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Über Objekt, Methode und wissenssystematische Stellung der Soziologie PDF

41 Pages·1961·1.541 MB·German
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Paul Honigsheim Über Objekt, Methode und wissenssystematische Stellung der Soziologie SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH 1961 ISBN 978-3-663-20057-4 ISBN 978-3-663-20414-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-20414-5 © 1960 Springer Fachmedien Wiesbaden UnopriiDglich encbieoen bei Wootdoatoohor Vorlag, K6ln und Opladon 1960 Die vorliegende Verilffentlichung erschien 1960 in Heft XII/4 der KOlner Zeitschrift filr Soziologie und Sozialpsychologie Über Objekt, Methode und wissenssystematische Stellung der Soziologie Von Paul Honigsheim Dem Andenken an Georg Jellinek, meinem Heidelber ger Lehrer, der mich als erster in die Probleme der Me thodik der Sozialwissenschaften und der Erforschung der Geschichte der sozialen und politischen Ideen ein führte. I. Einleitung Das Wort Soziologie konnte vor 1914 in Deutschland, zum Unterschied vom anglo-amerikanischen Kulturkreis, nur sehr selten im Vorlesungsverzeichnis von Universitäten angetroffen werden und hatte in akademischen Kreisen oft gerade zu den Beiklang einer nicht ganz ernst zu nehmenden Angelegenheit. Fast über Nacht hat sich das aber gründlich geändert. Insbesondere das Adjektiv "sozio logisch" wird, wie so manches Modewort, mit sozusagen allem und jedem zusam mengebracht. Gelegentlich wird geradezu erwartet, Soziologie werde die Antwort auf ungefähr alle Fragen erteilen, und wenn sie es dann nicht tut, so folgt Er nüchterung, die leicht zur völligen Ablehnung eben derselben Soziologie führen kann, der man sich mit solchen Erwartungen in die Arme geworfen hatte. Unter solchen Umständen ist Besinnung darüber am Platz, was denn von der Soziologie zu erhoffen ist und was nicht. Das aber macht hinwiederum eine Orientierung über ihr Eingebettetsein in das Gesamtgefüge der Wissenschaften und ihrer Spielarten erforderlich. Dabei beanspruchen die folgenden Ausführungen nicht, ein System der Erkenntnistheorie oder auch nur einen Ausschnitt aus einem solchen darzu stellen; sie wollen vielmehr nur genauer bestimmen, wo eine soziologische Arbeit im Gesamtgefüge der Wissenschaften steht, wie sie zustande kommt, was von ihr zu erwarten ist und was nicht. I I. Das Wesen empirischer Einzelwissenschaft Einzelwissenschaftliches Sich-V erhalten geht von folgenden Grundüberzeu gungen aus: Durch systematisches Sammeln und Kombinieren von empirisch ge wonnenem Material ist es möglich, Wissen zu gewinnen, über das man vor sol chem Tun nicht verfügte, und zwar Wissen einerseits über die Sonderheit von Einzelerscheinungen sowie andererseits über Charakterzüge; welche einer Sum me von Einzelgegebenheiten gemeinsam sind, sowie nicht zuletzt über den Faktor oder die Faktoren, welche Ursachen solchen Besondersseins beziehungsweise der artiger Gemeinsamkeiten sind. Einzelwissenschaft ist somit verschieden von jedem Zweige der Philosophie, einschließlich der Erkenntnistheorie. Letztere 4 Paul Honigsheim macht nämlich neben möglicherweise anderen Feststellungen jedenfalls auch Aus sagen über Wesen, Möglichkeiten und Grenzen von Einzelwissenschaften. Philo sophie geht nun in Gestalt einer solchen Erkenntnistheorie der jeweiligen Einzel wissenschaft vorauf, umgekehrt folgt sie unter Umständen in Gestalt eines ent sprechenden Zweiges der Philosophie, also beispielsweise in Form einer Philosophie der Musik, der betreffenden jeweiligen Spezialdisziplin nach1 • 2• Für unsere jetzige Fragestellung kommt nur jener erste Teil dieser These in Betracht, während der zweite Teil hier, wo es sich für uns nicht um Sozialphilosophie, sondern um Soziologie als Einzelwissenschaft handelt, nicht von Belang ist. Will man nun aber herausfinden, wo