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Schrecklich amüsant-aber in Zukunft ohne mich PDF

73 Pages·2014·0.74 MB·German
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David Foster Wallace Schrecklich amüsant -aber in Zukunft ohne mich Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay marebuchverlag marebibliothek Geschichten vom Meer Herausgegeben von Denis Scheck Band 1 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme. Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich. Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1996 unter dem Titel Shipping Out in Harper's Magazine. Die hier veröffentlichte, erweiterte Fassung erschien 1997 unter dem Titel A Supposedly Fun ThingI'll Never Do Again in dem Essayband A Supposedly Fun ThingI'll Never Do Again bei Little, Brown and Company, New York. © 1996 /1997 by David Foster Wallace Deutsche Erstausgabe 1. Auflage 2002 © by marebuchverlag, Hamburg, 2002 Alle Rechte vorbehalten, auch das der fotomechanischen Wiedergabe Umschlaggestaltung sans serif, Berlin Typografie Farnschläder & Mahlstedt, Hamburg Herstellung Jan Enns, Wentorf bei Hamburg Schrift Adobe Garamond und Linotype Syntax Druck und Bindung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3-936384-00-2 www.marebuch.de Von mare gibt es mehr als Bücher: www.marebuch.de 1 Heute ist Samstag, der 18. März, und ich sitze im überfüllten Coffee-Shop auf dem Flughafen von Fort Lauderdale und versuche, die vier Stunden Wartezeit zwischen dem Auschecken auf dem Kreuzfahrtschiff und meinem Rückflug nach Chicago totzuschlagen, indem ich all das, was ich im Rahmen der soeben abgeschlossenen Reportage gesehen, gehört und getan habe, noch einmal und in hypnotischer Versenkung Revue passieren lasse. Ich habe sacharinweiße Strände gesehen, Wasser von hellstem Azur. Ich habe einen knallroten Jogginganzug gesehen, mit extrabreiten Revers. Ich habe erfahren, wie Sonnenmilch riecht, wenn sie auf 21.000 Pfund heißes Menschenfleisch verteilt wird. Ich bin in drei Ländern mit «Mään» angeredet worden. Ich habe 500 amerikanischen Leistungsträgern beim Ententanz zugeschaut. Ich habe Sonnenuntergänge erlebt, die aussahen wie nach einer digitalen Bildbearbeitung, und einen tropischen Mond, der am Himmel hing wie eine fette Zitrone - statt des spröden Gesteinsbrockens unter dem gewohnten US-Sternenzelt. Ich habe mich sogar (wenn auch nur kurz) in eine Conga-Polonaise eingereiht. Ich muss allerdings zugeben, dass ich wohl lediglich durch eine Art Peter-Prinzip an den Job gekommen bin. Weil nämlich eine gewisse Edelgazette von der Ostküste der Meinung war, mein erster Auftrag, ein formal nicht näher festgelegtes «Feature» über die gute alte State Fair, sei ganz gut gelaufen, haben sie mir diesmal diese superlaue Kreuzfahrt-Geschichte anvertraut, wiederum ohne jeden Hinweis darauf, was genau von mir erwartet wird. Dennoch hat sich für mich persönlich der Druck erhöht; denn betrugen die Spesen für die State-Fair-Story (die Glücksspiel- Verluste nicht eingerechnet) noch schlappe 2.700 Dollar, so müssen sie hier gleich 3.000 Dollar hinlegen, bevor auch nur eine einzige - wohlmöglich auch noch «packende» - Zeile auf dem Papier steht. Und wann immer ich mich von Bord aus, über Satellitentelefon, bei ihnen melde, versichern sie mir mit der größten Gelassenheit, ich solle mir nicht so viele Gedanken machen. Mehr kriegt man von diesen Zeitungsleuten nicht zu hören, schon gar kein ehrliches Wort. Alles, was sie wollen, behaupten sie, sei eine persönliche Doku-Postkarte im