’insurger. Déclarer avec un air hautain que la vraie littérature l’ignore. Féliciter un auteur d’avoir su, dans son roman, éviter l’écueil du pathos. Ecrire : c’est un beau livre, grave. Ajouter aussitôt : mais sans pathos“. Philippe Forest, „Petit éloge du pathos“, Le roman, le réel et autres essais (Allaphbed 3), Nantes, Editions Cécile Defaut, 2007, S. 211-219, hier S. 212. 2 „Je me propose d’ouvrir à la lettre P le Dictionnaire des idées reçues qui accompagne (théoriquement, invisiblement, fictivement) mes romans. J’y trouve l’article ‚Pathos‘. Je lis : […]“. Ebd. Vgl. Maïté Snauwaert, „Une poétique du pathétique“, Philippe Forest. Une vie à écrire, hg. von Aurélie Foglia, Catherine Mayaux, Anne-Gaëlle Saliot und Laurent Zimmer- mann, Paris, Gallimard, 2018, S. 15-25. 3 Brief an Louise Colet vom 16. Dezember 1852. Gustave Flaubert, Briefe, hg. und übers. von Helmut Scheffel, Zürich, Diogenes, 1977, S. 224 [aus der Autorenbibliothek Sebald, Deutsches Literaturachiv, Marbach; das Verzeichnis der 1255 Bände wurde veröffentlicht von Jo Catling, „A Catalogue of W. G. Sebald’s Library“, Saturn’s Moons. W. G. Sebald: a Handbook, hg. von Jo Catling und Richard Hibbit, London, Legenda: Modern Humanities Research Association and Maney Publ., 2011, S. 377-441]; „Il faudrait que, dans tout le cours du livre, il n’y eût pas un mot de mon cru, et qu’une fois qu’on l’aurait lu on n’osât plus parler, de peur de dire naturellement une des phrases qui s’y trouvent.“ Correspondance. Troisième série, 1852-1854, viii Einleitung spontan, dass man einen Autor dafür lobt, dass er „der Gefahr des Pathos ent- gehen konnte“ – besonders wenn von W. G. Sebald die Rede ist. Warum sollte man sich scheuen, von seinem letzten Buch – Austerlitz, dessen Protagonist in späten Jahren entdeckt, dass er als jüdisches Kind aus seiner Heimatstadt Prag mit einem Kindertransport nach England vor der Deportation gerettet wurde – zu sagen, dass es ein „schönes, ernsthaftes Buch“ ist, „aber ohne Pathos“? Wird es nicht sehr häufig gesagt? Wird es nicht zu Recht gesagt? Und entspricht es nicht zuletzt auch Sebalds eigenem Anspruch? In seinen Essays und Interviews verteidigt Sebald in der Tat die impassibilité des Stils, die Neutralität des Tons, die Nüchternheit des Ausdrucks, die unpathetische und nicht-melodramatische Diktion mit einer solchen Ein- dringlichkeit und Beständigkeit, dass sein Anliegen, Pathos zu vermeiden, eine Art Evidenz erlangt hat, die selten als solche in Frage gestellt wird4. Zu groß ist die Versuchung, die „ethisch-ästhetischen“ Werte, die der Autor explizit für sich beansprucht, einfach zu übernehmen, um sie dann in seinem Werk verwirk- licht zu sehen – oder eben nicht. Viele Leser rügen entweder Sebald für sein Pathos oder loben ihn für dessen Vermeidung – in beiden Fällen bestätigen sie dabei den Eindruck eines impliziten Konsens, eines unbewussten ästhetischen Imperativs, einer Doxa, die letztlich zum Gemeinplatz geronnen ist und als solcher zu identifizieren ist, wenn die Lektüre des Werkes nicht in einem zentralen Punkt verzerrt werden soll. Denn wer hier die schiere Abwesenheit von Pathos postuliert, beraubt sich der Möglichkeit, die Arbeit am Pathos und die paradoxen Formen, die es in Sebalds Werk annimmt, zu erkennen – jene komplexen Prozesse, die das Pathos