~ J.B.METZLER Alexander Honoldl Klaus R. Scherpe (Hrsg.) Mit Deutschland um die Welt Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit Mit 149 Abbildungen 2004 Verlag J. B. Metzler Stuttgart . Weimar Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte biblio grafische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN 978-3-476-02045-1 ISBN 978-3-476-02955-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-02955-3 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheber rechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für VervieifaItigungen, übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2004 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei 1. B. Metzler'sche Verlagsbuchhandlung und earl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2004 www.metzierverlag.de [email protected] v Inhalt Einleitung: Für eine deutsche 10. Ägyptenreise auf den Spuren von Virchow Kulturgeschichte des Fremden 1 und Schliemann 1888: Julius Stindes Frau Buchholz im Orient 1. Heinrich von Stephan und die Idee der (Badenberg) 106 Weltpost November 1869: Die Eröffnung des 11. Eroberungen mit der Eisenbahn Suezkanals (Simons) 26 4. Oktober 1888: Alfred Kaulla telegraphiert Konzession zum Bau der Bagdadbahn nach 2. Das Reich der Tiere und ihr Interpret Berlin (Honold) 115 12. April 1873: Alfred Brehm fordert die Anerkennung der Schimpansen als Menschen 12. Völkerkunde in Neuguinea (Benninghoff-Lühl) 36 Herbst 1888: Otto Finsch rettet die Ehre der Menschenfresser (Joch) 127 3. Die Antike als Nationalunternehmen 25. April 1874: Vertrag zwischen Griechenland 13. Kaiser-Wilhelm-Spitze und dem Deutschen Reich zur Ausgrabung 6. Oktober 1889: Hans Meyer erobert den Olympias (Honold) 41 Kilimandscharo (Honold) 136 4. Der Katechismus zur Kolonialfrage 14. Photographie im Einsatz Februar 1879: Friedrich Fabri fragt: 1891: Die Zeitschrift für Ethnologie führt die »Bedarf Deutschland der Colonien?« Autotypie als Reproduktionsverfahren ein (Joch) 51 (Kabatek) 145 5. Archäologie und Museumspolitik 15. Unterhaltung und Vermarktung 29. Januar 1880: Alexander Conze verkündet 1892: Die Firma J.EG. Umlauff präsentiert den Erwerb des Pergamonfrieses (Köppen) »anthropologisch-zoologische 58 Prachtgruppen« (Lange) 152 6. Koloniales in der Karikatur 16. Die Reichweite der Zivilisation November 1884: Der Kladderadatsch sieht September 1893: Die Hermann von Wissmann »Culturfortschritte am Congo« (Joch) 66 kreuzt auf dem Nyassasee (Köppen) 163 7. Massaker und Maskerade 17. Die Bildkarriere eines kulturellen 6. Dezember 1884: In Mkondgua träumt Stereotyps Carl Peters von einem großdeutschen 14. Juli 1894: Mohrenwäsche im Leipziger Ostafrika (Scherpe) 77 Zoo (Badenberg) 173 8. Spiel um Kamerun 18. Orientteppich und Kunstwerk Weihnachten 1885: Kolonialismus in Brett 1895: Hofmannsthals Märchen der 672. Nacht und Gesellschaftsspielen (Badenberg) 86 (Simons) 182 9. Usambara-Kaffee und Kamerun-Kakao 19. Zwischen Kairo und Alt-Berlin im Kolonialwarenhandel Sommer 1896: Die deutschen Kolonien Frühjahr 1887: Stollwerck führt den als Ware und Werbung auf der Gewerbe- Automatenverkauf ein (Badenberg) 94 Ausstellung in Treptow (Badenberg) 190 VI Inhalt 20. Schauspiele der Scham 32. Kolonialkrieg und Genozid Juli 1896: Peter Altenberg gesellt sich im 2. Oktober 1904: General Adolf Lebrecht von Wiener Tiergarten zu den Aschanti Trotha unterzeichnet den Erlaß J. Nr. 3737 (Besser) 200 (Köppen) 310 21. »Mir ist so orientalisch zu