Rede der Vorsitzenden der Christlich Demokratischen Union Deutschlands Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel MdB Auszug aus dem Stenografischen Protokoll Dresden, 27. November 2006 20. Parteitag der CDU Deutschlands Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Vorsitzende der CDU: Sehr geehrter Herr Tagungspräsident, lieber Georg Milbradt! (Beifall) Liebe Freunde! Meine Damen und Herren! Zu Beginn aber ganz besonders: Liebe Frau Barzel, es ist für uns alle eine große Freude und Ehre, dass Sie heute zu unserem Bundesparteitag nach Dresden gekommen sind. Für dieses Zeichen der Zusammengehörigkeit auch über den Tod Ihres Mannes Rainer Barzel hinaus danke ich Ihnen und dankt dieser Bundesparteitag Ihnen von ganzem Herzen. (Beifall) Liebe Freunde, Rainer Barzel gehörte einer Generation an, deren Lebenswirklichkeit von wirklich einschneidenden Erfahrungen geprägt wurde. Aus diesen Erfahrungen erwuchs sein geradezu existenzielles politisches Anliegen, die Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit in einem geeinten Europa zu vollenden. Daran hat er immer festgehalten, auch als andere längst aufgegeben hatten. Das wird meine Generation –noch dazu, wenn man aus der früheren DDR kommt –ihm nicht vergessen. Dafür sind wir immer dankbar. (Beifall) Dass wir uns heute Morgen zum Gottesdienst gerade in der Dresdner Frauenkirche versammeln konnten –auch das ist Teil des Lebenswerkes von Politikern wie Rainer Barzel. Wir haben da nicht nur ein prächtiges Gotteshaus bewundert; wir sahen vor allem ein bewegendes Zeugnis von Aufbauwillen und von Zukunftsglauben. Wiedererstanden ist diesesWahrzeichen von Dresden gegen viel Widerstand, Kleinmut und Ungläubigkeit. Deshalb möchte ich allen danken, die an den Wiederaufbau dieser Kirche geglaubt haben, die dabei mitgeholfen haben, dass dieses Symbol für Frieden und Versöhnung heute in Dresden für die Menschen offensteht. Es ist ein wunderbares Symbol. (Beifall) Gelungen ist dies durch eine Initiative der Bürger. Das war Bürgersinn in seiner besten Form. Ich finde, so müssen wir die Angelegenheiten unseres Gemeinwesens begreifen: als bürgerliche Initiative. Das gilt auch für uns, die Mitglieder der Christlich Demokratischen Union. Jeder von uns trägt an seinem Platz in unserer Partei Verantwortung für unser Land. Seit Sie mich im November 2004 erneut zur Parteivorsitzenden gewählt haben, ist viel geschehen –in der Union und in Deutschland. Für die CDU waren die letzten zwei Jahre eine Zeit großartiger Erfolge und –das sage ich ganz offen –auch herber Enttäuschungen. Neben der Bilanz unserer Partei steht die Bilanz für Deutschland. Ich will hier von beiden Bilanzen sprechen, von der für unsere Partei und der für Deutschland, zwischen 2004 und heute. Die Erfolge der Christlich Demokratischen Union seit 2004 waren zum Teil spektakulär gut. Im Februar 2005 gelang es uns nach 17 Jahren SPD-Herrschaft, in Schleswig-Holstein wieder das Ruder zu übernehmen. (Beifall) Seither regiert Peter Harry Carstensen das Land in einer Großen Koalition. Schleswig-Holstein ist wieder auf Kurs in Richtung Erfolg! Peter Harry Carstensen gehört zu den beliebtesten Ministerpräsidenten in Deutschland. Weiter so, Schleswig-Holstein! (Beifall) Und dann kam der 22. Mai 2005, unvergessen: (Beifall) Jürgen Rüttgers und der gesamten Union ist etwas gelungen, worauf wir fast vier Jahrzehnte warten mussten. Eine fast 40-jährige SPD-Herrschaft in Düsseldorf wurde beendet! Jürgen Rüttgers regiert heute in einer schwarz-gelben Koalition das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Wachstum und Wohlstand haben wieder eine Chance. Das haben die Menschen in Nordrhein-Westfalen verdient, meine Damen und Herren, liebe Freunde! (Lebhafter Beifall) Aber damit nicht genug: Im März dieses Jahres hat Günther Oettinger einen großartigen Wahlsieg in Baden-Württemberg