Sequenzplanung - Sophokles: Antigone – im Deutschunterricht SII Sophokles, geboren um 496 v. Chr. bei Athen, gestorben 406 v. Chr. Text-Aufbau: Prolog: Dialog Antigone - Ismene; Antigones Vorhaben Parodos (Einzugslied des Chors): Aufruf zur Siegesfeier 1. Epeisodion (Dialogteil): Kreons Rede - Bericht des Wächters von der Tat 1. Stasimon (Standlied): Chorgesang über die Fähigkeiten des Menschen 2. Epeisodion: Bericht des Wächters von der Entdeckung der Täterin - Antigones Gründe für ihr Handeln - Kreons Urteil über Antigone - Ismenes Bereitschaft - die Schuld der Schwester zu teilen 2. Stasimon: Chorgesang über das Ausgeliefertsein des Menschen an die Macht der Götter 3. Epeisodion: Haimons Abrücken von seinem Vater - Kreons Beharren auf der Urteilsvollstreckung 3. Stasimon: Chorgesang über die Macht des Eros, der Haimon in einen Zusammenstoß mit dem Vater getrieben hat 4. Epeisodion: Antigones Schicksalsklage gegenüber dem Chor 4. Stasimon: Chorgesang über Präzedenzfälle zu Antigones Geschick 5. Epeisodion: Die Mahnung des blinden Sehers Teiresias - Kreons Verblendung - Ankündigung des Unheils - Kreons zu später Einsicht 5. Stasimon: Chorgesang an Dionysos als hoffnungsvolles Gebet Exodus: Botenberichte über die Vollendung der Katastrophe - Haimons Tod - Selbstmord der Eurydike Kreons Klage - Auszug des Chores Stichomythie = Wechselrede im Dialog, Vers für Vers EINHEIT DER ZEIT: ein Tagesablauf, Chor begrüßt ,,Strahl der Sonne“, in Exodus spricht Kreon vom ,,endigenden Todestag“ (nach: Claudia Vollmer, 2000) ------------------------------------------------------------------------------------------------- Gustav Schwab: SAGEN des klassischen Altertums Antigone und Kreon Kreon erkannte in der Täterin seine Nichte Antigone. »Törin«, rief er ihr entgegen, »die du die Stirne zur Erde senkst, gestehst oder leugnest du dieses Werk?« »Ich gestehe es«, erwiderte die Jungfrau und richtete ihr Haupt in die Höhe. »Und kanntest du«, fragte der König weiter, »das Gesetz, das du so ohne Scheu übertratest?« »Wohl kannte ich es«, sprach Antigone fest und ruhig, »aber von keinem der unsterblichen Götter stammt diese Satzung. Auch kenne ich andere Gesetze, die nicht von gestern und heute sind, die in Ewigkeit gelten und von denen niemand weiß, von wannen sie kommen. Kein Sterblicher darf diese übertreten, ohne dem Zorn der Götter anheimzufallen; ein solches Gesetz hat mir befohlen, den toten Sohn meiner Mutter nicht unbegraben zu lassen. Erscheint dir diese Handlungsweise töricht, so ist es ein Tor, der mich der Torheit beschuldigt.« »Meinst du«, sprach Kreon, noch mehr erbittert durch den Widerspruch der Jungfrau, »deine starre Sinnesart sei nicht zu beugen? Zerspringt doch auch der sprödeste Stahl am ersten. Wer in eines andern Gewalt ist, der soll nicht trotzen!« Darauf antwortete Antigone: »Du kannst mir doch nicht mehr antun als den Tod; wozu darum Aufschub? Mein Name wird nicht ruhmlos dadurch werden, daß ich sterbe; auch weiß ich, daß deinen Bürgern hier nur die Furcht den Mund verschließt und daß alle meine Tat im Herzen billigen; denn den Bruder lieben ist die erste Schwesterpflicht.« »Nun so liebe denn im Hades«, rief der König immer erbitterter, »wenn du lieben mußt!« Und schon hieß er die Diener sie ergreifen, als Ismene, die vom Los ihrer Schwester vernommen hatte, herbeigestürmt kam. Sie schien ihre weibliche Schwäche und ihre Menschenfurcht ganz abgeschüttelt zu haben. Mutig trat sie vor den grausamen Oheim, bekannte sich als Mitwisserin und verlangte mit der Schwester in den Tod zu gehen. Zugleich erinnerte sie den König daran, daß Antigone nicht nur seiner Schwester Tochter, daß sie auch die verlobte Braut seines eigenen Sohnes Haimon sei und er durch ihren Tod seinem eigenen Sprößling die Ehe wegmorde. Statt aller Antwort ließ Kreon auch die Schwester fassen und beide durch seine Schergen in das Innere des Palastes