ARBEITEN ZUR KIRCHEN0ESCH1CHTE HERAUSGEGEBEN VON KARL HOLL UND HANS LIETZMANN ι PETRUS UND PAULUS IN ROM LITURGISCHE UND ARCHÄOLOGISCHE STUDIEN VON HANS LIETZMANN ZWEITE, NEUBEARBEITETE AUFLAGE MIT 13 TAFELN BERLIN UND LEIPZIG 1927 VERLAG VON WALTER DE GRUYTER & Co. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Copyright 1927 by Walter de Gruyter & Co., Berlin VORWORT Die Frage, ob die Apostel Petrus und Paulus wirklich zu Rom den Märtyrertod gestorben sind und in den von der katholischen Kirche bis auf den heutigen Tag feierlich ver- ehrten Gräbern ruhen, ist jahrhundertelang vorwiegend unter konfessionellen Gesichtspunkten behandelt worden, derart, daß die negative Beantwortung der protestantischen Theologie ebenso eine Selbstverständlichkeit war, wie das Gegenteil den Katholiken. Mit dem Erstarken einer nach historischer Ob- jektivität strebenden kirchengeschichtlichen Forschung ist zwar im allgemeinen die Leidenschaft geschwunden, die bei der Be- handlung dieses Problems den Blick zu trüben pflegte, aber das Mißtrauen der Kritik gegen Traditionen der urchristlichen Zeit, gegen indirekte Schlüsse, und nicht zum wenigsten die Geringschätzung archäologischer Arbeit ließ nach wie vor ein Unmöglich oder höchstens Non liquet als die einzige wissen- schaftlich zu rechtfertigende Antwort auf jene Frage erscheinen. Und doch führt gerade eine scharfe Kritik der Quellen, welche den liturgischen Traditionen, den apokryphen und legendären Erzählungen rücksichtslos zu Leibe geht und die sicheren Er- gebnisse der Ausgrabungen am rechten Orte zu werten weiß, zu einem Ergebnis, welches der von allem Wust befreiten alten Lokaltradition zwar keine historische Gewißheit, aber doch recht hohe Wahrscheinlichkeit zuerkennen muß. * * * Diese Worte aus der Vorrede der ersten Auflage gelten auch für die zweite, obwohl eingehende Kritiken meiner Arbeit und neue archäologische Feststellungen, verbunden mit fort- gesetzter eigener Nachprüfung der gewonnenen Ergebnisse, an IV VORWORT nicht wenigen Stellen Korrekturen und Ergänzungen des früher Vorgetragenen mit sich gebracht haben. Als ich im Oktober 1924 in Rom weilte, um vor allem die Ausgrabungen von San Sebastiano zu studieren, erkannte ich bald, daß eine sichere Beurteilung des Tatbestandes nur durch erneute Prüfung des gesamten Befundes zu gewinnen sei. Der freundlichen Fürsprache meines verehrten Freundes Pio FRANCHI DE' CAVALIERI verdanke ich es, daß die Commissione di archeologia sacra mir die Erlaubnis zu einer erneuten Aufnahme des ganzen Komplexes erteilte: und nicht minder bin ich Herrn ROBERTO PARIBENI für die Zu- stimmung der staatlichen Autorität verpflichtet. Herr Dr. ARMIN VON GERKAN, der gerade nach Rom gekommen war, um seine bis dahin in Kleinasien bewährte Meisterschaft im Auf- nehmen antiker Bauwerke auf einem neuen Feld zu erproben, übernahm zu meiner großen Freude die überaus schwierige Aufgabe und löste sie in einer Weise, die, wie ich hoffe, den Leser dieses Buches zu nicht geringerem Danke verpflichtet wie seinen Verfasser. In Beilage I und den Tafeln 1—7 ist das Ergebnis seiner mühevollen Arbeit niedergelegt. Aber wie jede gelungene Lösung eines Problems nur immer wieder neue Forderungen an die Wissenschaft stellt, so ist es auch hier. Wenn man von der bis in alle Kleinigkeiten präzisen Aufnahme von S. Sebastiano herkommt und an die kärglichen Berichte des XVII und des XIX Jahrhunderts über