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Über den Autismus PDF

52 Pages·1964·1.422 MB·German
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Die "Monographien aus dem Gesamtgebiete der Neurologie und Psychiatrie" stellen eme Sammlung solcher Arbeiten dar, die einen Einzelgegenstand dieses Gebietes in wissenschaftlich methodischer Weise behandeln. Jede Arbeit soll ein in sich abgeschlossenes Ganzes bilden. Diese Vorbedingung läßt die Aufnahme von Originalarbeiten, auch solchen größeren Um fanges, nicht zu. Die Sammlung möchte damit die Zeitschriften "Archiv für Psychiatrie und Nervenkrank heiten, vereinigt mit Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie", und "Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde" ergänzen. Sie wird deshalb Abonnenten zu einem Vorzugs preis geliefert. Manuskripte nehmen entgegen aus dem Gebiete der Psychiatrie: Prof. Dr. M. MÜLLER, Bern, BGlligenstraße 117 aus dem Gebiete der Anatomie: Prof. Dr. H. SPATZ, 6 Frankfurt (Main)-Niederrad, Deutschordenstraße 46 aus dem Gebiete der Neurologie: Prof. Dr. P. VOGEL, 69 Heidelberg, Voßstraße 2 Die Bezieher des "Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten, vereinigt mit der Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie", der "Deutsche Zeitschrift für Nervenheilkunde" und des "Zentralblatt für die gesamte Neurologie und Psychiatrie" erhalten die Monographien bei Bezug durch den Buchhandel zu einem gegenüber dem Ladenpreis um 10% ermäßigten Vorzugspreis MONOGRAPHIEN AUS DEM GESAMTGEBIETE DER NEUROLOGIE UND PSYCHIATRIE HEFT 104 HERAUSGEGEBEN VON M. MüLLER-BERN' H. SPATZ-FRANKFURT P. VOGEL-HEIDELBERG ÜBER DEN AUTISMUS VON HANS SCHNEIDER DR. MED. PRIVATDOZENT FüR PSYCHIATRIE AN DER UNIVERSITKT BERN SPRINGER-VERLAG· BERLIN . GöTTINGEN . HEIDELBERG· 1964 ISBN 978-3-540-03190-1 ISBN 978-3-642-88541-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-642-88541-9 Alle Rechte, insbesondere das der übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) oder auf andere Art zu vervielfältigen © by Springer-Verlag Berlin • Göttingen • Heidelberg 1964 Library of Congress Catalog Card Number 64-23315 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Marken schutz· Gesetzgebung als frei Zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften Titel-Nr. 6436 INHALTSVERZEICHNIS Seite Vorbemerkungen . . • . . . . . . . . . . . • . 1 1. Geschichte und Diskussion des Begriffs Autismus 2 1. Psychopathologie. . . . . . . . . 2 2. Der phänomenologische Ansatz. . . 11 3. Der Autismus in der Daseinsanalyse 12 H. Drei Krankengeschichten . 14 1. Der Fall Maria Bader. 14 a) Lebensgeschichte . . 14 b) Vorn Inhalt der Psychose 16 c) Die Welt der Maria Bader 18 d) Zur Frage des Autismus bei Maria Bader 22 2. Der Fall Franz Eger . . . . . . . . . . 29 a) Lebensgeschichte . . . . . . . . . . • 29 b) Die Ungestalt der Welt bei Franz Eger . 32 c) Zur Frage des Autismus bei Franz Eger . 34 3. Der Fall Xaver Imweg . . . . . . . . • 39 a) Lebensgeschichte . . . . . . . . . . . 39 b) Zur Frage des Autismus bei Xaver Imweg 41 IH. Schlußbetrachtungen 43 Literatur 45 Vorbemerkungen In seinen Untersuchungen über "die Gruppe der Schizophrenien" prägte EUGEN BLEULER im Jahre 1911 den Begriff Autismus, der sich rasch in der Sprache der Psychiatrie einbürgerte. Als "Loslösung von der Wirklichkeit, zusammen mit dem rela tiven oder absoluten überwiegen des Binnenlebens", wie EUGEN BLEULER ihn beschrieb, diente der Autismus bald zur Bezeichnung aller möglichen Formen der "Kontakt schwäche" und "Kontaktgestörtheit", wodurch einer willkürlichen