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Über das Vorkommen von Oedipoda germanica (Latreille, 1804) und Calliptamus italicus (Linnaeus, 1758) im Landkreis Bad Kissingen PDF

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ARTICULATA 2019 34: 109–126 FAUNISTIK Über das Vorkommen von Oedipoda germanica (LATREILLE, 1804) und Calliptamus italicus (LINNAEUS, 1758) im Landkreis Bad Kissingen Matthias Franz & Martin Döring Abstract To gain a better overview of the current stock situation in the northern Bavarian district Bad Kissingen the occurrence and population sizes of the highly threatened grasshopper species Oedipoda germanica and Calliptamus italicus were exam- ined. Almost all former localities as well as many other potentially suitable places were visited. In total, 29 areas were recorded in August and September 2017. O. germanica was found in 12 areas, also some new habitats could be discovered. C. italicus was found only in 4 examined areas in the district. In all confirmed loca- tions of O. germanica the vegetation cover on the ground, exposure and angle of the slope were measured as additional parameters to quantify their influence on the occurrence of this species. Population sizes were calculated using various methods – such as Recapture method, transect detection, Absolutzählung and ex- trapolations. The confirmed number of individuals for the district was positive in both species, which in 2017 was significantly higher than one could expect from the previous records. For O. germanica 479–1344 individuals were calculated (depending on the method), for C. italicus 411–561 individuals. Zusammenfassung Um einen besseren Überblick über die aktuelle Bestandssituation im nordbayeri- schen Landkreis Bad Kissingen zu bekommen, wurden Vorkommen und Popula- tionsgrößen der stark gefährdeten Heuschreckenarten Rotflügelige Ödlandschre- cke (Oedipoda germanica) und Italienische Schönschrecke (Calliptamus italicus) im nordbayerischen Landkreis Bad Kissingen untersucht. Nahezu alle ehemaligen Fundorte sowie viele weitere, geeignet scheinende Plätze, wurden dabei began- gen. Insgesamt wurden im August und September 2017 29 Gebiete erfasst. O. germanica wurde in 12 Gebieten entdeckt, auch einige neue Vorkommen konn- ten gefunden werden. C. italicus fand sich lediglich in vier untersuchten Gebieten im Landkreis. An allen Fundorten von O. germanica wurden die Vegetations- deckung am Boden, Exposition und Hangneigung als zusätzliche Parameter erho- ben, um deren Einfluss auf das Vorkommen der Art zu quantifizieren. Die Popula- tionsgrößen wurden mit verschiedenen Methoden – wie Fang-Wiederfang, Tran- sekterfassung, Absolutzählung und Hochrechnungen – berechnet. Erfreulich ist bei beiden Arten die ermittelte Individuenzahl für den Landkreis, die im Jahr 2017 deutlich höher lag, als man es aus den bisherigen Aufzeichnungen vermuten konnte. Für die Rotflügelige Ödlandschrecke lag sie bei (je nach Methode) berech- neten 479–1344 Individuen, für die Italienische Schönschrecke bei 411–561 Indi- viduen. ARTICULATA 34 [30.11.2019] 109 Einleitung Oedipoda germanica (Rotflügelige Ödlandschrecke) und Calliptamus italicus (Italienische Schönschrecke) aus der Unterordnung der Caelifera (Kurzfühler- schrecken) und der Familie der Acrididae (Feldheuschrecken) zählen zu den xe- rothermophilen Arten, das heißt, dass sie extrem wärmeliebende Arten und damit Bewohner warmer und trockener Lebensräume sind. In Unterfranken – dem wärmsten und trockensten Regierungsbezirk in Bayern – hat man die besten Chancen im Bundesland