Breitwandformat. Mit anderen Worten: Junge, lass dich feudal durch die Karibik schippern und schreib einfach auf, was du gesehen hast. Ich habe jede Menge weißer Ozeanriesen gesehen. Ich habe Schwärme winziger Fische mit fluoreszierenden Flossen gesehen. Ich habe einen dreizehnjährigen jungen gesehen, der ein Toupet trug. (Die Fluorenz-Fische hielten sich an jeder Anlegestelle bevorzugt zwischen unserer Schiffswand und dem Beton der Kaimauer auf) Ich habe die Nordküste von Jamaika gesehen. Ich habe die 145 Katzen im Haus von Ernest Hemingway in Key West, Florida, gesehen (gerochen übrigens auch). Ich kenne inzwischen den Unterschied zwischen einfachem Bingo und Prize-0 und weiß, was ein Bingo Multi-Bonus ist. Ich habe Camcorder gesehen, für die man eigentlich einen Kamerawagen gebraucht hätte; ich habe Gepäckstücke, Sonnenbrillen und Kneifer in schreienden Neonfarben gesehen, und ich habe festgestellt, dass es über zwanzig verschiedene Marken von Badelatschen gibt. Ich habe Steeldrums gehört und Meeresschneckenbeignets gegessen und war Zeuge, wie eine Frau in Silberlamee einen gläsernen Aufzug von innen flächendeckend vollgekotzt hat. Ich habe im Zweiviertel-Takt von Siebzigerjahre-Disco-Musik den Arm gen Saaldecke gereckt, was ich seinerzeit (1977) ums Verrecken nicht getan hätte. Ich habe erfahren, dass jenseits von Ultra-ultra-Ultramarinblau noch eine Steigerung möglich ist. Ich habe während dieser einen Woche mehr und vor allem besser gegessen als jemals zuvor in meinem Leben, und während ich dies tat, habe ich am eigenen Leib den Unterschied zwischen «Rollen» und «Stampfen» eines Schiffs bei schwerer See erlebt. Ich habe mit eigenen Ohren gehört, wie ein Alleinunterhalter vor Publikum allen Ernstes sagte: «Okay, jetzt aber Scherz beiseite... » Ich habe blasslila Hosenanzüge gesehen, Sakkos von menstrualem Rosa, braunviolette Trainingsanzüge und weiße Freizeitschuhe, die ohne Socken getragen wurden. An den Blackjack- Tischen habe ich professionelle Kartengeberinnen erlebt, die so wunderschön waren, dass man dort gern den letzten Dollar verzockt hätte. Ich habe erwachsene US-Bürger aus dem gehobenen Mittelstand gehört, erfolgreiche Geschäftsleute, die am Info-Counter wissen wollten, ob man beim Schnorcheln nass wird, ob Skeetschießen im Freien stattfindet, ob die Crew ebenfalls an Bord schläft oder um welche Uhrzeit das Midnight-Buffet eröffnet wird. Ich kenne die feinen cocktailogischen Unterschiede zwischen einem Slippery Nipple und einem Fuzzy Navel. Ich weiß, was ein Coco Loco ist. In einer einzigen Woche war ich 1500 Mal Zielobjekt des berühmten amerikanischen Service-Lächelns. Ich hatte zweimal Sonnenbrand, und zweimal hat sich die Haut geschält. Ich habe auf See Tontauben geschossen. Reicht das? Damals schien es nämlich nicht zu reichen. Ich habe den subtropischen Himmel wie ein schweres Tuch über mir gespürt. Ein Dutzend Mal bin ich zusammengezuckt bei jenem alles durchbebenden Darmwind der Götter, der da heißt Nebelhorn. Ich habe die Grundlagen von Mah-Jong in mich aufgenommen, ein zweitägiges Bridge-Turnier verfolgt (in Teilen), gelernt, wie man eine Rettungsweste über einem Smoking anlegt, und beim Schach gegen ein neunjähriges Mädchen verloren. (Vielleicht sollte man korrekterweise sagen: Ich habe auf See nach Tontauben geschossen.) Ich habe mit unterernährten Kindern um den Preis für Halskettchen gefeilscht. Ich kenne jede denkbare Erklärung und Rechtfertigung eines Menschen, der 3.000 Dollar für eine Karibik- Kreuzfahrt ausgibt. Und ich musste mich schon sehr