eine besondere unter den Spezialdisziplinen, in unserem Fall also Soziologie, innerhalb des Gesamtgefüges der Einzelwissenschaften ihren Ort hat, so ist zunächst ein Wort über die Gliederung der letzteren vorauszu schicken. I I I. Klassifikation empirischer Einzelwissenschaften Die empirischen Einzelwissenschaften können, unabhängig von anderen Klassi fikationsarten, die möglicherweise existieren, für die Belange dieses Artikels aber weniger relevant sind, den folgenden Gesichtspunkten entsprechend rubriziert werden. Sie seien einschließlich der Untersektionen der Übersicht halber hier zu nächst einfach aufgezählt, um danach detaillierter behandelt zu werden. Das Kriterium der Klassifikation kann sein: A) Das Forschungsobjekt; dann erhalten wir: I. Naturwissenschaften, 2. Nicht-Naturwissenschaften; B) Die Blickrichtung des Forschers auf: I. Die Einzigartigkeit der Einzelerscheinung, 2. Die Charakteristika, die einer Anzahl von Forschungsobjekten gemein sam sind; C) Die Intention, aus der heraus nach Erkenntnisgewinnung gestrebt wird; dann finden wir: 1. Theoretische Einzelwissenschaften, 2. Augewandte Einzelwissenschaften. Gehen wir diesen Arten von Einzelwissenschaften im speziellen nach: A) Das jeweilige Objekt der Forschung3• Hier finden wir: 1. Naturwissenschaften: Sie bewegen sich innerhalb von Sphären, in Hin sicht auf welche angenommen wird, es gebe innerhalb ihrer mehr oder minder erkennbare Gesetzmäßigkeit, letztere sei gegebenenfalls durch Umwandlung von Qualität in Quantität zahlenmäßig ausdrückbar, und dies zu tun, sei eben die eine unter möglicherweise mehreren Aufgaben der Naturwissenschaft. Objekt, Methode und wissenssystematische Stellung der Soziologie 5 2. Nicht-Naturwissenschaftliche Disziplinen, welche am adäquatesten als Kulturwissenschaften klassifiziert werden; sie bewegen sich innerhalb derjenigen Sphären, innerhalb derer, neben möglicherweise mehreren anderen konstitutiven Komponenten, auch der wollende Mensch als ~ine solche Komponente dasteht. Letzterer handelt nämlich neben anderem aus der Vorstellung heraus, es gehe für ihn eine gewisse Möglichkeit, zwischen mehr als einer Eventualität zu wählen und auf dieser seiner Wahl seine Aktion aufbauen zu können. Dadurch wird der Mensch ein Faktor im Geschehen und eine Ursache -unter möglicherweise mehreren anderen - von Veränderungen, die sich innerhalb der Sphären menschlicher Kultur abspielen. Dabei liegt der Akzent auf den Worten "eine - unter mög licherweise mehreren anderen". Hierbei ist auch schon auf den einen unter diversen Unterschieden hingewiesen, die zwischen der obigen Auffassung und der jenigen etlicher Existentialphilosophen bestehen, die, wie Kierkegaard Sartre und Jaspers sowie die geistesverwandten Heidegger und Tillich, neuerdings viel dis kutiert werden und denen wir imV erlauf dieser Erörterungen noch weiter begegnen werden4• Für mehrere Existentialisten ist nämlich der Einzelentscheid des wol lenden Menschen ein wesentliches Objekt des Interesses. Demgegenüber treten in ihrem System andere Faktoren unberechtigterweise zurück. Wenn hier soeben das Wort "Kultur" gehraucht wurde, so bezeichnet dieser Terminus in unserem Zu sammenhang folgendes: Die Summe aller Erscheinungen, welche durch das Mit wirken von Menschen mitverursacht sind, einschließlich der menschlichen Be zogenheits-und V ergrupptheitsweisen, nebst den V ergesellschaftungsgehilden, die mit den beiden letztgenannten zusammenhängen, d. h. also einschließlich der Objekte der Sozialwissenschaften als eines hesondel"en Zweiges der Kultur wissenschaften. B) Die jeweils prädominierende Blickrichtung des Forschers. Sein Blick kann gerichtet sein auf: 1. Die Einzigartigkeit der Einzelerscheinung6 nebst den Ursachen ihres Besondersseins; 2. Die Charakteristika, die einer Anzahl von Erscheinungen gemeinsam sind, nebst den möglicherweise