den archäologischen Befund der Ausgrabungen in der Peters- und der Paulskirche herantritt, so verliert man fast den Mut, auf solchem Grunde zu bauen. Wenn ich es doch wieder gewagt habe, so doch nur, weil ich nichts Besseres hatte. Aber deutlicher noch wie bei der ersten Auflage tritt bei dieser Neu- bearbeitung die zwingende Notwendigkeit hervor, nun auch in den beiden Apostelbasiliken unter Anwendung aller modernen Methoden zu graben, damit endlich auch hier an die Stelle der Diskussion alter Berichte die Fest- stellung eines klar zu Tage liegenden Befundes treten kann. VORWORT V Auch nach der viel zerstörenden Fundamentierung der Taber- nakelsäulen in S. Peter ist doch noch unzweifelhaft genug unter dem Boden verborgen, um wichtige Fragen genau zu beantworten, die einstweilen nur Erwägungen von größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeit auslösen. Was einst eine Un- möglichkeit schien, darf unter dem Pontifikat eines Mannes der Wissenschaft auf Verwirklichung hoffen. * Der NOTGEMEINSCHAFT DER DEUTSCHEN WISSENSCHAFT danke ich für eine größere Zuwendung, welche die kost- spielige Reproduktion der beigegebenen Zeichnungen und Aufnahmen ermöglichte. Bei der Korrektur haben mir Herr Lic. W. ELTESTER und stud. phil. KARL LIETZMANN wert- volle Hilfe geleistet. Bei der Aufnahme von S. Sebastiano durfte sich Herr von Gerkan des nie ermüdenden Beistandes von FRA DAMIANO dankbar erfreuen. — Die Beschriftung der Tafeln Herrn von Gerkans stammt von mir, desgleichen die Einfügung der Verweise auf die Tafeln und Buchstaben in seinem Bericht. Dabei habe ich nachlässigerweise auf die Tafeln immer durch das Wort „Plan" hingewiesen, auch wo es sich um Aufrisse und Schnitte handelte. Als mir der Fehler zum Bewußtsein kam, hätte es zu viel Korrekturen verursacht, ihn zu entfernen: so ziehe ich es vor, ihn hier zu bekennen und den Leser zu bitten, überall, wo es nötig ist, „Tafel" statt „Plan" zu sagen. Berlin-Wilmersdorf in cathedra S. Petri Apostoli Romae 1927 Hans Lietzmann INHALT I FILOKALUS der Hofbuchhändler des Damasus 1. Seine Angaben über Petrus und Paulus 2. H NATALES EPISCOPORUM 3. Petri Stuhlfeier 3. Seit wann werden natales episcoporum in Rom gefeiert? 5. Übersichtstafel 9. Be- ginn der Notierungen im in Jahrhundert 16. Fabians Reform 17. Petri Stuhlfeier um 300 entstanden 18. Woher stammt das Datum des 22 Februar? 19. III DIE ÄLTESTEN PAPSTLISTEN 21. Seit wann werden die Regierungs- jahre der Päpste notiert? 21. Epiphanius und seine Quellen 22. Hegesipp. Hippolyt. Iulius Africanus 28. IV DER RÖMISCHE FESTKALENDER 29. Das doppelte Datum der Stuhl- feier Petri 29. Die römischen Sakramentarien: Leonianum 30: seine Datierung 33. G e I a s i a η u m 35 : älteste Form in V, während ARS an das Oregorianum angleichen 36. Gregoria- num 47: Direkte Abschriften 48. Alkvins Ausgabe 49. Das Aachener Urexemplar 52. Überarbeitete Handschriften 53. Der Codex Eligii des Menardus 54. Der Palimpsest von Monte Cassino und verwandte Handschriften 63. Das Gregorianische Antiphonar und Lektionar 67. Außerrömische Quellen der abendländischen Liturgie 69. Der römische Festkalender des iv— vm Jahrhunderts verglichen mit den außerrömischen Kalendern : Übersichtstafel 72. V DIE HEILIGENREIHE DES CANON MISSAE enthält die ältesten Haupt- heiligenfeste 82. Zusätze des vi Jahrhunderts 85. Der Mailänder Kanon hat eine ältere Form 87. Die Urform 90. VI PETRI STUHLFEIER 93. Der 18 Januar ist gallikanischen Ur- sprungs 94. In Rom wird seit dem V Jahrhundert Petri Stuhl- feier nicht mehr begangen 98- Im ix Jahrhundert kehrt sie aus dem Frankenreich nach Rom zurück 102. INHALT VII VII EPIPHANIE IN ROM 103: ursprünglich als Geburtsfest Christi ge- feiert 103. Warum fehlt das Fest bei Filokalus ? 