Muth« 33. Halbwilder Westen 1897: Paul Scheerbart publiziert arabische Juni 1905: Buffalo Bill reitet im Groschenheft Romane (Innerhofer) 209 (Joch) 320 22. Die hygienische Eroberung Afrikas 34. Der Orient im Interieur 9. Juni 1898: Robert Koch hält seinen Vortrag Arztliche Beobachtungen in den Tropen Mai 1905: Die Zeitschrift Innen-Dekoration (Besser) 217 feiert die Exotik des Wiesbadener Palast-Hotels (Scherpe) 329 23. Caput Nili August 1898: Richard Kandt gelingt die letzte 35. Halbmond im luna-Park Entdeckung der Nilquelle (Honold) 226 26. Januar 1906: Else Lasker-Schüler präsentiert Ached Bey (Kirschnick) 338 24. Der letzte Kreuzritter 29./31. Oktober 1898: Kaiser Wilhelm 11. 36. Koloniale Erziehung in Jerusalem (Honold) 236 Montag, 25. Juni 1906: Der erste Schultag in Fumban/Kamerun (Werkmeister) 347 25. Von der »Gelben Gefahr« zur Eroberung Chinas 6. Dezember 1898: Der Kaiser bedankt sich 37. Der Ethnologe als Geschichtenerzähler für Paul Lindenbergs »patriotisches Buch« Frühjahr 1907: Leo Frobenius berichtet vom (Liu) 247 Kongo-Kassai (Joch) 357 26. Wilhelm Raabe und die Burenkriege 38. Wo sind die Mütter? 1899: Deutsche Schriftsteller begeistern sich 1907: Margarethe von Eckenbrechers für die »Burensache« (Parr) 254 Erinnerungen Was Afrika mir gab und nahm (Noyes) 367 27. Zwischen land und Meer August 1901: Die Woermann-Linie fährt in 39. Bastards 30 Tagen nach Swakopmund (Besser) 264 Juli 1908: Eugen Fischer bringt die 28. Die Organisation des kolonialen Wissens »Rassenkunde« nach Afrika (Schwarz) 373 10. Oktober 1902: In Berlin tagt der erste Deutsche Kolonialkongreß (Besser) 271 40. Reklame für Salem Aleikum 11. Januar 1909: Die Dresdner Cigaretten 29. leben für die Sammlung fabrik Yenidze erhält eine Moscheekuppel 13. Oktober 1902: Gedenkfeier zum Tode (Scherpe) 381 RudolfVirchows (Benninghoff-Lühl) 279 41. Gartenlaube im Wüstensand 30. Orientalismus im Bild 17. April 1909: Die Lüderitzbuchter Zeitung 1903: Rudolf Lehnerts erste Photo exkursion tadelt die reichsdeutsche Presse (Hilt) 389 nach Tunesien und die Tradition reisender Orientmaler (Bopp) 288 42. Tatau. Das Fremde auf der Haut 31. Tropenkoller 17. März 1911: Franz Kafka hört 5. März 1904: Freispruch für Prinz Prosper Adolf Loos über Ornament und Verbrechen von Arenberg (Besser) 300 (Honold) 397 Inhalt VII 43. Musikforschung als Kulturvergleich 50. Die verhinderte Weltsprache 1911: Erich von Hornbostel entwickelt 16. Dezember 1915: Adalbert Baumann akustische Kriterien für die kulturelle präsentiert »Das neue, leichte Weltdeutsch« Zuordnung (Klotz) 407 (Werkmeister) 464 44. Der Platz des irdischen Friedens 51. Aviatik und die Medialisierung des Blicks Sommer 1912: Alfred Döblin beginnt 13. November 1916: Deutsche Flieger über die Arbeit am Wang-Lun (Joch) 415 Kairo (Köppen) 473 45. Berliner Köpfe 52. Schwarze Dichtung erobert Europa 6. Dezember 1912: Ludwig Borchardt 1916: earl Einsteins Afrikanische Legenden entdeckt die Büste der Nofretete (Simons) (Simons) 481 422 53. »Wir graben einen Schacht zu Babel« 46. Die ersten Schulmeister der Welt Mai 1918: Robert Koldewey rekonstruiert 8. Dezember 1913: Karl Lamprechts den babylonischen Turm (Simons) 488 Denkschrift an den Reichskanzler (Joch) 429 54. Exotismus an Leib und Leben 29. August 1918: Auf Java stirbt der 47. Südsee-Insulaner als Kunsttrophäen Schriftsteller Max Dauthendey (Hilt) 496 Mai 1914: Nolde in Neuguinea, Pechstein in Palau (Badenberg) 438 Register der Personen, Orte, Werke 