führen. http://gutenberg.spiegel.de/schwab/sagen/sch1618.htm ------------------------------------------------------------------------------------------------- G. Einecke/sophokles_antigone_im_unterricht.doc/01.02.06/15 1 Stammbaum der ANTIGONE Uranos ∞ Gaia (Folie G. Einecke) Titan: Kronos ∞ Titanin: Rhea Dione ∞ Zeus ∞ Hera Aphrodite ∞ Ares Agenor (König von Phönizien/N-Afrika) Europe (von Zeus entführt) Eros Harmonia ∞ Kadmos (Gründerkönig von Theben) Polydor Agaue Labdakos Pentheus Laios ∞ Iokaste Oklasos = Ödipus ∞ Iokaste (seine Mutter) Menoikeus Eteokles Polyneikes ANTIGONE ISMENE Kreon Haimon ... ------------------------------------------------------------------------------------------------- Uranos = der Himmel Gaia = Mutter Erde, die große Mutter Zeus = höchster griechischer Gott (röm. Iupiter), Vater der Götter und Menschen, Götterkönig im Olymp nach dem Vorbild der menschlichen Gesellschaft Ares = Kriegsgott Kadmos = Gründer der Burg Theben Labdakos = König von Theben Laios = König von Theben Iokaste = Tochter von Menoikeus und Schwester des Kreon Ödipus = Königssohn von Theben - Vom Orakel von Delphi wurde er als künftiger Mörder seines Vaters und Gatte seiner Mutter bezeichnet. Daher wurde er von seinen Eltern mit durchgebohrten Füßen auf dem Berg Kithairon ausgesetzt. Von Hirten gefunden, wurde er dem kinderlosen König Polybos von Korinth übergeben, der ihn als seinen Sohn aufzog. Unwissentlich erschlug Oidipus in Phokis seinen Vater. Er befreite Theben durch Lösung des Rätsels der Sphinx, wurde dort König und heiratete ahnungslos seine Mutter Iokaste, die sich daraufhin umbringt - Als Oidipus die Wahrheit erfuhr, blendete er sich. Von seinen Söhnen beleidigt, verfluchte er sie. Antigone begleitete ihren Vater bis zu seinem Tod in Attika. Polyneikes = Bruder der Antigone - Im Streit um die Herrschaft in Theben zog er im Zug der Sieben gegen Theben gegen seinen Bruder Eteokles. Beide fielen im Zweikampf. Antigone = Nach dem Tod ihrer bestattete sie trotz des Verbotes ihres Onkels Kreon auch Polyneikes, der mit den Sieben gegen Theben gekämpft hatte. Sie wurde deshalb zur Strafe in eine Felsenhöhle eingemauert und erhängte sich dort. Kreon = regierte nach dem Tod seiner Neffen Polyneikes und Eteokles in Theben Haimon = Kreons Sohn, Antigones Verlobter; kam zu ihrer Befreiung zu spät und tötete sich. G. Einecke/sophokles_antigone_im_unterricht.doc/01.02.06/15 2 Griechische Geschichte im Umfeld der „Antigone“: 1600 v. Chr.: mykenische Zeit – vom Adel bestimmt – mediterrane Göttinnen und indogermanische Götter 750 – Homer: Olympische Götter (Zeus etc.) 700 – Hesiod: „Theogonie“ = Buch über die Entstehung der Welt und der Götter, Beschreibung des griechischen Weltbildes seiner Zeit 448 – Attische Apoche (Athen) 443 – 429 Zeitalter des Perikles mit kultureller Blüte -------------------------------------------------------------- → 5. / 4. Jh. = Zeitalter der Klassischen Kunst in Griechenland = „antike Klassik“ → Vorbild für die „Weimarer Klassik“ (Goethe, Schiller etc.) Schriftsteller: 525-456: Aischylos (Athen): „Die Perser“, „Sieben gegen Theben“ 497-406: SOPHOKLES: „Antigone“ (442); „Elektra“; „Ödipus Tyrannos“ 445-385: Aristophanes: „Lysistrata“ (411) ------------------------------------------------------------ 431-404: Peloponnesischer Krieg zwischen Städtebündnissen Athen gegen Sparta: Der Peloponnesische Krieg trug zum Zerfall der altgriechischen Sitten und der griechischen Polis bei. Er bedeutete für Sieger und Unterlegene eine solche Schwächung, dass Griechenland fortan Spielball auswärtiger Mächte wurde. (Auffällig an der Genealogie: die göttliche Abstammung und mythische Vermittlung der Königsge- schlechter; die Verbindung der großen Adelsgeschlechter, teilweise ihre Blutsverwandtschaft, bis hin zum „Inzest“) mit: http://www.mythologica.de http://www.wissen.de http://de.wikipedia.org/wiki/Hauptseite G. Einecke/sophokles_antigone_im_unterricht.doc/01.02.06/15 