zusammenreißen, als mir ein echter Jamaikaner original jamaikanisches Gras anbot. Einmal habe ich vom Oberdeck aus gesehen, wie das niagarahafte Schraubenwasser der Steuerbordschraube die auffällige Rückenflosse eines Hammerhais (nehme ich mal an) umspülte. Ich habe Reggae als Aufzugsmusik gehört - ein Eindruck, für den mir die Worte fehlen. Ich weiß, was es heißt, wenn man vor der eigenen Toilette Angst hat. Ich habe diesen typischen Seemannsgang bekommen und wäre ihn mittlerweile gern wieder los. Ich habe Kaviar gegessen und war mit dem kleinen jungen neben mir am Tisch einig: Das Zeug schmeckt voll abgeranzt. Ich weiß jetzt, was sich hinter dem Begriff «Duty Free» verbirgt. Ich kenne nun die Höchstgeschwindigkeit eines Kreuzfahrtschiffs in Knoten.1 1 (was genau ein Knoten ist, weiß ich allerdings immer noch nicht) Ich habe viele leckere Sachen gegessen: escargots, Ente, Baked-Alaska, Lachs an Fenchel, einen Pelikan aus Marzipan und ein Omelette mit forensischen Spuren von echten oberitalienischen Trüffeln. Ich habe Leute im Liegestuhl allen Ernstes behaupten hören, es sei ja weniger die Hitze als die enorme Luftfeuchtigkeit. Ich wurde, ganz wie versprochen, von morgens bis abends und nach allen Regeln der schwimmenden Hotellerie verwöhnt. Und in dunklen Stunden habe ich Buch geführt über alle Arten von persistierenden Erythemen, Keratinosen, prämelanomischen Läsionen, Leberflecken, Ekzemen, Warzen, Zysten, Bierbäuchen, Cellulite-Fällen, Krampfadern und Besenreisern, Collagenunterspritzungen und Silikonimplantaten, misslungenen Kolorationen und Haartransplantationen, die mir unter die Augen kamen. Kurz, ich habe sehr viele fast nackte Leute gesehen, die ich lieber nicht fast nackt gesehen hätte. Ich war streckenweise so übel drauf wie seit der Pubertät nicht mehr und habe beinahe drei Mead-Kladden vollgeschrieben bei dem Versuch, herauszufinden, am wem es denn nun lag, an ihnen oder bloß an mir. Ich habe Freund- und Feindschaften fürs Leben geschlossen. Dem Hotel-Manager des Schiffes etwa, ein Mr. Dermatis, gehört mein ewiger Zorn, deshalb nenne ich ihn von jetzt an nur noch Mr. Dermatitis.2 2 Irgendwie hatte er wohl den Eindruck gewonnen, ich sei investigativer Journalist und wollte mich weder Küche noch Brücke noch die Mannschaftsdecks noch sonst etwas sehen lassen. Offizielle Interviews mit Mannschaft oder Servicepersonal waren gleichfalls nicht gestattet. Selbst in Innenräumen trug er Sonnenbrille und seine Epauletten sowieso, und er telefonierte mir in seinem Büro endlos und auf Griechisch etwas vor, nachdem ich extra auf das Karaoke-Halbfinale in der Rendez-Vous- Lounge verzichtet hatte, nur um ihn zu sprechen. Ich wünsche ihm alles Schlechte. Mein Kellner hingegen hat sich bei mir die höchste Achtung erworben. Und dem Kabinen-Steward in meinem Abschnitt von Deck 10/ Backbord, einer gewissen Petra, war ich am Ende regelrecht verfallen. Petra mit den Grübchen und dem breiten, offenen Gesicht, Petra, angetan wie eine Krankenschwester in raschelndem Weiß, stets eingehüllt in eine Wolke jenes norwegischen Zedernduft-Desinfektionsmittels, mit dem sie die Badezimmer wischte, Petra, die mindestens zehnmal am Tag jeden Quadratzentimeter meiner Kabine putzte, dabei aber nie beim eigentlichen Putzen anzutreffen war - ein zauberhaftes Wesen, das zweifellos eine eigene Doku-Postkarte wert wäre. 2 Also noch einmal und diesmal etwas genauer: Vom 11. bis 18. März 1995 unternahm ich freiwillig und gegen Bezahlung eine siebentägige Karibik-Kreuzfahrt (der Katalog spricht hier von einer 7-Night