auf diese äußerst seltenen Heuschrecken zu stoßen. Daraus folgt gleichzeitig eine große Verantwortung für den Schutz dieser Arten. Auch im Landkreis Bad Kissingen im nördlichen Unterfranken sind geeignete Le- bensräume für Oedipoda germanica und Calliptamus italicus und Nachweise bei- der Arten vorhanden, jedoch vor allem aus dem vergangenen Jahrhundert. Vom vermutlich ehemals geschlossenen Verbreitungsgebiet der Rotflügeligen Ödland- schrecke, das wohl weite Teile des nordwestlichen Bayerns und des Taubertals im nördlichen Baden-Württemberg umfasste, sind heute nur noch wenige isolierte und individuenarme Restpopulationen in Unterfranken und im Taubertal bekannt, wobei die Bestandssituation bei der Italienischen Schönschrecke noch ungünsti- ger ist (HEß & RITSCHEL-KANDEL 1989b in SCHLUMPRECHT & WAEBER 2003). Aktuell ist nicht viel über die derzeitige Bestandssituation und die Populationsgrö- ßen dieser beiden Arten im Landkreis Bad Kissingen bekannt, und das obwohl die Italienische Schönschrecke in Bayern auf der Roten Liste mit Status 1 (vom Aus- sterben bedroht) und die Rotflügelige Ödlandschrecke mit Status 2 (stark gefähr- det) geführt wird. Sowohl O. germanica als auch C. italicus sind hochgradig ge- fährdete Seltenheiten, die charakteristisch für die – auch in Unterfranken – deutlich im Rückgang begriffenen Kalkmagerrasen sind (SCHLUMPRECHT & WAEBER 2003). Mit dem Hintergrund, dass sowohl O. germanica als auch C. italicus repräsentative Arten der unterfränkischen Trockenstandorte sind und mit ihnen oftmals eine ganze Reihe weiterer hochgradig gefährdeter Tier- und Pflanzenarten wie Tibicen haematodes (Blutrote Singzikade), Lullula arborea (Heidelerche), Emberiza cia (Zippammer) und Trinia glauca (Blaugrüner Faserschirm) vorkommen (RITSCHEL- KANDEL et al. 1991), ist eine Erfassung der Bestände dieser beiden Arten längst überfällig. Beide Arten lassen sich aufgrund ihrer Stenökie als regionale Indikator- arten ihrer Habitate nutzen, sie können als Leitarten zur Bewertung ihrer Lebens- räume herangezogen werden (HEß & RITSCHEL-KANDEL 1989a). Ziel dieser Arbeit ist es, einen weitgehend vollständigen Überblick über die Be- standssituation und die Populationsgrößen von O. germanica und C. italicus im unterfränkischen Landkreis Bad Kissingen für das Jahr 2017 zu geben. Außerdem wurde der Einfluss von Parametern wie Hangneigung, Exposition und Vegetati- onsdecke auf das Vorkommen und die Populationsgrößen von Rotflügeliger Öd- landschrecke und Italienischer Schönschrecke näher untersucht. Die Untersu- chung erfolgte im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Hochschule Weihenste- phan-Triesdorf. 110 [30.11.2019] ARTICULATA 34 Untersuchungsgebiet Der Landkreis Bad Kissingen ist mit einer Fläche von ca. 1.100 km² der zweit- größte in Unterfranken. Er hat Anteil an 16 Naturschutzgebieten, 2 Landschafts- schutzgebieten und 17 FFH-Gebieten, sowie am Naturpark und Biosphärenreser- vat Rhön (Bayerisches Landesamt für Umwelt 2017a & 2017b, BfN 2019, Land- kreis bad Kissingen, o. D.). Der Landkreis Bad Kissingen hat, entsprechend der vom Zentralausschuss für deutsche Landeskunde vorgenommenen feineren Untergliederung Bayerns in insgesamt 96 Naturräume, Anteil an acht sehr unter- schiedlichen Naturräumen (BUSCHE 1996, MEYNEN & SCHMITHÜSEN 1953-1967 in SCHLUMPRECHT & WAEBER 2003): Im äußersten Norden hat der Landkreis Anteil an den Naturräumen Vorder- und Kuppenrhön sowie Lange Rhön. Der Naturraum Südrhön nimmt einen großen Teil des Landkreises ein. Der südliche und südöstli- che Teil des Landkreises gehört