essentials Springer Essentials sind innovative Bücher, die das Wissen von Springer DE in kompaktester Form anhand kleiner, komprimierter Wissensbausteine zur Darstel- lung bringen. Damit sind sie besonders für die Nutzung auf modernen Tablet-PCs und eBook-Readern geeignet. In der Reihe erscheinen sowohl Originalarbeiten wie auch aktualisierte und hinsichtlich der Textmenge genauestens konzentrierte Bearbeitungen von Texten, die in maßgeblichen, allerdings auch wesentlich um- fangreicheren Werken des Springer Verlags an anderer Stelle erscheinen. Die Leser bekommen „self-contained knowledge“ in destillierter Form: Die Essenz dessen, worauf es als „State-of-the-Art“ in der Praxis und/oder aktueller Fachdiskussion ankommt. Vasilena Dimitrova • Mike Lüdmann Sozial-emotionale Kompetenzentwicklung Leitlinien der Entfaltung der emotionalen Welt Dipl.-Psych. Vasilena Dimitrova Dipl.-Psych. Mike Lüdmann, M.A. Universität Duisburg-Essen Universität Duisburg-Essen Essen Essen Deutschland Deutschland ISSN 2197-6708 ISSN 2197-6716 (electronic) ISBN 978-3-658-04758-0 ISBN 978-3-658-04759-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-04759-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die- sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be- trachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media www.springer-vs.de Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 2 Zur Entwicklung der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme . . . . . . . . . . 3 2.1 Visuell-räumliche Perspektivenübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2.2 Konzeptuelle Perspektivenübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2.3 Emotionale Perspektivenübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.4 Bedeutung der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme für die Schulpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3 Zur Entwicklung der Regulation und des Verständnisses von Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.1 Der Emotionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.2 Die Entwicklung und Bedeutung der Emotionsregulation . . . . . . . . . 10 3.3 Die Entwicklung und Bedeutung des Emotionsverständnisses . . . . . 13 3.4 Die Bedeutung sozial-emotionaler Kompetenzen für das Sozialverhalten und schulischen Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 4 Diagnostik, Prävention und Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 V Einleitung 1 Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die sozial-emotionale Kompetenz- entwicklung und stellt dabei insbesondere die Entwicklung der Fähigkeit zur vi- suellen, konzeptuellen und emotionalen Perspektivenübernahme, die Entwicklung der Möglichkeiten zur Emotionsregulation und des Emotionsverständnisses in den Fokus. Der Beitrag ist ursprünglich im Buch Sozialerziehung in der Schule, heraus- gegeben von Maria Limbourg und Gisela Steins, erschienen. Julius und Peter sind Freunde seit der Kindergartenzeit und werden gemeinsam ein- geschult. Julius kann lesen, seitdem er vier Jahre alt ist. Zu Hause und im Kinder- garten wurde er immer deswegen gelobt. Peter kann noch nicht lesen, genau wie die meisten anderen Kinder. Julius meldet sich immer, wenn die Lehrerin eine Frage stellt, wird aber nur manchmal aufgefordert. Julius möchte in den Pausen mit Peter spielen. Der spielt aber lieber mit anderen Mitschülern und möchte mit Julius nur Zeit bei der Erledigung der Hausaufgaben verbringen. Dies kommt recht häufig vor. Irgendwann bittet Peter Julius wiederholt um Hilfe, Julius möchte ihm nicht mehr helfen. Peter