«Es soll aufhören!» Kinder als Betroffene von Partnerschafts gewalt verstehen und unterstützen Rahmenpapier zur audiovisuellen Themenmappe zur Sensibilisierung und Wissensvermittlung www.kinderschutz.ch/partnerschaftsgewalt 2 «Es soll aufhören!» | Rahmenpapier zur audiovisuellen Themenmappe Impressum Herausgeberin Realisation Kurzreportagen Kinderschutz Schweiz Idee und Konzept www.kinderschutz.ch Catherine Moser, Corinne Schmid und Marianne Kauer, Kinderschutz Schweiz Projektleitung Catherine Moser und Marianne Kauer, Filmische Umsetzung und Animation Kinderschutz Schweiz MICHELE ANDINA video & animation Filmherstellung Michele Andina ANNEVOSSFILM Anne Voss Fotos MICHELE ANDINA ANNEVOSSFILM video & animation Sélim Berthoud Michele Andina Fabienne Andreoli Gestaltung und Produktion MICHELE ANDINA raschle & partner, Iwan Raschle video & animation (Schriftliches Begleit material) Michele Andina Büro & web design GmbH, Daniela Haldemann (Webseite) Text Control AG (Korrektorat) Texte Jost Druck AG (Druck) Autorinnen Sabine Brunner (Begleitbooklet Portraitfilme) Realisation Portrait- und Themenfilme Mitarbeitende der porträtierten Angebote (Begleitbooklet Buch & Regie Kurzreportagen) Anne Voss Clarissa Schär (Infografik 1 & 2), Kinderschutz Schweiz David Hermann (Infografik 3) Catherine Moser, Corinne Schmid, Marianne Kauer Kamera (Rahmenpapier) Sélim Berthoud Fabienne Andreoli Übersetzungen und Anpassungen an die Sprachregionen Postproduktion Romandie: Marianne Tille, Géraldine Morel, Francine David Hermann Brücher Tessin: Giovanna Planzi, Giuliana Soldini, Cinzia Valletta, Musik Anna Vidoli David Hermann Produktionsassistenz Alexandra Schneider 3 «Es soll aufhören!» | Rahmenpapier zur audiovisuellen Themenmappe Dank Eine grosse Anzahl Personen haben durch ihre wertvollen Gerber, Jürg Lädrach, Laila Sturm, Lucas Maissen, Martin Beiträge zum Gelingen der einzelnen Produkte der The- Zwahlen, Mona Seitz, Monika Keller Zeugin, Pascale Berger, menmappe beigetragen. Herzlichen Dank für alle Anre- Renato Meier, Thomas Aebi, Tina von Uslar, Ursula Klopf- gungen, Hinweise und Gespräche! stein Mitwirkende des Fachbeirats Mitwirkende in den Kurzreportagen: › Claudia Fopp, Fürsprecherin, lic. iur., ehemalige Johannes Gerber, Katharina Girsberger, Susanna Sauermost, Leiterin Berner Interventionsstelle gegen häusliche Isabelle Chmetz und das Team des Centre d’accueil Malley- Gewalt, Bern, Mitglied Stiftungsrat Kinderschutz Prairie, Myriame Zufferey und das Team der Gesprächs- Schweiz gruppe CAMELEON Frauenhaus Biel › Géraldine Morel, Sozialanthropologin, Dr. phil., Vertreterin der Konferenz gegen häusliche Gewalt Gesprächspartner_innen für die der lateinischen Schweiz/Büro für die Gleichstellung Bedarfsabklärung: von Mann und Frau und für Familienfragen GFB des Ady Baur, André Woodtli, Andrea Hauri, Anton Pfleger, Kantons Freiburg, Koordination der Prävention von Brigitte Gschwend, David Müller, Diana Wider, Irene Hu- Gewalt in Paarbeziehungen ber Bohnet, Irma Bachmann, Jürg Brühlmann, Manuela › Isabel Miko Iso, Genderwissenschaftlerin, M.A., Krasniqi, Maya Mulle, Miriam Reber, Monica Kunz, Monika Leiterin Fachstelle Häusliche Gewalt Basel-Stadt, von Fellenberg, Myriam Caranzano-Maître, Paola Riva Gap- Vertreterin der Konferenz der Interventions- und any, Patrick Fassbind, Ruedi Winet, Stefan Blülle, Susan A. Fachstellen gegen häusliche Gewalt in der deutschspra- Peter, Ulrich Lips, Ursula Klopfstein, Ursula Thomet, Vere- chigen Schweiz (KIFS), Vorstandsmitglied der Schweize- na Stauffacher, Veronika Neruda rischen Konferenz gegen Häusliche Gewalt (SKHG) › Lucas Maissen, dipl. klin. Heil- & Sozialpädagoge, Weitere Beteiligte: Psychologe M.Sc., Institutionsleiter Schlupfhuus Andrea Ochse, Caroline Oesch, Christine Maurer, Claudia Zürich, ambulante und stationäre Krisenintervention Wiesmann, Edith Richener, Franziska Amstein, Geneviève