eingefahren. Herzlichen Glückwunsch! (Beifall) In Sachsen-Anhalt kann Wolfgang Böhmer seine erfolgreiche Arbeit fortsetzen. (Beifall) Und seit September dieses Jahres ist Jürgen Seidel stellvertretender Ministerpräsident in Mecklenburg-Vorpommern. (Beifall) In Rheinland-Pfalz gilt das Motto: Nach der Wahl ist vor derWahl! Wir danken Christoph Böhr ganz herzlich für seinen großartigen Einsatz und wünschen Christian Baldauf alles Gute. Rheinland-Pfalz hat eine bessere Regierung verdient, liebe Freunde! (Beifall) Und für Berlin, die deutsche Hauptstadt, haben wir gemeinsam mit Friedbert Pflüger das Ziel: Rot-Rot muss weg! Wowereit ist schon jetzt zweite Wahl, liebe Freunde! Diese Hauptstadt hat eine andere Regierung verdient als einen solchen Senat der Hilflosigkeit! Das müssen wir noch schaffen. (Beifall) Liebe Freunde, auf Bundesebene haben wir in den zurückliegenden zwei Jahren auch in der Endphase unserer Oppositionszeit noch die schlimmsten Dinge der damaligen rot-grünen Koalition verhindert. Wobei –sehr viel zu verhindern gab es eigentlich nicht mehr. Denn in Wahrheit herrschte nur eines: Stillstand auf ganzer Linie, Ratlosigkeit, wohin man schaute. Rot-Grün war mit seinem Latein am Ende! Ohne uns, ohne unsere Ministerpräsidenten und ihre Mehrheit im Bundesrat, wäre unser Land voll gegen die Wand gelaufen. Liebe Freunde, ich weiß, viele an der Basis haben in den letzten Monaten manchmal gesagt: Manch einer könnte vielleicht auch einmal an einer Fernsehkamera vorbeigehen, ohne etwas zu sagen. (Beifall) Manchmal könnte man vielleicht „Ja, aber“ statt „Nein, aber“ sagen. Es ist aber auch richtig: Von Leuten, die ohne unsere Unterstützung fast nichts mehr auf die Reihe gebracht haben, von Leuten, deren Ministerpräsidenten man an einer Hand abzählen kann, brauchen wir keine Belehrung über unsere Ministerpräsidenten. Wir sind stolz, dass wir sie haben und dass so viele Länder in Deutschland gut regiert werden. (Beifall) Der größte Erfolg der letzten zwei Jahre seit unserem Düsseldorfer Bundesparteitag bleibt allerdings einer: Wir haben Rot-Grün beendet, und zwar vorzeitig! Wir haben Schröder aufs Altenteil geschickt, und zwar vorzeitig! Soll er jetzt mit seinen Memoiren durchs Land fahren, gute Reise! Wir machen inzwischen mehr aus Deutschland. Wir regieren dieses Land, liebe Freunde. Und das ist wichtig und richtig! (Beifall) Ja, ich räume ein: Im ersten Jahr der neuen Regierung ist nicht alles glatt und nicht alles rund verlaufen. Niemand ärgert sich zum Beispiel mehr als ich darüber, dass wir bei der EU-Richtlinie zum Antidiskriminierungsgesetz, die ich im Übrigen im Grundsatz für unsinnig halte, (Beifall) zwei Anläufe brauchten, bevor wir es geschafft haben, dass sie akzeptabel ist. Das sage ich ganz klar. Aber unter dem Strich, liebe Freunde, gilt doch: Rot-Grün ist weg! Einen besseren Dienst konnten wir unserem Land nicht erweisen. (Beifall) Diese Bundesregierung hat im ersten Jahr ihrer Arbeit mehr beschlossen und mehr erreicht als manche Vorgängerregierung in Jahren. Und trotz des nicht voll erreichten Wahlziels bei der Bundestagswahl können wir heute in Dresden sagen: 2006 ist ein gutes Jahr für Deutschland! Wir können dieses Land wieder erfolgreich machen – und darauf sind wir stolz! Außenpolitisch ist Deutschland wieder geachtet. Wir sind ein verlässlicher Partner in Europa und in derWelt. Wir haben unsere Freundschaft zu den Vereinigten Staaten von Amerika erneuert. Wir brauchen die USA, genauso wie die USA uns brauchen. Deswegen sage ich, dass zur Freundschaft natürlich auch gehört, dass man Dinge offen anspricht, wo man unterschiedlicher Meinung ist. Aber –und das ist der Unterschied zum Kanzler Schröder –das macht man nicht im Geiste des Misstrauens, sondern im Geiste des Vertrauens! Darauf beruhen die verlässlichen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika! Genauso