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Staatliche Mütterfürsorge und der Krieg PDF

26 Pages·1915·2.711 MB·German
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Staatliche Mütterfürsorge und der Krieg Von Dr. med. Alfons Fischer Karlsruhe Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1915 ISBN 978-3-662-23059-6 ISBN 978-3-662-25024-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-25024-2 Nach Vorträgen, die im Nationalen .F rauendienst zu Frankfurt a. M. und im Badischen Landesverband vom Roten Kreuz gehalten wurden, heraus gegeben im Auftrage der Propagandagesellschaft für Muttel'schaitsver- sicherung, Sitz Karlsruhe. Der uns von einer Welt von Feinden aufgezwungene Krieg wird, wie bereits wiederholt von maßgebenden Stellen aus ge äußert wurde, zu einer Neuorientierung auch in der inneren Politik führen. Welches Ergebnis die zu erwartende Neugesta.l tung zeitigen wird, läßt sich heute noch nicht ahnen. Aber mit Bestimmtheit kaIpl schon jetzt behauptet werden, daß alle inner politischen Bestrebungen von nationaler und sozialer Gesin nung ihren Ausgang nehmen mÜBBen. Das Deutsche Reich, das ringsum von Feinden bedroht ist, braucht für seine Vf'rteidigung ein zahlreiches Heer. Eine nach vielen Millionen zählende Schar kriegstüchtiger Männer kann aber "nur aus einer großen und gesunden Bevölkerung hervorgehen. Soll unser Vaterland hin reichend beschützt sein, so muß durch soziale Maßnahmen für eine große und gesunde Bevölkerung gesorgt werden. Denn es ist zuverlässig festgestellt worden, daß Quantität und Qualität eines Volkes wesentlich von den sozialen Zuständen beeinflußt werden. Wer wollte leugnen, daß vor dem Kriege bei uns manche Mißstände auf sozialem und hygienischem Gebiet obwalteten? Wenn auch die ganze Welt, soweit sie der Haß nicht blind gemacht hat, mit Bewunderung auf die deutsche Volkskraft blickt, so kann nicht daran gezweifelt werden, daß die Zahl unserer felddienst fähigen Männer, mithin unsere militärische Macht noch gewaltiger sein würde, wenn unsere Gesetzgebung die hygienischen Verhält nisse unseres Volkes noch günstiger gestaltet hätte. Hiermit sollen unsere legislatorischen Maßnahmen auf sozialhygienischem Gebiete nicht verkleinert werden, denn sie sind besser als in fast allen anderen Staaten. Aber auch in Deutschlaml ist man von dem Erreichbaren noch weit entfernt. Das Ziel der inneren Pol i t i k; die von nationalen und sozialen Erwägungen geleitet. ist, würde Dach meinem Dafürhalten in den wesentlichsten Teilen - 4 - schon durch eine wirkungsvolle sozialhygienische Ge setzgebung erreicht werden. Eine solche Gesetzgebung müßte bewirken, daß die Erhaltung der Gesundheit nicht mehr von dem Besitz eines Kapitals abhängt. Wie das Gesetz das Leben selbst des ÄrmsteI;l schützt, so müßte auch für die Gesunderhaltung der Minderbemittelten mehr als bisher durch legislatorische Einrichtungen gesorgt werden. Diese Forderung gilt für alle Zweige des sozialen Gesundheits wesens, für alle Alters- und Berufsklassen und für, jedes der beiden Geschlechter. Heute aber wollen wir uns mit den hygieni schen Verhältnissen nur einer, wenn auch besonders wichtigen Personengruppe befa.ssen: mit den Müttern. Jeder Züchter von Pferden oder Rindern hält die trächtige Stute oder Kuh von d'!r Arbeit fern, er führt sie auf die besten Weideplätze und bietet ihr reichliches Futter. Wie aber steht es mit den Frauen während der Schwangerschaft und kurz nach der Entbindung 1 Hier sehen