für Jugendliche in Not Beaud Spang, Géraldine Merz, Henriette Grenacher, Jonas › Oliver Padlina, Psychologe, Dr. phil., Leiter des Wenger, Judith Hanhart, Jürg Zürcher, Lotti Thalmann, internetbasierten Interventionsprogramms für Magdalena Walser, Maran Leuenberger, Marlise von Arx, Jugendliche feel-ok.ch Michel Wyss, Michèle Gigandet, Miriam Tröndle, Oliver › Priska Oberholzer, Sozialpädagogin hfs, MAS Soziale Rüegg, Petra Gerster, Romy Arn, Ronja Rohr, Sabina Stör, Arbeit und Beratung, langjährige Mitarbeiterin bei Silvan Holzer, Simon Jost, Simone Schneiter, Tanja Maier Lantana Bern, Fachstelle Opferhilfe bei sexueller Gewalt › Susan A. Peter, Sozialpädagogin FHS und Kulturmana- gerin MAS, Geschäftsleiterin Stiftung Frauenhaus Zürich, Vorstand Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz und Liechtenstein (DAO) Hauptpersonen in den Portrait- und Themenfilmen: Simona, ihre Töchter und deren Grossmutter, Cécile, Lisa, Martin, Nicola, Vanessa Weitere Mitwirkende in den Portrait- und Themenfilmen: Andrea Gallasch, Barbara Wüthrich, Chiara Herold, Christina Manser, Denise Schläppi, Hänsu Kaufmann, Helga Berchtold, Ines Birk, Isabel Miko Iso, Johannes 4 «Es soll aufhören!» | Rahmenpapier zur audiovisuellen Themenmappe Warum das Miterleben von Partnerschaftsgewalt eine Menschenrechtsverletzung ist In der Fachwelt besteht heute zunehmend Einigkeit darü- gung kommen, weil die Eltern von den Gewaltkonflikten ber, dass das Miterleben von Partnerschaftsgewalt für ein und dem eigenen Erleben absorbiert sind. Findet Gewalt Kind1 eine ernst zu nehmende Gewaltform ist. Eine Viel- zwischen den Eltern statt, steigt zudem die Gefahr, dass zahl von Studien weist mittlerweile nach, dass betroffene auch gegenüber dem Kind direkte (körperliche, psychische Kinder ein mehrfach erhöhtes Risiko für Entwicklungs- oder sexuelle) Gewalt ausgeübt wird (vgl. Schär, 2017, Info- störungen tragen und dass die erlebte Gewalt ihre Ge- grafik «Häusliche Gewalt – Fokus Partnerschaftsgewalt: sundheit schwerwiegend beeinträchtigen kann. Nicht Was bedeutet dies für die Kinder?» in dieser Themenmappe). selten treten Langzeitfolgen auf, vor allem wenn bei an- haltender Gewalt nicht frühzeitig eine Intervention oder In der UNO-Kinderrechtskonvention ist in Artikel 19 fest- Unterstützung erfolgt oder wenn die Kinder weiteren Be- gehalten, dass Kinder das Recht auf Schutz vor jeder Art lastungen ausgesetzt sind, was in Situationen häuslicher von Gewalt haben. Dies umfasst körperliche und psychi- Gewalt häufig der Fall ist (vgl. Kindler, 2013). Die Gewalter- sche Gewaltanwendung, Schadenzufügung oder Miss- fahrungen in der Kindheit können dazu beitragen, dass handlung, Verwahrlosung oder Vernachlässigung, schlech- die Kinder später bedeutsame soziale und gesundheitliche te Behandlung oder Ausbeutung einschliesslich sexuellem Beeinträchtigungen aufweisen (vgl. Brunner, 2017, Begleit- Missbrauch. Zur psychischen Gewalt – die häufiger vor- booklet zu den Portraitfilmen in dieser Themenmappe). kommt als alle anderen Gewaltformen (NGO Advisory Council, 2011) – gehört Drohen, Beschimpfen, Blossstellen, Überwältigt vom eigenen Schmerz, von Wut und Ohn- Demütigen, Verachten, Abwerten, Isolieren oder Ignorie- macht sind Eltern2 häufig in ihrer Erziehungsfähigkeit ren. Auch das Miterleben von Partnerschaftsgewalt und eingeschränkt. Ihnen ist oft nicht bewusst, welche seeli- das Instrumentalisieren von Kindern und Jugendlichen in sche Not die Kinder erleiden. Sie hoffen, dass sie Gewalt- eskalierenden Elternkonflikten wird als Form von psychi- ausbrüche in der Partnerschaft vor den Kindern verbergen scher Gewalt beziehungsweise emotionaler Verwahrlo- können, indem sie ihre Konflikte am Abend oder in einem sung anerkannt3. Wie die allgemeinen Menschenrechte abgetrennten Zimmer austragen. Dies gelingt ihnen in der sind die Kinderrechte universell, unteilbar und