DGZfP-Jahrestagung 2007 - Festvortrag Von der Antike bis in das 20. Jahrhundert – Ein Streifzug durch die Welt der großen Akustiker Peter KÖLTZSCH, Technische Universität Dresden Kurzfassung. Im Rahmen der Deutschen Gesellschaft für Akustik (DEGA) wird in einem Projekt mit dem Thema "Geschichte der Akustik anhand der 'Geschichten' großer Akustiker/innen" die Geschichte der Akustik anhand der biographischen, wissen- schaftlichen und wissenschaftsorganisatorischen Leistungen großer Akustiker bzw. großer Wissenschaftler anderer Fachgebiete, die zur Entwicklung des Fachgebietes Akustik beigetragen haben, dargestellt. Daraus wird hier in einem Streifzug durch die Welt der großen Akustiker aus dem Altertum Pythagoras von Samos, Polykleitos der Jüngere, Vitruvius und die Akustik der antiken Theater dargestellt. Dieser Teil des Vortrages en- thält auch einen Beitrag, um den Mythos der Akustik antiker Theater zu entschleiern. Aus der Phalanx großer Akustiker des Mittelalters werden der Franzose Marin Mersenne und der Deutsche Athanasius Kircher, der als Professor am Vatikan wirkte, ausgewählt. Als ein besonderes Kapitel der 'Geschichten' zu den großen Akustikern erweisen sich die Biographien akustischer Preisträger/innen europäischer Akademien der Wissenschaften im 18. und 19. Jahrhundert, so die französische Mathematikerin Sophie Germain und der Schweizer Physiker Jean Daniel Colladon. Aus den letzten beiden Jahrhunderten wurden Hermann von Helmholtz und der (einzige) akustische Nobelpreisträger, der ungarische Physiker Georg von Békésy (Wanderwellentheorie des Hörens) ausgewählt. Und so wird im Vortrag anhand einiger dieser Biographien die Geschichte der Akustik in erzählender Form geboten. 1. Einführung - Das Projekt der Deutschen Gesellschaft für Akustik (DEGA) Dieser Vortrag stellt einige Ergebnisse eines Projektes der Deutschen Gesellschaft für Akustik, der DEGA, vor. Das Projekt trägt die Überschrift "Geschichte der Akustik anhand der 'Geschichten' großer Akustiker". Das Projekt soll den Grundsatz verfolgen, dass ein wissen- schaftliches Fachgebiet immer von Personen betrieben und entwickelt wird, dass der Fortschritt im Fachgebiet und die Qualität der Erkenntnisse von den individuellen Leistungen der betref- fenden Wissenschaftler bestimmt wird und dass sich damit die Entwicklung eines Fachgebietes aus der Summe dieser persönlichen Leistungen von Wissenschaftlern ablesen lässt. Das Projekt soll also nicht direkt die Entwicklung des Fachgebietes Akustik oder einzel- ner Teilgebiete der Akustik zeigen, wie z. B. die Entwicklung des Telefons, die Entwicklung der Wellengleichung, die Entwicklung von Sprechmaschinen oder die Historie des Ultraschalls, sondern soll nur indirekt alle diese Entwicklungen widerspiegeln, und zwar durch die Mosaik- steine des biographischen, bibliographischen und wissenschaftlich-personengebun-denen Mate- rials der "Großen" des Fachgebietes. Kurz gesagt, das Projektergebnis soll die Arbeitsmethode der Historiker realisieren, nicht auszuweisen, wie "es" war, sondern wie A und B und M und N waren, die "es" gestaltet haben (nach: H. v. HENTIG in H. JÄCKEL „Menschen in Berlin“, Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart/München 2000). Oder nach PLUTARCH: "Denn ich schreibe nicht Geschichte, sondern zeichne Lebensbilder". 