wir sogleich, wie sehr die Gesund erhaltung von dem Besitz eines Kapitals abhängt. Die Frauen aus den wohlhabenden Kreisen und zumeist auch aus dem Mittel stande können sich der Ruhe und Pflege hingeben, deren ihr Zustand vor und nach der Niederkunft dringend bedarf. Die Frauen der unbemittelten Kreise müssen noch häufig auf diesen Genuß verzichten. Der Verdienst des Mannes allein reicht oft genug nicht hin, um die ständig steigenden Ausgaben für die notwendigsten Lebensmittel und die Wohnung zu bestreiten. Da muß auch die Frau außerhalb des Hauses Arbeit suchen. Aber selbst die Frau, die im Hause bleiben darf, jedoch ohne jede Hilfe für eine zahlreiche Familie kochen, waschen, nähen und putzen muß, ist gewöhnlich schon in normalen Zeiten mit Arbeit und Mühen überlastet. Um wieviel mehr gilt dies. wenn ein Familienzuwachs eintritt. Am schlimmsten indessen steht es bei der unehelichen Mutterschaft. Aber allen Proletarierinnen ist eine gewisse Notlage gemeinsam. Denn sich der Ruhe und Pflege hingeben heißt bei: ihnen Geldeinbuße erleiden, und Geld einbüßen heißt in diesen Schichten: hungern. Welches sind nun die Folgen der mangelnden Pflege vor und nach der Entbindung 1 Wir haben hier zwei Alten von Schädi gungen zu unterscheiden, erstens solche für die Mutter selbst und zweitens solche für das neue Menschenleben. 5 - Die statistischen Mitteilungen der großen Krankenkassen zeigen, daß die weiblichen Kassenmitglieder mehr Kr~nkheits­ fälle und längerdauernde Erkrankungen aufweisen als die Männer. Als Ursache dieser Erscheinung muß man das Zus8~mentreffen \'on Erwerbstätigkeit und Mutterschaft bezeichnen. Bei den weiblichen Versicherten kommen Bluterkrankungen und nicht ansteckende Geschlechtsleiden viel häufiger vor als bei den Männern. Die Anstrengungen während der Schwangerschaft und die vorzeitige Wiederaufnahme der Tätigkeit nach der Ent bindung sind der Anlaß zu einer Reihe von Unterleibs- und Kon stitutionskrankheiten. Dies gilt 'Schon für die weiblichen Kranken kassenmitglieder, die doch eine wenn auch nur unzulängliche Unterstützung erhalten. Um wieviel mehr trifft dies für die nach Millionen zählenden in und außer dem Hause .h art ar beitenden Frauen zu, welche keiner Krankenkasse angehören. Schon während der Schwangerschaft treten bei den unbemittel ten Frauen schwere Schädigungen auf. Ohne Rücksicht auf Schwellungen und Krampfadern an den Beinen müssen sie ihr Tagewerk verrichten. Daß im Anschluß an die Entbindung Er nährungsstörungen, Blutarmut und Unterleibserkrankungen ent stehen, wenn nicht rechtzeitig Vorbeugungsmaßregeln ergriffen werden, ist ja auch zu erwarten. Man denke an den enormen Kräfteverbrauch des mütterlichen Organismus bei der Nieder kunft, den hiermit verbundenen Blutverlust, die Verlagerung der Gebärmutter, die nach der Entbindung vorhandene große Wund fläche in diesem Organ als Nährboden für die Bakterien. Nur durch ausgiebige Schonung, Ruhe und Pflege wird eine Wöch nerin die drohenden Gefahren vermeiden können. Genießt sie diese prophylaktischen Maßnahmen nicht, so entwickeln sich allgemeine Schwäche, Blutarmut und Bleichsucht sowie Entzün dungen und Verlagerungen der Gebärmutter. Man wende hier gegen nicht ein, daß nicht selten (namentlich heimlich) Nieder gekommene sehr bald wieder ihre gewohnte und oft schwere Arbeit verrichten, ohne merklich zu erkranken. Solche Fälle können nur beweisen, so äußert sich Olshausen, der erfahrene Berliner Frauenarzt, daß ausnahmsweise