kann gar nicht verstehen, warum Julius sich so verhält. Warum verhält sich Julius so? Warum kann Peter Julius Verhalten nicht verstehen? Welche Gedanken und Emotionen beschäftigen beide? Auch wenn solche Fragen von Erwachsenen und auch den meisten Jugendlichen leicht beantwortet werden können, haben jüngere Kinder Schwierigkeiten dabei, sich in andere hineinzuver- setzen. Unter sozialen Kognitionen werden die gedanklichen Vorgänge verstanden, die sich mit der Verarbeitung von Informationen über soziale Objekte, Geschehnisse, Personen oder Gruppen beschäftigen (Pendry 2007). Solche Informationen sind in Form von Schemata abgespeichert. Ein Schema ist eine kognitive Struktur, die alle für das Individuum vorhandene Informationen über ein bestimmtes Objekt, Ereig- nis, Person oder Gruppe beinhaltet (ebd.). Diese Inhalte können sehr unterschied- lich sein: z. B. in Kategorien geordnet, mit genauen Definitionen festgelegt, durch V. Dimitrova, M. Lüdmann, Sozial-emotionale Kompetenzentwicklung, essentials, 1 DOI 10.1007/978-3-658-04759-7_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 2 1 Einleitung Beschreibungen dargestellt, mit Erwartungen, Emotionen und Hoffnungen ver- knüpft. Die Schemata entstehen durch eine Auseinandersetzung des Individuums mit der Umwelt und basieren somit auf den dadurch entstehenden Erfahrungen. Beispiel Jedes Individuum (das eine Bildungsinstitution besucht hat) verfügt über ein „Prüfungsschema“. Hier können aufgrund vergangener Erfahrungen Informa- tionen abgespeichert sein. Diese können unterschiedliche Fragen (direkte, kom- plizierte, einfache), Prüfer (freundlich, engagiert, streng), Beisitzer (jung, still), Verhaltensweisen (Begrüßen, Fragen beantworten, Beispiele geben), Emotionen (aufgeregt, gespannt) betreffen. Das Individuum befindet sich in einer Prüfungssituation. Mithilfe des „Prü- fungsschema“ weiß das Individuum sofort, wie es sich verhalten soll. Es muss nicht bei jeder Prüfung die Situation erst mal neu erkunden und kann sich auf die Inhalte konzentrieren. Solche Schemata existieren nicht unabhängig voneinander, sie stehen in Verbin- dung und bilden das Wissen über die Umwelt des Individuums. Mit Hilfe dieser ko- gnitiven Strukturen ist jede Person in der Lage, die Geschehnisse aus ihrer Umwelt auf eine subjektiv empfundene effektive Art und Weise zu verarbeiten und Vorher- sagen über zukünftige Phänomene, Ereignissen und Verhaltensweisen zu erstellen. Diese Vorannahmen werden als naives Wissen oder als Alltagstheorien bezeichnet. Die Alltagstheorien entstehen aufgrund individueller, persönlicher oder kultureller Erfahrungen und basieren im Vergleich zu wissenschaftlichen Theorien nicht auf durch Gütekriterien überprüften Erkenntnissen. Die damit verbundenen Vorher- sagen können sich auf eigene oder fremde Verhaltensweisen, Erlebnisse, Emotio- nen oder Gedanken beziehen. Zur Entwicklung der Fähigkeit zur 2 Perspektivenübernahme Die vom Individuum gemachten Erfahrungen und konstruierten Schemata beein- flussen die Wahrnehmung sozialer Situationen. Zudem ist die Fähigkeit zur Pers- pektivenübernahme eine wichtige Voraussetzung für jegliche zwischenmenschli- che Interaktion. Gerade im schulischen Alltag spielen die hier fortwährend vor- handenen sozialen Interaktionen zwischen den einzelnen Akteuren im schulischen System eine bedeutsame Rolle. Das oben dargestellte Beispiel verdeutlicht, dass Clara versucht, die Situation aus der Perspektive von Nele zu betrachten. Geulen (1982) fasst dieses Phänomen zusammen: Hier geht es darum, daß wir auf der Grundlage unserer Kenntnis von der Position, vom