3 Antigone im Unterricht Thematisierungen: Wer ist Antigone? Der griechischen Sage nach ist sie die Tochter des Ödipus und dessen Mutter Iokaste. Sie ist die Schwester des Polyneikes, die wider das königliche Verbot den Leichnam des im Zweikampf gefallenen Bruders bestattet. Sie ist die Frau, die durch ihr Handeln gegen den Befehl Kreons, ihren Onkel und den Herrscher Thebens, rebelliert und, zum Tode verurteilt, sich selbst das Leben nimmt. Zu einer zentralen Mythenfigur avanciert Antigone durch die nach ihr benannten Tragödie des Sophokles, die bis heute prägend auf die Rezeption des Antigone-Mythos wirkt. Zum Thema werden Fragen ● nach dem Verhältnis von Familie und Staat, ● nach Gesetz und Widerstand, ● nach göttlichem und menschlichem Gesetz, ● nach Bedingungen und Grenzen von Entscheidungsfreiheit, ● nach den Beziehungen der Geschlechter, nach Familienstrukturen. (nach: Bähr http://www.uni-trier.de/uni/fb2/germanistik/ger_lehr_ws05_06_ndl.html) Weiterführende Themen wären die ● Problematisierungen der Antigone in Sachtexten: Judith Butler: Antigones Verlangen - Verwandtschaft zwischen Leben und Tod. Suhrkamp Fft./M. 2001 – Rezension: http://literaturbeilage.zeit.de/show_article?ausgabe_id=17&artikel_id=200141___Fortsetzung_auf_Seite_94&rubrik_id=101 &rubrik_name=Philosophie Antigone psychologisch betrachtet - Macht, Inzest, Selbstaufopferung…: http://www.magersucht.com/pb/2/2_2.htm ● „Antigone“ als Beispiel für die antike Tragödie Entstehung und Formen des antiken Theaters: Theaterbau, religiöser Kontext, Rolle des Chors (des Publikums, des Volkes) etc. Bauformen und poetologisches Konzept – s.u. Texte aus und zu Aristoteles’ Poetik ● Theaterrezensionen – dramaturgische Ansätze, z.B.: Das Horizont Theater Köln präsentiert: Antigone Mit Sabiullah Anwar, Waldemar Hooge, Andreas Strigl - Inszenierung: Christos Nicopoulos 13. + 14. Mai 2000 jeweils 20 Uhr. „Die Inszenierung unternimmt den Versuch der „Autopsie“ eines antiken Dramas. „Antigone“ wird nicht als Vehikel einer politischen Idee oder eines romantischen Ideals verstanden, sondern im Sinne Sophokles als Denkmodel, in dem sich Ideen, Glaube und Tradition mischen. Die Figur Antigone wird nicht als individuelle Frau, sondern als Funktion innerhalb einer Struktur verstanden. Das Stück an sich ist unaktuell, und in diesem Abgrund liegt die Faszination von „Antigone“: ein menschliches Modell, das ausgedient hat.“ Christos Nicopoulos, Köln, 1997. http://www.matchboxtheater.de/antigone.htm Dazu eine Aufführungskritik – Kölner Stadtanzeiger 15.4.2000: http://www.matchboxtheater.de/presse1.htm ● Spielarten des Mythos im 20. Jahrhundert: Walter Hasenclevers expressionistisches Drama Antigone (1917) Bertolt Brechts Theaterstück Die Antigone des Sophokles. Nach der Hölderlinschen Übertragung für die Bühne bearbeitet und sein Antigonemodell 1948 Jean Anouilhs Antigone (1944) Elisabeth Langgässer: Die getreue Antigone(In: Der Torso, 1947) Rolf Hochhuths Novelle Berliner Antigone (1963) Grete Weil Meine Schwester Antigone, 1980. (FiTB 1997) G. Einecke/sophokles_antigone_im_unterricht.doc/01.02.06/15 4 Unterrichtsplanung ► Zur Methodik der Behandlung einer Ganzschrift: Beispiel „Drama“ ► Personenkonstellation anfertigen: ANTIGONE ISMENE CHOR von thebanischen Alten KREON EIN WÄCHTER HÄMON TIRESIAS EIN BOTE EURYDICE HAUSGENOSSE Textimmanentes konzentrisches Arbeiten an Schwerpunktthemen: Texte: http://gutenberg.spiegel.de/sophokle/antigone/antigone.htm zum altgriech. Textaufbau („Epeisodion“ etc.): s.o. S.1 Beispiel: Kreons Machtbehauptung in den sogen. Kreon-Reden 1. Akt 2. Szene (Kreon und Chor) 2. Akt 1. Szene (Bote, Antigone, Kreon und Chor) 3. Akt 1. Szene (Hämon, Kreon und Chor) 4. Akt 2. Szene (Kreon und Tiresias) 4. Akte 3. Szene (Chor und Kreon) 5. Akt 2. Szene (Kreon und Chor) 5. Akt 3. Szene Ende (Kreon und Chor) Beispiel: Formen der dialogischen Konfliktaustragung im Drama (s. Kommunikationsanalyse) 1. Akt 1. Szene (Antigone – Ismene) 2. Akt 1. Szene (Antigone – Kreon) 2. Akt 2. Szene (Antigone – Kreon – Ismene) Problem- und wirkungsanalytisches Arbeiten im Verbund von literarischem Text und Sachtexten: Beispiel: „Menschliche Hybris – das Beispiel Kreon“ - Grenzüberschreitungen von Machthabern heute (s. Unterrichtsentwurf) Beispiel: „Reinigung durch Furcht und Mitleid?