zum Naturraum Wern-Lauer-Platte und ein kleiner Teil im Osten zu den Ausläufern des Grabfeldes (SCHLUMPRECHT & WAEBER 2003). Die übrigen Naturräume Hesselbacher Waldland, Schweinfurter Becken und Sandsteinspessart machen jeweils nur knapp 1% oder weniger des Landkreises aus und werden deshalb an dieser Stelle vernachlässigt (Bund Naturschutz, Kreis- gruppe Bad Kissingen, o. D.). In den Naturräumen Vorder- und Kuppenrhön und Lange Rhön gibt es aufgrund der klimatischen Verhältnisse keine geeigneten Flächen für O. germanica und C. italicus. Allgemein lässt sich sagen, dass der Norden des Landkreises sehr vom Mittelgebirge Rhön geprägt ist. Charakteristisch sind Niederschlagsmengen von über 1000 mm pro Jahr, eine relativ niedrige Jahresdurchschnittstemperatur von 5–6 °C und meist 60–80 Schneetage pro Jahr. Obwohl der Osten schon zum sub- kontinentalen Klimabereich gehört und einige Gebiete sogar zu den trockensten in ganz Bayern gehören (DIEZ et al. 1997), finden sich auch hier keine geeigneten Flächen für die beiden untersuchten Arten. Auf den Muschelkalkflächen der Wern-Lauer-Platte finden sich einige für O. ger- manica geeignete Lebensräume, der Naturraum Südrhön jedoch bietet für beide Kurzfühlerschrecken die besten Flächen. Vor allem im tief gelegenen Saaletal um Hammelburg (tiefster Punkt des Landkreises bei Morlesau, 170 m ü.NN), an den Ausläufern der Südrhön, zeigt sich der Einfluss der von Nordost nach Südwest verlaufenden Rhön als Barriere gegen die vorherrschenden westlichen Witte- rungseinflüsse (DIEZ et al. 1997). Mit seinen heißen, trockenen Sommern und den meist milden, schneearmen Wintern hat das Saaletal, obwohl es noch zum Natur- raum Südrhön zählt, klimatisch sehr wenig mit einem Mittelgebirge gemeinsam, was den Ansprüchen der beiden Arten entgegenzukommen scheint. Auswahl der Untersuchungsflächen Um einen ersten Überblick über geeignete Gebiete zu bekommen, wurden vorwie- gend zwei Instrumente genutzt: zum einen die Daten der Bayerischen Arten- schutzkartierung (ASK-Punkte) des Landesamts für Umwelt (LfU) im Geoinforma- tionsdienst FIN-View (Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbrau- cherschutz (StMUV und Projektleitung: Dr. Rolf Helfrich)) und zum anderen die ARTICULATA 34 [30.11.2019] 111 Hinweise der Fachkräfte der Unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt Bad Kissingen. Außer ASK-Punkten, Daten aus der Biotopkartierung und mündlichen Mitteilungen wurden auch Literaturangaben bei der Auswahl der Gebiete berück- sichtigt. Ziel der vorliegenden Arbeit war es, alle Gebiete, in denen schon einmal O. germanica oder C. italicus nachgewiesen wurden, hinsichtlich aktueller Vor- kommen zu überprüfen. Zugleich sollten weitere geeignet erscheinende Lebens- räume, aus denen bisher keine Nachweise vorlagen, untersucht werden, um ge- gebenenfalls neue Vorkommen zu entdecken. Gebiete, aus denen noch keine Nachweise vorliegen, wurden nach subjektiven Kriterien ausgewählt. Hierbei spiel- ten verschiedene Faktoren eine Rolle: Mündliche Hinweise von Gebiets- und Heuschreckenkennern wurden berücksich- tigt, ebenso wie verschiedene weitere Kriterien, beispielsweise Habitateignung an- hand des Luftbilds, räumliche Nähe zu Gebieten mit früheren Nachweisen, Nut- zungsform, klimatische und naturräumliche Verhältnisse, Geologie, Vegetations- deckung und Nachweise der nah mit O. germanica verwandten Art O. caerules- cens. Für die Haupterfassung im August und September 2017 blieben 29 Gebiete übrig (Abb. 1), womit der Großteil der geeigneten Gebiete im Landkreis Bad Kis- singen