505 48. Die Mobilmachung des Fremden Sachregister 514 September 1914: »Gute Feldpost« für Thomas Mann (Scherpe) 449 Zu den Autorinnen und Autoren 517 49. Die kolonialen Obsessionen des Nervösen Bildquellenverzeichnis 520 1915: Freilandphantasien in Robert Müllers Tropen (Schwarz) 457 1 Einleitung: Für eine deutsche Kulturgeschichte des Fremden darf es der überlistung eingespielter Wahrneh mungs- und Verdrängungsmechanismen. Doch Ich stamme von der Goldküste. Darüber, wie ich geht der Grad an Verfremdung, den die Szenarien eingefangen wurde, bin ich auff remde Berichte ange Kafkas hervorrufen, über List und Kalkül effektvol wiesen. Eine Jagdexpedition der Firma Hagenbeck ler Kontraste hinaus. Aus seinen Geschichten er [ ...} lag im Ufergebüsch auf dem Anstand, als ich wacht man »mit einem Chock«, so Benjamin, »und am Abend inmitten eines Rudels zur Tränke lief Man merkt mit einem Mal, daß man vom Kontinent des schoß; ich war der einzige, der getroffen wurde; ich Menschen schon weit entfernt ist.«2 Diesen Schock bekam zwei Schüsse. [. ..} Nach jenen Schüssen er löst, unter der Maske und Rollensprache des Tiers wachte ich - und hier beginnt allmählich meine kaum verborgen, die Begegnung mit dem Fremden eigene Erinnerung - in einem Käfig im Zwischendeck aus, in welcher - und darin liegt das Schockierende des Hagenbeckschen Dampfers. Es war kein vier - stets auch eine Selbstbegegnung stattfindet: mit wandiger Gitterkäfig; vielmehr waren nur drei den Taten und Folgen des europäischen Kolonia Wände an einer Kiste festgemacht; die Kiste also lismus, mit dem unentwegten Begehren nach dem bildete die vierte Wand. Das Ganze war zu niedrig ganz Anderen und dem ebenso starken Impuls zum Aufrechtstehen und zu schmal zum Nieder seiner überführung in die eigene Wissensordnung sitzen. Ich hockte deshalb mit eingebogenen, ewig und Sinnwelt. zitternden Knien, und zwar, da ich zunächst wahr Franz Kafkas 1917 entstandene Erzählung Ein scheinlich niemanden sehen und immer nur im Dun Bericht für eine Akademie nährt keineswegs die kel sein wollte, zur Kiste gewendet, während sich mir Illusion, im Auftritt des domestizierten Affen Rot hinten die Gitterstäbe ins Fleisch einschnitten. Man peter könnte - bei entsprechend gutwilliger Bereit hält eine solche Verwahrung wilder Tiere in der schaft des akademischen Publikums - der oder das allerersten Zeit für vorteilhaft, und ich kann heute Fremde selbst zu Wort kommen. In den Brenn nach meiner Erfahrung nicht leugnen, daß dies im punkt der Aufmerksamkeit rücken mit dem be menschlichen Sinn tatsächlich der Fall ist. Daran staunten Affen zugleich seine menschlichen Pei dachte ich aber damals nicht. Ich war zum erstenmal niger und Bewunderer, ihre Beutezüge und Schau in meinem Leben ohne Ausweg ... 1 stellungen - kurzum, die Auftrittsbedingungen des Wer die unbewußte Vorgeschichte der eigenen Fremden. Der Käfig, in dem das an der west Identitätsbildung erfahren will, ist auf fremde Be afrikanischen Goldküste zur Strecke gebrachte Tier richte angewiesen. Das gilt für den auf einem Ha seine überfahrt nach Europa antritt, ist ein Me genbeckschen Dampfer gefangenen Menschenaf dium der kulturellen übersetzung; in seiner räum fen, erst recht aber für jene, die mit diesem über lichen Anordnung erweist er sich als die exakte seeischen Beutegut ein Stück ihrer selbst einge Umstülpung des klassischen Guckkasten-Theaters. fangen zu haben glauben. Man könne den Auf der Schaubühne ist das Spielfeld nach drei Tiergeschichten Kafkas, so bemerkte Walter Benja Seiten geschlossen wie ein Zimmer, an der Stelle min, »eine gute Weile folgen ohne überhaupt wahr der vierten Wand aber befinden sich, den agieren zunehmen, daß es sich hier gar nicht um Menschen den Schauspielern scheinbar gar nicht bewußt, der handelt.