vonein- Regel jedoch nicht. Die Kinder sind von der Gewalt auch ander abhängig, das heisst wenn ein Recht nicht garan- dann betroffen, wenn nicht zusätzlich körperliche oder tiert ist, werden damit auch andere Rechte untergraben: sexuelle Gewalt gegen sie ausgeübt wird, oder wenn sie die Wenn Kinder nicht ausreichend vor häuslicher Gewalt ge- Gewalt nicht direkt mitansehen, sondern «nur» mitanhö- schützt sind, kann beispielsweise ihr Kindeswohl gefähr- ren oder die Auswirkungen der Gewalt bei den Eltern det sein (Artikel 3), das Recht auf optimale Entwicklung wahrnehmen. Die Gewalt zu Hause wird zum Familienge- (Artikel 6) und auf Mitwirkung (Artikel 12) beeinträchtigt heimnis, wenn über das Erlebte mit niemandem – oft auch sein, ihre Gesundheit gefährdet (Artikel 24) sowie ihr nicht untereinander – gesprochen werden kann. So blei- Recht auf Bildung (Artikel 28) in Frage gestellt sein. Umge- ben die betroffenen Kinder auf sich allein gestellt, die Ge- kehrt können Eltern in Situationen von Partnerschaftsge- walt und das Leiden bleiben unentdeckt und unsichtbar. walt ihren elterlichen Pflichten und ihrer Verantwortung Neben der grossen psychischen Belastung, welche die Ge- für das Kindswohl nicht mehr vollständig nachkommen walt zwischen den Eltern für ein Kind darstellt, kann es und gerecht werden. Die Tatsache, dass Kinder von Part- zusätzlich zu emotionaler und körperlicher Vernachlässi- nerschaftsgewalt betroffen sind, kommt demnach einer 1 Mit «Kind» sind alle Menschen gemeint, die das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet haben (gemäss UNO-Kinderrechtskonvention, Artikel 1) 2 Mit «Eltern» sind alle Erwachsenen gemeint, die im Familiensystem gegenüber dem Kind eine elterliche Rolle einnehmen und/oder in einer partnerschaftlichen Beziehung mit einem Elternteil des Kindes stehen. 3 Siehe UNO-Kinderrechtskonvention, General Comment Nr. 13/2011, Article 19: The right of the child to freedom from all forms of violence (CRC/C/GC/13). 5 «Es soll aufhören!» | Rahmenpapier zur audiovisuellen Themenmappe Rechtsverletzung und einer Missachtung grundlegender gegen Kinder eine Bilanz zogen. Im Bericht von 2011 wur- Menschenrechte gleich. de anhand von Befragungen von betroffenen Kindern in Frauenhäusern darauf hingewiesen, dass die grosse Mehr- Die UNO hat 2006 die erste umfassende Studie zu Gewalt heit der Kinder während der Gewaltausbrüche zuhause ist. gegen Kinder veröffentlicht (UN Secretary General, 2006). Zudem wurde anhand von Studien aufgezeigt, dass Part- Mit der Hauptbotschaft, dass keine Gewalt gegen Kinder nerschaftsgewalt oft einhergeht mit physischer Gewalt gerechtfertigt ist und dass jede Gewalt gegen Kinder ver- gegen die Kinder (NGO Advisory Council, 2011; vgl. auch hindert werden kann, wurde ein neuer Massstab in der Info grafik 1 in dieser Themenmappe, Schär, 2017). Aus Diskussion um Gewalt gegen Kinder gesetzt. Die Studie dem Bericht von 2016 geht hervor, dass häusliche Gewalt proklamierte als oberstes Ziel, Gewalt gegen Kinder zu in einem Drittel der Fälle die Ursache ist, warum sich Kin- beenden. Sie formulierte zwölf konkrete Empfehlungen, so der weltweit an Notrufnummern und telefonische Bera- unter anderem, den Fokus auf Prävention zu setzen, das tungsdienste wenden (NGO Advisory Council, 2016). Insbe- Schaffen von niederschwelligen und kinderfreundlichen sondere aber geht der Bericht auf die nachhaltigen Unterstützungsangeboten, das Stärken des Bewusstseins Entwicklungsziele ein, die sogenannte Agenda 2030. Das für das Problem in der Gesellschaft und die Stärkung der darin festgehaltene Ziel 16.2: «Missbrauch und Ausbeutung Handlungskompetenz aller Fach- und Bezugspersonen, die von Kindern, den Kinderhandel, Folter und alle Formen mit Kindern arbeiten. Auf der Grundlage der Daten dieser von Gewalt gegen Kinder zu beenden», ebnet dem bereits Studie erschien im gleichen Jahr der erste