abgedeckt sein sollte, jedoch kann nie ausgeschlossen werden, dass vor allem kleinräumige Lebensräume übersehen wurden. Von den 29 Gebieten befan- den sich 28 im Muschelkalkgebiet, lediglich 1 Gebiet im Basalt wurde untersucht. Der Truppenübungsplatz Hammelburg konnte nur einmalig im Rahmen einer Erfassung der Italienischen Schönschrecke im Auftrag der Regierung von Unter- franken zusammen mit Jürgen Faust begangen werden. Die Erfassung wurde me- thodisch genauso durchgeführt wie bei den anderen Untersuchungen außerhalb des Truppenübungsplatzes, jedoch wurden für dieses Gebiet keine Parameter wie Hangneigung, Gebietsgröße oder Vegetationsdeckung erfasst. Aufgrund dieser Umstände wird der Truppenübungsplatz Hammelburg nicht bei den 29 Gebieten aufgeführt, jedoch sind die Ergebnisse in der vorliegenden Arbeit enthalten. Die 29 Gebiete lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Trockenhänge, Steinbrü- che und Säume. Eine systematische Untersuchung der Weinanbaugebiete im Landkreis Bad Kissingen war aus zeitlichen Gründen nicht möglich. Methodik Situationsbedingt wurden verschiedene Methoden zur Erfassung der Populations- größe angewandt. Diese sollen nachfolgend vorgestellt werden. Wiederfang-Methode Mit der Wiederfangmethode nach LINCOLN kann man anhand zweier Stichproben eine Schätzung der Populationsgröße (mit einem gewissen Toleranzbereich) für eine Fläche angeben. Mit dieser Methode lässt sich die Populationsgröße am prä- zisesten angeben, sie ist aber auch am aufwändigsten bei der Durchführung (SCHLUMPRECHT & WAEBER 2003). Die Populationsgröße berechnet sich wie folgt (MÜHLENBERG 1976, in HEß & RITSCHEL-KANDEL 1989b): 𝑎 𝑥 𝑛 N = (1) 𝑟 N = Gesamtpopulation 112 [30.11.2019] ARTICULATA 34 a = die Gesamtzahl der gefangenen und markierten Tiere am ersten Fangtag n = die Gesamtzahl der gefangenen Tiere am zweiten Fangtag r = die Anzahl der wiedergefangenen markierten Tiere am zweiten Fangtag Die Varianz gibt die Streuung der Werte relativ zu der geschätzten Populations- größe an. Indem man die Quadratwurzel der Varianz zieht, erhält man die Stan- dardabweichung. Berechnung der Varianz s2 (MÜHLENBERG 1993): 𝑎2𝑥 𝑛 (𝑛−𝑟) s2 = (2) 𝑟³ Berechnung der Standardabweichung s (MÜHLENBERG 1993): s = √𝑠² (3) Für diese Methode müssen einige Grundvoraussetzungen erfüllt sein. So muss die Markierung der Heuschrecken beständig sein und am zweiten Fangtag muss die Wahrscheinlichkeit für einen Fang eines unmarkierten Tieres gleich hoch wie eines markierten Individuums sein. Da hierbei von einem geschlossenen System ausgegangen wird, darf sich die Anzahl der Tiere beim ersten und zweiten Fang- tag nicht verändert haben beispielsweise durch Zu- und Abzug einzelner Indivi- duen (SETTELE et al. 1999, in GOEDERT 2014). In allen Gebieten, in denen O. germanica oder C. italicus gefunden wurden, wur- den jeweils zwei Fangtage durchgeführt. Für die Wiederfangmethode wurden die Tiere mit einem Kescher gefangen und in eine Transportbox für Insekten gegeben. Dort wurden sie bis zum Ende des Fangs aufbewahrt und im Anschluss nachei- nander einzeln an den Vorderflügelenden mit einem Lackmalstift farblich markiert und daraufhin freigelassen. Grün markierte Heuschrecken waren leichter zu ent- decken als schwarz markierte Individuen. Die Heuschrecken wurden möglichst nahe am Fangort freigelassen und so, dass sie den Ort, an dem sie gefangen wurden, ohne Barriere erreichen können. In Gebieten mit mehreren Teilflächen wurden die Tiere auf der jeweiligen Teilfläche wieder freigelassen. Zwischen zwei Fanggängen lagen 5–12 Tage, in denen sich