ebook img

Spiel und Bürgerlichkeit Passagen des Spiels I PDF

347 Pages·2011·12.833 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Spiel und Bürgerlichkeit Passagen des Spiels I

Edition Angewandte Buchreihe der Universität für angewandte Kunst Wien Herausgegeben von Gerald Bast, Rektor Spiel und Bürgerlichkeit Passagen des Spiels I Herausgegeben von Ulrich Schädler und Ernst Strouhal in Zusammenarbeit mit Manfred Zollinger Impressum Herausgeber: Ulrich Schädler, Ernst Strouhal (in Zusammenarbeit mit Manfred Zollinger) Lektorat: Katharina Sacken Grafische Gestaltung: Nina Reisinger Bildbearbeitung, Covergestaltung: Nina Reisinger, Florian Bettel Druck und Bindearbeiten: Holzhausen Druck GmbH, 1140 Wien, Austria Umschlagbild: Georg Hieronimus Bestelmeiers Magazin von verschiedenen Kunst- und anderen nützlichen Sachen zur lehrreichen und angenehmen Unterhaltung der Jugend, Nürnberg 1803 (Österreichische Nationalbibliothek – Bildarchiv) Eine Kooperation des Schweizer Spielmuseums (La Tour-de-Peilz, Schweiz) und der Universität für angewandte Kunst Wien. Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. © 2010 Springer-Verlag/Wien © Autorinnen und Autoren Printed in Austria SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier – TCF SPIN: 12585052 Mit 76 Abbildungen, davon 21 in Farbe. *Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek* Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1866-248X ISBN 978-3-7091-0082-0 SpringerWienNewYork Vorwort Krisis (κρίσις) ist das griechische Wort für Entscheidung. Und die Jahr- zehnte um 1800 waren für die westlichen Gesellschaften in der Tat Jahre der Entscheidung: Sie brachten einen fundamentalen Wandel, der den Verlauf der Geschichte nachhaltig geprägt hat. Im Zuge der Aufklärung w urden alte durch neue Werte ersetzt, die, zum Teil in blutigen Auseinandersetz ungen, gegen die etablierten Mächte von Kirche und Staat durchgesetzt werden m ussten. Diese Krise vollzog sich in vielen Lebensbereichen der Menschen, da- runter auch in einem, der nicht als erster und wichtigster in den Sinn kommen mag, obgleich er im Alltagsleben einen wichtigen Platz einnimmt – dem Spiel. Die Spielkultur erfuhr zwischen etwa 1750 und 1850 radikale V eränderungen. Das 18. Jahrhundert ist nicht nur das Jahrhundert der Aufklärung, sondern auch das Jahrhundert des Spiels. Kritische Zeitgenossen sprachen vom »fureur du jeu«, der die gesamte Gesellschaft erfasst habe. Tatsächlich war im Europa der Barock- und Rokokozeit das Spielen die wichtigste Freizeitbeschäftigung, und zwar quer durch alle sozialen Schichten. Gespielt wurde an den Höfen von Ver- sailles über Wien bis Sankt Petersburg, wo sich die Aristokratie den Anschein gab, unbegrenzt über Zeit und Geld zu verfügen. Man spielte aber auch in den Häusern und Wohnungen der bürgerlichen Schichten, in C afés und K neipen, auf Redouten, in Badeorten und Parkanlagen. Beliebt waren Kartenspiele, Trictrac, Schach, Dame, Würfelspiele, Domino, Billard, Tennis, Croquet oder Kegeln. Die Regeln dieser Spiele wurden in zahlreichen ständig neu aufgelegten Spielebüchern kodifiziert und waren dadurch für jedermann z ugänglich. Doch mischte sich in der Zeit des Ancien Régime ein neuer, ökonomisch- rationaler Geist in die unbekümmerte Emotionalität des Spielens. Würfel- und Kartenspielen wurde mit probabilistischen Theorien zu Leibe gerückt, das Schachspiel wurde mit neuer Stringenz logisch analysiert, selbst das Billard wurde physikalisch-mathematischen Betrachtungen unterzogen. Das von der Aufklärung und der protestantischen