1 Die Zeittafel zur Geschichte der Akustik enthält große Wissenschaftler der Welt- geschichte: - vom Altertum: mit Pythagoras, Aristoteles u. a. m. - über das Mittelalter und weiter bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts: mit Leonardo da Vinci, Eustachio, über Newton, Euler, bis hin zu Chladni und Lord Rayleigh u. a. m. - und schließlich bis in die Neuzeit: mit Vincent Strouhal, den Brüdern Curie, Webster und Sabine, mit dem Nobelpreisträger György von Békésy, Lothar Cremer, mit Dmitrij Iwanowitsch Blochincev, Michael James Lighthill, Manfred Heckl u. v. a. m. Die bisher vorliegende Zeittafel enthält gegenwärtig ca. 350 Personen der „akustischen Welt- geschichte“. 2. Zeitraum vor Christus Aus diesem Zeitraum wird zunächst PYTHAGORAS von Samos ausgewählt, der griechische Philosoph und Mathematiker. Über das Leben von Pythagoras gibt es keine authentisch über- lieferten Berichte. Er wurde von Aristoteles und Herodot erwähnt. Die meisten (vermuteten, er- fundenen?) Informationen stammen aus dem Lebenslauf des Pythagoras von dem hellenistischen Philosophen und Mathematiker Jamblichos von Chalkis (ca. 250–330 u. Z.). Pythagoras, geboren um 570 v. Chr. in Spermos auf der griechischen Insel Samos, ist um 500 v. Chr. in Metapont (Unteritalien) gestorben. Er soll nach Kleinasien, Phönizien, Ägypten und Mesopotamien gereist sein. Er gründete 530 v. Chr. in Kroton einen ethisch-religiöser, mys- tischer Bund mit Gütergemeinschaft. Diese Gemeinschaft von etwa sechshundert Männern und Frauen beschäftigten sich mit den Künsten Dialektik, Rhetorik und Grammatik sowie mit dem Quadrivium ihres Lehrgebäudes: Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Das Zeichen der Pythagoreer war das Pentagramm, ein regelmäßiger Fünfstern, eines der ältesten magischen Symbole der Kulturgeschichte der Menschheit. Dieses Zeichen stand „für die Suche nach der universalen Wahrheit“. Im Mittelpunkt der pythagoreischen Pentagramm – das Geheimzeichen der Pythagoreer Bild 1: Pentagramm (aus: E. Schröder) 2 Lehre standen Sprüche, die sogenannten Akusmata ("gehörte Dinge"), z. B. Nicht ohne Licht reden Keine Kränze zerrupfen! (Kränze = Gesetze) Zahlen beherrschen die Welt. Alles ist Zahl und Harmonie. Es ist Geometrie im Summen der Saiten. Pythagoras experimentierte auf dem Monochord. Bei diesem ist über einen quaderförmi- gen Resonanzkörper eine Saite gespannt. Mit einem beweglichen Steg konnte die Saitenlänge verändert werden. Pythagoras untersuchte die Tonhöhe in Abhängigkeit von der Saitenlänge: Wird mit Hilfe des Stegs die Saite zuerst im Verhältnis 1/2 geteilt, wird die Oktave erhalten; als nächstes dann im Verhältnis 2/3, um die Quinte zu bekommen, und bei drei zu vier Längen folgt die Quarte. Allen harmonischen Intervallen liegen einfache Zahlenverhältnisse zugrunde. Mit den pythagoreischen akustischen Untersuchungen am Monochord haben sich Töne als verkörperte Zahlen herausgestellt, qualitative Unterschiede sind auf quantitative zurückge- führt worden. Diesen Befund übertrug Pythagoras auf die Ordnung im Kosmos, ausgedrückt in der regelmäßigen Bewegung der Himmelskörper, und er übertrug sie - in kühner Weise - auch auf die ethische und soziale Ordnung. Und so kam er zu dem Schluss: Alles ist Zahl. Die Zahl ist das Weltprinzip. Die durch Zahlen regierte Harmonie ist das Ordnungsprinzip für die Dinge in der Welt. Zu Pythagoras und zur Bedeutung der pythagoreischen Denkweise für die moderne Naturwissenschaft sagte Werner Heisenberg: ”Der Gedanke [der sinnstiftenden Kraft mathematischer Strukturen] tritt zum ersten Mal deutlich entgegen in den Lehren der Pythagoreer, und erschließt sich diesem