« Soweit entspricht dieser Eindruck dem in Theatersaal und die Zuschauer. Die Zurichtung des der Fabel und anderen lehrhaften Erzählformen Bühnengeschehens für die Augen und Ohren des bewährten Verfahren der verfremdenden Einklei Publikums bleibt innerhalb der theatralischen Fik dung menschlich-allzumenschlicher Verhaltensmu tion den handelnden Darstellern entzogen. ster. Um diese sichtbar hervortreten zu lassen, be- Anders im Falle des gefangenen Menschenaffen. Sein Käfig besitzt nur eine massive Wand, nach den Franz Katka: Ein Bericht für eine Akademie (1917). Gesammelte Werke, hg. von Hans-Gerd Koch. Frank 2 Walter Benjamin: Gesammelte Schriften. Frankfurt/M. furt/Mo 1994. Bd. 1,237. 1972ff., Bd. II/2, 680 f.; vgl. VI, 433. 2 Einleitung: Für eine deutsche Kulturgeschichte des Fremden drei anderen Seiten ist er durchlässig für die Blicke arbeitung von Fremdkontakten verstanden werden der Menschen. Obwohl ihm die Metallstäbe ins kann.3 Nicht zufällig vollzog sich der Eintritt in das ohnehin schon verwundete Fleisch schneiden, wen Zeitalter globaler Mobilität synchron mit den teils det sich der Gefangene beharrlich der vierten Seite revolutionären, teils evolutionären Prozessen der zu, einer Holzkiste. Diese Abkehr ist ohne Ausweg. Entkolonialisierung, von denen unterschiedlichste Der tierischen Physis ist die überquerung der Bar Weltregionen, Nationen und Akteure in mehreren riere verwehrt, nicht aber dem sprichwörtlichen Schüben erfaßt wurden. Mit der Aufkündigung Vermögen der äffischen Mimesis. Irgendwann wird manifester Kolonialverhältnisse wurden die sie er, aus nüchterner Überlegung, den ersten Schritt flankierenden politischen Machtstrukturen in die tun und sich der Bordbesatzung zeigen. Alles wei Latenz zurückgedrängt, ökonomische Abhängig tere, die gestische Imitation der Matrosen, der erste keiten dagegen noch deutlicher sichtbar. Schluck aus der Rumflasche, der wiederum den Definitiv beseitigt hat die »globalisierte« Welt ersten »menschlichen« Sprachlaut aus der Kehle ordnung sowohl die Rollenfiktion des unbeteiligten des Tieres hervorlockt, sind gewaltsame Folgen des Beobachters wie die des neutralen Schiedsrichters Entschlusses, unter den Menschen als ihr vertraut oder fairen Maklers. Nach dem Ende der Ost-West fremdes Alter ego aufzutreten - und zu überleben. Spaltung und ihrer binären Logik der Systemkon Als Menschenaffe hat das Tier in Afrika die Über kurrenz erweist sich: Zur schönen neuen Welt und fahrt angetreten, als vermenschlichter Affe wird der ihren global players existiert kein Außen mehr. Der Schausteller die Passage im Hamburger Hafen be Andere, der Fremde wird zum kontingenten Merk enden. War im homerischen Epos einst der Heim malsträger einer relationalen (und jeweils relati kehrer Odysseus an seiner alten Narbe am Ober vierbaren) Binnendifferenz. Im world wide web schenkel wiederzuerkennen, so markiert beim assi eines ubiquitären und egalitären westlichen Le milierten Exoten die bleibende Wunde im Unter bensstils, so die Befürchtungen, droht eine nie leib, die Schußnarbe, ein Trauma der Differenz. gekannte Nivellierung regionaler Eigenarten und Unter dem Namen Rotpeter