ebook img

Oskar Panizza : Ein literarisches Porträt PDF

341 Pages·1984·10.33 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Oskar Panizza : Ein literarisches Porträt

M B ichael auer Oskar Panizza Ein literarisches Porträt Ha nser Literatur als Kunst Eine Schriftenreihe, herausgegeben von Walter Hollerer Michael Bauer OSKAR PANIZZA Ein literarisches Porträt Carl Hanser Verlag ISBN 3-446-1)981-8 Ln. ISBN )-446-i40j$-7 Br. Alle Rechte vorbehalten © 1984 Carl Hanser Verlag München Wien Umschlag: Klaus Detjen Foto: Oskar Panizza Mit freundlicher Genehmigung von Rainer Wirth Herstellung: Pustet, Regensburg Printed in Germany Inhalt Einleitung 7 »Der Fall Oskar Panizza* »Das Liebeskonzil« als literarische Provokation 15 Die »Legendisirung« eines Gotteslästerers 18 Panizza - zwischen Martin Bormann und Walter Mehring 24 »In memoriam Oskar Panizza«. Neue Aspekte zu einem Standardwerk 27 Der Streit um das (literarische) Erbe des Entmündigten 28 Der »Illusionismus* und Panizzas Rettung seiner Persönlichkeit Normalität, Genie und Wahnsinn. Panizzas Realitätsempfinden 39 Die politische Dimension des Begriffes »anormal« 44 »Dämon«, individuelle Not und künstlerische Inspiration 48 Zur Funktion literarischen Schaffens für Oskar Panizza 51 Erziehung und literarische Thematik Bigotterie und Lebenslust: Das Kissinger Elternhaus 59 Der Streit um die religiöse Erziehung der Kinder 65 Oskars Erziehung zum Geistlichen 70 »Die gelbe Kroete«. Panizzas literarische Auseinandersetzung mit seiner Kindheit 73 Exkurs: Der unverstandene Sohn, »Ein guter Kerl« 78 Die Vision vom »Tier« und ihre sprachliche Gestaltung 81 Vom Zögling zum Dichter Gymnasium, Bankvolontariat und Musikstudien 87 Der Medizinstudent, Pathologe und Psychiater Panizza 94 Exkurs: »Ein scandalöser Fall«. Die Verwirrungen der Alexina B. 101 Oskar Panizza und die Münchner Moderne Die literarische »Moderne« 107 Die Politik und Position Michael Georg Conrads innerhalb der Münchner Boheme 112 »Die Gesellschaft für modernes Leben«. Programm und Vereinspolitik 116 Oskar Panizzas Beitrag zu moderner Publizistik und zeitgenössischen Anthologien 123 Behördliche Repression als Konsens der Münchner Moderne 135 »Freie Bühne« und »Intimes Theater« 141 Religion und Sexualität. Zentrale Themen der Moderne im Werk Panizzas »Das Liebeskonzil«. Ein Literaturskandal und sein politischer Hintergrund 151 Literarische Einflüsse auf Panizzas »Himmels-Tragödie« 138 Der Himmel - eine Projektion irdischer Religiosität 166 Religion und Sexualität in Panizzas Prosa 179 »Ein bischen Gefängnis und ein bischen Irrenhaus*. Panizzas Flucht aus dem Wilhelminischen Deutschland Die Haft Oskar Panizzas und ihre literarischen wie persönlichen Folgen 185 Emigration und Ausweisung aus Zürich 193 »Ein >deutscher< Dichter in Paris« 204 Die Internierung Oskar Panizzas im »rothen Haus« 217 Anmerkungen 225 Verzeichnis der benutzten Archive 281 Bibliographie Oskar Panizza Einleitung und Gliederung 283 Primärliteratur 284 Sekundärliteratur 307 Nachbemerkungen 332 Register 333 Einleitung In seiner Einleitung »Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie« schrieb Karl Marx über den Reformator Martin Luther, er habe den Glauben an die Autorität gebrochen, da er die Autorität des Glau­ bens restauriert habe. »Er hat den Menschen von der äußern Religio­ sität befreit, weil er die Religiosität zum innem Menschen gemacht hat.« Dieses Bild vom Wirken Martin Luthers entsprach dem, das sich der heute nahezu vergessene Arzt und Schriftsteller Oskar Panizza gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zum Vorbild nahm. Anfang der neunziger Jahre bekannte der protestantische Schriftsteller, er halte Luther für den »größten deutschen Geisteshel­ den«. Es waren das kämpferische Bekennertum, aber auch die psy­ chischen Nöte und die Teufelsvision des Reformators, die Panizza persönlich wie in seinen Schriften immer wieder beschäftigten. Gleich Luther wollte auch er in seinem Frühwerk die Autorität des Glaubens wiederherstellen, indem er allzu naive Gottesvorstellungen der Lächerlichkeit preisgab. Im Geiste der Reformatoren wollte Panizza den Menschen von Reliquienschreinen und vergoldeten Marienstatuen loslösen, um ihn seinem »Dämon«, seiner inneren Stimme, folgen