Verwendung des Begriffs Tür und Tor geöffnet waren. Aufgrund seiner Konzeption an der Schizo phrenie zog der Autismus solche Kontaktstörungen auch nosologisch in deren Nähe, weshalb seine Geschichte eine Kette von Widersprüchen bildet. Der Autismus wurde wahllos entweder als psychopathologisches Symptom oder in soziologischem Sinn, meistens freilich in überhaupt nicht geklärter Weise verwendet. Daran hat sich bis heute trotz vieler Bemühungen nichts geändert. Einerseits mag deshalb der ,Versuch einer Abklärung des Begriffs gerechtfertigt erscheinen, doch anderseits darf die Gefahr nicht übersehen werden, jener Kette von Widersprüchen nur ein weiteres Glied anzu hängen. In erster Linie verlangt der Standort, von dem aus unsere Untersuchung ihren Gang antreten soll, eine nähere Bestimmung. Der historische überblick wird uns zei gen, daß die Anstrengungen der psychopathologischen Forschung kaum über EUGEN BLEULER hinausführten. Wir dürfen vermuten, sie sei hierzu auch gar nicht imstande. Erst LUDWIG BINSWANGER vermochte in seinem daseins analytischen Werk grundsätz lich neues Licht auf das alte Problem zu werfen, indem er das "schizophrene Kardinal symptom" des Autismus als Ausdruck der psychotischen Seinsweise herausarbeitete. Freilich stehen wir vor der nicht zu bestreitenden Tatsache, daß nur eine kleine Schar Psychiater daseinsanalytisch zu arbeiten imstande ist, trotz der grundsätzlichen Lern und Lehrbarkeit der Daseinsanalyse, wie sie ROLAND KUHN betont. So erwachsen unserem Vorhaben Schwierigkeiten. Jeder Versuch, noch einmal im Rahmen der Psychopathologie über den Autismus sprechen zu wollen, wäre sinnlos, doch erheben wir auch nicht den Anspruch, Daseinsanalyse zu betreiben. Indes wollen wir deren neue Möglichkeiten psychiatrischer Erfahrung benutzen. Es mag sein, daß wir dadurch eine nicht ungefährliche Stellung beziehen und uns den Vorwürfen bei der Seiten aus setzen. Dem Psychopathologen wird spekulativ erscheinen, was der Daseinsanalytiker als methodisch unrein rügen wird. Dieser Gefahr bewußt, halten wir uns nach allen Seiten offen, nicht in der Meinung, "den" Autismus nunmehr zu verstehen, sondern bloß hoffend, auf dem Weg zu seinem Verständnis einen kleinen Schritt weiter zu kommen. Eine neue statistische Arbeit aus der Universitäts-Nervenklinik Tübingen vermit telt die Ergebnisse einer Umfrage bei westdeutschen Psychiatern, wonach in einem hohen Prozentsatz die Diagnose Schizophrenie auf Grund des "kaum verbal faßbaren" Praecoxgefühls im Sinne von RÜMKE gestellt wird (G. IRLE). Das Praecoxgefühl be sitzt enge Beziehungen zum Autismus, weshalb es auch für die Klinik von einiger Bedeutung ist, eine Abklärung des Begriffs wenigstens zu versuchen. Schneider, Autismus 1 2 Geschichte und Diskussion des Begriffs Autismus J. Geschichte und Diskussion des Begriffs Autismus 1. Psychopathologie Lange vor EUGEN BLEULER sprachen große französische Psychologen wie JANET, PELLETIER u. a. von der "perte de la fonction du reel", der "perte du sens de la realite", die sie bei ihren Kranken beobachten konnten. Mit diesen Bezeichnungen, meinte BLEULER, wurde von der negativen Seite her ein ähnlicher Sachverhalt ins Auge gefaßt, wie er ihn positiv als "Loslösung von der Wirklichkeit, zusammen mit dem relativen oder absoluten überwiegen des Binnenlebens" im Autismus verstanden haben wollte. Er fand die Ausdrücke der Franzosen - die MINKOWSKI später aufgriff und ohne weiteres dem Autismus gleichsetzte - zu allgemein gehalten. Der Wirklich keitssinn fehle dem Schizophrenen nicht gänzlich, sondern versage nur für diejenigen Dinge, die sich