unverzichtbar für unsere Zukunft ist eine strategische Partnerschaft mit Russland. Aber auch hier gilt es, offen anzusprechen, wo wir unterschiedlicher Meinung sind. Denn beim Schutz der Menschenrechte, beim Schutz von Meinungs- und Pressefreiheit kann es kein Zögern und Zaudern geben. Das werde ich wieder und wieder meinen Gesprächspartnern sagen, egal ob es der russische Präsident, die chinesische Parteiführung oder wer auch immer auf dieser Welt ist. Für die Christlich Demokratische Union gibt es bei den Menschenrechten keine Kompromisse. Sie sind unteilbar, liebe Freunde! Das war so und das bleibt für uns auch so. (Beifall) Verteidigungspolitisch hat die Bundesregierung endlich, nach zwölf Jahren, wieder ein Weißbuch vorgelegt, das die neuen Bedrohungen, insbesondere den weltweiten internationalen Terrorismus, in den Blick nimmt und daraus die Aufgaben der Bundeswehr in unserer veränderten Welt bestimmt. Deutschland übernimmt inzwischen Verantwortung in vielen Auslandseinsätzen der Bundeswehr: in Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan, vor der Küste Libanons, im Kongo und am Horn von Afrika. Wir dürfen nie vergessen: Unsere Soldatinnen und Soldaten sind bereit, ihr Leben für unsere Werte und unsere Interessen einzusetzen. Manche von ihnen haben es im Einsatz verloren. Wir sind unseren Soldaten zu großem Dank verpflichtet. (Beifall) Liebe Freunde, ich sagte es bereits: 2006 war ein gutes Jahr für Deutschland, außenpolitisch, aber auch gesellschaftspolitisch. Wir gehen auf dem Kurs der Stärkung der Familie, der Erziehung und der Bildung voran. Damit wagen wir mehr Freiheit. Wir tun das, weil wir wissen, wie unersetzlich Ehe und Familie für das Zusammenleben unserer Gesellschaft sind. Hier werden Werte gelebt und vorgelebt. Hier übernehmen Eltern für Kinder und Kinder für Eltern Verantwortung. Deshalb ist und bleibt der Schutz von Ehe und Familie im Grundgesetz - das werden wir in der Programmdebatte auch bekräftigen - für uns unverzichtbar. (Beifall) Aber wir dürfen die Augen auch nicht vor der Tatsache verschließen, dass eine immer größer werdende Zahl von Familien heute nicht mehr allein in der Lage ist, die Erziehungsverantwortung wahrzunehmen. Fälle, wie das Schicksal des kleinen Kevin in Bremen, stehen leider dafür. Wir verfolgen das alles fassungslos. Für mich ist wichtig: Solche Fälle dürfen uns nicht nur ein paar Tage erschüttern, sie müssen uns dauerhaft aufrütteln, damit wir das Richtige tun und kein Kind mehr in die Gefahr gerät, einem solchen Schicksal ausgesetzt zu sein. (Beifall) Es bleibt richtig: Die Familie ist und bleibt der beste Ort der Erziehung. Alle Betreuungs- und Bildungsangebote bleiben Angebote. Der Staat kann niemals die nahe und persönliche Aufmerksamkeit einer Familie ersetzen. Ebenso richtig bleibt aber auch, dass nicht immer das Rezept gilt: Privat geht vor Staat. Der Staat muss sich heute, um solche Ereignisse wie in Bremen zu verhindern, stärker engagieren. Daran führt kein Weg vorbei; denn wir können nicht einfach wegschauen, auch das mussten wir in den vergangenen Jahren lernen, liebe Freunde. (Beifall) Auch innenpolitisch kann sich die Bilanz unseres ersten Regierungsjahres sehen lassen. Innere Sicherheit stärken und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft ermöglichen –das ist unsere Devise. Wir führen den Kampf gegen den Terrorismus in unserem Lande mit den geeigneten Mitteln. Wir waren es, die Videoüberwachungen durchgesetzt haben. Wir waren es auch, die dafür gesorgt haben, dass eine Antiterrordatei in Deutschland eingerichtet wird, damit wir die richtigen Mittel in der Hand haben. Wir besinnen uns auf unsere gemeinsamen Werte. Mit dem Integrationsgipfel, den Integrationsplänen und dem Dialog mit dem Islam gehen wir völlig neue Wege, die von größter Bedeutung für das Miteinander in unserer Gesellschaft