Caribbean oder «7NC» Cruise) an Bord der Zenith3, 3 Schon beim ersten Blick in den Celebrity-Cruises-Katalog wird es sich kein Scherzbold verkneifen könne, den dummen Namen Zenith in Nadir umzutaufen. Man verzeihe mir das. Gegen das Schiff an sich habe ich überhaupt nichts. einem 47.155-Tonnen-Schiff' der Celebrity Cruises Inc., einer von den über zwanzig Kreuzfahrtlinien, die von Südflorida aus operieren.4 4 Daneben gibt es auch Reedereien wie Windstar, Silversea, Tall Ship Adventures oder Windjammer Barefoot Cruises, aber deren Schiffe sind kleiner, und die angebotenen Reisen exklusiv bis zur Unerschwinglichkeit. Die Großen Zwanzig der Branche jedoch betreiben so genannte Megaschiffe, schwimmende Hochzeitskuchen mit einer Bettenzahl weit im vierstelligen Bereich und Schiffsschrauben von der Größe einer Bankfiliale. Die Megalines mit Heimathafen in Südflorida heißen Commodore, Costa, Majesty, Regal, Dolphin, Princess, Royal Caribbean oder eben Celebrity Cruises. Außerdem Renaissance, Royal Cruise Line, Holland, Holland America, Cunard, Cunard Crown, Cunard Royal Viking. Dann gibt es die Norwegian Cruise Line, die Crystal und die Regency Cruises. Der WalMart in der Kreuzfahrtindustrie ist Carnival, branchenintern auch «Carnivore» genannt. Ich weiß nicht, zu welcher Linie die Pacific Princess aus der Fernsehserie The Love Boat gehörte (ich meine mich sogar zu erinnern, dass es sich um ein Fährschiff auf der Strecke Kalifornien - Hawaii handelte, obwohl man sie auch sonst überall gesehen hat), aber inzwischen hat Princess Cruises den Namen gekauft und benutzt den armen alten Gavin MacLeod, ehedem Kapitän- Darsteller auf dem Serien-Pott, für seine TV-Werbung. Grundsätzlich ist ein 7NC-Megaship - ähnlich wie ein Zerstörer - ein hochspezialisierter Schiffstyp, ein eigenes Genre sozusagen. Alle Megalines haben mehrere Schiffe. Technisch und wirtschaftlich stammen sie von den patrizischen Transatlantik-Linern ab, etwa der Titanic oder der Normandie, die ihre Passagiere nicht nur beförderten, sondern ihnen auch eine opulente Ausstattung boten. Die gegenwärtigen Zielgruppen und Marktsegmente im Kreuzfahrtgeschäft - ob Singles, Senioren oder spezielle «Themen»-Angebote wie eine Love-Boat-Revival-Rundfahrt, ob Firmen-, Party-, Familienpakete, ob für die Holzklasse. Komfortklasse, Luxus- oder Luxus-de-luxe- oder Luxusabsurd-Klasse - stehen im Wesentlichen fest, sind weitgehend aufgeteilt und doch immer wieder hart umkämpft. (Der Konkurrenzkampf zwischen Carnival und Princess etwa, so war inoffiziell zu erfahren, hat inzwischen zu Auswüchsen geführt, die einem die Haare zu Berge stehen lassen.) Megaschiffe werden für gewöhnlich in Amerika entworfen, in Deutschland gebaut, unter Billigflaggen wie Liberia bzw. Monrovia registriert, meistens von skandinavischen oder griechischen Gesellschaften betrieben und von einem skandinavischen oder griechischen Kapitän befehligt. Dieses Detail ist nicht ganz uninteressant, denn Skandinavier und Griechen haben die Seefahrt seit jeher beherrscht. Celebrity Cruises gehört zur Chandris Group, deshalb ist das große X auf den Schornsteinen ihrer drei Schiffe auch kein X, sondern ein griechisches Chi, Chi für Chandris, eine Reederfamilie so alt und mächtig, dass sie offenbar sogar einen Onassis für einen dahergelaufenen Strolch hielten. Das Schiff mit seiner gesamten Einrichtung zählte, gemessen an den in dieser Branche üblichen und mir jetzt bekannten Standards, zur absoluten Spitzenklasse. Die Küche war exzellent, der Service hervorragend, und sowohl bei den