Kreis durch die Entdeckung der mathematischen Bedingtheit der Harmonie. Diese Entdeckung gehört zu den stärksten Impulsen menschlicher Wissenschaft überhaupt… " Sonett von Adelbert von Chamisso: Vom pythagoreischen Lehrsatz Die Wahrheit, sie besteht in Ewigkeit, Wenn erst die blöde Welt ihr Licht erkannt; Der Lehrsatz nach Pythagoras benannt Gilt heute, wie er galt zu seiner Zeit. Ein Opfer hat Pythagoras geweiht Den Göttern, die den Lichtstrahl ihm gesandt; Es taten kund, geschlachtet und verbrannt, Einhundert Ochsen seine Dankbarkeit. Die Ochsen seit dem Tage, wenn sie wittern, Daß eine neue Wahrheit sich enthülle, Erheben ein unmenschliches Gebrülle; Pythagoras erfüllt sie mit Entsetzen; Und machtlos sich dem Licht zu widersetzen Verschließen sie die Augen und erzittern. Adelbert von Chamisso Nach Pythagoras betrachte ich nunmehr zwei Architekten und Bildhauer der Antike, die insbesondere mit der Akustik griechischer und römischer Theater verbunden sind: Polykleitos, der Jüngere, wirkte im 4. Jhd. v. Chr. (435 – 360 v. Chr.). Er war Bildhauer, für die Nachwelt ist er als Architekt durch die Gestaltung des großen Theaters von Epidauros bekannt geworden. Marcus Vitruvius Pollio, ein römischer Baumeister und Architekt, 1. Jhd. v. Chr. (um 85 bis 22 v. Chr.), erläutert in seinem Werk "de architectura libri decem" ("Zehn Bücher über die Ar- chitektur") die antike Baukunst; das Werk enthält u. a. auch Hinweise zur Akustik der Theater und auch zur Akustik durch Tongefäße, eine Art von Vasen oder Amphoren. In antiken Theatern 3 wurden in der Nähe der vorderen Sitzreihen Schallgefäße gefunden, die als Helmholtz- Resonatoren gewirkt haben könnten. Solche vasenähnliche Gefäße waren schon in Mesopo- tamien und bei den Griechen bekannt. Zu den Vasen des Vitruvius schreibt W. Reichardt sin- ngemäß (W. Reichardt "Gute Akustik – aber wie?" 1979): Was die Tonvasen, die auf verschiedene Tonhöhen abgestimmt waren, akustisch bewirkt haben sollen, ist nicht überliefert. Wir wissen heute, dass es sich um "HELMHOLTZ-Resonatoren" handelt, die einerseits verstärkende Wirkung haben (bei geringer Eigendämpfung), andererseits aber auch dem Schallfeld Energie entziehen (bei größeren Dämpfungen). Die durch Ausgrabungen gefundenen Vasen waren auf die tiefen Lagen der menschlichen Stimme abges- timmt. Das macht in Innenräumen zur Abschwächung der Vokale und damit zur Verbesserung der Sprach- verständlichkeit Sinn. Was sollten aber diese Resonatoren im Freien? Hier kann man sich nur vorstellen, dass echoartige Rückwürfe (von Gebäudeteilen, von der Szenenrückwand u. a.) mit Hilfe der Tonvasen ab- geschwächt werden sollten. Ich komme nunmehr zur Akustik der griechischen und römischen Theater der Antike, insbe- sondere auch um zur Entschleierung des Mythos der Akustik antiker Theater beizutragen. Zur Akustik der griechischen und römischen Theater der Antike Vergleich eines rekonstruierten griechischen mit einem römischen Theater (nach H.-J. Ederer) Bild 2: Vergleich eines griechischen mit einem römischen Theaters Das Bild zeigt den Vergleich eines griechischen mit einem römischen Theater der Antike. Die antiken Theater sind charakterisiert durch (nach W. Reichardt, J. Meyer, H.