sowohl zu steigern als auch zu zähmen suchen. Tatsächlich liegt es auf der Hand, dass Pathos in Sebalds Werk zentral ist, wenn man von diesem Begriff mehr als nur den heute dominierenden „abwertende[n] und unspezifische[n] Gebrauch des Terminus (‚falsches Pathos‘)“ als „Synonym für unangemessenen Gefühlsauf- wand“5 berücksichtigt. Tatsächlich ist der Pathos-Begriff zum „gängige[n] nouvelle édition augmentée, Paris, Conard, 1927, S. 67. Das Adverb „naturellement“ fehlt in der deutschen Übersetzung: ich habe es in eckigen Klammern hinzugefügt („spontan“). 4 Ausnahmen sind Susan Sontag, „A Mind in Mourning“, Times Literary Supplement, 25. 2. 2000, wieder aufgenommen in (und im Folgenden zitiert nach) Where the Stress Falls: Essays, New York, Farrar, Strauss and Giroux, 2001, S. 41-48, und Lucie Campos, Fictions de l’après : Coetzee, Kertész, Sebald. Temps et contretemps de la conscience historique, Paris, Classiques Garnier, 2012. 5 Günter Butzer und Joachim Jacob, „Pathos“, Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neubearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte Bd. III, hg. von Jan-Dirk Müller, Berlin / New York, De Gruyter, 2003, S. 38-40, hier S. 38 und 39. Einleitung ix Negativschlagwort“6 geworden, mit dem der „Schwulst bzw. die fingierte Erregung (‚hohles Pathos‘)“7 gemeint ist. Diese Konnotation, die seit dem 18. Jahrhundert im Zuge der Rhetorikkritik und eines neuen Ideals der Natür- lichkeit im Gefühlsausdruck entstanden ist8, hält sich kurioserweise bis heute, obwohl Anthropologie und Kulturwissenschaft den Glauben an eine Natürlich- keit des Gefühlsausdrucks – wenn nicht gar an die Natürlichkeit der Gefühle selbst – eigentlich gründlich erschüttert haben. Sebalds anti-pathetischer Dis- kurs scheint also Teil einer Sorge um Authentizität zu sein, die bei einem so selbstreflexiven, seine eigenen Verfahren und Kunstgriffe stets ausstellenden Autor überraschen kann. Genügt es aber denn nicht, in Sachen Pathos auf den gesunden Menschen- verstand zu vertrauen? Auch wenn wir wissen, dass jeder Ausdruck von Emotionen irgendwie kulturell vorgeprägt ist, lehnen wir im Allgemeinen konventionelle Rhetorik ab – im Namen der Authentizität. Und wo wir eine gewisse emotionale Intensität schätzen, sind wir uns doch alle einig, dass man es nicht übertreiben sollte. Der spontane Konsens gegen Pathos betrifft also sowohl seinen exzessiven als auch seinen stereotypen Charakter. Aber es ist nicht leicht, hier Kriterien und Grenzen zu bestimmen, ohne das Pathos auf eine bloße Frage des guten Geschmacks und des Anstands zu reduzieren – ein letztlich ziemlich kleinliches Anliegen, das angesichts von Sebalds „ethisch- ästhetischem“ Anspruch selbst geradezu „unanständig“ wirkt. Anstatt hier, wie Philippe Forest mit Flaubertscher Ironie empfiehlt, ein- fach zu behaupten, dass wahre Literatur ohne Pathos auskommt – um dann daraus zu schließen, dass Sebalds Werk also folglich pathosfrei sein muss – geht es im Folgenden darum, Sebalds ständige Sorge in diesem Punkt ernst zu nehmen. Denn auch wenn Sebald jeden Sentimentalismus entschieden zurückweist, gründet sein literarisches Projekt doch auf einer Archäologie der 6 Ulrich Port, „Pathos“, Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen, hg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender und Burkhard Moennighoff, Stuttgart / Weimar, Metzler, 32007, S. 575. In einigen Literaturlexika sucht man sogar vergebens nach einem „Pathos“- Eintrag, z. B. in Ansgar Nünning (Hg.), Grundbegriffe der Literaturtheorie, Stuttgart / Weimar, Metzler, 2004; Horst Brunner und Rainer Moritz (Hg.), Literaturwissenschaftliches Lexikon. Grundbegriffe der Germanistik, Berlin, Erich Schmidt, 1997; Dieter Borchmeyer und Viktor Žmegač (Hg.), Moderne Literatur in Grundbegriffen, Tübingen, Niemeyer, 21994. 7 Martin von Koppenfels, „Pathos“, Lexikon Literaturwissenschaft. Hundert Grundbegriffe, hg. von Gerhard Lauer und Christine Ruhrberg, Stuttgart, Reclam, 2001, S. 246-249, hier S. 246. 8 Jochen A. Bär, „Pathos“, Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding, Band 6, Tübingen, Niemeyer, 2003, S. 706-717 (Barock; Moderne), hier S. 708. Der „Pathos“-Eintrag hat zwei weitere Autoren, Manfred Kraus (Definition; Antike, S. 689-701) und Konrad Vollmann (Frühes Christentum; Mittelalter; Renaissance; S. 701-706). Vgl. auch Martin von Koppenfels, „Pathos“, S. 248. x Einleitung Trauerlaufbahnen9 und Schmerzensspuren10 der Geschichte und auf dem, was er mit Flaubert die éducation sentimentale des historischen und politischen Subjekts bzw. den Gefühlshaushalt11 der Gemeinschaft nennt. Auch wenn er einer Poetik der impassibilité verpflichtet ist, verweist er doch auf die „subjektive Betroffenheit und das subjektive Engagement“ als „Ausgangspunkt aller imaginativen Anstrengung“12. Er strebt zwar eine „Neutralität“ des Tons an, definiert aber Austerlitz als eine „lange Prosa-Elegie [a long prose elegy]“13. Trauer, Klage und Totenklage sind wesentliche Dimensionen seiner Arbeit: Er sucht, wie er in einem Interview sagt, nach einer adäquaten „Trauerhaltung“14. Und obwohl er eine „leidenschaftslose Art der Rede“ und „Impassibilität“15 anstrebt, geht es ihm doch darum, „Geschichte empathetisch zugänglich zu machen“16: es geht ihm um eine Empathie im starken Sinne einer „über das bloße Mitleid hinausweisende[n] Mitleidenschaft“, wie er mit Blick auf Peter Weiss schreibt17. Pathos, ein blinder Fleck in Sebalds Werk und Rezeption Dennoch erscheint der Pathosbegriff bei Sebald meist in negativer Form: Nur die von ihm so genannte „unpathetische Diktion“18 scheint er als legitim zu betrachten, und die emphatische Betonung, dass sein Medium die Prosa sei19, entfernt ihn auf den ersten Blick weitestmöglich von jenen literarischen Gattungen, die die rhetorische Tradition mit dem pathetischen Stil ver- bindet: Tragödie, Hymne, Elegie und im weiteren Sinne Lyrik und Drama. Besonders bezeichnend ist auch die mehrfache, wenn auch sehr ambivalente Gleichsetzung von Pathos und Pathologie. Tatsächlich beschreibt Sebald das literarische Schreiben immer wieder aus einer gleichsam anthropologischen Perspektive als pathologisches Phänomen – ein Begriff, den er auch in Bezug auf Grünewald verwendet, dem Maler „mit pathetischem Blick“20, der, wie es in 9 LL, 139; DA, 115. 10 A, S. 20. 11 LK, S. 20. 12 CS, S. 89. 13 EoM, S. 103. 14 G, S. 115. 15 CS, S. 86. 16 Franz Loquai (Hg.), W. G. Sebald [Porträt 7], Eggingen, Isele, 1997, S. 137. 17 CS, S. 130. 18 CS, S. 88. 19 „Mein Medium ist die Prosa, nicht der Roman.“ G, S. 85. 20 NN, S. 27.

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