existierenden und möglicherweise erkennbaren Gesetzmäßigkeiten, welche diesen Gemeinsamkeiten zugrunde liegen. C) Die jeweilig prädominierende Intention, aus der heraus nach Erkenntnis gewinnung gestrebt wird; hier lassen sich unterscheiden: 1. Theoretische Einzelwissenschaften mit der prädominierenden Zielsetzung einer Erkenntnis des Seienden, einschließlich der Faktoren, welche letzteres ver ursacht haben, soweit deren Erkenntnis möglich ist; 2. Angewandte Einzelwissenschaften mit dem Ziele der Erkenntnis der Mittel, welche zu verwenden sind, wenn man ein gesetztes Ziel, das heißt also ein Sein-Sollendes zu verwirklichen, oder sich ihm anzunähern beabsichtigt. 6 Paul Honigsheim Möglicherweise mag ein und dasselbe Individuum sich in mehr als einer unter den genannten Sphären betätigen. Das macht aber die obige begriffliche Schei dung nicht überflüssig, im Gegenteil, sie erleichtert es dem betreffenden Indivi duum, sich bewußt zu werden, innerhalb welcher unter den diversen in Frage kommenden Sphären es sich in jedem Augenblick bewegt, und wie es sich dem entsprechend zu verhalten habe. Als für unsere Zwecke weniger relevant sowie wegen der Unzuständigkeit des Verfassers müssen wir im folgenden Natur wissenschaften sowie möglicherweise existierende Übergangserscheinungen zwi schen ihnen und den Nicht-Naturwissenschaften, wie physikalische Geographie, physiologische Psychologie u. a. m. beiseite lassen und uns den Kulturwissen schaften ausschließlich zuwenden. IV. Klassifikation der Kulturwissenschaften Durch Kombination von Klassifikationskriterien, die soeben im zweiten Ab schnitt diskutiert wurden, erhalten wir folgendes Klassifikationsschema der Kulturwissenschaften, das hier der Übersicht wegen vorausgeschickt sei: A) Reine Kulturwissenschaften, und zwar solche: 1. Historischen Charakters ; 2. Systematischen Charakters; B) Angewandte Kulturwissenschaften. Gehen wir sie im einzelnen durch, dann finden wir: A) Theoretische Kulturwissenschaften mit der Zielsetzung der Erkenntnis des innerhalb dieser Sphäre vorfindbaren Seienden nebst der verursachenden Fak toren, und zwar: 1. Kulturwissenschaften historischen Charakters6 mit der Blickrichtung auf das jeweilige Besondere der historisch zustande gekommenen Gegebenheiten. 2. Kulturwiss(.nschaften systematischen Charakters mit der Blickrichtung auf das Charakteristikum oder die Charakteristika, die einer Anzahl von Er scheinungen gemeinsam sind, nebst der möglicherweise existierenden und mög licherweise erkennbaren Gesetzmäßigkeit, welche diesen Gemeinsamkeiten zu grunde liegt. B) Angewandte Kulturwissenschaften mit der Zielsetzung der Erkenntnis der Mittel, welche zu verwenden sind, wenn man ein gesetztes Ziel des Seinsollenden innerhalb der menschlichen Kultursphäre, aber außerhalb der Welt der Technik, welche nämlich in die Sphäre angewandter Naturwissenschaften fällt, zu ver wirklichen, respektive wenn man sich ihm anzunähern beabsichtigt. Jene Welt der Technik dagegen transzendiert nun in zweifacher Hinsicht in die Gefilde der Kul turwissenschaften hinein : Einmal insoweit, als sich der Mensch eventuell ent· schließt, durch Verwendung einzelner unter den verschiedenen Mitteln, welche Objekt, Methode und wissenssystematische Stellung der Soziologie 7 ihm die Technik anbietet, Zwecke kultureller, beispielsweise sozialer Art zu ver· wirklichen; zum andern, insofern als Technik vom Menschen verwandt wird und das zum Objekt der historischen und der systematischen Kulturwissenschaft wird, und zwar als Gegenstand eines Teils einer Geschichte hzw. Soziologie der Technik. Bevor wir nunmehr zur näheren Betrachtung der einzelnen Arten von Kultur· wissenschaften schreiten, seien hier die hislang erörterten Zusammenhänge, sowie gleichzeitig - unter Vorwegnahme - einige später näher zu erörternde Relationen durch ein Beispiel illustriert: Wenn Menschen