-J. Ederer): - Griechische Theater waren meist in einen natürlichen Bergabhang hineingebaut, waren größer und flacher als die römischen Theater. Das Kennzeichen des römischen Theaters war der deutlich größere Anteil umbauten Raumes am Gesamtvolumen, der auf die zunehmende Bedeutung der Sprachverständlichkeit in römischer Zeit schließen lässt. - Die Theater hatten damals hinter der Bühne eine schallharte und hohe Bühnenrückwand, schallharte Bühnen- Seitenflächen sowie, in römischer Zeit, einen schallharten und schalllenkenden, schrägen Überbühnenplafond und eine schallharte Zuschauerrückwand. - Zwischen der Bühne und dem Publikum befand sich die sog. Orchestra, die als freie Fläche eine wichtige Bodenreflexion lieferte. Die Zuschauerränge waren sehr steil angeordnet; damit hatte jeder Zuschauer freie Sicht auf die Orchestra, konnte also auch ungehindert die Schallreflexionen von dieser empfangen. - Die Bühne war meist erhöht angeordnet; die Akteure agierten zudem auf erhöhten Podesten. - Außerdem war der äußere Störschall sehr gering. 4 - Vereinzelt gab es Maßnahmen zur Tiefton-Schallabsorption in Bühnennähe bzw. zur Schallverstärkung. - Die Schauspieler verwendeten Theatermasken mit Schalltrichter Das zu den akustischen Eigenschaften antiker Theater, von denen einige der schönsten Beispiele die folgenden sind: Theater von Epidauros (Griechenland): der Architekt war Polykleitos, der Jüngere. Das Theater hatte insgesamt etwa 14.000 Zuschauerplätze. PAUSANIAS schrieb bereits im Altertum: „Die Epidaurier haben im Heiligtum ein, wie ich meine, höchst sehenswertes Theater. ….. Was aber Harmonie und Schönheit betrifft, welcher Architekt könnte sich da verdient mit Polykleitos messen? Denn Polykleitos war es, der ... dieses Theater… errichtete.“ Theater von Pergamon (Westtürkei): Es ist das steilste Theater der antiken Zeit, ein Zuschauer- raum mit 80 Sitzreihen für 10.000 bis 15.000 Zuschauer. Theater von Pergamon 15.000 Zuschauerplätze, steilstes Theater der Antike, 2. Jhd. v.Chr. Bild 3: Blick auf das Theater von Pergamon, das steilste Theater der Antike Theater von Ephesos (Westtürkei): eines der größten antiken Theater, 25.000 Zuschauerplätze Theater von Pamukkale (Westtürkei): römisches Theater, erbaut unter Kaiser Severus (146 – 211 nach Chr.), 52 Sitzreihen, ca. 10.000 Zuschauerplätze, Sehr guter Erhaltungszustand der Zuschauerränge, der Orchestra, des Proszeniums und der Skene (Bühnenhaus). Theater von Taormina (Sizilien): aus dem 3./2. Jhd v. Chr., 5.400 Zuschauer, Beschreibung 1787 durch Goethe in den Briefen "Italienische Reise" und durch Johann Gottfried Seume in "Spazier- gang nach Syrakus" 1802. 5 Griechisches – römisches Theater in Taormina (Sizilien) aus dem 3./2. Jhd v. Chr., 5.400 Zuschauer Bild 4: Von den Römern überbautes griechisches Theater in Taormina auf Sizilien 3. Zeitraum bis zum 17. Jahrhundert Aus diesem Zeitraum wenden wir uns zunächst dem französischen Naturphilosophen, Mathema- tiker, Musiktheoretiker und Theologen Marin Mersenne (1588 – 1648) zu. Er studierte Theolo- gie und Naturwissenschaften an der Sorbonne in Paris, trat 1611 in den Orden der Minimen (Paulaner) ein, erhielt 1612 die Priesterweihe, lebte ab 1619 im Konvent des Ordens in Paris und widmete sich seinen Studien. Seine letzten Lebensjahre verbrachte er überwiegend in Italien. Mersenne zählt zu den großen Universalgelehrten, er korrespondierte mit den führenden Wissenschaftlern seiner Zeit wie Descartes, Galilei, Hobbes, Blaise Pascal u. a.. Er verteidigte Descartes und Galileo gegen Angriffe der Kirche: Er lehnte Alchemie und Astrologie als Pseu- dowissenschaften strikt ab. Sein wichtigstes Werk zur Akustik ist das 1636 erschienene Buch "L’Harmonie Universelle", u. a. mit den Kapiteln: Die