die Tiere witterungsbedingt neu ver- teilen konnten, somit besteht die gleiche Wahrscheinlichkeit, ein unmarkiertes Tier zu fangen, wie ein markiertes (SCHLUMPRECHT & WAEBER 2003). Absolutzählung Mit der Wiederfangmethode lässt sich noch auf andere Weise die Populations- größe berechnen. Diese wird in der vorliegenden Arbeit als "Absolutzählung" bezeichnet, da hierbei die Individuenzahlen der einzelnen Fangtage der Wieder- fangmethode unter bestimmten Voraussetzungen addiert werden. Diese Methode liefert wie die Transektzählung nur eine Mindestanzahl an Individuen in einem Ge- biet, ergibt jedoch im Regelfall genauere Ergebnisse als diese, wenn beide Me- thoden im selben Gebiet angewandt werden. Bei dieser Methode werden die am ersten Fangtag gefangenen Tiere als Ausgangswert genommen. Die Tiere, die am zweiten Fangtag wiedergefangen werden, sind bereits farblich markiert und spie- len für diese Methode keine Rolle. Von Interesse sind hingegen die Tiere, die am ARTICULATA 34 [30.11.2019] 113 zweiten Fangtag erstmals gefangen wurden und noch nicht markiert sind. Diese werden zum Ausgangswert hinzuaddiert. Gibt es einen dritten Fangtag, werden die dann erstmalig gefangenen Tiere wiederum hinzuaddiert. Transektmethode Bei der Transekterfassung wird das Untersuchungsgebiet der Länge nach – ent- lang gedachter Linien – gleichmäßig schleifenförmig abgeschritten. Um möglichst alle Heuschrecken optisch zu erfassen, wurde für die Breite des Transekts 2 m festgesetzt und alle Heuschrecken rechts und links des Weges gezählt, wobei Doppelzählungen möglichst vermieden wurden. Dabei wurde ein Kescher dicht am Boden hin- und hergeschwenkt, um die Heuschrecken zu einer Fluchtreaktion zu veranlassen. Diese Methode wurde schon bei Erfassungen von O. germanica in Thüringen angewandt (WAGNER 2000). Für auffällige Arten, wie es O. germanica und C. italicus mit ihren bunten Hinterflügeln sind, ist diese Erfassungsart gut ge- eignet, wenngleich diese Methode im Gegensatz zur Wiederfangmethode nach LINCOLN nur eine Angabe zur relativen Populationsgröße erlaubt, wohingegen bei der Wiederfangmethode eine absolute Populationsgröße angegeben werden kann (SCHLUMPRECHT & WAEBER 2003). Es kann also anhand der gezählten Individuen nur eine Mindestpopulation für das Gebiet angegeben werden; wie viele Tiere die Population tatsächlich umfasst, kann mit dieser Methode nicht berechnet werden. Wurde die Transektmethode in einem Gebiet an mehreren Tagen durchgeführt, wurde bei den Ergebnissen nur die höchste Anzahl an festgestellten Individuen berücksichtigt. Aus zeitlichen Gründen musste bei O. germanica auf eine Differen- zierung nach Geschlechtern verzichtet werden, da hierbei nur eine Geschlechts- zuordnung anhand einer kurzen Beobachtung hätte vorgenommen werden müs- sen. Vor allem bei O. germanica wurden einige mittelgroße Individuen angetroffen, bei denen eine Geschlechtszuordnung nicht leichtgefallen wäre. In Gebieten, in denen die Wiederfangmethode angewandt wurde, wurde die Transekterfassung nur ausnahmsweise angewandt, da mit der Wiederfangmethode – wie oben be- schrieben – anhand einer Stichprobe die tatsächliche (absolute) Populationsgröße ermittelt werden kann (SCHLUMPRECHT & WAEBER 2003). Hochrechnungen In 2 Gebieten wurde aufgrund des unzugänglichen Geländes mit Hochrechnungen gearbeitet; aufgrund der Komplexität der Berechnungen sollen diese hier näher erläutert werden. Der direkt oberhalb der Bundesautobahn 7 gelegene Klöffels- berg bei Machtilshausen lässt sich in drei zusammenhängende Teile gliedern. Das Plateau ist eine nahezu