Landgängen als auch dem Animationsprogramm an Bord hatte man nichts dem Zufall überlassen. Das Schiff war so sauber und weiß wie nach einer Kochwäsche. Das Bläue der westlichen Karibik variierte zwischen babyfarben und einem fluoreszierenden Ultramarin, desgleichen der Himmel. Die Lufttemperatur bewegte sich im gebärmütterlichen Bereich. Die Sonne selbst schien auf maximale Annehmlichkeit voreingestellt. Auf zwei Passagiere kamen 1,2 Crewmitglieder. Wie gesagt, eine Luxus-Kreuzfahrt. Abgesehen von einigen unbedeutenden Varianten für das Nischenpublikum ist der Typus der 7NC-LuxusKreuzfahrt das Grund- und Erfolgsmodell schlechthin. Alle Megalines bieten mehr oder weniger dasselbe Produkt an. Dieses Produkt ist weder eine Dienstleistung im herkömmlichen Sinn noch verspricht es von vornherein Spaß pur. (Allerdings zeigt sich rasch, dass die Hauptaufgabe des Cruise Director und seiner Leute darin besteht, genau diese Spaß- Philosophie im Gast dauerhaft zu verankern.) Im Grunde geht es also eher um ein Gefühl, das in einem selbst hergestellt wird und das insofern als Gefühl eben - nicht mit einer Produktgarantie versehen werden kann. Das gewünschte Gefühl beruht auf einer Mischung aus Entspannung und Stimulation, stressfreiem Relaxen in Kombination mit einem touristischen Rahmenprogramm, das es in sich hat, kompromisslosem Service und Bevormundung, die unter dem Begriff «verwöhnen» läuft. Die Kataloge praktisch aller Megalines sind geradezu durchsetzt von dem Wort verwöhnen. Beispiele: «Lassen Sie sich an Bord verwöhnen wie noch nie zuvor in Ihrem Leben ... », «... und verwöhnen Sie sich in unserem Wellness-Bereich mit den verschiedensten Saunen und Whirlpools... », «Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Sie rundum zu verwöhnen», «Gönnen Sie sich etwas. Warum lassen Sie sich nicht einmal von der milden Brise auf den Bahamas verwöhnen?» Die Tatsache, dass auch für andere Konsumgüter mit jener Verwöhn-Qualität geworben wird, kommt sicher nicht von ungefähr und ist den PR-Agenturen der Megalines auch nicht verborgen geblieben. Sie haben jedoch gute Gründe, voll auf dieses Zauberwort zu setzen, getreu dem Leitsatz «Penetranz geht vor Varianz». 3 Einige Wochen vor meiner Kreuzfahrt berichteten die Nachrichten in Chicago vom Selbstmord eines sechzehnjährigen Jugendlichen. Der Junge war vom Oberdeck eines Luxuskreuzers (entweder der Carnival- oder der Crystal-Linie) in den Tod gesprungen, der Medienversion nach aus Liebeskummer, als Reaktion auf eine unglückliche Liebelei an Bord. Ich persönlich aber glaube, dass noch etwas anderes im Spiel war, etwas, über das man in einer Nachrichtenstory nicht schreiben kann. Denn alle diese Kreuzfahrten umgibt etwas unerträglich Trauriges. Und wie bei den meisten unerträglich traurigen Sachen ist die Ursache komplex und schwer zu fassen, auch wenn man die Wirkung sofort spürt: An Bord der Nadir überkam mich - vor allem nachts, wenn der beruhigende Spaß und Lärmpegel seinen Tiefpunkt erreichte - regelrecht Verzweiflung. Zugegeben, das Wort Verzweiflung klingt mittlerweile ziemlich abgegriffen, doch es ist ein ernstes Wort, und ich verwende es im Ernst. Für mich bedeutet Verzweiflung zum einen Todessehnsucht, aber verbunden mit dem vernichtenden Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit, hinter der sich wiederum die Angst vor dem Sterben verbirgt. Elend ist vielleicht der bessere Ausdruck. Man möchte sterben, um der Wahrheit nicht ins Auge blicken zu müssen, der Wahrheit nämlich, dass man nichts weiter ist als klein, schwach und