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Quantitative und qualitative empirische Forschung: Ein Diskussionsbeitrag PDF

189 Pages·2018·1.492 MB·German
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Siegfried Schumann Quantitative und qualitative empirische Forschung Ein Diskussionsbeitrag Quantitative und qualitative empirische Forschung Siegfried Schumann Quantitative und qualitative empirische Forschung Ein Diskussionsbeitrag Siegfried Schumann Institut für Politikwissenschaft Universität Mainz, Mainz Rheinland-Pfalz, Deutschland ISBN 978-3-658-17833-8 ISBN 978-3-658-17834-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-17834-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz- Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Vorwort Der vorliegende Beitrag ist letztlich, neben dem Vergleich quantitativ und qualitativ orientierter Forschung, auch eine Art Bilanz. Ich bin naturwissenschaftlich interessiert und wissenschaftlich sozialisiert im Geiste der empirisch- analytisch ausgerichteten, quantitativen Sozialforschung. Um zu erforschen, wie die Welt „funktioniert“, erschien zunächst das dort praktizierte Vorgehen alternativlos und Erfolg versprechend. Insbesondere die exakten, objekti- ven Messungen erweckten anfangs die Hoffnung, mit der Zeit und Stück für Stück ein immer zutreffenderes Bild dieser Realität im ontischen Sinne zu erlangen. Mit dem Realisieren der Tatsache, dass die Forschungshypothesen via Falsifikationsprinzip zwar regelmäßig mit der „Reali- tät“ konfrontiert werden, sich dabei aber lediglich bewäh- ren können oder auch nicht, wurde diese Hoffnung erstmals etwas gedämpft. Dennoch blieb Hoffnung: Auch V VI Vorwort wenn die Hypothesen nicht verifiziert werden konnten, sollte sich doch mit zunehmender Anzahl falsifizierter Hypothesen mit der Zeit ein immer zutreffenderes Bild der Realität herausschälen.1 Im nächsten Schritt geriet diese anfängliche Vorstel- lung immer mehr ins Wanken. Am Beispiel der Umfrage- forschung wurde zunächst klar, dass zentrale theoretische Vorstellungen der quantitativ orientierten, empirischen Sozialforschung in der Forschungspraxis oft auch nicht annähernd umsetzbar waren. Es häuften sich Belege, dass die praktisch durchgeführten Messungen keine 1:1-Abbil- dung der Realität schaffen konnten, die Ausschöpfungs- quoten in der Umfrageforschung lagen meilenweit unter den 100 %, auf denen die Argumentation der Inferenzsta- tistik basiert und vieles mehr. Beruhigend war dabei allen- falls, dass diese Probleme eher technischer Natur zu sein schienen und damit zumindest im Prinzip lösbar – auch wenn derartige Lösungen, von einigen punktuellen Ver- besserungsmöglichkeiten abgesehen, für den praktischen Forschungsbetrieb kaum in Sicht waren. Schwerer wog dagegen die Feststellung, dass zentrale theoretische Vorstellungen der quantitativen empirischen Sozialforschung offenbar nicht auf „festem Grund“, son- dern auf Glaubenssätzen oder Axiomen beruhen. Der radikale Konstruktivismus (vgl. Kap. 5) argumentierte überzeugend prinzipiell gegen die Möglichkeit einer 1Bunge und Mahner (2004, S. 104) formulieren: „Je besser bestätigt eine Hypothese ist, desto eher können wir davon ausgehen, dass sie zumindest näherungsweise mit der Realität übereinstimmt“. Vgl. zum „Herantasten an die Wahrheit“ auch: Bohnsack (2014, S. 18). Vorwort VII 1:1-Abbildung der Realität. Alles, was wir über die Reali- tät in Erfahrung bringen können, ist letztlich eine artspe- zifische Konstruktion. Befunde der Hirnforschung stützen diese Sichtweise. Andere Spezies verwenden andere Aus- schnitte der Realität und konstruieren ihr Bild offenbar anders als der Mensch. Dieses Problem ist prinzipieller Natur und damit unlösbar. Im Ansatz der quantitativ ori- entierten empirischen Forschung schlägt es sich in Form des Basissatzproblems nieder. Die pragmatische Vorge- hensweise, dieses Problem per Konvention2 zu lösen, stellt meines Erachtens eine Art Verzweiflungstat und nichts anderes dar, als eine (offenbar unvermeidliche!) „Kapi- tulation“ an diesem Punkt. Das Eingeständnis lautet: „Festsetzungen sind es…, die über das Schicksal der The- orie entscheiden“ (Popper 1994, S. 73; Hervorhebung im Original). Darüber hinaus ergibt sich ein genereller Angriff auf unsere gewohnten Vorstellungen bezüglich der Realität aus der modernen Physik. Die (experimentell bestens abgesi- cherten!) Ergebnisse der Quantenphysik entziehen sich einer Interpretation, die mit dem „gesunden Menschen- verstand“ vereinbar wäre. Sie zeigen deutlich, dass wir offenbar nicht in einer materiellen Welt leben (vgl. hierzu Kap. 3). Über die ontische Beschaffenheit „der Realität“ herrscht dabei allgemein Rätselraten. Da alles darauf hin- deutet, dass die betreffenden Phänomene nicht ausschließ- lich für den mikroskopischen Bereich gelten, sondern auch Auswirkungen im makroskopischen Bereich zeitigen, ist 2Was nicht mit „willkürlich“ gleichzusetzen ist! VIII Vorwort dieser Punkt auch für die humanwissenschaftliche For- schung relevant. Alexander Wendt (2015) hat