in Widerspruch zu seinen Komplexen stellen: "Die autistische Welt ist für die Kranken ebenso gut Wirklichkeit wie die reale, wenn auch manchmal eine andere Art Wirklichkeit. Oft können sie beide Arten von Wirklichkeit nicht auseinanderhalten, sogar wenn sie im Prinzip unterscheiden. Der Wirklichkeitswert der auti stischen Welt kann auch ein größerer sein als der der Realität, die Kranken halten dann ihre Phantasien für das Reale, die Wirklichkeit für etwas Vorgetäuschtes. Vollständiger Absdlluß gegen die Außenwelt nur in den höchsten Graden von Stupor." "Den Inhalt des autistischen Denkens bilden Wünsche und Befürchtungen. Das autistische Denken hat seine besonderen Gesetze: Der Autismus benützt allerdings die gewöhnlichen logischen Zusammenhänge, soweit es ihm paßt, ist aber durchaus nicht daran gebunden. Er wird von affektiven Bedingungen dirigiert. Daneben denkt er in Symbolen, in Analogien, in unvollständigen Begriffen, in zufälligen Verbindungen. Wir haben also ein realistisches und ein autistisches Denken zu unterscheiden, und zwar beim gleichen Patienten nebeneinander. Der Autismus ist eine direkte Folge der schizophrenen Spaltung der Psyche. Der Gesunde hat die Tendenz, bei logischen Operationen alles hinzugehörige Material ohne Rü<ksicht auf dessen affektive Wertigkeit herbeizuziehen. Bei der schizophrenen Lo<kerung der Logik dagegen fin det ein Ausschluß aller einem gefühlsbetonten Komplex widerstrebender Assoziationen statt. So bleibt der autistische Gedankeninhalt unkorrigierbar und bekommt für den Kranken vollen Realitätswert, während der subjektive Realitätswert der Wirklichkeit auf Null herabsinken kann." Diese Sätze aus der Monographie EUGEN BLEULERS über die Gruppe der Schizo phrenien verraten den assoziationspsychologischen Grund, dem sie erwuchsen. Wen dungen wie "der Autismus benützt, soweit es ihm paßt ..." gehören einer vergangenen Zeit an, da es stets der Mensch ist, der denkt und handelt, der etwas benützt und dem etwas paßt, und nicht eine in ihm selbstherrlich waltende Kraft, heiße sie "Komplex" oder "Autismus". Die naturwissenschaftliche Sprache wird dem Gegenstand ihrer Be trachtung nicht gerecht, wenn dieser Gegenstand, wie der Mensch, mehr ist als bloße Natur. Der Autismus, der den ganzen Menschen und nicht nur seine biologische Seite betrifft, kann deshalb mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht verstanden werden. Der Satz EUGEN BLEULERS, daß "der Autismus eine direkte Folge der schizophrenen Spaltung der Psyche" sei, scheint bedeutsam, weil nur wenig später BLEULER selber mit Nachdruck auf das autistische Erleben auch des Gesunden hingewiesen hat: "Vom Traum des Jungen, der auf dem Steckenpferd General spielt, durch den Dichter, der im Kunstwerk seine unglü<klidle Liebe abreagiert oder in eine glü<kliche verwandelt, bis zum dämmrigen Hysterischen und zum Schizophrenen, der halluzinatorisch seine unmöglichsten Wünsche erfüllt sieht, gibt es alle übergänge auf einer Skala, die im wesentlichen nur quanti tative Unterschiede zeigt. Es gibt ein Denken, das unabhängig ist von logischen Regeln und Psychopathologie 3 an deren Statt durch affektive Bedürfnisse dirigiert wird (autistisches Denken). Es kommt am ausgesprochensten in der Dementia praecox und im Traum vor, dann in Mythologie und Aberglauben und den Tagträumen der Hysterischen und der Gesunden, und in der Poesie. Auch alle echte Kunst wurzelt im Autismus." EUGEN BLEULER sah demnam im autistismen Verhalten eine allgemein mensmlime Eigensmaft, die in der smizophrenen Lockerung der Logik nur besonders deutlim hervortritt. Der