egoistisch - und dass man mit absoluter Sicherheit irgendwann sterben wird. In solchen Stunden möchte man am liebsten über Bord springen. Ich wage einmal die Voraussage, dass der Redakteur die letzten Sätze streichen wird. Aber egal, so viel zur Person muss erlaubt sein. Denn für einen wie mich, der bis zu dieser Kreuzfahrt noch nie auf See gewesen ist, war der Ozean immer gleichbedeutend mit Grauen und Tod. Als Kind lernte ich die Einzelheiten sämtlicher bekannt gewordener Haiangriffe auswendig. Aber nicht einfach nur Angriffe, sondern vornehmlich solche mit tödlichem Ausgang. Beispielsweise den Fall Albert Kogler vor Baker's Beach, Kalifornien 1959 (Weißer Hai). Oder das Schlachtfest nach dem Untergang der USS Indianapolis, 1945 als Folge eines Torpedoangriffs in philippinischen Gewässern (beteiligt: eine Vielzahl von Arten, laut offizieller Darstellung hauptsächlich Tiger- und Blauhaie).5 5 Ich zitiere aus dem Gedächtnis, ein Buch brauche ich nicht. Ich kann immer noch die gesamte Verlustliste der Indianapolis herunterbeten, zum Teil mit Personenkennziffer und Heimatort. (Hunderte von Toten, 80 davon eindeutig durch Haiattacken, Zeitraum: 7.-10.August 1945. Ironiker, aufgepasst: Die Indianapolis hatte auf der Insel Tinian soeben eine Bombe namens Little Boy gelöscht, zur Weiterbeförderung - per Luftfracht - nach Hiroshima. Robert Shaw als Quint erzählt die Geschichte 1975 in Der Weiße Hai, ein Film, der, wie man sich unschwer vorstellen kann, für einen Dreizehnjährigen reine Fetisch-Pornographie war.) Oder der Hai mit der höchsten Opferrate, 1916 vor Matawan/Spring Lake, New Jersey (abermals ein Weißer Hai; aber sie fingen auch einen Menschenhai, in dessen Gastrointestinaltrakt menschliche Körperteile gefunden wurden (ich weiß sogar, welche und von wem». In der Schule habe ich drei verschiedene Aufsätze über das Kapitel «Der Verstoßene» aus Moby-Dick geschrieben, wo Pip, der Schiffsjunge, über Bord geht und in der unendlichen Leere des Ozeans den Verstand verliert. Und wann immer ich heute als Lehrer vor einer Schulklasse stehe, gebe ich den Schülern Stephen Cranes «Das offene Boot» zu lesen - und verstehe jedes Mal die Welt nicht mehr, wenn die Kids diese Alptraum-Geschichte entweder langweilig oder viel zu reißerisch finden. Dabei möchte ich ihnen doch nur etwas von demselben ozeanischen Grauen vermitteln, das auch ich immer empfunden habe, eine Ahnung vom Meer als urzeitlichem nada als bodenlosem Nichts, von Tiefen, aus denen feixende, zahnbewehrte Kreaturen zu dir aufsteigen, so schnell, wie eine Feder zu Boden schwebt. Jedenfalls meldete sich auf dieser Luxus-Kreuzfahrt6 mein atavistischer und lange unterdrückter Hai-Horror-Tick verstärkt zurück und ließ mich wegen der einen (mutmaßlichen) Haiflosse, die ich steuerbords entdeckt hatte, ein solches Theater aufführen, dass mir meine Tischgenossen von Tisch 64 schließlich mit größtmöglichem Takt bedeuteten, ich möge endlich die Klappe halten. 6 Jawohl, ich gebe es zu: Am ersten Abend meiner 7NC fragte ich die Küchen-Mannschaft des bordeigenen Fünf-Sterne- Restaurants Caravelle, ob sie vielleicht einen Eimer Bratfettt au jus erübrigen könnten, um damit von der Heck-Reling aus Haie anzulocken. Die Bitte erschien jedoch allen, vom Küchenchef angefangen bis hinunter zum Tellerwäscher, als kränkend, ja, als krank, und heute sehe ich sie als kapitalen journalistischen Fehler. Denn ich bin mir fast sicher, mein an sich harmloses Ansinnen wurde sogleich an Mr. Dermatitis weitergeleitet und hatte meine Verbannung aus Küche und