Bericht zum in der Studie von 2006 geforderten Ziel im Rahmen der Einfluss von häuslicher Gewalt auf Kinder (UNICEF, Agenda 2030 den Weg zur konkreten Umsetzung. Die Staa- 2006). Darin wurde aufgrund von Hochrechnungen die tengemeinschaft wird damit in die Pflicht genommen, zu Zahl der von häuslicher Gewalt betroffenen Kinder welt- handeln und über ihre Entwicklungen zu berichten. Da- weit auf 275 Millionen geschätzt. Die Situation der von mit besteht auch für Massnahmen eine verbindliche Partnerschaftsgewalt betroffenen Kinder wurde auch in Grundlage, die von Partnerschaftsgewalt betroffenen Kin- den beiden Berichten aufgenommen, die fünf respektive dern zugutekommen. zehn Jahre nach Erscheinen der globalen Studie zu Gewalt Wozu es eine Themenmappe zu Partnerschaftsgewalt braucht Auch in der Schweiz ist die Problematik der Betroffenheit Der Fachbereich Häusliche Gewalt des Eidgenössischen von Kindern und Jugendlichen bei Partnerschaftsgewalt in Büros für Gleichstellung von Frau und Mann (EBG) ver- den letzten Jahren ins Blickfeld der Forschung und der Pra- stärkt und ergänzt seit 2003 im Auftrag des Bundesrats die xis gerückt. Neben politischen Vorstössen im Zusammen- bisherigen Massnahmen zur Bekämpfung der Gewalt, ins- hang mit den verschiedenen Formen häuslicher Gewalt ent- besondere der Gewalt in Paarbeziehungen. Das EBG stellt standen in verschiedenen Kantonen für betroffene Kinder in Informationsblättern in kurzer Form Wissen für öffent- Projekte, die teilweise in Regelstrukturen eingebettet wur- liche Stellen, private Organisationen, Medien und Fachper- den oder überführt werden konnten (vgl. Filmische Kurzre- sonen zu verschiedenen Aspekten häuslicher Gewalt zur portagen von Michele Andina über fünf solche Unterstüt- Verfügung, darunter auch zum Thema Gewalt gegen Kin- zungsangebote für Kinder, die von Partnerschaftsgewalt der und Jugendliche (Informationsblatt 17, vgl. EBG 2017). betroffen sind, und schriftliches Begleitbooklet in dieser Daneben bietet eine «Toolbox Häusliche Gewalt» Zugang Themenmappe (Kinderschutz Schweiz, 2017)). In verschiede- zu einer Vielzahl bereits existierender Arbeits- und Infor- nen Kantonen wurden zudem Einsatzkonzepte oder Merk- mationsmaterialien zu Prävention und Intervention (vgl. blätter für das Schulpersonal zur Unterstützung von betrof- EBG, o.J.). Damit findet sich auf der Website des EBG ein fenen Kindern veröffentlicht (vgl. Literaturliste in dieser umfassender, aktualisierter Überblick zum Thema häusli- Themenmappe). che Gewalt, inklusive zur Situation betroffener Kinder. 6 «Es soll aufhören!» | Rahmenpapier zur audiovisuellen Themenmappe Auf kantonaler Ebene wurden Interventionsstellen ge- andersetzungen anregen, aber auch Wissen über Zusam- schaffen zur Prävention und Bekämpfung häuslicher Ge- menhänge und Folgen von Partnerschaftsgewalt für Kin- walt. Um ein koordiniertes Vorgehen zu gewährleisten, der- und Jugendliche vermitteln und über mögliche sind diese in der Schweizerischen Konferenz gegen Häusli- Anlaufstellen für betroffene Kinder und ihre Familien in- che Gewalt SKHG zusammengeschlossen. formieren. Was bedeutet Gewalt zwischen den Eltern für betroffene Kinder und Jugendliche? Welche Symptome Trotz der genannten Entwicklungen wird in verschiedener können sie aufgrund der belastenden familiären Situation Hinsicht immer noch ein grosser Handlungsbedarf ausge- entwickeln? Was schützt und stärkt sie in ihrer Entwick- macht. Die Stiftung Kinderschutz Schweiz hat das Thema lung? Wo finden Kinder und ihre Familien Hilfe? Wie kön- «Kinder im Kontext Häuslicher Gewalt» für die Jahre 2014 nen professionelle Unterstützungsangebote aussehen, die bis 2018 als Schwerpunkt gesetzt und im Jahr 2015 zahl- sich nicht in erster Linie um die Mütter oder Väter, son- reiche Vertreter_innen aus Institutionen sowie Fachperso- dern ganz explizit um die betroffenen Kinder