Verhältnis eines anderen zu der Sache, in begründeter Unterstellung imaginieren können, wie ihm die Sache erscheint, welches seine Perspektive ist, und daraus wie- derum Schlüsse ziehen können, wie er voraussichtlich handeln wird. Dies hat dann wiederum Konsequenzen für die Planung unseres eigenen Handelns. So etwa läßt sich vorläufig umschreiben, was […] als role-taking oder perspective-taking bezeichnet und hier „Perspektivenübernahme1“ genannt wird. (Geulen 1982, S. 11) Die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme ist als eine grundlegende Voraussetzung zum Verständnis von Verhaltensweisen, verschiedenen Standpunkten, Gedanken und Emotionen anderer zu verstehen. In der Forschung gibt es drei grobe Unter- scheidungen: visuell-räumliche, konzeptuelle und affektive Perspektivenübernah- me (Steins & Wicklund 1993). 1 Die Bezeichnung Perspektivenübernahme wird in diesem Kapitel sowohl für role-taking als auch für perspective-taking benutzt. V. Dimitrova, M. Lüdmann, Sozial-emotionale Kompetenzentwicklung, essentials, 3 DOI 10.1007/978-3-658-04759-7_2, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2014 4 2 Zur Entwicklung der Fähigkeit zur Perspektivenübernahme 2.1 Visuell-räumliche Perspektivenübernahme Die visuell-räumliche Perspektivenübernahme ist „auf die physikalische Qualitä- ten der Perspektive einer anderen Person[…] bezogen“ (Steins & Wicklund 1993, S. 227). Jean Piaget (1896–1980) hat sich mit der kognitiven Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Diese unterteilt er in vier Phasen: senso-motorische (ungefähr 0–2 Jahre), prä-operatorische (ungefähr 2–6 Jahre), konkret-operatori- sche (ungefähr 6–12 Jahre) und formal-operatorische Phase (ungefähr 12–18 Jah- re). Sie sind nach Piaget eine Miniaturabbildung der menschlichen Entwicklung während der Evolution. Die vier Phasen sind nach Piaget aufeinanderfolgend, kul- turunabhängig und global (Piaget 2003). In der zweiten Phase beschreibt Piaget Kinder als egozentrisch. Unter Egozent- rismus versteht er die Unfähigkeit des Kindes, einen fremden Standpunkt zu über- nehmen. Dies zeigt er in einem Versuch (Piaget & Inhelder 1956), in dem er das Kind in einem dreidimensionalen Drei-Berge-Pappmodell vergangene und fremde Betrachtungsaussichten einschätzen lässt. Für das Kind, das sich in der prä-opera- torischen Phase befindet, ist die Lösung dieser Aufgabe nicht möglich. In den an- schließenden Phasen steigt die Anzahl der richtigen Antworten an. Mit zehn Jah- ren kann das Kind diese Aufgabe lösen. Spätere Untersuchungen konnten zeigen, dass durch Vereinfachung der Experimentalbedingungen (Fishbein et al. 1972), Unterstützung durch Orientierungshilfen (Acredolo 1977) und eine vertraute Um- gebung (Acredolo 1979) schon deutlich jüngere Kinder in der Lage sind, ähnliche Aufgaben zu lösen. 2.2 Konzeptuelle Perspektivenübernahme Der Begriff konzeptuelle Perspektivenübernahme „bezeichnet das Verständnis für die Gesamtsituation einer anderen Person“ (Steins & Wicklund 1993, S. 228). Das Verständnis geht über die physikalischen und beobachtbaren Eigenschaften des Geschehens hinaus und beinhaltet die inneren, nicht-beobachtbaren Vorgänge innerhalb der Person. Die Theory of Mind (ToM) beschäftigt sich mit solchen An- nahmen. Sodian bezeichnet die ToM als „alltagspsychologische Konzepte, die wir benut- zen, um uns selbst und anderen mentale Zustände zuzuschreiben“ (Sodian 2007, S. 44). Wimmer und Perner (1983) überprüfen die Entwicklung solcher Annahmen bei Kindern durch eine Aufgabe zum Verständnis von falschen Überzeugungen („Maxi-Aufgabe“, s. Beispiel).