ebene Fläche von 0,46 ha, an das sich ober- und unterhalb steile Hänge anschließen. Abbildung 2 zeigt einen Ausschnitt des Plateaus samt der sich oberhalb anschließenden Hänge. Der Hang unterhalb des Plateaus, der steil zur Autobahn hin abfällt und erst am Schutzzaun der Autobahn endet, hat eine Fläche von 0,31 ha und konnte aufgrund seines dichten Bewuchses mit Rosa canina (Hunds-Rose) und der Steilheit nur unzureichend begangen werden, ebenso wie der Hang oberhalb des Plateaus, der eine Fläche von 0,17 ha aufweist. Das Gesamtgebiet umfasst 0,94 ha. Alle bisher beschriebenen Kartiermethoden wurden auf dem Plateau angewandt, lediglich die Transektmethode fand bei O. germanica keine Anwendung, bei C. italicus jedoch schon. 114 [30.11.2019] ARTICULATA 34 Abb. 1: Lage der Untersuchungsflächen im Landkreis Bad Kissingen. Erstellung mithilfe des FIN-Web. Abb. 2: Klöffelsberg bei Machtilshausen. Foto: Matthias Franz. ARTICULATA 34 [30.11.2019] 115 Auch am Hammelberg östlich von Hammelburg wurde reliefbedingt mit Hochrech- nungen gearbeitet: Das Gesamtgebiet umfasst knapp über 16 ha, der Hammel- berg ist sehr steil und an vielen Stellen ist eine einigermaßen gefahrlose Begehung ohne Sicherung absolut unmöglich, deswegen konnten nur 2 Teilflächen mit ins- gesamt 0,18 ha begangen werden. Flächen im Gebiet, die den begangenen Teil- flächen vom Luftbild her ähneln und somit potenzieller Lebensraum für Oedipoda germanica sind, finden sich auf insgesamt 2,2 ha. Die Individuenzahl von O. ger- manica, die auf beiden Teilflächen gefunden wurde, wurde auf die geeignet er- scheinende Fläche von 2,2 ha hochgerechnet. Dies geschah sowohl mit beiden Flächen und den Einzelergebnissen separat als auch mit der Gesamtindividuen- zahl der untersuchten Fläche, welche dem Mittelwert beider Flächen entspricht. Auswahl der Erfassungsmethode Abschließend soll an dieser Stelle nochmals kurz erläutert werden, wann welche Erfassungsmethode angewandt wurde. Da die meisten Daten aus dem Landkreis Bad Kissingen zu den beiden untersuchten Arten bereits ca. 25–30 Jahre alt sind, konnte der aktuelle Bestand überhaupt nicht eingeschätzt werden. Da die Wieder- fang-Methode – je nach Größe des Bestands – sehr zeitaufwendig sein kann und sicher war, dass zeitlich niemals alle 29 Gebiete ausreichend beprobt werden konnten, wurde nur für 15 Gebiete überhaupt eine Fanggenehmigung beantragt. Von diesen beantragten Gebieten war bei ungefähr der Hälfte ein etwaiges großes Vorkommen denkbar (aktuelle Nachweise bzw. frühere Spitzen-Habitate, vor al- lem für O. germanica), bei der anderen Hälfte eher unwahrscheinlich (wenige bzw. keine Daten vorhanden). C. italicus wurde letztendlich nicht gefangen, da die Männchen nur sehr schwer mit dem Kescher zu fangen waren und oft entwischten. Zudem waren sie meist klein, was die Markierung mit dem Lackstift sehr umständ- lich und womöglich gefährlich für die Tiere machte. In allen Gebieten, in denen mit der Wiederfang-Methode gearbeitet wurde, wurde auch die Absolutzählung ange- wandt (siehe Tabelle 1, Fundorte 1, 5, 6, 10, 12). Wo die Wiederfang-Methode – wie bereits oben erwähnt – nicht angewandt werden konnte, wurde nur die Ab- solutzählung angewandt (Fundorte 8, 12.2). In Gebieten ohne Fanggenehmigung wurde der Bestand mittels Transektzählung erfasst (Fundorte 1, 2, 3, 4, 7, 9, 11, 13, 14, 15), bei zwei unzugänglichen Gebieten sogar mit Hochrechnungen (Fund- orte 1, 11) gearbeitet. Untersuchung der Hangexposition Für eine Habitatmodellierung müssen einzelne Faktoren untersucht werden, die bei der Habitatwahl einer