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Musikalische Norm um 1700 PDF

240 Pages·2010·2.47 MB·German
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Frühe Neuzeit Band 149 Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt Musikalische Norm um 1700 Herausgegeben von Rainer Bayreuther De Gruyter ISBN 978-3-11-023344-5 e-ISBN 978-3-11-023345-2 ISSN 0934-5531 Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen (cid:102) Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com V Inhalt Einleitung.............................................................................................................1 Rainer Bayreuther Perspektiven des Normbegriffs für die Erforschung der Musik um 1700...........5 Alexander Aichele Galante Geltung. Normengebrauch und Normenanwendung bei Christian Thomasius....................................................................................63 Thomas Christensen Rules, License and Taste in 17th-Century French Music Theory: From Mersenne to Rameau................................................................................81 Wolfgang Hirschmann »Musicus ecclecticus« – Überlegungen zu Nachahmung, Norm und Individualisierung um 1700..............................................................97 Sebastian Klotz »Humane Nature« und Musik bei Roger North. Zum ethischen Horizont der englischen Musikreflexion um 1700..........................................109 Joachim Kremer ›Regel‹ versus ›Geschmack‹. Die Kritik an musikalischen Regeln zwischen 1700 und 1752 als Paradigmenwechsel...............................117 Michael Maul Johann David Heinichen und der »Musicalische Horribilicribrifax«. Überlegungen zur Vorrede von Heinichens Gründlicher Anweisung.........................................................145 Ute Poetzsch Das Erwecken von »allerhand Regungen« in Telemanns Kirchenmusik und die Fuge.............................................................................167 Miloš Vec Die normative Struktur des decorum. Über den Einbruch der Mode in den Naturrechtsdiskurs der Aufklärung......................................181 Friedrich Vollhardt Normvermittlung bei Christian Thomasius.....................................................201 VI Saskia Maria Woyke ›Varietas‹ – ›Artifizialität‹ – ›Irregolarità‹. Unausgesprochene Norm in venezianischen Opern der 1660er und 1670er Jahre.........................213 Namenregister..................................................................................................227 Einleitung Regeln haben den Effekt, die Dynamik der Geschichte stillzustellen. In der Geschichte der Künste hat man seit je Kräfte namhaft gemacht, die die Regel durchbrechen: in der Antike die göttliche Inspiration; in der Renaissance das Ingenium, das ein Recht auf Lizenz von der Regel hat; in der Aufklärung das Genie, das sich selbst die Regel gibt. Diese Kräfte, so ein gängiges Narrativ der Geschichtsschreibung, bewirkten Fortschritt und historischen Wandel. Hebt man damit mehr auf die ruhige, kontinuierliche Entfaltung einer Epoche als auf die geschichtliche Dynamik ab, wenn man die Normen einer Kunst untersucht? Diese Frage liegt den Studien des vorliegenden Bands zugrunde, und sie ist mit Nein zu beantworten. Am historischen Ursprung der Neuformierung musikalischer Normativität in Frankreich ab Mitte des 17. Jahr- hunderts wird noch von Regeln und Lizenzen gesprochen (Beitrag Christensen). Die Lizenzen kann sich der begabte Künstler aber nicht anarchisch heraus- nehmen. Vielmehr sind sie in eine andere und historisch wegweisende Normen- struktur eingebunden: in die Normen des guten Geschmacks (Christensen und Kremer), die Regeln, die aus der Erfahrung gewonnen werden (Bayreuther), die Regeln der emotionalen Wirksamkeit von Musik (Poetzsch) oder einfach in die Maxime, musikalisch so vielfältig und irregulär wie möglich zu handeln (Woyke). Damit wurden nicht einfach ältere musikalische Regeln durch neue ersetzt. Die Normativität von Musik änderte sich grundlegend. Dabei handelt es sich um keine spezifisch musikgeschichtliche Entwicklung. Sie weist in einen alle Bereiche der Kultur durchdringenden zeittypischen Diskurs über Normativität. Die Frage, welche Normen die Musik um 1700 prägten, kann daher nicht allein musikgeschichtlich beantwortet werden. Die Rechtsphilosophie der Zeit findet für diese historisch neue Normativität eine eigene Normenklasse, das ›decorum‹ (Aichele und Vec). Die neue Normativität setzt nicht mehr allein beim Verstand an, der die triebhaften Kräfte reguliert. Sie kalkuliert das affektive, sinnliche, vernünftige und soziale Vermögen des Menschen ein und muss daher päda- gogisch anders vermittelt