Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Heidemarie Winkel Kornelia Sammet Hrsg. Religion soziologisch denken Reflexionen auf aktuelle Entwicklungen in Theorie und Empirie Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie Herausgegeben von M. Breuer, Paderborn U. Karstein, Leipzig M. Koenig, Göttingen K. Sammet, Leipzig H. Winkel, Bielefeld A. Yendell, Leipzig Herausgegeben von Marc Breuer Kornelia Sammet Katholische Hochschule Universität Leipzig Nordrhein-Westfalen Heidemarie Winkel Uta Karstein Universität Bielefeld Universität Leipzig Alexander Yendell Matthias Koenig Universität Leipzig Universität Göttingen Weitere Bände in dieser Reihe http://www.springer.com/series/12575 Heidemarie Winkel · Kornelia Sammet (Hrsg.) Religion soziologisch denken Reflexionen auf aktuelle Entwicklungen in Theorie und Empirie Herausgeberinnen Heidemarie Winkel Kornelia Sammet Bielefeld, Deutschland Leipzig, Deutschland Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie ISBN 978-3-658-11720-7 ISBN 978-3-658-11721-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-11721-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Lektorat: Katrin Emmerich Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Inhalt Religion soziologisch denken. Eine Einführung ........................... 1 Kornelia Sammet und Heidemarie Winkel I Säkularisierung – Erklärungsmöglichkeiten und Grenzen Die Vielfalt der Säkularisierungstheorien und ihr unverzichtbarer Kern .... 21 Detlef Pollack Von Konversion zu multiplen Säkularitäten. Wissenschaftsbiographische Anmerkungen und systematische Zusammenhänge ..................... 45 Monika Wohlrab-Sahr Religionssoziologie jenseits des methodologischen Säkularismus. Multiple religiosities und religiöse Wissensproduktion am Beispiel arabischen Reformdenkens ............................................ 69 Heidemarie Winkel II Sinndeutungen und soziologisches Sinnverstehen Weltsichten. Diskussion und Modifikation eines wissenssoziologischen Konzepts zur Analyse von religiösen und nicht-religiösen Welt- und Lebensdeutungen ................................................... 101 Kornelia Sammet V VI Inhalt Anverwandlungen. Zur theoretischen Lesbarkeit empirischer Sachverhalte mit dem wissenssoziologischen Religionsbegriff von Joachim Matthes ................................................ 141 Andreas Feige und Christel Gärtner Biographische Formen des Religiösen. Lebensgeschichtliche Erzählungen aus qualitativ-längsschnittlicher Perspektive ........................... 163 Lena Dreier III Religiöse Kommunikation und religiöse Lebensführung Alltägliche Religiosität im Islam beobachten ........................... 197 Linda Hennig Die kommunikative Konstruktion der Transzendenz und die populäre Religion ................................................... 221 Hubert Knoblauch Islamische Religiosität in Deutschland. Normen gottgefälligen Lebens. Zwei Deutungsmusteranalysen ....................................... 243 Stefan Kutzner IV Religiöse Pluralisierung und Grenzziehung Religiöse Pluralisierung und ihre gesellschaftliche Bedeutung. Konzeptionelle Überlegungen und empirische Befunde .................. 273 Gert Pickel, Alexander Yendell und Yvonne Jaeckel Religious Diversity in the UK. Young People’s Attitudes and Views ....... 301 Elisabeth Arweck Religion als Zugehörigkeitskategorie. Zur Interferenz religiöser und ethnischer Grenzziehungen am Beispiel arabischer Christinnen und Christen in Deutschland ............................................. 321 Frederick Sixtus Inhalt VII V Differenzierung von Religion Die Religion der Zwischenbetrachtung. Max Webers „spezifisch religiöse Liebesgesinnung“ ........................................... 347 Hartmann Tyrell Pierre Bourdieus Religionssoziologie. Eine Anwendung am Beispiel des Neo-Salafismus im Feld des Islam ................................. 385 Melanie Reddig Kontingenzbewältigung durch Organisation. Das Wachstum der Megakirchen in den USA ............................................ 407 Thomas Kern und Insa Pruisken VII Religion soziologisch denken Eine Einführung Kornelia Sammet und Heidemarie Winkel Weltweiter gesellschaftlicher, und insbesondere religiöser Wandel bringt neue Her- ausforderungen für religionssoziologisches Denken und Forschen mit sich (Clarke 2009). In europäischen Gesellschaften lassen sich beispielsweise zunehmend Prozesse religiöser Pluralisierung, also der Vervielfältigung religiöser Glaubensinhalte, An- gebote und Gruppierungen beobachten.1 Migration befördert multiethnische und -religiöse Differenzierung, die vehement problematisiert wird (Pollack et al. 2014). Diese Veränderungen schlagen sich in einem deutlichen Anstieg der soziologischen Beschäftigung mit Religion nieder; sie hat der Religionssoziologie in den letzten beiden Jahrzehnten über ihre Fachgrenzen hinaus neue Sichtbarkeit und Relevanz verschafft. So sind in Deutschland