Art eine Rolle spielen könnten. Um diese Daten statis- tisch auswerten zu können, müssen genügend Datensätze vorliegen. Für C. itali- cus konnte aufgrund der nicht ausreichenden Datengrundlage keine Habitat- modellierung erstellt werden. Für O. germanica war dies aufgrund der größeren Anzahl an Fundorten möglich. Nachfolgend werden einzelne Parameter vorge- stellt, die für diese Arbeit untersucht wurden und bei der Habitatwahl von Oedipoda germanica möglicherweise eine Rolle spielen können. Die verschiedenen Para- meter wurden im Statistikprogramm "R" ausgewertet (R Core Team 2017). Hierzu wurde zuerst die Korrelation der einzelnen Parameter miteinander geprüft. Als ab- hängige Variable wurde das Vorkommen bzw. Nicht-Vorkommen von O. germa- 116 [30.11.2019] ARTICULATA 34 nica festgelegt und binär mit 1 bzw. 0 codiert. Als unabhängige Variable wurden Hangneigung, Exposition und Vegetationsdeckung herangezogen. Die Exposition wurde zunächst im Gradmaß angegeben, wobei 0° bzw. 360° Norden entspricht, 90° Osten, 180° Süden und 270° Westen. Analog dazu entspricht Nordost 45°, Südost 135°, Südwest 225° und Nordwest 315°. Diese Werte wurden mit der For- 𝑍𝑎ℎ𝑙 𝑖𝑚 𝐺𝑟𝑎𝑑𝑚𝑎ß mel 𝑥 𝜋 (5) in Bogenmaß umgerechnet. 180 Um in R auszudrücken, dass es sich bei 0° und 360° um denselben Wert handelt, wurden die Werte in Sinus bzw. Cosinus transformiert. Der Sinus-Wert definiert eine Ost-West-Exposition, wobei 1 für Osten steht (Sinus von 90°), -1 für Westen (Sinus von 270°) und ein Sinus-Wert von 0 für Norden sowie Süden stehen kann (Sinus von 0° sowie von 180°). Da mit dem Sinus-Wert eine Nord-Süd-Exposition nicht ausgedrückt werden kann, wurde hierfür der Cosinus-Wert verwendet, wobei 1 für Norden steht (Cosinus von 0°), -1 für Süden (Cosinus von 180°) und 0 für Osten sowie Westen stehen kann (Cosinus von 90° sowie von 270°) (RUDNER, mdl. Mitt.). Nachdem diese so für R transformierte Tabelle mit dem R-Commander eingelesen wurde, wurde überprüft, wie stark die unabhängigen Variablen miteinander korre- lieren. Es wurden nur Variablen in das Modell aufgenommen, die nicht stärker mit- einander als |r| = 0,5 korrelierten. Mit diesen wurde anschließend ein generalisier- tes lineares Regressionsmodell erstellt. Das Signifikanzniveau wurde im Vorfeld auf 5% festgelegt. Unabhängige Variablen, deren p-Wert dieses Signifikanzniveau überschritt, wurden aus dem Modell entfernt. Dies geschah schrittweise, begin- nend bei der unabhängigen Variablen mit der größten Überschreitung des Signifi- kanzniveaus (RUDNER, mdl. Mitt.). Untersuchung der Vegetationsdeckung am Boden Die Vegetationsdeckung wurde an insgesamt 122 Stellen in allen 29 untersuchten Gebieten erfasst. Dabei wurde in jedem Gebiet – je nach Größe – an 2–5 (durch- schnittlich 4) Stellen untersucht. Wurde ein Gebiet in verschiedene Teilflächen un- tergliedert, wurde versucht, in jeder Teilfläche mindestens eine Stelle zu erfassen. Die Vegetationsdeckung in jedem Gebiet wurde für die verschiedenen Bereiche grob abgeschätzt und in 3 Kategorien eingeteilt. Die Vegetationsdeckung wurde eingeteilt in Bereiche mit geschätzten 0–20%, 20–40% und 40–60% Deckung. Da O. germanica eine eher geringe Vegetationsdeckung bevorzugt, wurden Stellen mit einer geschätzten Vegetationsdeckung von über 60% für die Habitatmodellie- rung nicht berücksichtigt. Die drei Kategorien wurden in jedem Gebiet möglichst gleichmäßig berücksichtigt, zumindest sollte jede Kategorie in jedem Gebiet min- destens einmal untersucht werden. Die Probestellen wurden innerhalb der jewei- ligen Kategorie zufällig ausgewählt. An