kümmern? nen befragt. Wie können solche Angebote in den vorhandenen Struktu- ren verankert und weiterentwickelt werden? Diese und Die Befragung ergab sehr deutlich, dass immer noch ein weitere Fragen sollen anhand der Materialien der Themen- beträchtlicher Sensibilisierungs- und Bildungsbedarf in mappe beantwortet oder diskutiert werden. Bezug auf das Thema unter Fachpersonen besteht, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Viele würden Die einzelnen Elemente der Themenmappe wurden in Inhalt noch zu wenig darüber wissen, welch hohe psychische Be- und Gestaltung auf die Bedürfnisse der verschiedenen Ziel- lastung das Miterleben elterlicher Paargewalt für betroffe- gruppen ausgerichtet. Die Materialien können online kosten- ne Kinder und Jugendliche bedeutet und welche Möglich- los bezogen und in der Aus- und Weiterbildung verschiede- keiten es gibt, Kinder zu unterstützen, zu stärken und ner Berufsgruppen eingesetzt werden. Sie sollen professionell zu begleiten. Dieses Wissen sollte nicht nur Fachpersonen aus dem Kinder- und Jugendbereich, aus Schu- unter Fachpersonen Verbreitung finden, die bereits im Be- len und anderen pädagogischen Institutionen sowie Fachleu- ruf stehen, sondern auch in den Ausbildungsgängen ange- te ansprechen, die auf Beratungsstellen und im Bereich der messen berücksichtigt werden. Gesundheitsversorgung oder im Bereich Kinderschutz arbei- ten. Fachpersonen in Schlüsselfunktionen und politische So entstand die Idee einer Themenmappe für eine breite Entscheidungsträger sollen ermutigt werden, sich Gedanken Zielgruppe von Personen aus dem privaten und professi- zu machen, auf welche Weise Kinder und Jugendliche, die onellen Umfeld von Kindern und Jugendlichen. Diese soll von Partnerschaftsgewalt betroffen sind, in ihrer Region ak- der Sensibilisierung für das Phänomen dienen, emotional tuell unterstützt und/oder wie die Unterstützung betroffener berühren, betroffen machen, zum Denken und zu Ausein- Kinder regional implementiert bzw. verbessert werden kann. 7 «Es soll aufhören!» | Rahmenpapier zur audiovisuellen Themenmappe Wie die Themenmappe zu Partnerschaftsgewalt entstanden ist Nach einer Konzeptionsphase begannen wir Anfang 2016 Menschen, die bereit waren, vor der Kamera Einblick in mit der Planung der Umsetzung dieser Themenmappe. Für ihre persönliche Geschichte zu gewähren, zeigte sich ein- das Kernstück – die Portraitfilme – konnten wir die Film- mal mehr die Komplexität der Thematik. Es wurde deut- produzentin und Regisseurin Anne Voss gewinnen. Ihre lich, wie tabubehaftet das Thema immer noch ist und wie langjährige Erfahrung in der filmischen Umsetzung von schwer es fällt, dazu zu stehen, dass in der eigenen Familie schwierigen oder tabuisierten Themen und ihre feinfühlige nicht alles so läuft, wie man es gerne hätte. Herangehensweise waren ein grosser Gewinn für das Pro- jekt. Gemeinsam mit ihr und der Unterstützung der Exper- Aber der unermüdliche Einsatz aller Beteiligten hat sich tinnen und Experten unseres Fachbeirats erarbeiteten wir gelohnt. Es gelang uns, Kinder, Jugendliche und Erwach- ein inhaltliches Konzept. Gleichzeitig begann die Suche sene für die Portraitfilme zu finden, die bereit waren, Ein- nach Protagonistinnen und Protagonisten für die Filme. blick in ihr Leben und in ihre Gefühlswelt zu gewähren Der Aufruf zum Mitmachen wurde dank vielen Koopera- und davon zu erzählen, wie sie die Gewalt aus ihrem per- tionspartnern breit gestreut. Gerade bei der Suche nach sönlichen Blickwinkel heraus erlebt haben. Was die Themenmappe beinhaltet In den fünf Portraitfilmen von Anne Voss und David Her- In drei weiteren Filmen kommen Lisa, Cécile, Nicola, Mar- mann kommen folgende Protagonistinnen und Protago- tin sowie Simona und ihre Töchter noch einmal zu Wort. nisten zu Wort: Zusammen mit zahlreichen Fachpersonen werden folgen- de Themen vertieft: 1. Simona und ihre