Erwerbsethik geprägte Bürgertum unterwarf den unbändigen Homo ludens der Kontrolle rationalen Denkens und ö konomischen Nützlichkeitskriterien. Wenn, wie Benjamin F ranklin sagte, Zeit Geld ist und Spielen Zeitvertreib, dann ist Spielen Geld- und VORWORT 6 Zeitverschwendung. Also wurde das Spiel um Geld in Form von Casinos und Lotterien unter staatliche Kontrolle gestellt oder verboten. Spiel sollte nun nicht nur unterhaltsam, sondern vor allem lehrreich und somit der Bildung und Erziehung förderlich sein. Dabei diente das Spielen gleichzeitig dazu, bürgerliche Werte und Moralvorstellungen zu festigen und zu verbreiten. Vielen Spielen wurde ihr frivoler Charakter genommen, indem sie didaktisiert oder zu »unschuldigen« Kinderspielen transformiert wurden. Schließlich entdeckte man, dass Spiele auch ein Produkt sein können, das pro- fitabel vermarktet werden kann: So entstand die Spieleschachtel, wie wir sie noch heute in den Regalen des Fachhandels finden. Spiel und Bürgerlichkeit – Passagen des Spiels 1 hält Einschau in das historische Archiv der Spiele. Der Band beschreibt einige Aspekte des Wandels einer Spielkultur in der Zeit des vielleicht bedeutendsten gesellschaftlichen Umbruchs, den Europa und die westliche Welt in der jüngeren Vergangenheit vollzogen haben, oder umgekehrt formuliert: Aspekte einer Gesellschaft im Umbruch, der sich auch und besonders in der Spielkultur vollzog und spiegelt. Die Themen der Beiträge von Sozial- und Spielehistorikerinnen und - historikern reichen von Cardanos Theorie des Glücksspiels in der Spätrenaissance über die Karten-, Brett- und Gesellschaftsspiele im Bürger- tum, den Aufstieg und das Zurückdrängen der Lotterien, die Betrachtung der Geschlechter rollen im Spiel und die Funktion von Spielervereinigungen in den Metropolen Europas bis zur Analyse der Topografie und Architektur der Casinos am Mississippi zu Zeiten Mark Twains. An Vollständigkeit war und ist nicht zu denken. Ziel war es, trotz hoher Spezialisierung der Forschung das geborgene Spiel-Material für die verschie- densten Disziplinen zugänglich zu machen. Die Einzeluntersuchungen wurden deshalb durch eine Sammlung zeitgenössischer Textquellen sowie einen Farb- tafelteil mit Beispielen beliebter Spiele des behandelten Zeitraums ergänzt. Den Ausgangspunkt des Publikationsprojektes bildete die Ausstellung Le jeu discret de la bourgeoisie am Schweizer Spielmuseum in La Tour-de-Peilz, an die sich eine Tagung im Januar 2009 anschloss. Sie wurde durch eine Vor- lesungsreihe an der Universität für angewandte Kunst Wien im Wintersemester 2009 fortgesetzt. Ein weiterer wichtiger Impuls ging von der Sommerakademie Die Macht des Zufalls am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissen- schaften (IFK) im August 2008 aus. Ulrich Schädler, Ernst Strouhal Inhalt Ernst Strouhal, Ulrich Schädler Das schöne, lehrreiche Ungeheuer Strategien der Eingemeindung des Spiels in der Kultur der Bürgerlichkeit – Eine Einleitung 9 Sergius Kodera Magie, Zufallsrechnung, frühbürgerliche Politik Girolamo Cardanos De ludo aleae 23 Ulrich Schädler Vom Trictrac zum Backgammon 37 Jean-Marie Lhôte Das diskrete Spiel der Bourgeoisie 63 Lehrreich und unterhaltsam? »Le jeu discret de la bourgeoisie« – Spiele einer Ausstellung im Schweizer Spielmuseum, La Tour-de-Peilz, 2008/09 Ulrich Schädler 87 Manfred Zollinger Der Geist der Spekulation im Spiel Aufschwung und Krise der Lotterien im 18. und 19. Jahrhundert 131 Thierry Depaulis »Aristokratische« versus bürgerliche Spiele Die Revolution der Kartenspiele 155 Peter