Mineralien auf ihr Gewordensein hin erforschen, sind sie als Mineralogen theoretische N aturwissen· schaftler; wenn sie Eisen, dessen Eigenschaften erforscht worden sind, nach he stimmten Methoden für praktische Zwecke verwenden, dann bewegen sie sich als Ingenieure innerhalb der Gefilde der angewandten Naturwissenschaften. Die Tat· sache, daß etliche Menschengruppen Eisen nicht kennen oder nicht verwenden, andere dagegen wohl, und zwar diese letzteren wiederum in sehr verschiedenen Graden und Arten, gehört als Teil der Geschichte der Technik zu den historischen Kulturwissenschaften; die Frage, ob heim Zusammenwirken ähnlicher respek tive gleicher konstituierender Komponenten ähnliche beziehungsweise gleiche Verhaltensweisen der Menschen, was die Behandlung des Eisens betrifft, gezeitigt werden, gehört in die Sphäre der systematischen Kulturwissenschaften. Gehen wir nunm~_~!-~ut:.~!"~~(lrung der Kulturwissenschaften in ihren verschiedenen Gat· tungen über, so muß den historischen unter ihnen ein besonderer Raum gewährt werden. Die Kenntnis ihres Charakters ist nämlich für die Herauspräparierung des Wesens der Soziologie von besonderer Bedeutung. V. Reine Kulturwissenschaften historischer Natur In hezug auf sie interessieren uns: A) Forschungsohjekte, B) Einstellungsarten ihnen gegenüber und mit jenen zusammenhängende Verfahrensweisen, C) Ziele und D) Begrenztheiten. Schauen wir uns diese Aspekte im einzelnen an: A. Forschungsobjekte Es kommen sämtliche Phänomene menschlicher Kultur in der Einmaligkeit ihres jeweiligen So-Seins in Betracht nebst dem oder den Faktoren, welche das jeweilige So-Sein in seiner Einzigartigkeit verursacht haben. Diese Betrachtung ist unlimitiert in Hinsicht auf: 1. Epochen, 3. Kulturohjektivationen, 2. Völker, 4. Konstitutive Komponenten. 8 Paul Honigsheim Betrachten wir diese Punkte genauer. 1. Epochen: Sämtliche Epochen der Weltgeschichte kommen in Betracht. Das schließt ein: a) Die unrichtigerweise von der offiziellen deutschen Geschichtsschreibung als alleiniges Objekt der historischen Forschung angesehenen sogenannten geschicht lichen Epochen, d. h. diejenigen der Schriftkulturen und der Staaten. b) Die eigene Gegenwart des Forschers, wie insbesondere Howard Becke be tont7. Die letztgenannte stellt nämlich im Moment des Abschließens der For schung einen Teil der Vergangenheit dar und ist wie die meisten Abschnitte der letzteren möglicherweise in Veränderungsprozesse einbezogen. Dieser Aspekt wird uns bei der Erörterung der Funktion der Statistik erneut entgegentreten. c) Die sogenannten prähistorischen Epochen. Ihre Erforschung unterscheidet sich nämlich von derjenigen der Schriftkulturen weder durch andersartige Lage rung der Probleme noch durch anderweitige Methoden, sondern nur durch ver schieden geartetes Material und anders zu handhabende Techniken. In diesem Zusammenhang ist auch auf folgendes hinzuweisen: Tatsächlich ist die Gegen überstellung von schriftlosen und Schriftkulturen nur eine Hilfskonstruktion. Die Relation zwischen beiden ist vielmehr in der historischen Realität nicht so übergangslos, wie es zum Beispiel von Howard Becker8 angenommen wird; der Übergang ist vielmehr an mehreren Stellen in Altasien und im altindianischen Amerika erfaßbar. 2. Völker: Sämtliche Völker kommen in Frage. Das schließt dann wiederum dreierlei ein: a) Die traditionellen Objekte der Geschichtswissenschaft (dieser Terminus ein mal in dem herkömmlicherweise gebrauchten, aber unrichtigen Sinne verwandt) • . b) Die sogenannten Naturvölker. Dies sei hier, wie in mehreren früheren Publi kationen des Autors zum Unterschied von den meisten sogenannten süddeut schen Soziologen, insbesondere von Jellinek und Troeltsch, betont, während Max Weber in seinen späteren Schriften ebenso wie Howard Becker einen dem obigen verwandten Standort einnehmen9• Zwei Einwände insbesondere