Töchter (28 Min.) › «Meine Töchter haben viel zu viel miterlebt» 1. Kind – Konflikt und Krise (25 Min.) 2. Cécile (21 Min.) › Aber ich schweige – Familienklima › «Das Herz ist eine Tonne schwer» › Zwischen Angst und Sehnsucht – Ambivalenz 3. Nicola (19 Min.) › Ist es meine Schuld? – Schuldgefühle › Als hätte ich einen toten Punkt in mir, eine schmerz- › Aber ich habe beide lieb – Loyalität hafte Leere» › Ich bin gross und du bist klein – Parentifizierung 4. Martin (15 Min.) › «Am meisten schmerzt mich, was ich den Kindern 2. Aus eigener Kraft – Hilfe suchen (25 Min.) angetan habe» › Woher nehme ich die Kraft? – Ressourcen 5. Lisa (17 Min.) › Ihr kriegt mich nicht klein – Resilienz › «Sie zerrt mich an der einen Hand, er reisst mich an der › Wer hilft mir jetzt? – Unterstützung für Kinder anderen» › Eltern in Not – Unterstützung für Eltern Im schriftlichen Begleitbooklet zu den Portraitfilmen 3. Hinsehen und Handeln – in Kita, Kindergarten, vermittelt die Psychotherapeutin Sabine Brunner auf ver- Schule und Beratung (30 Min.) ständliche Art das notwenige Grundlagenwissen zum The- › Erkennen – Kinder senden Signale ma und veranschaulicht dieses durch Bezüge zum › Reden – Vertrauen aufbauen Filmmaterial (vgl. Brunner, 2017). › Handeln – Was wir tun können › Grenzen – Wer macht den nächsten Schritt? › Vernetzen – Gleichgesinnte und Fachstellen 8 «Es soll aufhören!» | Rahmenpapier zur audiovisuellen Themenmappe Für den Einsatz des Filmmaterials in der Aus- und Wei- › Jürg Lädrach, Lehrer, schulischer Heilpädagoge und terbildung stehen Fotos der Protagonist_innen im Format Schulleiter, Stadt Bern A4 zur Verfügung. Zudem sind die schriftlichen Transkrip- › Laila Sturm, Fachfrau Betreuung und Gruppenleiterin te der Portrait- und Themenfilme verfügbar. Kita Steckgut, Bern › Lucas Maissen, dipl. klin. Heil- und Sozialpädagoge, Zusätzlich können online (in deutscher Sprache) ausführ- Psychologe M.Sc., Institutionsleiter Schlupfhuus liche Statements der Fachpersonen, die in den Themenfil- Zürich, ambulante und stationäre Krisenintervention men zu Wort kommen, angeschaut werden. Ihre Aussagen für Jugendliche in Not vertiefen die Auseinandersetzung mit der Thematik, kön- › Martin Zwahlen, Rechtsanwalt und Mediator SDM, nen Inputs für weiterführende Diskussionen geben, Fach- Bern personen in gleicher Funktion zum Denken anregen, als › Mona Seitz, Schulsozialarbeiterin (SSA), Stadt Bern Beispiele von Good Practice dienen oder kritisch hinterfragt › Monika Keller Zeugin, Kindergärtnerin und Lernthera- und kontrovers diskutiert werden. Die Fachpersonen zeigen peutin, Bern die Herausforderungen, Möglichkeiten und Grenzen ihrer › Pascale Berger, Schulsozialarbeiterin, Ittigen bei Bern Berufsgruppen im Zusammenhang mit dem Thema Part- › Renato Meier, dipl. in Sozialen Arbeiten FH, Leiter nerschaftsgewalt auf. Zu Wort kommen folgende Personen: Familien-, Paar- und Erziehungsberatung Basel (fabe) › Thomas Aebi, Dr. phil., Erziehungsberater, Fachpsycho- › Andrea Gallasch-Stebler, Fachpsychologin für Psycho- loge für Kinder- und Jugendpsychologie FSP, Fachpsy- therapie FSP, Supervisorin für Traumatherapie bei chologe für Rechtspsychologie FSP, Co-Leiter der Kindern und Jugendlichen, Autorin kantonalen Erziehungsberatungsstelle Langenthal- › Barbara Wüthrich, Fachverantwortliche Beratung und Oberaargau Hilfe, Notrufnummer 147, Elternberatung, Jugendlei- › Ursula Klopfstein, Dr. med. FMH Rechtsmedizin, ter-Beratung, Pro Juventute ehemalige Schulärztin, Dozentin im Studiengang › Bettina von Uslar, lic. phil. Fachpsychologin für Pflege an der Berner Fachhochschule Psychotherapie FSP, Systemtherapeutin, Supervisorin, Dozentin am IEF (Institut für systemische Entwicklung In Form von Infografiken werden drei Themenbereiche und Fortbildung, Zürich) beleuchtet. Die Infografik «Häusliche Gewalt – Fokus › Christina Manser, lic. iur. Präsidentin der