Mannschaftsquartier zur Folge. Wenn ich also nicht von der Welt hinter den Kulissen der Nadir berichten kann, dann liegt es an meiner eigenen Dummheit. (Und es zeigte auch, wie wenig Ahnung ich von den tatsächlichen Dimensionen eines Kreuzfahrtschiffs hatte. Ein Eimer mit Bratenfett, über die Reling von Deck 12. gekippt, also aus zirka fünfzig Metern Höhe, wäre bestenfalls als feiner bräunlicher Schleier auf der Wasseroberfläche niedergegangen, mit einer Blut- und Gewebekonzentration, über die ein richtiger Hai nur hätte lachen können. Außerdem wäre aus dieser Entfernung die Rückenflosse eines Hais kaum größer gewesen als ein Stecknadelkopf) Ebenfalls kein Zufall ist, dass diese 7NC-Luxus-Kreuzfahrten vor allem ältere Leute ansprechen. Ich meine nicht steinalt-abgelebt, sondern die Altersgruppe der Über-Fünfzigjährigen, denen die eigene Hinfälligkeit kein abstrakter Begriff mehr ist. Tagsüber fiel es besonders auf: Die teilentblößten Leiber, die ich auf der Nadir zu sehen bekam, befanden sich in mannigfaltigen Stadien körperlichen Zerfalls. Wie ja das Meer überhaupt eine einzige große Zersetzungsmaschine ist. (Das Wasser, wie ich feststellen musste, so rachenspülungssalzig, sein Gischthauch so korrosiv, dass ich die Gelenke meiner Brille wohl reparieren lassen muss.) Meerwasser zerstört jedes Schiff in erstaunlichem Tempo, verwandelt Stahl in Rost, lässt Farben sich pellen, Lacke bröseln, vernichtet Glanz, überzieht Bordwände mit Muscheln und Algen und einem allgegenwärtigen maritimen Schmodder, der wie der Tod selber scheint. In den Häfen ließ sich das ganze Elend gut, beobachten. Der Horror: Kähne, die aussahen wie in Säure und Scheiße getaucht, über und über mit Ausschlag bedeckt, Rost und Schleim, zerfressen von dem, worin sie schwimmen. Nicht so die Schiffe der Megalines. Sie sind allesamt weiß und sauber, denn ihr Zweck ist nicht zuletzt, den calvinistischen Triumph von Kapital und Industrie über archaische Zerstörungskraft der See zu repräsentieren. Nadir beschäftigte ein ganzes Bataillon von wuseligen Drittwelt- Gestalten, die in ihren blauen Overalls tagein, tagaus das Schiff nach etwaigen Zeichen beginnenden Gammels absuchten. Der Autor Frank Conroy («Alle Zeit der Welt») schreibt in einer Art Werbeessay auf den ersten Seiten des Celebrity-Cruises-Katalogs: «Ich betrachtete es als eine Art persönliche Herausforderung, irgendwo an Bord ein Zeichen mangelhafter Wartung zu entdecken, ein angelaufenes Messingteil, eine angestoßene Reling, ein Schmutzfleck auf dem Deck, ein lockeres Kabel, irgendetwas, das nicht hundertprozentig tipptopp war. Endlich, gegen Ende der Reise, fand ich, was ich suchte, ein Gangspill7 7 (offenbar eine Schiffswinde, so etwas wie ein anabolgedopter Flaschenzug) mit einer etwa halbdollargroßen Roststelle auf der Außenbordseite. Allerdings wurde meine Freude über den winzigen Makel jäh unterbrochen, als ein Matrose mit Farbeimer und -roller anrückte. Ich konnte zusehen, wie er die komplette Gangspill frisch anstrich und sich mit einem kurzen Nicken wieder entfernte.» Denn darum geht es. Ein Urlaub bedeutet Schonung vor den Unannehmlichkeiten des Lebens, und da das Wissen um Tod und Untergang mit ziemlicher Sicherheit unangenehm ist, mag es verwundern, warum der alternative amerikanische Traumurlaub ausgerechnet darin besteht, in eine archaische Todesmaschine gepfercht zu werden. Doch auf einer 7NC-Luxus-Kreuzfahrt arbeitet man geschickt am Traum vom Sieg über eben diesen Tod und Untergang. Eine Methode

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