an verschiedenen Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen große Forschungsverbünde, internationale Kooperationen und religionsbezogene Studiengänge entstanden, die sich neuen und alten Insti- tutionalisierungen, Sozialformen und Ausdrucksgestalten von Religion widmen. Dadurch entsteht auch die Notwendigkeit, die vorhandenen methodologischen und theoretischen Instrumentarien immer wieder von neuem der Reflexion und Weiterentwicklung zu unterziehen und nach der gesellschaftlichen Bedeutung und dem sozialen Ort von Religion zu fragen. Ein Ausdruck dieser veränderten Bedeutung von Religion ist ihre ausgeprägte Diskursivierung2. Religion ist Gegenstand öffentlicher Thematisierung und Aus- 1 Vergleiche einführend für das Verständnis von Pluralisierung und ihr Verhältnis zu Säkularisierung Markus Hero, Volkhard Krech und Helmut Zander (2008), Markus Hero und Volkhard Krech (2010) oder auch Gert Pickel und Oliver Hidalgo (2013) so- wie Claudia Götze, Yvonne Jaeckel und Gert Pickel (2013); für den us-amerikanischen Kontext vergleiche etwa Diana Eck (2007) oder auch Mark Chaves und Philip S. Gorski (2001) sowie Peter L. Berger (2014). 2 Der Diskursbegriff wird Michel Foucault folgend als Aussagesystem mit einer spezifischen inhaltlichen Gestalt und Struktur verstanden. Reiner Keller erläutert dazu, dass es sich um narrative Strukturen handelt, die einer Erzählung eine spezifische Gestalt verleihen, indem sie disparate Zeichen und Aussagen zu einer Phänomenstruktur verknüpfen – an 1 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017 H. Winkel und K. Sammet (Hrsg.), Religion soziologisch denken, Veröffentlichungen der Sektion Religionssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie, DOI 10.1007/978-3-658-11721-4_1 2 Kornelia Sammet und Heidemarie Winkel handlung (Habermas 2001, 2008; Lafont 2007), und sie ist Instrument politischer Akteure (Cooke 2007), etwa im Zusammenhang von Debatten über nationale Identität und Migration (Nagel 2013; Spohn et al. 2015; Göle 2016), wie im Fall männlicher Beschneidung (Yurdakul 2016). Religion ist auch Gegenstand neuer Formen der Institutionalisierung, etwa im Bildungssystem und im Zusammenhang mit Inte- grationspolitiken (Brunn 2012); Beispiele aus dem bundesdeutschen Kontext sind das islamische Theologiestudium (Ceylan und Sajak 2017) und die Islam-Konferenz (Amir-Moazami 2011, 2014). Religion ist also durchaus orientierungs- und hand- lungsleitend, und zwar auch dort, wo sie als Kontrastbild einer säkularistischen, westlich-europäischen Selbstsicht fungiert und beispielsweise wie im Fall des Islam hochgradig politisiert wird (Stauth 2001; Casanova 2004; Göle 2008; Attia 2007, 2009). Im Anschluss an Chantal Mouffe und Ernesto Laclau (1991) lässt sich von einer diskursiven Formation sprechen, innerhalb derer sich nicht nur verschiedene Positi- onierungen zu Religion präsentieren, sondern auch Differenzen und Asymmetrien stabilisieren; z. B. in Form symbolischer Kämpfe und sozialer Grenzziehungen. Teils vollziehen sie sich parallel zu und teils in enger Verwobenheit mit Prozessen ethni- scher Abgrenzung und Identifikation. Nicht selten ist dies mit einem antithetischen Typisieren sozialer und religiöser Gruppen in Gegensätzen von Wir und die Anderen verbunden (Hall 1994). In der Folge stabilisiert sich eine gesellschaftliche Auffassung von Religion, die vom Blick auf sogenannte Parallelgesellschaften (Nagel 2013) und Gegenöffentlichkeiten getragen ist und den Islam immer wieder zum Gegenstand öffentlicher Kontroversen macht (Göle 2008, 2013).3 In der gegenwärtigen Thema- tisierung des Islam spiegelt sich die Irritation darüber, dass westlich-europäische Gesellschaften trotz ihres säkularistischen bzw. laizistischen Selbstverständnisses durchaus mit Religion kompatibel sein könnten und sich auf den Fortbestand von Religion einstellen müssten, wie es Habermas (2001) im Begriff des postsäkularen Zeitalters auf den Punkt gebracht hat. Die Vielfalt multireligiöser Wirklichkeiten ist für manche west-europäische Gesellschaften teilweise aber noch ein relativ junges Phänomen; und so ist es weniger religiöse Pluralisierung an sich, die Irritationen hervorruft, sondern die wachsende multiethnische Differenzierung und die hiermit verbundene neue Sichtbarkeit religiöser Vielfalt in europäischen Gesellschaften (Göle und Amman 2004; Vertovec 2015, 2017). Sie wird mit zunehmendem Na- dieser Stelle das Phänomen Religion. Hierbei werden „verschiedene Deutungsmuster, Klassifikationen und Dimensionen der Phänomenstruktur (z. B. Akteur(inn)en, Prob- lemdefinitionen) zueinander in spezifischer Weise in Beziehung gesetzt“ (Keller 2007, S. 28). 3 Nilüfer Göle (2016) hat daher in ihrer jüngsten Studie mit von ihr als gewöhnlich bezeich- neten Musliminnen und Muslimen gesprochen; hierunter versteht sie u. a. Angehörige der Mittelschicht.
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