Kindes- und Partnerschaftsgewalt: Was bedeutet das für die Kinder?» Erwachsenenschutzbehörde (KESB) in Rheintal klärt die Begriffe Partnerschafsgewalt und Trennungsge- › Denise Schläppi, Fachlehrerin Gestalten textil, Bern walt als zwei mögliche Formen häuslicher Gewalt und ver- › Hänsu Kaufmann, Schulsozialarbeiter, dipl. Sozialpäd- deutlicht, wieso Partnerschaftsgewalt eine Kindswohlge- agoge, CAS Kindesschutz fährdung darstellt. In der Infografik «Perspektiven auf › Helga Berchtold, dipl. Sozialarbeiterin, Dozentin und Partnerschaftsgewalt und Klärungsfragen für die Pra- Bereichsleiterin Kindes- und Erwachsenenschutz xis» wird deutlich, wie unterschiedliche Perspektiven im Sozialregion Dorneck. Vizepräsidentin der Interessen- historischen Wandel die Forschung, aber auch die Angebo- gemeinschaft für Qualität im Kindesschutz te an der Basis beeinflusst haben und welche Klärungsfra- › Ines Birk, Systemtherapeutin BEObachtungsstation gen sich für Beratung und Therapie daraus ergeben. Die Kanton Bern Infografik für Eltern «Streiten ja – aber fair!» zeigt auf, › Isabel Miko Iso, Genderwissenschaftlerin, M.A., wie sich die Streitkultur der Eltern auf das Wohlbefinden Leiterin Fachstelle Häusliche Gewalt Basel-Stadt, ihrer Kinder auswirkt und vermittelt in Kürze, wie gestrit- Vertreterin der Konferenz der Interventions- und ten werden kann, damit sich ein Kind in der Familie den- Fachstellen gegen häusliche Gewalt in der deutschspra- noch sicher und geborgen fühlt. chigen Schweiz (KIFS), Vorstandsmitglied der Schweize- rischen Konferenz gegen Häusliche Gewalt (SKHG) In fünf Kurzreportagen des Filmers Michele Andina wer- › Johannes Gerber, lic. phil., Fachpsychologe für Kinder den Unterstützungsangebote für Kinder, die von Partner- und Jugendliche und für Psychotherapie, Mitglied des schaftsgewalt betroffen sind, vorgestellt. Die zuständigen Fachteams gegen häusliche Gewalt des Schulpsycholo- Fachpersonen berichten über die Entstehung der Angebo- gischen Dienstes (SPD) Kanton Aargau te, über die Prozesse und die Vorgehensweise bei der Unter- 9 «Es soll aufhören!» | Rahmenpapier zur audiovisuellen Themenmappe stützung betroffener Kinder, über Highlights, Knackpunkte ... dann haben wir unser Ziel erreicht: und Visionen. Es wird ersichtlich, wie die Angebote in vor- handene Strukturen eingebettet sind, von welchen Stellen Das Ziel, dass die von Partnerschaftsgewalt verursachte Ge- die Kinder an das Angebot verwiesen werden und wie die walt an Kindern sichtbarer wird, dass die Gewalt hinter eini- Finan zierung gesichert wird (vgl. auch Begleitbooklet Kurz- gen Türen aufgedeckt wird und dass der Wunsch der Kinder, reportagen). die Gewalt solle aufhören, gehört wird und zum Handeln animiert. Folgende fünf Angebote werden vorgestellt: › Beratungsstelle kokon für Kinder und Jugendliche, Wir bedanken uns herzlichen bei allen, die dieses Projekt Zürich möglich gemacht und zum Gelingen beigetragen haben. › Beratungsangebot KidsPunkt der Fachstelle OKey & KidsPunkt in Winterthur Das Projektteam von Kinderschutz Schweiz › Fachteam gegen häusliche Gewalt des Schulpsychologi- Catherine Moser, Corinne Schmid, Marianne Kauer schen Dienstes des Kantons Aargau › Gesprächsgruppe CAMELEON für Kinder und Jugendliche von Solidarité Femmes Region Biel/Bienne Catherine Moser, Ethnologin, lic. phil., MAS in Children’s › Centre d’accueil MalleyPrairie in Lausanne Rights, Leiterin Geschäftsfeld Prävention, Kinderschutz Schweiz Zu guter Letzt darf auch eine Literatur- und Linkliste nicht fehlen. Hier findet sich eine nicht abschliessende Zusam- Corinne Schmid, Psychologin, Dr. phil., wissenschaftliche menstellung von Bilderbüchern, Fachliteratur, Filmmaterial Mitarbeiterin Geschäftsfeld Prävention, Kinderschutz und wichtigen Links zu weiterführenden Materialien zum Schweiz Thema häusliche Gewalt. Marianne Kauer, Psychologin, Dr. phil. und