“ - poetologische Texte von Aristoteles u.a.m. (s.u.) sowie - ausgewählte Stellen aus der Tragödie - Auswahl durch die Schülerinnen und Schüler: „Bilder im Kopf“ → von Szenen ausgehen, die bleibende Bilder im Kopf erzeugt haben G. Einecke/sophokles_antigone_im_unterricht.doc/01.02.06/15 5 Stundenplanung LK 12 – Sophokles: Antigone Sachanalyse zur „Kreonrede“ (Z. 639-680) – (von Eva-Maria Arth 1996) Für ein Stundenthema: Kreons Argumentation zur Behauptung seiner Macht Kreon ist der neue Machthaber Thebens, nachdem die Ödipus-Söhne Eteokles und Polyneikes sich gegenseitig umgebracht haben. Als solcher muss er dem Volk seine neue politische Linie bekannt geben. Dabei begeht er einen schweren Fehler, indem er verbietet, den einen Königssohn zu beerdigen. Dies verstößt nicht nur gegen die Ansicht des Volkes (so zeigt z.B. der Chor zwar Gehorsam, jedoch wird aus seinem Verhalten deutlich, dass er den Entschluss nicht billigt (Z. 211-2229), sondern es widerspricht auch dem Willen der Götter. Die Begründung seines Verhaltens ist in seinen politischen Grundsätzen zu finden. Sein Hauptkriterium ist das loyale Verhalten eines Bürgers gegenüber dem Staat. In den folgenden Reden wird deutlich, dass Kreon sich von seiner Überzeugung nicht abbringen lässt. Er erkennt Unruhe im Volk (Z. 289/290), versucht diese aber mit Gewinnsucht zu erklären. Er will nicht wahrhaben, dass Götter sich in weltliches Recht einmischen. Im Verhör mit Antigone wird deutlich, dass es ihm darum geht, jeglichen Widerstand zu brechen. Er will seinen Willen mit aller Macht durchsetzen und weicht einer Auseinandersetzung mit dem von Antigone angesprochenen Recht der Götter aus. Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass es sich um eine Machtdemonstration handelt. Im dritten Epeisodion führt Kreon eine bewusst aufgebaute Argumentation, um sich die Zustimmung seines Sohnes zu sichern. Dabei geht er als erstes auf das „richtige“ Vater-Sohn-Verhältnis ein. Er wünscht sich „folgsame Kinder“ (Z. 642), die den Vater nicht nur unterstützen, sondern seinem Freund/Feind-Schema zustimmen. Die Betonung, dass gegen den Feind zu kämpfen und der Freund zu ehren sei (Z. 643/644), verdeutlicht, dass Kreon trotz seiner allgemeinen Formulierung auf das Brüderpaar Polyneikes/Eteokles anspielt. Der Herrscher will Haimon von der Richtigkeit des Beerdigungsverbots überzeugen. Seine Argumentation bezieht sich aber nicht nur auf dieses Gebot, sondern auch auf den aus der Überschreitung resultierenden Hinrichtungsbefehl gegenüber Antigone. Haimon soll zu der Einsicht gelangen, dass der Vater und vor allem die Loyalität zu ihm über der Liebe zu Antigone stehen. Dies wird aus den Worten „Darum <...> gib wegen einem Weib, das dir gefiel, nicht deine Einsicht preis!“ (Z. 248/249) Interessant an dieser Stelle ist die Benutzung des Präteritums. Einerseits kann es andeuten, dass Kreon wegen Haimons anscheinender Zustimmung (vgl. Z. 635ff) glaubt, dieser habe die Verlobte bereits vergessen. Andererseits zeigt es an, dass Antigone schon so gut wie tot ist (vgl. dazu auch Kreons Worte an Ismene: „sie sage lieber nicht - sie ist nicht mehr“ (Z. 568)). Trotzdem führt der Herrscher noch aus, warum sein Sohn von Antigone ablassen soll. Sie sei seine Feindin, „ein böses Weib“ (Z. 651) und wie ein falscher Freund zu beurteilen. Obwohl Kreon die Worte auf Haimon bezieht, beschreibt er eigentlich sein Verhältnis zu Antigone. Für ihn ist sie eine Feindin, weil sie sein Gebot überschritten hat. Und nicht nur die