Autismus entspringt bei ihm dem katathymen Erleben, das sowohl beim Gesunden, beim spielenden Kind, beim Künstler, Träumer und Hysteriker, als aum bei Smizophrenen vorkommen kann. Dadurm wurde die Türe geöffnet, den Autismus als Sammelbegriff zu verstehen, in welmem grundversmiedene Daseins weisen ihren Platz fanden. Als Kriterium diente bald einmal das äußere soziale Ver halten. Wer nimt in der Gemeinsmaft lebt, hat sim von der"W irklimkeit" losgelöst und steht unter der Herrsmaft seines "Binnenlebens" . Ohne Abklärung dessen, was "Wirklimkeit" und "Binnenleben" im einzelnen Fall bedeuten, war es unvermeidlim, daß unter Autismus alles Möglime verstanden werden konnte. Die ungünstigen Aus wirkungen einer derart weiten Fassung im klinischen Spramgebraum liegen auf der Hand. Jeder konnte nam Belieben einen Eigenbrötler oder Einsamen, einen moralism Defekten oder Träumer, einen Künstler oder Smizophrenen autistism heißen. Oft fehlte die Einsimt in die tiefen Versmiedenheiten dieser Mensmen, und man umsmlang sie gemeinsam mit dem Bande der Smizoidie oder gar Smizophrenie. EUGEN BLEULER erkannte, daß eine solme Verwendung des Autismus zu Mißverständnissen führte. Er versumte dieser Entwicklung durm Einführung seines Begriffs des "dereierenden Denkens" Einhalt zu gebieten, in der Erkenntnis, daß katathymes Denken nimt ohne weiteres Kontaktlosigkeit bedeutet. Dom der neue Ausdruck fand wenig Anklang. Autismus und autistismes Denken hatten sim bereits eingebürgert und wurden im allgemeinen gar nimt als der Diskussion bedürftig eramtet. Die Auffassung des Autismus zur Bezeimnung aller möglimen Formen sozialer Anpassungsstörungen führt zu Schwierigkeiten, wie am Beispiel des autistismen Den kens gezeigt werden soll. Dieses Denken kommt nam EUGEN BLEULER am reinsten beim Schizophrenen vor. Es äußert sim im Sprechen, Smreiben und Handeln, die in einer innigen Beziehung zum Denken stehen. BLEULER selber erklärte, man könne aum in Worten autistism denken. über das smizophrene Denken ist viel gesmrieben worden, dom genügt es hier, FROSTIG zu erwähnen, der in einer phänomenologischen Studie dem Problem der widersinnigen Sätze namgegangen ist. Für diese hat er das Unvermögen der Aktuali sierung kollektiver Strukturen herausgearbeitet. Die smizophrenen Aussagen beziehen sim nimt auf Gegenstände, die von einer Kollektivität (z. B. abendländisme Mensm heit), aus der der Kranke stammt, meinend verstanden und namvollzogen werden können. Die Worte haben ihre allgemeingültige (kollektive) Bedeutung verloren und bedeuten etwas anderes. Dies untersmeidet die smizophren sinnlose Rede von der Sinnlosigkeit oder vom Widersinn, den aum der Gesunde produzieren kann, da hier die Intention auf das Gemeinte nom. möglim ist und die Ablehnung in einem weiteren urteilenden Denkakt erfolgt. Die kollektiven Strukturen sind getragen von den bestimmten Wortbedeutungen. Ein Haus ist ein Haus, nämlim das so und so gebaute, zum Wohnen bestimmte Ding mit Mauern, Dam und Fenstern. Jeder versteht, was unter Haus gemeint ist, dom für den Schizophrenen bedeutet das Wort Haus vielleimt etwas ganz anderes. 