ungestraft gegen die Grundregeln der Hygiene verfahren werden kann, aber für die große Mehrzahl bleiben die Folgen einer falschen Diätetik nicht aus. - 6 ~ Und nun lege man sich die Frage vor, ob dieso blutarm und unterleibskrank gewordenen Frauen noch ihre volle Fortpflan zungsfähigkeitl) behalten können. Nur zu oft treten selbst bei gesunden Frauen, wenn sie während der Schwangerschaft arbeiten müssen, Fehl- und Frühgeburten auf. Dies gilt aber noch weit mehr für die Blutarmen und Unterleibskranken. Bei ihnen ist schon die Empfängnisfähigkeit beeinträchtigt, und wenn sie den noch empfangen haben, so zeigt sich bei ihnen eine mangelhafte Austragefähigkeit. In den letzten Jahren ist über den Geburtenrückgang so viel gesagt worden - Richtiges und Falsches. Aber man hat hierbei fast immer nur von der Abnahme des Fortpflanzungswillens gesprochen. Die Abnahme2) der Fortpflanzungsfähigkeit blieb zumeist unerwähnt. Wenn wir an den bereits beleucht:lten Zu sammenhang von Bevölkerungsziffe~ und militärischer Macht denken, so werden wir Mittel_gegen den Geburtenrückgang for dern müssen. Aber während sich alle bisher an gewandten Maß nahmen gegen die Abnahme des Fortpflanzungswillens als erfolg los erwiesen haben, ist von den Mitteln, welche die Abnahme der Fortpflanzungsfähigkeit verhindern sollen, reicher Segen zu er warten. Wir hatten nun schon angedeutet, welche Schädigungen sich für die Volkserneuerung aus der mangelhaften Mütterfürsorge ergeben. Hierüber sollen noch einige Bemerkungen angeschlossen werden. Von bedeutenden Frauenärzten wurde an einem großen Beobachtungsmaterial festgestellt, daß die Kinder von Müttern, die bis kurz an die Niederkunft heran arbeiten mußten, durch schnittlich ein erheblich geringeres Gewicht bei der Geburt dar bieten als die NeugebOlenen, deren Mütter sich während der Schwangerschaft der Arbeit enthalten konnten. Das unzureichende Gewicht ist ein Symptom der Unreife. Darum hat man mit Recht davon gesprochen, daß es sich hier gewill'8ermaßen um vom grünen Zweige abgetrennte Früchte handelt, und daß man sich vergeb lich bemüht, diese grünen Früchte zu konservieren. Umsonst bestrebt man sich mit immer größer werdendem Aufwand von Arbeit und Geld, diese armen, unreif gebo"ren~n Menschlein am 1) Siehe Alfo-ns Fischer: "Grundriß der Sozialen Hygiene", Kapitel "Fortpflanzung". Berlin 1913. I) Ebenda. 7 - Leben zu erhalten, während es viel zweckdienlicher gewesen w~e, deren Mütter während der Schwangerschaft zu unterstützen. Die vor und nach der Entbindung der hinreiohenden Ruhe ent behrende Mutter ist sodann nicht imstande, den Säugling zu stillen. Es fehlt ihr nioht nur die Zeit, sondern auoh die Kraft. Wie sehr aber das Brustkind gegenüber dem Flaschenkind im Vorteil ist, daüber herrscht ja keine Unklarheit mehr, so daß ioh mir weitere Ausführungen hier ersparen kann. Nur auf ganz wenige Punkte im Zusammenhang mit den vorangegangenen Darlegungen sei kurz hingewiesen. Die Brustkinder der ärmsten Kreise zeigen eine geringere Sterbliohkeit als die Flaschenkinder wurde der Reichen. Mit gewiesem Recht daher behauptet, daß für den gestillten Säugling die soziale Frage gplöst ist. Die mütter liohe Milch schützt den Neugeborenen nioht nur vor dem Tode, sondern verleiht ihm auoh Schutzstoffe, die vor Erkrankungen behüten. Alle Mütter haben eine Anzahl von ansteckenden Krank heiten in ihren Kinderjahren und später zu überstehen gehabt, in ihrem Blute haben sich daher die sogenannten Antitoxine, die