Schnyder, Ernst Strouhal »Die probabilistische Revolution hat am Spieltisch begonnen« Ein Gespräch 167 Dorothea Alkema Inhalt Spiele zwischen Licht und Dunkelheit Die Blinde Kuh 183 Ulrich Schädler, Ernst Strouhal Vom Spiel und Spielen Das schöne, lehrreiche Ungeheuer. Ein Lesebuch aus zeit genössischen Quellen 1750–1850 Strategien der Eingemeindung des Spiels Manfred Zollinger 203 in der Kultur der Bürgerlichkeit. Eine Einleitung S.123 Shirley Brückner Sergius Kodera Losen, Däumeln, Nadeln, Würfeln Magie, Zufallsrechnung, frühbürgerliche Politik. Praktiken der Kontingenz als Offenbarung im Pietismus 247 Girolamo Cardanos De ludo aleae S.123 Eva Blimlinger Ulrich Schädler Weihnachten im Bürgertum – Von Puppen und Zinnsoldaten Vom Trictrac zum Backgammon S.123 Geschlechterrollen und materielle Kultur des Spielzeugs 273 Jean-Marie Lhôte Michael Ehn Das diskrete Spiel der Bourgeoisie S.123 Ein Spiel der Aufklärung und der Urbanität Schachvereinigungen in Wien, Berlin und Zürich Lehrreich und unterhaltsam? S.123 zwischen 1780 und 1850 291 Le jeu discret de la bourgeoisie, Spiele einer Ausstellung im Schweizerischen Spielmuseum, La Tour-de-Peilz, 2008/09 Kathrin Böer, Felix Sattler Ulrich Schädler Casino-Landschaften Über Spielparadiese auf Gartenteppichen Manfred Zollinger und Mississippi-Schiffen 315 Der Geist der Spekulation im Spiel. Aufschwung und Krise der Lotterien im 18. und 19. Jahrhundert S.123 Autorinnen und Autoren 335 Verzeichnis der erwähnten Spiele 339 Thierry Depaulis Abbildungsnachweis 345 »Aristokratische« versus bürgerliche Spiele. Die Revolution der Kartenspiele S.123 Peter Schnyder, Ernst Strouhal »Die probabilistische Revolution hat am Spieltisch begonnen.« Ein Gespräch S.123 Das schöne, lehrreiche Ungeheuer Strategien der Eingemeindung des Spiels in der Kultur der Bürgerlichkeit Eine Einleitung Ernst Strouhal, Ulrich Schädler In einem seiner schönsten Aufsätze, der »Kritik der Hegelschen Rechts- philosophie«, erschienen 1843/44 in den Deutsch-Französischen Jahr- büchern, widmete sich der junge Heinrich Heine-Schüler Karl Marx der Religion und ihrer janusköpfigen Gestalt. Religion ist zum einen »verkehrtes Weltbewußtsein«, weil es eine verkehrte Welt ist, die sie hervorbringt, zugleich ist sie »Seufzer der bedrängten Kreatur«, Elend und Protest gegen das Elend, kurz: Ausdruck »des illusorischen Glücks des Volkes«.1 Was für die Religion gilt, gilt für jedwede kulturelle Praxis des Menschen, auch für die Spiele: Sie sind Zerrspiegel gesellschaftlicher Verhältnisse, aber auch Wunschspiegel der Sehnsüchte der Menschen. Wiewohl flüchtig und performativ, hat die Tätigkeit des Homo ludens in der Kulturgeschichte ein e normes Archiv an Schriften und viele Spuren seiner materiellen Kultur hin- terlassen. Wenn die Arbeit getan ist und das Bedürfnis nach Sinn gestillt, dann spielt der Mensch. Nach dem Homo faber, der tätig ist in und an der Welt, nach dem Homo sapiens sapiens, der erkennen will um jeden Preis, hat der Homo ludens seine Stunde: Er feiert Feste, verkleidet sich, schiebt Hölzer über B retter und liefert sich dem Zufall aus, er taucht über die Scheinwelten des Spiels in Traumwelten, freut sich oder richtet sich daran zugrunde. In der Zweckfreiheit des Spiels, in der die Welt für eine Zeit lang vergessen wird, gewinnt der Spieler Identität wie Selbstdistanz. Keine Kindheit ist ohne Spiele, keine Gesellschaft ist denkbar ohne sie. Das Spektrum ist weit: Es reicht vom Spiel der Farben bis zum religiösen 1 Marx 2004, S. 22.

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.