1* 4 GesdJ.idJte und Diskussion des Begriffs Autismus Kollektive Strukturen gibt es nicht nur im Gebiet des Denkens und Sprechens, sondern auch im Handeln und Werten, in der praktischen und sittlichen Sphäre. "Man" weiß, was recht ist, "man" tut dies und jenes nicht, "man" hat diese oder jene Meinung. Diese Kollektivstrukturen regeln unser alltägliches Leben. Man lebt ihnen gemäß oder mißachtet sie. Wer das letztere tut, kann leicht als Sonderling, Querulant oder Autist bezeichnet werden. Manche hervorragende Tat mißachtet aber die her kömmlichen Normen und läuft deshalb Gefahr, analog dem Mißachten der herkömm lichen Wortbedeutungen als Folge eines autistischen Denkens zu gelten. Anläßlich der Hinrichtung von Sacco und Vanzetti in Amerika - MINKOWSKI berichtet über diesen Fall als typisch autistische Handlung - ging ein junger Mann und legte persönlich einen Beschwerdebrief dem amerikanischen Botschafter in Paris vor. Von hier ist es nur ein Schritt zu Wilhelm Tell, der dem Hute Geßlers den Gruß verweigerte. Beide Taten, die Niederlegung des Briefes und die Verweigerung des Grußes, können autistische Handlungen sein, doch nur die Kenntnis der Persönlichkeit des Täters und seiner Beweggründe wird ein Urteil darüber gestatten. Wer aus sittlicher, religiöser oder wissenschaftlicher überzeugung eine Handlung begeht, die dem Herkömmlichen widerspricht, braucht keineswegs autistisch zu denken. Auch wer aus einer bloßen Laune heraus die gültigen Normen mißachtet, ist noch kein Autist. Die hier etwas weit gefaßte Verwendung der Kollektivstrukturen FROSTIGS mag zeigen, daß nicht alles, was aus dem Rahmen fällt, von gleicher Art zu sein braucht. Freilich wissen wir damit noch nicht, was Autismus und besonders schizophrener Autismus eigentlich heißt. Zudem führt der Begriff des autistischen Denkens zu weite ren Schwierigkeiten. Man sollte meinen, beim Autisten finde sich autistisches, beim weltzugewandten Menschen dagegen realitätsangepaßtes Denken. Realitätsangepaßtes Denken kann aber nichts anderes heißen, als ein Denken, das den gedachten Gegen stand möglichst rein erfaßt. Dieser Forderung kommt wohl das mathematische Denken am nächsten. Im Vollzug mathematischer Operationen, als einem dem Denkgegenstand optimal angepaßten Denken, wo trieb- und wunschbedingte Einflüsse weitgehend aus geschaltet sind, kann aber eine "Loslösung von der Wirklichkeit" stattfinden, die als autistisch zu bezeichnen wäre. Anderseits vermag ein "nach außen" gekehrter Mensch, den niemand autistisch heißen würde, Gedanken zu haben, die ihre Herkunft Wün schen und Befürchtungen verdanken, ohne daß sich der Betreffende Rechenschaft dar über gibt. Es sei nur an die Rolle des Aberglaubens erinnert. Wenn auf diese Weise von autistischem Denken bei einem nicht autistischen Menschen, und von einem nicht autistischen Denken bei einem Autisten gesprochen wird, verlieren wir jede Möglich keit, den Begriff Autismus klarer zu erfassen. Die verhältnismäßig wenigen Arbeiten, die sich nach EUGEN BLEULER ausdrücklich mit dem Autismus beschäftigen, widerspiegeln deutlich diese Unbestimmtheit. Er wurde meist "gefühlsmäßig" verstanden, und niemand vermochte genau zu sagen, was eigent lich Autismus ist, obwohl ein anschauliches Wissen über den damit gemeinten Sachver halt vorhanden war. Als KRETSCHMER mit der Schizoidie und Schizothymie die schizophrenen Form merkmale in die Bereiche des Psychopathischen und Gesunden vorschob, kam der weit gefaßte Autismus BLEULERS seinen Intentionen entgegen und wurde zu einem der wichtigsten schizoiden Temperamentssymptome. KRETSCHMER schreibt: "Viele schizoide Menschen sind wie kahle römische Häuser, Villen, die ihre Läden vor der grellen Sonne geschlossen haben, in ihrem gedämpften Innenlicht aber werden Feste gefeiert. Psydtopathologie 5 Autismus nennt es BLEuLER, das In-sidt-hinein-Ieben. Die häufigsten sdtizoiden Charakter eigenschaften, ungesellig, still, zurückhaltend, ernsthaft (humorlos), Sonderling, die sidt wie ein roter Faden durch die sdtizoide Gesamtdtarakterologie hindurdtziehen, drücken hauptsädt lidt