ist er auf allen großen kultureller Diversität.4 In diesem Räsonnement äu Varietebühnen zuhause, daß heißt: seiner Natur ßert sich ein wachsendes Bedürfnis nach Distink und Herkunft entfremdet, unter dem Blick der tion und Differenz, das aus den gesteigerten Auf Europäer zum Fremden geworden. Ein Wunder der merksamkeitswerten für alle Zeichen des Fremden Zivilisation, das es wert ist, dem gelehrten Sachver immer neue Anreize bezieht; in den Künsten und stand einer Akademie vorgelegt zu werden. Wissenschaften, auf dem Markt der Güter und Lebensstile.5 Oft erzeugen die interkulturellen Ver gleichsmäglichkeiten erst jene Unterschiede, die sie 11 vermeintlich einzuebnen im Begriff stehen. Para dox formuliert, bemißt sich die zeitgemäße Instru Die Rückzugsgebiete des Fremden haben sich dra mentalisierung des Fremden just daran, wie sehr es matisch verringert. Keine weißen Flecken mehr auch ästhetisch zu dem geworden ist, was es der weist die Weltkarte auf, von dunklen Kontinenten keine Rede. Und dennoch gab es noch nie so viel an imaginierter und auch tatsächlich erfahrbarer 3 Der postkoloniale Theoretiker Homi Bhabha legt Wert Fremdheit wie ausgerechnet im Zeitalter einer darauf, den Ort des Kulturellen selbst als Zwischen scheinbar grenzenlosen, uniformen Verwestli zone oder Übergangsraum differenter Herkünfte, Eth chung. In der Epoche seit Ende des Zweiten Welt nien, Lebensweisen zu denken; so gesehen haftet den Konzepten von Inter- oder Multikulturalität eine ge kriegs haben exponentiell ansteigende weltweite wisse Redundanz an (Bhabha 1994). Reiseaktivitäten, Migrationsbewegungen und Kom 4 Das Spannungsfeld von Globalisierung und »cultura munikationsnetze das Fremde überall aufgespürt, lism«, verstanden als »conscious mobilization of cultu entzaubert oder vertrieben. Zugleich aber wachsen ral differences in the service of a larger national or die Begegnungen mit Erscheinungsformen kultu transnational politics«, untersucht Appadurai 1996, 15. reller Fremdheit derart, daß Kultur selbst inzwi 5 »Nicht die Fremden, sondern der Mangel an Fremd schen, und mit durchaus guten Gründen, als ein heit, nicht die Anderen, sondern die Nivellierung der synkretistischer Modus der Ermöglichung und Ver- Alterität sind bedrohlich« (Schütze 2000, 18 f.). Einleitung: Für eine deutsche Kulturgeschichte des Fremden 3 Sache nach immer schon war: Synonym des Un bewegte sich auf dem vermeintlich einsamen Ei verfügbaren. land als selbstverständlicher Herr im Hause - bis Das Fremde ist die kulturelle Ressource der ihn eines Tages die Entdeckung einer fremden Moderne schlechthin. An definitorischen Fest menschlichen Fußspur eines anderen belehrt. Die schreibungen kultureller Identität herrschte im ver nach gerade erstaunliche Fiktion des europäischen gangenen Jahrhundert wahrlich kein Mangel, ge Kolonialismus, überall auf der Welt herrenlose Ge rade angesichts ihrer wachsenden Instabilität. biete in Besitz nehmen zu können, verrät sich in Denn ob diese >unverbrüchlichen< Wesenheiten dem Augenblick tiefsten Erschreckens. »T he horror, nun religiös, ethnisch, nationalgeschichtlich oder the horror« - drei Jahrhunderte später durchbebt ökonomisch konturiert wurden, das Verbindende bei diesen letzten Worten aus Joseph Conrads und Verläßliche an ihnen war einzig die mit immer Heart of Darkness den ins tiefste Afrika verstrickten kürzeren Halbwertszeiten gewahrte Grenzziehung Neu-Barbaren Kurtz ein nicht minder grundstür gegenüber dem