Missachtung seines Verbots erregt seinen Zorn, sondern auch, dass sie ihm „offen den Gehorsam < ... > versagte“ (Z. 656). Zusammen mit den folgenden Zeilen, in denen ausgedrückt wird, dass Kreon vor dem Volk nicht sein Gesicht verlieren will, wird deutlich, dass er sich in seiner Machtposition angegriffen fühlt. Dieser Eindruck wird in Zeile 659/660 verstärkt: „Zücht ich den Trotz schon bei Verwandten, wieviel mehr im Volk“ sagt aus, dass er Angst um seine Herrscherposition hat. Dabei zeigt das Wort „Trotz“, dass er die Haltung Antigones nicht versteht oder nicht verstehen will. Denn sie gibt vor, aus familiären bzw. religiösen Motiven zu handeln, und nicht, wie er annimmt aus Widerstand gegen sein Amt. Kreon begründet seine unnachgiebige Haltung weiter damit, dass er als Herrscher nur glaubhaft bleibt, wenn er seine Grundsätze auch bei Verwandten nicht verrät. Ihm kommt gar nicht in den Sinn, dass das G. Einecke/sophokles_antigone_im_unterricht.doc/01.02.06/15 6 Volk keine Machtdemonstration dieser Art erwartet und auf Antigones Seite steht. Seine Überlegungen drehen sich nur um die Frage, wie man sich als politischer Führer durchsetzt. Dabei sieht er nicht nur die Herrscher-Rolle klar definiert, sondern auch die Rolle des Volkes. Ein „guter Bürger“ habe der Regierung in allem zu folgen. Interessant an seinen Ausführungen ist, dass Kreon sich als gewählten Herrscher sieht. „Wen sich das Volk erkor, dem gilt's zu folgen <...> ob gerecht, ob ungerecht“ (Z. 266/267) verdeutlicht dies. Es macht zudem klar, dass er vom Volk absoluten Gehorsam erwartet. Sein Staat ist eine Diktatur mit ihm an der Spitze als absoluten Machthaber. Er scheint vergessen zu haben, dass er die Erbfolge angetreten hat und nicht gewählt wurde, Das ist ja gerade der Grund, warum er soviel Gewicht auf den gehorsam des Volkes legt. Außerdem belegt seine Rede an den Chor (vgl. 1. Epeisodion), dass er versucht, sich die Loyalität des Ältestenrates (also der Vertreter des Volkes) zu sichern. Wäre er vom Volk ausgesucht worden, hätte er die nicht nötig gehabt. Kreon verrennt sich, weil er Angst hat, vom Volk nicht anerkannt zu werden und seine Macht zu verlieren. Die Argumentation, die er anfangs zur Darstellung des rechten Vater-Sohn-Verhältnisses benutzt, führt er an dieser Stelle analog bezüglich des Herrscher-Untertan-Verhältnisses. Die Bürger sollen vollkommen hinter dem Herrscher stehen wie die Kinder hinter dem Vater. Dabei spielen „Zucht“ (Z. 676) und „das Ordnung-Schaffende“ (Z. 677) eine große Rolle. Die Bürger sollen seiner Linie folgen. Zum Schluss zeigt sich eine dritte Dimension seiner Machtauffassung. Er will zusätzlich als Mann gegenüber dem „Weibe“ (Z. 678) herrschen. Zusammen mit den für Antigone benutzten Beschreibungen (s. o.) kann man eine ziemlich frauenfeindliche Haltung erkennen, die sich in vorigen Szenen schon andeutete (vgl. Z. 525: „Mich wird im Leben nie ein Weib regieren“). Antigone hat Kreon deutlich gezeigt, was sie von ihm hält, und er will aufzeigen, dass sie ihm gegenüber keinerlei Chance hat. Eine weibliche Thronfolge kommt nicht in Frage, und er verweist sie in ihre Schranken. Kreon hat seine Machtposition damit verdeutlicht. Er will als Vater, als Staatsführer und als Mann der Herrscher sein, also im privaten und öffentlichen Bereich. Sein Anspruch auf Gehorsam ist damit absolut. Tafelbild zur „Kreonrede“ (Z. 639-680) eine bewusste Argumentation mit ähnlichen Bildern und Begriffen von seinem Sohn (640 ff.) Kreon verlangt von seinen Verwandten (659-667) Gehorsam (zentraler Begriff) vom Volk (670 ff.) von Frauen gegenüber Männern (677-680) G. Einecke/sophokles_antigone_im_unterricht.doc/01.02.06/15 7 Stundenentwurf zu einer anderen Stunde: Kirsten Stegh (LK 12, 2003): Die Hybris des Kreon als auslösendes Moment des tragischen Geschehens und ihre überzeitliche Bedeutung im Sinne eines allgemein-menschlichen Phänomens - Link Umgang mit