dipl. Primar- lehrerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin Geschäftsfeld Ausblick Prävention, Kinderschutz Schweiz Wenn die Inhalte der Themenmappe dazu beitragen ... › ... dass die eindrücklichen Zeugnisse der betroffenen Mit- wirkenden in den Portraitfilmen die Zuschauenden berüh- ren und zum Denken anregen ... › ... anderen Betroffenen Mut zu machen, sich mitzuteilen und Hilfe anzunehmen ... › ... dass das Umfeld zuhört, teilnimmt und handelt ... › ... dass das Bewusstsein steigt, Kinder von Beginn an als ei- genständige Akteure innerhalb einer Familie zu sehen ... › ... dass den betroffenen Kindern deutlich wird, dass die Ver- antwortung bei den Erwachsenen liegt ... › ... dass Diskussionen in Fachkreisen und in der Gesell- schaft dazu beitragen, dass die Betroffenheit der Kinder bei Partnerschaftsgewalt wahrgenommen und ernstge- nommen wird ... › ... dass noch mehr betroffene Kinder von erwachsenen Be- zugspersonen einfühlsam begleitet und kompetent unter- stützt werden können ... 10 «Es soll aufhören!» | Rahmenpapier zur audiovisuellen Themenmappe Zitiervorgaben für die einzelnen Produkte der Themenmappe Themenmappe Infografik 1 Kinderschutz Schweiz (Hrsg.). (2017). «Es soll aufhören!» – Schär, Clarissa (2017). Infografik Häusliche Gewalt – Fokus Kinder als Betroffene von Partnerschaftsgewalt verstehen Partnerschaftsgewalt: Was bedeutet dies für die Kinder? und unterstützen. Audiovisuelle Themenmappe zur Sensi- In: Kinderschutz Schweiz (Hrsg.), «Es soll aufhören!» – Kinder bilisierung und Wissensvermittlung. Bern: Kinderschutz als Betroffene von Partnerschaftsgewalt verstehen und unterstüt- Schweiz. zen. Audiovisuelle Themenmappe zur Sensibilisierung und Wis- sensvermittlung. Bern: Kinderschutz Schweiz. Rahmenpapier Themenmappe Moser, Catherine/Schmid, Corinne/Kauer, Marianne (2017). Infografik 2 «Es soll aufhören!» – Kinder als Betroffene von Partner- Schär, Clarissa (2017). Infografik Perspektiven auf Partner- schaftsgewalt verstehen und unterstützen. Rahmenpapier schaftsgewalt und Klärungsfragen für die Praxis. In: Kin- zur audiovisuellen Themenmappe zur Sensibilisierung derschutz Schweiz (Hrsg.), «Es soll aufhören!» – Kinder als Be- und Wissensvermittlung. In: Kinderschutz Schweiz (Hrsg.), troffene von Partnerschaftsgewalt verstehen und unterstützen. «Es soll aufhören!» – Kinder als Betroffene von Partnerschaftsge- Audiovisuelle Themenmappe zur Sensibilisierung und Wissensver- walt verstehen und unterstützen. Audiovisuelle Themenmappe zur mittlung. Bern: Kinderschutz Schweiz. Sensibilisierung und Wissensvermittlung. Bern: Kinderschutz Schweiz. Infografik 3 Kinderschutz Schweiz/Elternbildung Schweiz (2017). Strei- Begleitbooklet Portraitfilme ten ja – aber fair! In: Kinderschutz Schweiz (Hrsg.), «Es soll Brunner, Sabine (2017). «Es soll aufhören!» – Kinder als Be- aufhören!» – Kinder als Betroffene von Partnerschaftsgewalt verste- troffene von Partnerschaftsgewalt verstehen und unter- hen und unterstützen. Audiovisuelle Themenmappe zur Sensibili- stützen. Begleitbooklet zu den Portraitfilmen von Anne sierung und Wissensvermittlung. Bern: Kinderschutz Schweiz. Voss und David Hermann. In: Kinderschutz Schweiz (Hrsg.), «Es soll aufhören!» – Kinder als Betroffene von Partner- schaftsgewalt verstehen und unterstützen. Audiovisuelle Themen- mappe zur Sensibilisierung und Wissensvermittlung. Bern: Kin- derschutz Schweiz. Begleitbooklet Kurzreportagen Kinderschutz Schweiz (2017). Unterstützungsangebote für Kinder, die von Partnerschaftsgewalt betroffen sind. Be- gleitbooklet zu fünf filmischen Kurzreportagen von Mi- chele Andina. In: Kinderschutz Schweiz (Hrsg.), «Es soll auf- hören!» – Kinder als Betroffene von Partnerschaftsgewalt verstehen und unterstützen. Audiovisuelle Themenmappe zur Sensibilisie- rung und Wissensvermittlung. Bern: Kinderschutz Schweiz.
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