Gegengifte gebildet. Die Sohutzkörper gehen aber, wie Paul Ehrlich schon im Jahre 1891 nachgewiesen hat, in die Miloh über, so daß duroh Säugung Immunität entsteht. Diejenigen Kinder, welohe diE:' natürliche Ernährung entbehren müssen, ermangeln daher auch dieser Schutzstoffe. Kein Wunder, daß diesE" Säuglinge leicht erkranken und sich, wenn sie am Leben bleiben, zu Menschen, die in hohem Grade zu Krankheiten dis poniert sind, entwickeln. Der FTeiburger Gynäkologe Hegar hat mit Recht betont, daß der Tod dieser Kinder noch nicht das schlimmste ist, .d enn die, welche mit Surrogaten aufgefüttert und älter werden, sind zahlreichen Erkrankungen und Ent wicklungsstörungen ausgesetzt und gleichen gewöhnlich nie mehr ganz den ·Schaden aus, so daß eine große Anzahl minderwertiger Individuen heranwächst, der<:ln Leistungsfähigkeit die leistungs fähigkeit des Volksganzen nicht fördert. Für die höhere Krank heitsfälligkeit derjenigen, die einst mit der Flasche aufgezogen wurden, ist in der Tat ein zahlenmäßiger Beweis erbracht wordl'n. Des weiteren weiß man, daß die turnerischen Fähigkeiten und die Militärtauglichkeit größer hei denjenigen Jünglingen sind, die einst mit Muttermilch genährt wurden. So sehen wir, wie Mütterfürsorge, Fortpflanzungsfähigkeit, Stilltätig- -- 8 keit, große Volkszahl, hohe Militärtauglichkeit und erfolgreiche Vaterlandsverteidigung in einem engen Zusammenhange stehen. . Diese Tatsachen sind in den letzten Jahren durch Ärzte und Sozialwissenschaftler mit hinreichender Zuverlässigkeit zu meist ziffernmäßig festgestellt worden. Aber sie waren ihrem Kern nach schon vor mehr als hundert Jahren den Ärzten bekannt. Auch damals herrschten schwere Mißstände. Und hiergegen schlugen hervorragende Ärzte der damaligen Zeit geeignete Mittel vor, deren Verwirklichung von größtem Vorteil für die deutsche Bevölkerung gewesen wäre. Aber einen bedeutungsvollen Schritt noch weiter vorwärts ging der Heidelberger Arzt Franz Anton MaU). Er arbeitete selbst den vollständigen Entwurf zu einer Hygiene gesetzgebung, die alle Zweige des sozialen Gesundheitsweeens umfaßt, aus. Diese Gesetzesvorlage legte Ma i im Jahre 1800 seinem damaligen Landesfürsten, dem Bayernherzog Max Joseph vor. Max Joseph forderte über das Maische Werk Gutachten der Heidelberger medizinischen Fakultät sowie des Mannheimer Medizinalkollegiums ein. Allseitig wurde der Gesetzentwurf gutgeheißen, und seine baldige Verwirklichung gewünscht. Die Gesetzesvorlage zeichnet sich u. a. durch die auch heute noch unerfüllten und da.her vor bildlichen Vorschriften über Rassehygiene und die Ertüch tigung der Jugend aus. Vor allem interessiert UDS aber hier jener Teil des Gesetz entwurfes, welcher die" Sorge für Schwangere und Ge bärende" zum Gegenstand hat. Hier finden wir Bestimmungen im Interesse der Schwangeren- und Wöchnerinnenhygiene, Vor schriften zum Schutze der unehelichen Mutterschaft und Ver ordnungen zwecks finanzieller Unterstützungen bedürftiger Mütter, die durchaus als Vorläufer von den vernünftigen Grund sätzen der jetzt immer weitere Kreise umfassenden Mutter schutzbewegung zu betrachten sind. Mehrfach ist in dem Gesetz entwurf von einer Notkasse die Rede. Diese hat die Aufgabe, 1) Siehe Alf. Fischer: "Ein sozialhygienischer Gesetzentwurf aus dem Jahre 1800, ein Vorbild für die Gegenwart". Als Sonderabdruck a.us den "Annal. f. Soziale Politik u. Gesetzgebung", erschienen in Berlin 1913

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