werden als die Regeln alten Schlags (Vollhardt). Der musikalische Stilwandel, den Zeitgenossen subtil registrierten und der mit polemischen Streitigkeiten über Inhalt und Geltung von Regeln einherging (ein Fallbeispiel bei Maul), ist bisher musikgeschichtlich unterbestimmt geblieben. Zum einen sind die Wege des Transfers zwischen den musikalischen Kulturen in Europa und die gattungsgeschichtlichen Zusammenhänge noch unklar. In Frankreich wurden zentrale Aspekte der neuen Normativität erstmals erörtert (Christensen). In Italien, wo die Oper des späten 17. Jahrhunderts seit langem als Motor des Stilwandels im Blick ist, ist es für das Verständnis des Wandels musikalischer Normativität unerlässlich, die Sujets und die Formen- vielfalt der Libretti zu berücksichtigen (Woyke). Wie in Deutschland begann in England die Diskussion um neue Regelstrukturen erst nach 1700. Bemerkens- wert ist, dass hier wie dort völlig neue Kategorien des Beurteilens von Musik 2 Einleitung gesucht wurden (für Deutschland Bayreuther, für England Klotz). Zum anderen tangiert der Wandel der musikalischen Normativität die Geschichtlichkeit von Musik. Im Musikschrifttum herrschte bis zum Ende des 17. Jahrhunderts das Bewusstsein, die Entwicklung der Tonkunst von der Antike bis in die Gegen- wart sei kontinuierlich verlaufen. Kurz nach 1700 diagnostizierten Mattheson und Heinichen aber einen historischen Bruch, der radikaler ist als der musikali- sche Zeitenwandel früherer Jahrhunderte. Er besteht in einem neuen Verständ- nis der Dynamik von (Musik-)Geschichte. Es wurden um 1700 nicht einfach veraltete musikalische Stile und ihre Regeln durch neue ersetzt. Das neue Epochenbewusstsein war geprägt von einem völlig neuen Typus musikalischer Normen (eine systematische Charakterisierung bei Bayreuther). Was diesen neuen Typus ausmacht, ist das Thema des vorliegenden Bands. Das epochal Neue besteht darin, dass der Inhalt von musikalischen Regeln nicht mehr aus einer konkreten Anweisung bestehen kann. Vielmehr muss der konkreten Situa- tion, der herrschenden Mode und der Persönlichkeit der Akteure überlassen bleiben, wie musikalisch zu handeln ist. Das führte nicht dazu, dass der Regelbegriff suspendiert und in reine Pragmatik aufgelöst würde. Auch wurde die situative Variabilität des musikalischen Handelns nicht als Lizenz auf- gefasst. Es wurde nach Regelhaftigkeiten in der Musik gesucht, die konstitutiv damit rechnen, dass jede Situation anders ist und dass jedes musikalische Handeln einen eigenen Zweck verfolgt. Das eklektische Einhalten von Vorschriften, das in der Musik wie in der Literatur um 1700 propagiert wurde, ist eine solche Regelhaftigkeit: Gegebene Regeln werden weder blind ange- wendet noch pauschal verworfen, sondern je nach Einzelfall neu kombiniert (Hirschmann). Das zwang die Musiktheorie der Zeit zu einer Reflexion darüber, welche Geltungsstruktur musikalische Normen haben, wenn man emotionale, situative und soziale Variabilität einrechnet (Bayreuther). Mit dieser Struktur musikalischer Norm gewann die Musikgeschichte eine qualitativ neue Dynamik. Solche Regeln bewahrten nicht mehr vor Veränderung und Beschleunigung, sie integrierten diese Faktoren vielmehr in ihre Regu- larität. Die Maxime, der Mode zu folgen (Vec), ist nichts anderes als eine rekursive Anwendung des Faktors Veränderlichkeit. Das Projekt einer musikali- schen Aufklärung, das in der Mitte des 18. Jahrhunderts dann explizit formuliert wurde, ist erst auf der Grundlage dieses Wandels musikalischer Normativität verständlich. Die Musikgeschichte des 18. Jahrhunderts lässt sich in ihrer Dynamik ohne eine musikalische Normativität, die statt der starren Vorschrift die Flexibilität zur Regel macht, nicht angemessen verstehen. Die vorliegenden Aufsätze basieren auf Vorträgen, die im Rahmen der Tagung Die Regeln des musikalischen Satzes »ihrem Wesen nach« und »ihrem Gebrauch nach« (Mattheson). Musikalische Norm um 1700 vom 26. bis 28. Februar 2007 am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Frankfurt a.M. gehalten wurden. Mein Dank gilt vor allem vier Institutionen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat die Durchführung der Tagung finanziert. Das Zentrum zur Erforschung der Frühen Neuzeit der Universität Frankfurt a.M. hat als Kooperationspartner die Tagung organisatorisch begleitet. Das Einleitung 3 Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald ermöglichte durch ein Junior Fellowship im Kollegjahr 2008/09 eine gründliche Ausarbeitung der Thematik. Schließlich sei den Herausgebern der Frühen Neuzeit für die Aufnahme des Buchs in diese Reihe gedankt. Weimar, im Februar 2010

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