mathematischen Grundlagen der Harmonie, die Teilungen des Mono- chords, die Magie von Konsonanz und Dissonanz / Heilmöglichkeiten durch die Musik. Mersenne experimentierte mit dem Monochord. Er stellte Proportionalitätsbeziehungen für die Schwingungszahl einer Saite in Abhängigkeit von den Eigenschaften der Saite auf, die sog. Ge- setze von MERSENNE. Zur Überprüfung seiner Gesetze am Monochord wendet Mersenne eine geschickte Ska- lierungsmethode an: Da Mersenne die absoluten Frequenzen hörbarer Töne nicht messen konnte, experimentiert er mit Saiten unterschiedlicher Durchmesser und Materialien, die mehrere Meter lang sind. Diese gaben zwar keinen Laut von sich, stattdessen konnten dafür aber die Schwin- gungen pro Sekunde mit dem Auge direkt gezählt werden. Die Schwingungszahlen der Töne im hörbaren Bereich wurden nun durch Skalierung mit Hilfe seiner Proportionalitäten extrapoliert. Marin Mersenne führte erstmals quantitative Messungen zur Schallgeschwindigkeit in Luft durch. In einer ersten Variante hat er die Zeit zwischen dem Mündungsblitz einer Kanone und dem Eintreffen des Schalls gemessen, mithilfe eines Pendels bzw. durch die Zählung der 6 Pulsschläge. Die zweite Variante war eine Echomethode: Mersennes rief die beiden Wörter „Benedicam dominum“ (Sei gepriesen, Herr, mein Gott), die genau 1 Sekunde dauerten, gegen eine Mauer, von der er sich immer weiter entfernte, bis der Ruf ohne Zeitverzögerung, also eine Sekunde später, zurückgeworfen wurde. Aus dieser Zeitspanne, nach der das Echo auftritt, berechnete er mit dem Abstand zur Mauer den Wert für die Schallgeschwindigkeit. Die Ab- weichung war mit 316 m/s geringer als zehn Prozent vom tatsächlichen Wert. Neben dieser ersten quantitativen Bestimmung der Schallgeschwindigkeit ist heute Mersenne vor allem durch seine Arbeiten zur Mathematik bekannt, und zwar zu den Primzahlen (MERSENNE-Primzahlen). Nunmehr erfahren wir einiges über einen der bedeutendsten Universalgelehrten des 17. Jahrhunderts, über Athanasius Kircher. Geboren am 2. Mai 1602 in Geisa bei Fulda, trat er nach dem Besuch des Jesuitenkollegs in Fulda 1618 dem Jesuitenorden bei. Er studierte Phi- losophie, Logik und Physik in Paderborn und Köln, ab 1625 Theologie in Mainz. 1628 wurde Kircher zum Priester geweiht. Er lehrte ab 1629 als Professor an der Universität in Würzburg Philosophie, Ethik, Mathematik, hebräische Sprachen. 1633 wurde er auf Weisung von Papst Urban VIII. als Professor am Collegium Romanum in Rom für Mathematik, Physik und oriental- ische Sprachen berufen. 1645 wird Kircher von seinen Lehraufgaben entpflichtet, um sich ganz seinen Studien und Forschungen widmen zu können. Er stirbt am 27. November 1680 in Rom und wird dort beigesetzt. Kircher betätigte sich, getreu seinem Wahlspruch „In uno omnia“ (In Einem alles), als Lehrer, Forscher, Experimentator, Erfinder, Sammler, Schriftsteller und Illustrator auf Athanasius KIRCHER 1602 - 1680 Stadtmuseum Ingolstadt, Orbansaal: Die vier Bassgeigenbilder des Jesuitenkollegs Ingolstadt, darunter das Bild von Athanasius Kircher, gemalt 1725 von Christoph Thomas Schefflers http://www.ingolstadt.de/stadtmuseum/scheuerer/ausstell/bilder/kircher3.jpg Bild 5: Athanasius Kircher vielen der damals bekannten Wissensgebieten, wie Mathematik, Physik, Chemie, Geographie, Geologie, Astronomie, Biologie, Medizin, Musik, Akustik, Sprachen, Philologie und Geschichte; Kircher gehörte zu den überragenden Intellektuellen seines Jahrhunderts. Aber: Dem Zeit- genossen