literaturtheoretischen Sachtexten ► Analyse von Sachtexten: Methoden der Sachtextanalyse Arbeit an Sachtexten Konspekt zu Sachtexten Schlüsselbegriffe zur Poetik der Tragödie: Katharsis-Theorie 1. Aristoteles Übersetzungen des Originals: Aristoteles: Poetik cap. 6 (2) – ca. 330 v. Chr. (A) Tragödie ist Darstellung einer ernsten und abgeschlossenen Handlung, von einem gewissen Umfang, in anmutiger Sprache, mit einer nach ihren Teilen gesonderten Anwendung jeder Darstellungsart, durch handelnde Personen, nicht durch Erzählung, welche durch Mitleid und Furcht die Reinigung der Leidenschaften dieser Art bewirkt. [Egon Gottwein, Speyer 2002 / http://www.gottwein.de/Grie/aristot/aristpoet06.php ] (B) Die Tragödie ist die Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache, (...) [die durch die] Nachahmung von Handelnden und nicht durch Bericht, (...) Jammern und Schaudern hervorruft und hierdurch eine Reinigung von derartigen Erregungszuständen bewirkt. [Übers.: Fuhrmann, Manfred. Verlag: Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart 1994, S. 19] (C) Aristoteles: Über die Tragödie* Die Epik entspricht der Tragödie, soweit als sie Nachahmung edler Dinge ist in metrischer Rede. Soweit sie aber nur ein einziges Versmaß benutzt und bloße Erzählung enthält, unterscheidet sie sich von der Tragödie. Ebenso auch in der Länge: Die Tragödie versucht so weit als möglich sich in einem einzigen Sonnenumlauf oder doch nur wenig darüber hinaus abzuwickeln. Das Epos dagegen verfügt über unbegrenzte Zeit. [...] Die Tragödie ist die Nachahmung einer edlen und abgeschlossenen Handlung von einer bestimmten Größe in gewählter Rede, derart, dass jede Form solcher Rede in gesonderten Teilen erscheint und dass gehandelt und nicht berichtet wird und dass mit Hilfe von Mitleid und Furcht eine Reinigung von eben derartigen Affekten bewerkstelligt wird. [...] Da ferner die Nachahmung einer Handlung gemeint ist, jede Handlung aber von Handelnden geführt wird, welche hinsichtlich ihres Charakters und ihrer Gedanken von einer bestimmten Qualität sind (denn diese bewirken, dass auch die Handlungen selbst von bestimmter Qualität sind, und eben in den Handlungen haben alle Glück oder Unglück), also ist die Nachahmung der Handlung der Mythos. Ich verstehe hier unter Mythos die Zusammensetzung der Handlungen, unter Charakter aber das, was macht, dass wir die Handelnden so oder so nennen, unter Absicht das, worin sie etwas aussagen oder eine Meinung äußern. [...] G. Einecke/sophokles_antigone_im_unterricht.doc/01.02.06/15 8 Das Wichtigste davon ist der Aufbau der Handlungen. Denn die Tragödie ist nicht die Nachahmung von Menschen, sondern von Handlungen und Lebensweisen, von Glück und Unglück. (Glück und Unglück beruhen aber in Handlungen, und das Ziel der Tragödie ist eine Handlung, keine charakterliche Qualität. Qualifiziert sind die Menschen je nach ihrem Charakter, glücklich oder unglücklich sind sie aber auf Grund ihrer Handlungen.) Sie handeln also nicht, um die Charaktere darzustellen, sondern in den Handlungen sind auch die Charaktere eingeschlossen. Darum sind Handlung und Mythos Ziel der Tragödie. [...] Nachdem wir dies unterschieden haben, müssen wir nun sagen, wie der Aufbau der Handlungen sein soll, da ja dies das erste und wichtigste Stück der Tragödie ist. Vorausgesetzt ist, dass die Tragödie die Nachahmung einer vollständigen und ganzen Handlung ist, und zwar von einer bestimmten Länge; es gibt ja auch ein Ganzes, das keine Länge hat. Ganz ist, was Anfang, Mitte und Ende besitzt. Anfang ist, was selbst nicht notwendig auf ein anderes folgt, aus dem aber ein anderes natürlicherweise wird oder entsteht. Ende umgekehrt ist, was selbst natürlicherweise aus anderem wird oder entsteht, aus Notwendigkeit oder in der Regel, ohne dass aus ihm etwas weiteres mehr entsteht. Mitte endlich, was nach anderem und vor anderem ist. Es dürfen also Handlungen, die gut aufgebaut