107. VIII DER 29 JUNI 258: der ursprüngliche Text des Filokalus 109. Translationsdaten bei Filokalus: Parthenius und Calocerus 114. Bassilla 118. Der 29 |uni 258 bezeichnet die Überführung in die Katakomben 122. Vorher gab es noch kein Petrusfest 122. Vor 200 keine liturgischen Märtyrerfeiern in Rom 123. Ianuarius 124. IX DIE BEGLEITFESTE DER WEIHNACHT 126. Das morgenländische Peter-Paulsfest am 28 Dezember 126. Der morgenländische Weihnachtsfestkreis 127 : sein Prinzip 130. S. Stefani 131. SS. la- cobi et lohannis 134. SS. Petri et Pauli 135. Umstellungen 135. Übernahme durch das Abendland 136. SS. Innocentium im Abendland an die Stelle des Peter-Paulsfestes gesetzt 141. Om- nium Apostolorum 143. X DIE APOSTELORUFT AD CATACUMBAS 145. Die Damasusin- schrift 145. Die Basilica ad Catacumbas 149. Die Platonia als Quirinusmausoleum erbaut 151. Mittelalterliche Nachrichten über die Apostelgruft unter der Kirche 153. Die Entdeckung der Kultstätte Ad Catacumbas 157. Die Gräber im Tal 158. Die Triclia 162. Die Graffiti 163. Die Entstehungszeit der An- lage 167. Wo lag das Apostelgrab? 168. XI DIE APOKRYPHEN APOSTELAKTEN UND DER LÍBER PONTIFICA- LIS 169. Ortsangaben der Akten 170. Die Legende vom Leichen- raub 171 : entstanden im ν Jahrhundert 173. Ortsangaben des Liber pontificalis 173. Die Terebinthe des Nero 176. Die via Cornelia 178. XII LUCINA 179: in der Vita und Passio Cornelii 180. Passio Mar- celli 182. Acta S. Anthimi et sociorum 183. Acta S. Sebastiani 185. Acta SS. Processi et Martiniani 187. Wer war Lucina? 188. XIII DIE PETERSKIRCHE 189. Bau unter Konstantin 190. Ausgra- bungen 1615 an der Confessio 191. Ausgrabungen 1626 für das Tabernakel 194. Grabmal des Agricola 200. Ergebnis : das Petrusgrab liegt auf einem heidnischen Friedhof 206. Das Grab ist älter als die Kirche 207. Das Zeugnis des Gaius 209. XIV DIE PAULSKIRCHE durch die drei Kaiser erbaut 211. Die Säulen- inschrift 213. Die ältere Paulskirche 217. Grabungen an der via Ostiensis 220. Ausgrabungen bei der Confessio 221. Die Grab- stelle ist älter als die Kirche 221. Das Datum der Überführung der Reliquien in die Paulskirche 222. Vili INHALT XV DAS ALTER DER APOSTELORÄBER 226. Das Vorhandensein der Gräber ein dogmatisch-praktisches Postulat des π Jahrhunderts 227. Klemens von Rom über Petrus und Paulus 228. Weitere Zeug- nisse für den Aufenthalt Petri in Rom 236. Schicksale des Paulus : der Schluß der Apostelgeschichte 238. Die spanische Reise 242. Der Ortsbefund der Gräber spricht für ihre Echtheit 245. BEILAGEN I A. VON GERKAN Die christlichen Anlagen unter San Sebastiano neu aufgenommen und beschrieben 248. Mit Tafel 1—7. II Die Malereien des Grabes X 301. Mit Tafel 8—10. III Die Grotten der Peterskirche : Ausgrabungen von 1615 nach der Zeichnung des Benedikt Drei 304. Mit Tafel 11. IV Die Grotten der Peterskirche: Plan nach Sarti und Settele 304. Mit Tafel 12. V Die Ausgrabungen von 1626 in der Peterskirche. Lateinischer Bericht 304. VI Die alte und die neue Peterskirche 310. Mit Tafel 13. VII Die Lage der Paulskirche 314. Mit Plan S. 316. I Den Ausgangspunkt der