zu lassen. Oskar Panizza verstand sich als Zeuge einer Zeit des Umbruchs. Politik, Wissenschaft, Religion und Moral sah er in einem tiefgreifen­ den Wandel begriffen. Was Religion und Wissenschaft betraf, so wollte der frühere Pietistenzögling und Psychiater eine aufgeklärte Religiosität (»Lu­ ther ist der Rousseau der Religion«) auf einer von positivistischem Denken und »materialistischem« Experiment befreiten Psychologie begründen und diese der Extravertiertheit des Wilhelminischen Deutschland entgegensetzen. Geschäftsleben und Handel der Gründerjahre blieben dem Kissin­ ger Hoteliersohn und kurzzeitigen Bankvolontär fremd. Bis zu den Verboten und der Beschlagnahme nahezu aller seiner Bücher, bis zu seinem Konflikt mit den Behörden des Deutschen Kaiserreichs, lebte Oskar Panizza einer Welt der Phantasie, wie sie ihm durch die Werke der deutschen Romantik vertraut geworden war. Wörtlich übernahm er Anfang der neunziger Jahre aus Novalis’ »Blütenstaub«-Fragment 7 den Begriff »Außenwelt«, um damit die ihn umgebende Realität zu bezeichnen. Auch Panizzas Abkehr von der Naturwissenschaft und der Beginn seines literarischen Schaffens lassen sich mit Friedrich von Hardenberg wiedergeben: »Wir träumen von Reisen durch das Welt­ all: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht. - Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg.« An diesem geheimnisvollen Weg lag für Oskar Panizza das »rothe Haus« - ein Bild, mit dem er in seinem literarischen Erstlingswerk »Düstre Lieder« das Irrenhaus als Stätte gesellschaftlicher Isolation, aber auch völliger geistiger Freiheit umschrieb. Sowohl in der Märchenwelt seiner frühen Gedichte als auch mit der Phantastik seiner beiden Erzählbände überschritt Oskar Panizza die Grenzen der im Bewußtsein des Lesers als »normal« geltenden Wirklichkeit. Nur so glaubte er, die letzten Beweggründe, die Trieb­ struktur des Menschen, verstehen zu lernen. Er wollte, wie es Friedrich Schlegel in seinem »Gespräch über die Poesie« ausgedrückt hatte, »die Gesetze der vernünftig denkenden Vernunft« aufheben, um »das ursprüngliche Chaos der menschlichen Natur« offenzulegen - um literarisch zu ergründen, was ihm als Gehirnanatom verborgen geblieben war. Doch nicht nur das allgemein zunehmende Interesse an psycholo­ gischen Fragestellungen und eine, wie es ihm schien, veränderte Einstellung zu religiösen Fragen verstand Panizza als Zeichen einer neuen Zeit. Im weitverbreiteten Bewußtsein, in eine Epoche des Aufbruchs geboren zu sein, stand er als Schriftsteller zwischen protestantischem Nationalismus und anarchistischem Individualis­ mus Stirnerscher Prägung. Antisemitischen und gegen den »wel­ schen Erbfeind« gerichteten Aussagen stehen frankophile und Adolf Stöckers Judenhaß verurteilende Stellungnahmen gegenüber; der Bohemien sympathisierte mit der zwölf Jahre lang kriminalisierten Arbeiterbewegung und wollte sich dennoch nicht die rote »Schärpe« der Partei umbinden. Besonders die künstlerische Avantgarde Europas begann sich in den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts nicht nur über nationale Grenzen hinwegzusetzen. Modern sein hieß, den Menschen in seinen sozialen Beziehungen und ökonomischen Ab­ hängigkeiten zu erforschen, modern sein hieß aber auch, ohne Rücksicht auf bestehende Tabus und Zensur das Triebleben des Menschen, besonders in seinen sogenannten Abnormitäten zum Gegenstand von Kunst zu erklären. Zumindest in Proklamationen 8 setzte man sich über tradierte Formen hinweg und betonte die Freiheit des Künstlers, sein Ich ohne Einschränkungen zum Aus­ druck bringen zu dürfen, um so zu einer »wahren«, modernen Kunst beizutragen. Die Moderne wurde zur facettenreichen Mode, wobei die verkündete Freiheit des einzelnen Künstlers gruppenspezifischer Programmatik und Stilbildung entgegenstand. Gerade die Vielfalt an Stilrichtungen wurde zum Charakteristikum der Kunst des Fin de siècle. Leben und Werk Oskar Panizzas sind, wie dieser selbst immer wieder betonte, untrennbar miteinander verbunden. Schreibend wollte er sich der bedrückenden Erinnerungen an Kindheit und Jugend entzie­ hen, die von einem aufsehenerregenden Rechtsstreit seiner Mutter um die protestantische Erziehung ihrer Kinder sowie von den Erlebnissen in