jeder Stelle wurde die tatsächliche Vege- tationsdeckung mithilfe einer modifizierten Form der Punkt-Quadrat-Methode (auch als Point intercept method bekannt) und das Vorkommen von O. germanica an dieser Stelle erfasst. Bei der Punkt-Quadrat-Methode "wird das Vorkommen einer Art nicht innerhalb einer Fläche, sondern an einem Punkt erhoben." (PÖTSCH 2015). In der vorliegenden Arbeit ging es jedoch nicht darum, welche Pflanzenart an einem Punkt vorkam, sondern ob an einem Punkt überhaupt Vegetation ARTICULATA 34 [30.11.2019] 117 vorkam. Ein Maßband von 10 m Länge wurde ausgelegt und alle 10 cm mit einem Metallstab geprüft, ob sich an dieser Stelle Vegetation befand. Jeder Punkt, bei dem die Spitze des Stabs auf Bewuchs traf, wurde für die Bestimmung der Vege- tationsdeckung herangezogen. Letztendlich wurden 100 Punkte beprobt und an- hand der Punkte, an denen Vegetation vorkam, wurde die Vegetationsdeckung in Prozent angeben. Dabei wurde an einer Stelle die Erfassung immer nur auf der rechten Seite des Maßbands gemacht. Moos wurde dabei als Vegetation gewertet, lose Holzteile (Stöcke) jedoch nicht. Vorteile der Punkt-Quadrat-Methode sind die gute Objektivität und Genauigkeit der Erfassungen. Nachteilig sind der hohe Zeit- aufwand und die schwierige, fast unmögliche Durchführung bei windigen Verhält- nissen, da das Maßband nicht auf dem Boden liegen bleibt (PÖTSCH 2015). Ergebnisse Die Rotflügelige Ödlandschrecke konnte in insgesamt 12 der 29 untersuchten Ge- biete festgestellt werden (Tabelle 1). Der Klöffelsberg bei Machtilshausen ist das einzige Gebiet im Landkreis Bad Kissingen, in dem O. germanica syntop mit C. italicus vorkommt. Der geschätzte Bestand für alle untersuchten Gebiete schwankt zwischen 479–1344 Individuen, je nachdem welche Methode herange- zogen wurde. Für vier Gebiete wurden mit Wiederfangmethode und Hochrechnun- gen absolute Populationsgrößen > 100 Individuen unter Berücksichtigung der Standardabweichung geschätzt. Für fünf Gebiete wurde zusätzlich zur Schätzung der Populationsgröße auch Varianz und Standardabweichung ermittelt, dies ist in Tabelle 2 dargestellt. In fünf Gebieten wurde die absolute Populationsgröße mit- hilfe der Wiederfangmethode geschätzt, hier wurde auch immer die Absolutzäh- lung angewandt. In einem sechsten Gebiet konnte nur mit der Absolutzählung ge- arbeitet werden, da die Wiederfangmethode kein Ergebnis brachte (Saumweg Eschental). In sechs Gebieten wurde die relative Populationsgröße mithilfe eines Transekts erfasst. Zusätzlich wurden in insgesamt zwei Gebieten Hochrechnun- gen angewandt. Im Landkreis Bad Kissingen wurde O. germanica sowohl an Trockenhängen, als auch in Steinbrüchen gefunden. Ebenso wird der in der vorliegenden Arbeit als Biotoptyp Saum bezeichnete Lebensraum von O. germanica besiedelt (Tabelle 3). Eine eindeutige Präferenz konnte nicht festgestellt werden, jedoch waren die ge- schätzten Populationsgrößen an den Trockenhängen durchschnittlich am größten (vgl. Tab. 1, z.B. Fundorte 1, 10, 11), an den Säumen durchschnittlich am kleinsten (Fundorte 2, 8, 9, 12.2). Die Hälfte der Fundorte von O. germanica lag auf dem Gemeindegebiet der Stadt Hammelburg. Jeweils zwei Fundorte lagen in benach- barten Gemeinden von Hammelburg, Wartmannsroth und Markt Elfershausen. Jeweils ein Vorkommen von O. germanica wurde im Gemeindegebiet des Marktes Oberthulba sowie – weitab von den übrigen Populationen im Landkreis – im Ge- meindegebiet der Stadt Münnerstadt gefunden (Tabelle 4). 118 [30.11.2019] ARTICULATA 34

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