kritischen Untersuchung muß der Kalender für die Stadt Rom bilden, den Furius Dio- nysius Filocalus im Jahre 354 herausgegeben hat und der uns, seinem Hauptteil nach in zwei jungen Kopien einer alten Handschrift erhalten, in zwei Ausgaben Mommsens1 vorliegt. Filocalus scheint auch der Erfinder der eigentüm- lich stilisierten Buchstabenformen der von Papst Damasus gestifteten Inschriften zu sein, da er an den Rand des Epi- gramms nr. 18 (Ihm)2 gemeißelt hat: Furius Dionysius Filocalus scribsit, Damasi papae cultor atque amator. Auf dem Titelblatt des Kalenders sagt er von sich: Furius Dio- nysius Filocalus titulavit; wir werden in ihm also, wenn nicht den Redaktor, so doch den Verleger des Werkes zu sehen haben, der in engen Beziehungen zum päpstlichen Hofe stand, der als Meister künstlerischer Schriftformeh und eleganter Buchausstattung geschätzt wurde. So wird er dem bischöflichen Sekretariat auch die quellenmäßigen Unterlagen für die kirchlichen Angaben seines Kalenders zu verdanken haben. Kirchengeschichtlich bedeutsam sind in diesem Werke für uns drei Stücke: die Depositio episcoporum3, welche, mit dem 27 Dezember beginnend, nach der Reihenfolge des 1) Abh. d. sächs. Gesellsch. d. Wissensch, phil.-hist. Classe. Bd. I (1850) S. 549 ff. und in den Monum. Germ. Auetores Anti- quissimi IX (= Chronica minora I) 13 ff. 2) E. Diehl Inscriptiones latinae christianae veteres (1925) nr. 963. 3) Mommsen Abh. S. 631 Chron. S. 70 Duchesne Liber ponti- ficalis I S. 10; auch bei Lietzmann Kleine Texte n. 22 S. 2. Lietzmann, Petrus und Paulus. 2. Aufl. 1 2 I Filokalus Kalenders geordnet, die dies depositions, die Tage der Bei- setzung und damit, weil das Begräbnis sofort nach fest- gestelltem Tode zu erfolgen pflegte, die Todestage von zehn1 römischen Bischöfen von Lucius (f 254) bis Silvester (f 335) bucht. Am Ende folgen außer der Reihe der 7 Oktober als Todestag des Marcus (f 336) und der 12 April als Todestag des Julius (f 352). Daraus ergibt sich die Entstehung der Liste im Jahre 336: sie ist dann bis zur Regierungszeit des Liberius jeweils durch Nachtrag vervollständigt worden. Die Depositio martyrum 2 bringt ein Verzeichnis nicht nur der Märtyrertage, sondern auch der übrigen unbeweg- lichen Feste: das Kirchenjahr beginnt3 mit dem Weih- nachtsfest am 25 Dezember, und diesen Anfang hatte es, wie aus der Reihenfolge der Tage in der Depositio episco- porurn zu ersehen ist, schon im Jahre 336. Der Catalogus Liberianus4 gibt eine ausführliche Papstliste von Petrus bis Liberius mit reichlicheren Notizen über Amtsdauer und besondere Begebenheiten der Regie- rung der Päpste: aus ihm ist der Liber pontificalis des VI Jahrhunderts erwachsen. Nicht in Betracht kommt für uns die Angabe des Catalogus über Petrus: Petrus ann. XXV, mense uno, diebus Villi. Fuit tem- poribus Tiberii Caesaris et Gai et Tiberi Claudi et Nero- 1) Es fehlt Marcellus; hierüber s. Mommsen Liber pont. S. LIII. Xystus (f 258), Fabian (f 250) sowie Hippolyt und Pontian (f nach 235) stehen in der Liste der Märtyrer. 2) Mommsen Abh. S. 631 Chron. S. 71 Duchesne S. 11 Lietzmann S. 3. 3) Darüber vgl. H. Usener Weihnachtsfest I2 S. 375ff. 4) Mommsen Abh. S.634 Chron. S.73 Duchesne S. 1—9. In Mommsens Ausgabe des Liber pontificalis I (Mon. Germ.) ist der Biographie jedes Papstes der Text des Catal. Liberianus und der Dep. e pise, beigedruckt. Auch Harnack Chronologie I 144 ff. druckt den Catalogus ab.