sind. Liebe Freunde, das ist der christdemokratische und heute endlich mehrheitsfähige Gegenentwurf zu Mulitkulti. Multikulti hat Deutschland in die Irre geführt, Multikulti ist gescheitert. Deshalb ist es richtig, dass wir heute andere Wege gehen. Das ist der Christlich Demokratischen Union und der Union insgesamt zu verdanken. (Beifall) Heute stehen wir ganz selbstverständlich zu unserem Land, zu unserer Sprache, zu unserer Kultur und zu unserer Verfassung. Wir spüren auf einmal die Lebendigkeit, das Mitreißende unserer freiheitlichen Werte. Wir sind Deutsche und wir lieben unser Land, ohne jede Überheblichkeit, fröhlich, gastfreundlich und neugierig. Das ist Patriotismus im besten Sinne. Das ist einfach großartig! (Beifall) Wir tragen damit ein neues, ein schönes Bild eines selbstbewussten Deutschlands in die Welt. Jeder, der in diesen Tagen reist, weiß, wie das anderswo gesehen wird. Die haushaltspolitische Bilanz: Wir nehmen unsere Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen endlich wieder wahr. Der Haushalt entspricht endlich wieder den Vorgaben des Grundgesetzes. Wir haben die geringste Neuverschuldung seit derWiedervereinigung, die Maastrichtkriterien werden seit Jahren das erste Mal wieder eingehalten. So beenden wir Schritt für Schritt das Leben von der Substanz. Die wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Bilanz kann sich ebenfalls sehen lassen. Die Zahl der Arbeitslosen ist in diesem Jahr um fast eine halbe Million Menschen zurückgegangen. Die Zahl der offenen Stellen steigt. Das Wirtschaftswachstum ist doppelt so hoch wie 2005. Immer weniger Unternehmen gehen pleite. Die Preissteigerung flacht ab. Die Lohnzusatzkosten sinken. Das sind Erfolge, auf denen wir aufbauen können. (Beifall) Liebe Freunde, ich will nichts beschönigen. Wir haben 2005 wahrlich Wahlkampf für eine andere Koalition gemacht. Aber bei aller Aufrichtigkeit, mit der wir unsere Arbeit insgesamt bewerten, dürfen wir eines nicht übersehen: Auf eine Bilanz einer Regierungsarbeit, wie wir sie nach einem Jahr vorlegen können, haben die Menschen seit Jahren gewartet. Das ist die Wahrheit! (Beifall) Sie haben darauf gewartet, dass sich in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt endlich etwas bewegt. Das haben wir geschafft. Dabei wissen wir aber: Die Menschen haben Angst, dass die positiven Tendenzen auf dem Arbeitsmarkt und in der Wirtschaft keinen Bestand haben können, dass es wieder einmal nur ein kurzes Strohfeuer sein könnte. Darum müssen wir alles daran setzen, dass es dauerhaft in Deutschland aufwärts geht. Denn das Vertrauen der Menschen setzt auf Verlässlichkeit, und Vertrauen muss hart erarbeitet werden. Deshalb müssen wir die positiven Ergebnisse unserer Politik verstetigen, nachhaltig und unumkehrbar machen, damit die Menschen Hoffnung schöpfen können. Um das zu schaffen, müssen wir uns immer wieder eines klar machen: Es gibt nicht die eine Großmaßnahme. Manchmal habe ich den Eindruck, manche warten auf eine Art Urknall, dann werde wieder alles gut. Das gibt es nicht, das ist Träumerei und hat mit realer Politik nichts zu tun. Was wir aber leisten müssen, ist die Kombination der vielen richtigen Schritte. Das ist das Erfolgsprinzip, nach dem wir bislang gehandelt haben. Das wird auch das Erfolgsprinzip sein, nach dem wir weiter vorgehen werden. Wir gehen viele kleine Schritte in die richtige Richtung. Ja, es ist wahr: Wir regieren zusammen mit den Sozialdemokraten. So einfach liegen die Dinge. Dabei müssen wir uns immer klar machen: Ohne uns gäbe es nicht viele kleine Schritte in die richtige Richtung, aber mit uns, mit der Union, können wir unsere Handschrift deutlich machen. Das werden wir in der Großen Koalition für das Land und für die Menschen in diesem Land nutzen. Das werden wir auch weiterhin tun.
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