werden gegen diese Inkorporierung derjenigen Kulturen, die man sonst vielfach der Ethnologie zuwies, in den Objektbereich der Geschichtswissenschaft erhoben; nämlich zum ersten: jene Völker seien geschichtslos. Das ist aber unrichtig; denn sie sind in ihre späteren Sitze eingewandert, haben sich veränderten geographischen V erhält· nissen angepaßt, also Wandlungen durchgemacht, und demnach Geschichte ge habt. Zum andern: Viele unter jenen Kulturen waren auf die okzidentale Ge schichte ohne Einfluß. Dem ist aber zweierlei entgegenzuhalten: Zum ersten wird hierbei der okzidentalen Kultur, die möglicherweise nur eine Episode im Welt geschehen darstellt, eine Sonderstellung zugesprochen. Dies betont zum Beispiel Objekt, Methode und wissenssystematische Stellung der Soziologie 9 Troeltsch10, der überhaupt die Notwendigkeit der Gegenwartsbezogenheit der Objekte der geschicht1ichen Forschung stark unterstreicht. Das aber bedeutet ein - dem Historiker nicht erlaubtes - Wichtigernehmen der Gegenwart als anderer Epochen, und es widerspricht somit dem Postulat der Eliminierung sub jektiver Vorlieben, das die Wissenschaft aufrechtzuhalten hat. Zum zweiten aber mögen solche Kulturen, wie beispielsweise die schriftlose Inka-Zivilisation, eben wegen ihrer Nicht-Bezogenheit auf okzidentale Kultur Material bieten, mit dessen Hilfe auf dem Wege vergleichender und isolierender Forschung nach möglicher weise existierenden Parallelentwicklungen Umschau gehalten werden kann, wo von später noch in anderem Zusammenhang die Rede sein wird. Soviel aber kann jedenfalls hier schon gesagt werden: Ethnologie mag, soweit sie systematisierende Kulturwissenschaft ist, einen Zweig der Soziologie darstellen. Soweit sie aber eine Wissenschaft ist, die sich mit den Veränderungen befaßt, welche schriftlose Kul turen durchgehen, stellt sie einen Zweig der historischen Disziplinen dar. c) Zu den Forschungsgegenständen der historischen Kulturwissenschaften ge hören schließlich auch solche Völker, die zwar geographisch oder anthropologisch oder auch linguistisch in das Gesamtgefüge der okzidentalen Kultur eingekapselt, aber auf die Geschichte der letzteren einflußlos geblieben sind, wie beispielsweise die Arkadier11• Eben gerade aus dem angeführten Grunde wird von Howard Becker betont, ihre historische Erforschung sei unwesentlich. Dem ist aber dies entgegenzuhalten: Gerade die Tatsache, daß Arkadien verglichen mit anderen Distrikten Griechenlands weniger Veränderungen durchgemacht und kaum einen nennenswerten Einfluß auf die sonstigen Griechen ausgeübt hat, veranlaßt zu den Fragen: Sind die Isoliertheit und gegebenenfalls noch anderweitige Faktoren Ur sachen dieser Geringfügigkeit der Veränderungen und Ausstrahlungen gewesen ? Und werden nicht vielleicht die Faktoren, welche die besondere Geschichte son stiger hellenischer Distrikte verursacht haben, gerade durch solchen Vergleich noch eindeutiger erkennbar ? 3. Kulturobjektivationen: Das Objekt kulturwissenschaftlicher Einzel disziplinen historischen Charakters ist drittens auch in Hinsicht auf die Kultur objektivationen selbst unlimitiert. Phänomene, welche von bestimmten Wertungs standpunkten aus hoch eingeschätzt werden, nicht minder aber auch Dinge, die von andern Wertungsstandorten aus betrachtet scheinbar belanglos sind, ge hören hierher. So hat zum Beispiel das Studium der Pfeilbefiederung12 bei einigen Pygmäenvölkern und etlichen anderen schriftlosen Kulturen zu ganz neuen Problemstellungen beigetragen. Diese Erörterungen stehen nämlich mit am An fang der Diskussion über die Eventualität von Wanderungen nebst Beeinflussun gen zum Unterschied von der Möglichkeit parallel und unabhängig vor sich gehen der Veränderungen - eine Alternative, auf die wir noch in anderm Zusammen· hangunter V, A, 4 zu sprechen kommen werden.

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