sich mit den Konsequenzen der Erkenntnisse der Quantenphysik und des damit verbundenen Zusammenbruchs des Welt- und Menschenbildes der klassischen Physik für die Humanwis- senschaften auseinandergesetzt. Gibt es einen eleganten „Fluchtweg“ weg von diesen Schwierigkeiten? Auf den ersten Blick bietet sich die qua- litative empirische Forschung an. Einige der angespro- chenen Problempunkte treten dort in der Tat nicht auf. Beispielsweise spielt die Problematik geringer Ausschöp- fungsquoten keine Rolle, da nicht mit großen Zufallsstich- proben und entsprechenden Massendaten gearbeitet wird. Im Gegenzug tritt allerdings das Problem auf, dass die Verallgemeinerung der Ergebnisse „kommunikativ“ erfol- gen muss und nicht durch die Beachtung einfacher, klar definierter Verfahrensweisen erfolgen kann. Zudem erge- ben sich andere, neue Problempunkte. So wird zum Bei- spiel gefordert, den Menschen, mit dem man im Rahmen des Forschungsprozesses interagiert, möglichst umfassend zu betrachten (holistische Sichtweise; vgl. Kap. 6), was aufgrund der Komplexität des „Gegenstandes“ prinzipiell nur näherungsweise möglich sein dürfte. Wieder andere Problempunkte bleiben zwar bestehen, die mit ihnen ver- bundene Problematik stellt sich jedoch aus qualitativer Sicht grundsätzlich anders dar als aus quantitativer Sicht. Als Beispiel möge die Frage dienen, ob der Mensch über einen freien Willen (wie in Kap. 4 definiert) verfüge oder nicht. Die qualitative empirische Forschung (zur „Theorie qualitativen Denkens“ vgl. Tab. 6.2 und Tab. 6.3 oder – ausführlicher – Kap. 6) geht davon aus, der Mensch habe Vorwort IX einen freien Willen. Sie sieht sich jedoch mit dem „Verur- sachungsproblem“ (vgl. hierzu z. B. Kanitscheider 2007, S. 79–81) konfrontiert: Wie kann ein nicht (materiell) determinierter „freier Wille“ materielle Vorgänge beeinflus- sen? Die quantitative empirische Forschung (vgl. Kap. 2) muss dagegen aufgrund ihres Weltbildes die Frage, ob der Mensch über einen freien Willen verfüge, eigentlich konse- quenterweise verneinen, da nach ihrem Grundverständnis jede „Wirkung“ auf materieller Ebene auf eine (materielle!) „Ursache“ zurückzuführen ist. Mit der Verneinung eines freien Willens ergeben sich allerdings schwer nachvollzieh- bare Folgerungen: Hatte etwa Martin Luther King keinen freien Willen? Man kann natürlich (inkonsequenterweise) auch im Rahmen des quantitativen Ansatzes davon ausge- hen, der Mensch verfüge über einen freien Willen, sieht sich dann jedoch (unter anderem) mit den oben in Bezug auf das qualitative Vorgehen genannten Schwierigkeiten konfrontiert. Die genannten Beispiele mögen genügen, um zu dem on- strieren, dass qualitative empirische Forschung im human- wissenschaftlichen Bereich zwar eine Alternative zur quan titativen empirischen Forschung bietet, dass mit der Wahl dieser Alternative jedoch ebenfalls nicht „pro- blemfrei“ geforscht werden kann. Die quantitative wie die qualitative empirische Sozialforschung basieren auf unterschiedlichen Glaubenssätzen oder Axiomen, welche jeweils mit einer Reihe von Konsequenzen und Proble- men verbunden sind. Dieser als „gegeben“ vorausgesetzten Ausgangsbasis sollte man sich als Forscherin oder Forscher bei der täglichen Arbeit bewusst sein, insbesondere bei der Interpretation der Forschungsergebnisse. Der vorliegende X Vorwort Beitrag ist mit der Zielsetzung geschrieben, als Ausgangs- punkt für eine entsprechende Diskussion zu dienen und stellt daher die beiden Alternativen pointiert gegenüber. Ein weiteres Anliegen betrifft die Grundlagen qualitati- ver humanwissenschaftlicher Forschung. Obwohl qualita- tive Forschung in der Regel als eigener, in sich geschlossener „Denkstil“ oder sogar als „Paradigma“ betrachtet wird, erfolgt ihre Charakterisierung meist lediglich über einen Satz von Regeln und Verfahrensweisen für den Forschungs- prozess. Ein solches Bild präsentiert Philipp Mayring (2016, S. 19–39) unter der Überschrift „Theorie qualita- tiven Denkens“ mit dem Anspruch auf (weitgehende) All- gemeingültigkeit. Zu den dort beschriebenen „Grundlagen qualitativen Denkens“, auf die sich die Ausführungen die- ser Arbeit beziehen, schreibt er: „Auf diese Grundsätze stößt man, wenn man versucht, die Gemeinsamkeiten aus den bisherigen verstreuten qualitativen Ansätzen herauszuschä- len“ (Mayring 2016, S. 19). Betrachtet man diesen Satz von Regeln und Verfahrensweisen als „Denkstil“ oder „Para- digma“ und damit als nicht willkürlich zusammengestellt, erhebt sich die Frage, nach welchen Kriterien eine derartige (konsistente) Zusammenstellung erfolgt. Im vorliegenden Beitrag wird argumentiert, dass als „Klammer“ hinter diesen Grundsätzen zum einen ein humanistisches Menschenbild (Abschn. 6.1) sowie zum anderen die Sichtweisen des radika- len Konstruktivismus (Kap. 5) stehen. Jedenfalls können die bei Mayring angesprochenen Gemeinsamkeiten qualitativer humanwissenschaftlicher Forschung hieraus abgeleitet wer- den. Auch diesen Punkt möchte ich zur Diskussion stellen.

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