sein sollen, weder an einem beliebigen Punkte beginnen noch an einem beliebigen Punkte aufhören, sondern müssen sich an die angegebenen Prinzipien halten. Ferner, da die Schönheit bei einem Lebewesen und bei jedem zusammengesetzten Dinge nicht nur darin besteht, dass die Teile wohl geordnet sind, sondern dass das Ganze eine bestimmte, nicht beliebige Größe besitzt (denn die Schönheit besteht in Größe und Ordnung; darum kann weder ein ganz kleines Lebewesen schön sein - die Anschauung hört nämlich auf, wenn sie einer unwahrnehmbaren Größe nahe kommt - noch ein ganz großes, denn da vollzieht sich die Anschauung nicht auf einmal, sondern das Eine und Ganze entweicht dem Anschauenden aus der Anschauung, etwa wenn ein Lebewesen zehntausend Stadien groß wäre), wie also die Körper und Lebewesen eine bestimmte Größe haben müssen und diese übersichtlich sein soll, so muss auch der Mythos eine bestimmte Länge haben; diese muss erinnerlich bleiben können. [...] Der Mythos ist eine Einheit nicht dann (wie einige meinen), wenn er sich um einen einzigen Helden dreht. Denn unzählig vieles kann an einem einzelnen geschehen, und es wird dennoch aus dem allem keine Einheit. [...] Wie also in den anderen nachahmenden Künsten eine Nachahmung sich auf einen Gegenstand bezieht, so muss auch der Mythos, da er Nachahmung von Handlung ist, Nachahmung einer einzigen und ganzen Handlung sein. Die Teile der Handlung müssen so zusammengesetzt sein, dass das Ganze sich verändert und in Bewegung gerät, wenn ein einziger Teil umgestellt oder weggenommen wird. Wo aber Vorhandensein oder Fehlen eines Stücks keine sichtbare Wirkung hat, da handelt es sich gar nicht um einen Teil des Ganzen. [...] Da nun aber nicht nur eine vollkommene Handlung nachgeahmt wird, sondern auch eine solche, die Furcht und Mitleid erregt, so geschieht dies vorzugsweise, wenn es gegen die Erwartung und so, dass in einem Handlungsablauf Großes gestürzt und Niedriges erhöht wird, geschieht; denn so wird das Geschehen erstaunlicher, als wenn es sich von selbst oder durch den Zufall abwickelte. [In: Theorie des Dramas. Hg. U. Staehle. Stuttg.: Reclam 1973, 8-129 2. Lessing Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie (1767-1769) 75.: [...] Denn er, Aristoteles, ist es gewiss nicht, der die mit Recht getadelte Einteilung der tragischen Leidenschaften in Mitleid und Schrecken gemacht hat. Man hat ihn falsch verstanden, falsch übersetzt. Er spricht von Mitleid und Furcht, nicht von Mitleid und Schrecken; und seine Furcht ist durchaus nicht die Furcht, welche uns das bevorstehende Übel eines andern, für diesen andern, erweckt, sondern es ist die Furcht, welche aus unserer Ähnlichkeit mit der leidenden Person für uns selbst entspringt; es ist die Furcht, dass die Unglücksfälle, die wir über diese verhängst sehen, uns selbst treffen können; es ist die Furcht, dass wir der bemitleidete Gegenstand selbst werden können. Mit einem Worte: diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid. [...] G. Einecke/sophokles_antigone_im_unterricht.doc/01.02.06/15 9 Es beruhet aber alles auf dem Begriffe, den sich Aristoteles von dem Mitleiden gemacht hat. Er glaubte nämlich, dass das Übel, welches der Gegenstand unsers Mitleidens werden solle, notwendig von der Beschaffenheit sein müsse, dass wir es auch für uns selbst, oder für eines von den Unsrigen, zu befürchten hätten. Wo diese Furcht nicht sei, könne auch kein Mitleiden stattfinden. Denn weder der, den das Unglück so tief herabgedrückt habe, dass er weiter nichts für sich zu fürchten sähe, noch der, welcher sich so vollkommen glücklich glaube, dass er gar nicht begreife, woher ihm ein Unglück zustoßen könne, weder der Verzweifelnde noch der Übermütige, pflege mit andern Mitleid zu haben. Er erkläret daher auch das Fürchterliche und das Mitleidswürdige, eines durch das andere. Alles das, sagt er, ist uns fürchterlich, was, wenn es einem andern