Fremden. Das Zusammenspiel von zendes Entsetzen. Die Schreckenserfahrung, ob Inklusion und Exklusion, von Selbstaffirmation wohl sie ästhetisch mit dem Fremden assoziiert ist, und Krisenerfahrung verdankt seine Energie nicht rührt von der grenzenlosen Gewaltherrschaft des den reklamierten Positionen, sondern dem dyna sich selbst unheimlich gewordenen weißen Man mischen, kaum fixierbaren Ort der kulturellen Dif nes. Was dem vor Ort agierenden kolonialen Usur ferenz. Modernität, nicht im epochalen, sondern pator in den Bildern und Zeichen des Fremden im prozessualen Sinne gefaßt, bedeutet Ent-Selbst begegnet, ist die entstellte Gestalt seiner selbst. verständlichung. Und die je erneute, unablässige Aus dem unbedenklichen Export des eurozen Verständigung über das, was sich nicht mehr von trischen Blicks in den >Rest< der Welt gingen freilich selbst versteht. auch Erfahrungen hervor, die solcher Hybris und Weiter zurückgreifend, ist die gesamte Ge Dramatik ein Ende bereiteten. Die wechselseitige schichte der Neuzeit nach Kolumbus durch die Assimilation oder vielmehr der Eintritt in eine Bedeutung des Kontaktes mit fremden Welten mar mimetische Interaktion beginnt, so lernt der Affe kiert. Das Neue »entdecken« und ihm altvertraute im Hagenbeckschen Käfig, mit der Gewißheit, kei Gewänder anlegen sind eins. Die Ambivalenz dieses nen anderen Ausweg mehr zu haben. Mimesis als epistemologischen Einschnitts haben Tzvetan To magische Beziehung, Erlebniswert und Reproduk dorov (1985) und Stephen Greenblatt (1994) auf tionstechnik: Nicht ein regressives, sondern ein neue Weise hervortreten lassen; mit ihren Studien genuin modernes Sensorium der Ethnologie liest begann, auch im Hinblick auf das zwiespältige Michael Taussig aus Benjamins Gedanken über das Datum des fünthundertjährigen Amerika-Jubi »mimetische Vermögen« heraus; und dies eben läums, ein Neuaufschwung kulturwissenschaftli nicht nur auf Seiten des weißen Mannes, der die cher Fremdeforschung am Ausgang des zwanzig natives beschriftet und bebildert.6 Im postkolonia sten Jahrhunderts. Zu den nachhaltigen Erschüt len Zeitalter sind Schrift- und Bildkultur, technisch terungen seit dem Zeitalter der Entdeckungen ge implementiert, politisch umkehrbar geworden: die hören einerseits der ethnographische Schock über counter-Strategien des writing back und viewing die verschobenen Grenzen des Menschseins, zum back. Doch fungieren »Entfremdung« und »Ver anderen die Folgen und Rückstoßeffekte des euro fremdung« bereits als diagnostische oder program päischen Kolonialismus, etwa durch Krankheiten, matische Schlagworte auf der Agenda der Moderne. Armut und Krieg. Von seinen abenteuerlichen, ge Es ist der Blick in den Spiegel, der Alteritätskrisen waltsamen Ausgriffen auf überseeische Gebiete und produziert. In den Zeichenordnungen des zwanzig ihre Bewohner blieb Westeuropa selbst nicht unbe sten Jahrhunderts hat die kulturelle Produktion rührt. In Daniel Defoes Robinson Crusoe von 1719, solche intrinsischen Risse und Spaltungen immer einem Grundbuch der neuzeitlichen Globalisie rung, gibt es eine Schlüsselszene des tiefsten, be benden Entsetzens. Es ist der Moment, in dem der 6 Zur kulturanalytischen Wiederbelebung des Konzepts gestrandete Selbsthelfer Robinson nach Jahrzehn der Mimesis vgl. Taussig 1997; zum methodischen ten der Einsiedlerexistenz auf seiner Insel im Süd Konzept einer polyphonen Ethnographie: Strecker atlantik feststellen muß, nicht allein zu sein. Er 1995.