von Newton, Boyle, Leibniz und Descartes wurde ein ehrenvoller Platz in der Wissen- schaftsgeschichte vorenthalten, da er aus dem Historismus der Bibel und der säkular- wissenschaftlichen Erkenntnistheorie eine vereinheitlichte wissenschaftliche Weltsicht zu gestal- 7 ten versuchte. Die letzten Jahrzehnte haben beigetragen, den Anteil von A. Kircher zur Wissen- schaft seiner Zeit fundierter zu bewerten. Hier wird in Bezug auf die wissenschaftlichen Arbeiten von Kircher nur auf die Akustik Bezug genommen. Athanasius Kircher „Phonurgia Nova“ 1673 „Neue Hall- und Tonkunst“ Nördlingen 1684 Bild 6: Titelblatt der "Phonurgia Nova" Das von Athanasius Kircher verfasste Werk "Musurgia Universalis" (Rom 1650) ist ein umfas- sendes Kompendium des musikalischen Wissens seiner Zeit. Ein bedeutender Teil des Buches gilt der Geschichte der Instrumente, es enthält auch eine Abhandlung zur Anatomie der Stimme und des Gehörs. Das zweite akustische Werk Kirchers „Phonurgia Nova“ (1673) erschien bereits 1684 in deutscher Sprache als "Neue Hall- und Tonkunst“ in Nördlingen. In beiden Werken hat Kircher viele anschauliche Darstellungen zu seinen akustischen Überlegungen und Untersuchun- gen publiziert, u. a. zur Schallreflexion in Räumen mit elliptischem Deckengewölbe, zur Schall- reflexion an Mauern, zur Schallreflexion in einem gekrümmten Hörrohr, zum Lauschvorgang im "Ohr des Dionysios" in Syrakus sowie in Palästen, 8 Flüstergewölbe (nach A. Kircher) Bild 7: Schallreflexion in Flüstergewölben zur Wirkungsweise der Schallgefäße des Vitruvius in einem antiken Theater. Athanasius Kircher gilt auch als Erfinder der Äolsharfe (auch als Geisterharfe, Wind- oder Wetterharfe bezeichnet). Er hat sie in seinem Werk "Phonurgia nova" detailliert beschrieben. Die Äolsharfe ist ein har- fenartiges Saiteninstrument, dessen Saiten durch Einwirkung des natürlichen Luftstromes zum Klingen gebracht werden. Ihr Name leitet sich von Aeolos, dem griechischen Gott des Windes, her. Das zu den akustischen Arbeiten von Athanasius Kircher. 4. Akustische Preisaufgaben und Preisträger/innen im 18. und 19. Jahrhundert Im 18. und 19. Jahrhundert haben wissenschaftliche Akademien Preisaufgaben gestellt, so zum Beispiel die französischen Akademien in Paris, Toulouse und Bordeaux, die Berliner Akademie und die Petersburger Akademie der Wissenschaften, die Göttinger und die Bayrische Akademie. Johannes VAHLEN sagte in einer Festrede 1895 zum Geburtstag des preußischen Königs in der Berliner Akademie: "Gleich anderen gelehrten Gesellschaften der Zeit hat auch unsere Akademie in dem Zeitalter Friedrichs des Grossen diese Seite akademischer Wirksamkeit mit Vorliebe gepflegt, und hat Probleme auf die Bahn gebracht, die vom Geist der Zeit getragen die denkenden Köpfe in Bewegung setzten ……" Bei den Preisaufgaben gab es hin und wieder auch akustische Fragestellungen, u. a. wurden bisher gefunden: Jean de Abbé HAUTEFEUILLE 1647 – 1724 Erklärung der Ursache des Echos (Bordeaux 1718) Claude-Nicolas Le CAT 1700 – 1768 Theorie des Gehörs (Toulouse 1757) Urban Nathanael BELTZ 1710 – 1776 Erklärung des Gehörs (Berlin 1763) Christian Gottlieb KRATZENSTEIN 1723 – 1795 9 Künstliche Vokalerzeugung/Sprechmaschine (Petersburg 1780) Johann Gottfried HERDER 1744 – 1803 Ursprung der Sprache (Berlin 1770) Sophie GERMAIN 1776 – 1831 Schwingungen elastischer Flächen (Paris 1816) Jean-Daniel COLLADON 1802 – 1893 Kompressibilität von Flüssigkeiten/Schallgeschwindigkeit (Paris 1826) Sophie