einer pietistischen Erziehungsanstalt geprägt waren. Mit Lord Byron argumentierte Panizza, nur eigenes Erleben lasse wahrhafte Dichtung reifen; er selbst sei kein Künstler im herkömmlichen Sinne, sondern ein Psychopath, der lediglich seine Seele offenbaren wolle. In einem Vortrag zum Thema »Genie und Wahnsinn« hatte er bereits in den frühen neunziger Jahren die Nähe des Künstlers zum Geisteskran­ ken betont. Panizza fürchtete zeit seines Lebens, wahnsinnig zu werden. Literatur wurde ihm auch zu einem »Ableitungsmittel« für Depressionen. Wiederholt zitierte Panizza aus Heines »Schöpfungs­ liedern« die Verse »Erschaffend konnte ich genesen/Erschaffend wurde ich gesund«. Dennoch war Panizza kein dichtender Psycho­ path, sondern ein von äußerster Sensibilität gekennzeichneter Schriftsteller, der mit »überfeinen Nerven« auf seine Zeit reagierte. Im Kreise der Münchner »Moderne« setzte sich Panizza vor allem für neue Bühnenformen ein. Er schrieb in zahlreichen Artikeln und Essays aber nicht nur über Theater und Variété, für das er noch vor Otto Julius Bierbaum öffentlich eintrat, sondern griff auch bis dahin als tabu geltende Themen auf. Mit seinem Schauspiel »Das Liebes­ konzil« forderte der vierzigjährige Schriftsteller die Behörden des Wilhelminischen Deutschland heraus. Schon zwei Jahre zuvor war er als Reservist und Mitglied der »Gesellschaft für modernes Leben« unehrenhaft aus dem Militär entlassen worden. Ein Jahr Einzelhaft wegen Gotteslästerung ließen den Verurteilten das Verhältnis zwi­ schen Einzelnem und den Mächten der »Außenwelt« neu überden­ ken, was literarisch Pamphlete und politische Gedichte zur Folge hatte. 9 Wie der Prozeß um »Das Liebeskonzil« vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion über die sogenannte Umsturzvorlage (1894/ 95) zu sehen ist, so läßt sich auch Panizzas Ausweisung aus der Schweiz nicht losgelöst vom Genfer Attentat auf Kaiserin Elisa­ beth I. von Österreich (1898) betrachten. Die exemplarische Strenge des Münchner Urteils wie die Ausweisung aus dem Kanton Zürich und Panizzas Verfahren wegen Majestätsbeleidigung wurden für den Schriftsteller zu biographischen wie literarischen Zäsuren. Aus dem Münchner Bohemien wurde ein mißtrauischer Einzelgänger, aus dem protestantischen »Teutschen« ein »Anarchist der Feder«. Lite­ rarische Arbeiten bedingten einzelne Lebensabschnitte, deren Bruchstellen wiederum Panizzas Schriften nachhaltig beeinflußten. Bestanden die drei frühen Gedichtbände Oskar Panizzas mit wenigen Ausnahmen aus mühsam zu Balladen geformten Märchen­ stoffen, Legenden und autobiographischen Erlebnissen, so gelang ihrem Verfasser in den hierauf veröffentlichten Prosabänden »Dämmrungsstücke« (1890) und »Visionen« (1893) ^*e Anreiche­ rung phantastischer Erzählungen im Stile Edgar Allan Poes und E.T.A. Hoffmanns mit psychologischen Erkenntnissen des ausge­ henden neunzehnten Jahrhunderts. Das geschilderte Erleben des Ich-Erzählers wurde dabei zur Schnittfläche zweier Wirklichkeits­ ebenen, so daß der Leser von Panizzas Grotesken und phantastischen Erzählungen sich zwischen das Bewußtsein und das Unterbewußt­ sein des Erzählers, vor allem aber zwischen die geschilderte Realität und die eigene Wirklichkeitserfahrung gestellt sieht. Mit der Minu­ tiosität naturalistischer Schilderung führte Panizza seinen Leser in eine »Innenwelt«, die sich dem »Realismus« der Zeit entzog, der durch naturwissenschaftliches Experimentieren nicht beizukommen war und zu der Panizza literarisch Zugang suchte, noch bevor psychoanalytische Theorien diese »Innenwelt« zu erschließen be­ müht waren. Auch in seinen dramatischen Texten und theaterhistorischen Es­ says interessierte Oskar Panizza die Frage nach Wirklichkeit und Scheinwirklichkeit. War die Welt auf der Bühne nicht ebenso »real« wie das Gespräch im Foyer? Während die zeitgenössische Theater­ avantgarde Arbeiter, Prostituierte, Trinker und Lustmörder als dra- matis personae unzensiert auf die Bühne bringen wollte, griff Panizza auf die Antike und das Geistliche Spiel zurück, um Götterwelt und Teufel über die sündige Menschheit sprechen zu lassen. Mit revue- haften Szenen und surrealen Szenenwechseln wies Panizzas dramati­ 10

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.