begegnet wäre, oder begegnen sollte, unser Mitleid erwecken würde: und alles das finden wir mitleidswürdig, was wir fürchten würden, wenn es uns selbst bevorstünde. Nicht genug also, dass der Unglückliche, mit dem wir Mitleiden haben sollen, sein Unglück nicht verdiene, ob er es sich schon durch irgendeine Schwachheit zugezogen: seine gequälte Unschuld, oder vielmehr seine zu hart heimgesuchte Schuld, sei für uns verloren, sei nicht vermögend, unser Mitleid zu erregen, wenn wir keine Möglichkeit sähen, dass uns sein Leiden auch treffen könne. Diese Möglichkeit aber finde sich alsdenn und könne zu einer großen Wahrscheinlichkeit erwachsen, wenn ihn der Dichter nicht schlimmer mache, als wir gemeiniglich zu sein pflegen, wenn er ihn vollkommen so denken und handeln lasse, als wir in seinen Umständen würden gedacht und gehandelt haben, oder wenigstens glauben, dass wir hätten denken und handeln müssen: kurz, wenn er ihn mit uns von gleichem Schrot und Korne schildere. Aus dieser Gleichheit entstehe die Furcht, dass unser Schicksal gar leicht dem seinigen ebenso ähnlich werden könne, als wir ihm zu sein uns selbst fühlen: und diese Furcht sei es, welche das Mitleid gleichsam zur Reife bringe. So dachte Aristoteles von dem Mitleiden, und nur hieraus wird die wahre Ursache begreiflich, warum er in der Erklärung der Tragödie, nächst dem Mitleiden, nur die einzige Furcht nannte. Nicht als ob diese Furcht hier eine besondere, von dem Mitleiden unabhängige Leidenschaft sei, welche bald mit bald ohne dem Mitleid, sowie das Mitleid bald mit bald ohne ihr, erreget werden könne; welches die Missdeutung des Corneille war: sondern weil, nach seiner Erklärung des Mitleids, dieses die Furcht notwendig einschließt; weil nichts unser Mitleid erregt, als was zugleich unsere Furcht erwecken kann. [...] 76.: [...] Allein, wie, wenn die Erklärung, welche Aristoteles von dem Mitleiden gibt, falsch wäre? Wie, wenn wir auch mit Übeln und Unglücksfällen Mitleid fühlen könnten, die wir für uns selbst auf keine Weise zu besorgen haben? Es ist wahr: es braucht unserer Furcht nicht, um Unlust über das physikalische Übel eines Gegenstandes zu empfinden, den wir lieben. Diese Unlust entstehet bloß aus der Vorstellung der Unvollkommenheit, so wie unsere Liebe aus der Vorstellung der Vollkommenheiten desselben; und aus dem Zusammenflusse dieser Lust und Unlust entspringet die vermischte Empfindung, welche wir Mitleid nennen. Jedoch auch sonach glaube ich nicht, die Sache des Aristoteles notwendig aufgeben zu müssen. Denn wenn wir auch schon, ohne Furcht für uns selbst, Mitleid für andere empfinden können: so ist es doch unstreitig, dass unser Mitleid, wenn jene Furcht dazukommt, weit lebhafter und stärker und anzüglicher wird, als es ohne sie sein kann. Und was hindert uns, anzunehmen, dass die vermischte Empfindung über das physikalische Übel eines geliebten Gegenstandes nur allein durch die dazukommende Furcht für uns zu dem Grade erwächst, in welchem sie Affekt genannt zu werden verdienet? Aristoteles hat es wirklich angenommen. Er betrachtet das Mitleid nicht nach seinen primitiven Regungen, er betrachtet es bloß als Affekt. Ohne jene zu verkennen, verweigert er nur dem Funke den Namen der Flamme. Mitleidige Regungen, ohne Furcht für uns selbst, nennt er Philanthropie: und nur den stärkere Regungen dieser Art, welche mit Furcht für uns selbst verknüpft sind, gibt er den Namen des Mitleids. Also behauptet er zwar, dass das Unglück eines Bösewichts weder unser Mitleid noch unsere Furcht errege: aber er spricht ihm darum nicht alle Rührung ab. Auch der Bösewicht ist noch Mensch, ist noch ein Wesen, das bei allen seinen moralischen Unvollkommenheiten Vollkommenheiten genug behält, um sein Verderben, seine Zernichtung lieber nicht zu wollen, um bei dieser etwas G. Einecke/sophokles_antigone_im_unterricht.doc/01.02.06/15 10
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