GERMAIN: 1808 stellte die französische Akademie der Wissenschaften eine Preisauf- gabe mit dem Thema: "Aufstellung einer mathematischen Theorie von Schwingungen elas- tischer Flächen und ihr Vergleich mit dem Experiment". Der Preis von 3000 Francs ging 1816 an die französische Mathematikerin Sophie GERMAIN (1776 – 1831). Sie bleibt jedoch der Preis- verleihung fern, als sie erfährt, dass sich Schaulustige eingefunden haben, um das „weibliche Wunder“ zu bestaunen. Sophie Germain erhielt bei ihren Ableitungen mit Hilfe des La- grangeschen Variationsprinzips eine Differentialgleichung 4. Ordnung für schwingende Platten, die in ihrer Form richtig war, allerdings eine falsche Annahme enthält. [Kirchhoff hat 1850 das Problem weiter behandelt und die Ableitung von Sophie Germain korrigiert.] Marie-Sophie Germain, geboren am 1. April 1776 in Paris, gestorben am 27. Juni 1831 in Paris, studierte unter dem Pseudonym „Antoine-Auguste Le Blanc“, da an der École Polytechnique in Paris nur Männer zum Studium zugelassen waren. Ab 1796 arbeitet sie auf dem Gebiet der Zahlentheorie; sie lieferte einen Beweis von FERMATs letztem Satz, bei dem der Exponent n eine bestimmte Art von Primzahlen war; das sind die später nach ihr benannten Sophie-Germain- Primzahlen. Zwischen 1804 – 1808 ergibt sich eine Korrespondenz zwischen Sophie Germain und Carl Friedrich Gauß. Sie tat dies allerdings unter dem Pseudonym Auguste Antoine Le Blanc, weil sie befürchtete, als Frau von GAUSS nicht ernst genommen zu werden. Jean-Daniel COLLADON: 1825 hatte die französische Akademie der Wissenschaften in Paris eine Preisaufgabe mit der Thematik "Messung der Kompressibilität von Flüssigkeiten" aus- geschrieben. Den Preis erhielt der Schweizer Physiker Jean-Daniel COLLADON. Er kannte den theoretischen Zusammenhang zwischen der Kompressibilität und der Schallgeschwindigkeit bei Flüssigkeiten, so dass er mit der Messung der Schallgeschwindigkeit die von der französischen Akademie geforderte Messung der Kompressibilität von Flüssigkeiten durchführen konnte. Seine Messungen der Schallgeschwindigkeit erfolgten im November 1826 im Genfer See. Dazu aus D. Ullmann. Chladni …. Birkhäuser 1996: "Zwischen den Küstenorten Rolle und Thonon wurde im Genfer See längs einer Strecke von ca. 14 km (genau: 13,887 km) von Booten aus gemessen. In einem der Boote befand sich ein Mitarbeiter, der nach verabredeten Zwischenzeiten einen Hammer gegen eine im Wasser befindliche Glocke schlug. Gleichzeitig wurde eine kleine Menge Schießpulver als optisches Signal zum Aufblitzen gebracht.COLLADON beo- bachtete im anderen Boot. Ein Chronometer maß die Zeit zwischen dem Erscheinen des Blitzes und der Wahrnehmung des Glockenschalls. Dazu wurde ein großes Hörrohr aus Blech ins Wasser gebracht. Es war 5m lang und hatte unten eine trichterförmige Erweiterung. Das Ergebnis mehrerer Beobachtungsreihen ergab eine Schallgeschwindigkeit von 1435 m/s für Wasser der angegebenen Temperatur. Als Fehler gaben die Autoren ± 24 m/s an." 5. Zeitraum bis Ende des 19. Jahrhunderts Aus dem nächsten Zeitraum, bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, sind als Wissenschaftler mit Beiträgen zur Akustik u. a. aufzuführen: Gustav Theodor Fechner, Sir Charles Wheatstone, John Tyndall, Hermann von Helmholtz, Sir Francis Galton, Johann Philipp Reis, August Eberhard Kundt, John William Strutt / Lord Rayleigh. Auch hier gäbe es zu jedem dieser acht Wis- 10
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