das aus, was BLEULER als Autismus bezeidtnet. Die meisten Sdtizoiden sind nicht entweder überempfindlich oder kühl, sondern überempfindlidt und kühl zugleich." Dieses Mismungsverhältnis, in dem beim einzelnen Smizoiden die hyperaestheti smen mit den anaesthetismen Elementen der smizoiden Temperamentskala sim über smimten, nennt KRETSCHMER bekanntlim die psymaesthetisme Proportion. Danam soll sim der Autismus als smizoides Temperamentssymptom wesentlim nam der psymaesthetismen Skala des einzelnen Smizoiden schattieren: "Es gibt Fälle, wo der Autismus ganz vorwiegend ein überempfindlidtkeitssymptom ist. Soldte überreizbare Sdtizoide empfinden all die lauten, kräftigen Farben und Töne des realen Lebens. Ihr Autismus ist ein sdtmerzhaftes Sich-in-sidt-selbst-zusammenkrampfen. Sie führen ein "tatenarmes und gedankenvolles" (Hölderlin) Traumleben. Der Autismus der vorwiegen den Anästhetiker dagegen ist einfach Gemütslosigkeit, Mangel an affektiver Resonanz für die Umwelt. Der Autismus der meisten Sdtizoiden und Schizophrenen aber ist aus beiden Tem peramentsanteilen in den versdtiedensten Proportionen gemischt, es ist Indolenz mit einem Stidt von Angstlidtkeit und Feindseligkeit, es ist oft in einem Atemzug Kälte und zugleidt flehentliches in Ruhe-gelassen-sein-wollen. Krampf und Lähmung in einem Bild." KRETSCHMER führt das "scheinbar so komplexe kardinale Persönlichkeitsmerkmal des Autismus von zwei Seiten her auf elementare Grundfaktoren zurück". Die eine ist die affektive, die psychaesthetische Proportion, das aus Oberverletzbarkeit und par tieller Stumpfheit zusammen sich ergebende negative Gefühlsverhältnis zur Außen welt. Die andere Seite des Autismus liegt auf denkpsychologischem Gebiet, in dem, was KRETSCHMER als Spaltungsfähigkeit experimentell untersuchte. Durch diese Spal tungsfähigkeit, die von allem, was nimt in das katathyme Eigenleben hineinpaßt, abstrahiert, werde der Autismus, die Ablösung von der konkreten Wirklichkeit, beim Schizothymen begünstigt. Psychaesthetische Proportion und Spaltungsfähigkeit bauen nach KRETSCHMER gemeinsam als ineinandergreifende Elementarfaktoren den Autis mus auf. Die rasch einsetzende Kritik an der Lehre KRETSCHMERS richtete sich zwar vor wiegend gegen die später allgemein als gesichert geltende Typologie (WILMANNS, BERZE, EWALD, BUMKE u. a.), doch behalten die Ausführungen von J. LANGE hinsimt lich des Autismus ihre Gültigkeit. KRETSCHMER führe in dieser Beziehung kaum über BLEULER hinaus. Durch den "schiefen Ansatz der psychaesthetischen Proportion", so meint LANGE, wird in den "verschwimmenden Begriff des Autismus", der "in allen Farben schillere, sehr vieles und verschiedenes hineingepreßt: Das Hineinleben in sich selbst, das Fehlen der natürlichen syntonen Resonanzfähigkeit, die reizbare Gemüt losigkeit, die Gemütskälte und Gemütsstumpfheit, der Mangel an sichtbarem Ausdruck und anderes mehr". Im Grunde scheine alles darunter zusammengefaßt, was einem Erkalten der Beziehungen zur Außenwelt ähnlich sehe, möge es nun tatsächlich oder nur vorgetäuscht, oder selbst einmal nach außen verborgen, oder aum durm einen "Defekt des Untersumers" bedingt sein. Solche Stimmen verhallten neben dem gewaltigen Erfolg, der KRETSCHMER und seiner Lehre besmieden war. Seine Ausführungen über den Autismus rückten diesen vielerorts mit einem Smlag in den Brennpunkt der smizoiden und smizophrenen Symptomatik. Für E. KAHN wurde er zum "psymopathologismen Kern des Smizoids", von dem aus die psychaesthetisme Proportion erst ihre eigenartige Tönung erhalte,

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