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Melancholie und Aufklärung: Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts PDF

484 Pages·1977·61.769 MB·German
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MELANCHOLIE UND AUFKLÄRUNG HANS-JÜRGEN SCHINGS Melancholie und Aufklärung Melancholiker und ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde und Literatur des 18. Jahrhunderts MCMLXXVII J. B. METZLERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG STUTTGART CIP-Kurztitelaufnahme der Deutsdten Bibliothek Sdtings, Hans-Jürgen Melancholie und Aufklärung: Melancholiker u. ihre Kritiker in Erfahrungsseelenkunde u. Literatur d. 18. Jh.- 1. Auf!. - Stuttgart: Metzler, 1977.- ISBN 978-3-476-00354-6 ISBN 978-3-476-00354-6 ISBN 978-3-476-03074-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-03074-0 © 1977 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stattgart 1977 Der Schutzumschlag zeigt die XXV. Tafel des IV. Bandes von Johann Caspar Lavaters »Physiognomischen Fragmenten zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschen liebe<< (Leipzig und Wintertbur 1778, neben S. 352). Es handelt sich um Daniel Nikolaus Chodowieckis Illustration des Sanguinikers und des Melancholikers im Rahmen der Be merkungen zur Temperamentenlehre (VI. Abschnitt, II. Fragment). p AUL REQUADT GEWIDMET VoRBEMERKUNG Diese Arbeit erscheint mit jener Verzögerung, die sich aus der Übernahme eines Lehrstuhls üblicherweise ergibt. Sie lag bereits im Frühjahr 1973 den Philoso phisch-literaturwissenschaftliehen Fachbereichen der Johannes Gutenberg-Univer sität zu Mainz als Habilitationsschrift vor und wurde 1976leicht überarbeitet, mit dem Versuch, die inzwischen weiter angewachsene einschlägige Literatur wenig stens in den Anmerkungen zu berücksichtigen. Zu danken habe ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die mir durch ein großzügiges Stipendium die Niederschrift des Buches ermöglicht hat. Durch Hilfe mit Rat und Tat haben mich insbesondere Hans-Henrik Krummacher, Walter Hinck und Erwin Koppen, durch kritische Lektüre des Manuskripts ferner Bruno Hillebrand, Wolfgang Kleiber und Edgar Lohner t sehr zu Dank verpflichtet. Als besonderen Glücksfall darf ich es betrachten, daß mir Anregung und Er mutigung von Paul Requadt und Harald Weinrieb zugekommen sind, die mich aufgrund ihrer eigenen Forschungen in der Wahl des melancholischen Sujets bestärkten. Für Mühe und interessierte Geduld danke ich schließlich dem Lektor des Metzler-Verlages, Uwe Schweikert, sowie den Würzburger Helfern, die mit mir die Korrekturen lasen und das Register erstellten, Ursula Hoffmann vor allem, Raimund Bezold und lngrid Schwarz. Veitshöchheim, im Juni 1977 H.J.S. INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG I. Melancholie historisch. Melancholieforschung und 18. Jahrhundert . . . . . . 1 li. Der philosophische Arzt. Anthropologie, Melancholie und Literatur im 18. Jahr- hundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Erster Teil THEORIEN DER MELANCHOLIE I. Das melancholische Temperament .......... . 41 II. Zur Pathologie der schwarzen Galle. Melancholia adusta 59 Zweiter Teil DIE MELANCHOLIE DER RELIGIONISTEN I. Melancholischer Pietismus . . . . . . . . . . . . . . 73 1) Das Trauergebot der Pietisten . . . . . . . . . . . 75 2) Tristitia spiritualis. Geistliche und weltliche Psychologie 82 3) Historien der Traurigen. Reitz und Bunyan . . . . . . 90 II. Adam Bernd. Anatomie der Melancholie als Autobiographie 97 1) Häretiker, Melancholiker, Selbstbeobachter . . . . . . . 97 2) Theologia paradigmatica. Das Erbe des Pietismus . . . 101 3) Psychologia empirica . . . . . . . . . . . . . . . . 107 4) Der »Discours von der Autochirie« oder Die melancholische Phantasie 110 5) Der melancholische Religionist . . . . . 118 III. Kritik der Melancholie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1) Der »schwermüthige Tugendhafte«. Geliert . . . . . . . . . . . . 127 2) Edelmann und Semler. Kritische Erfahrungsseelenkunde. Hallers Tagebuch 133 Dritter Teil ENTHUSIASMUS TRIUMPHATUS ODER DER MELANCHOLISCHE ENTHUSIAST I. Enthusiasmus, Fanatismus, Melancholie. Schwärmeranalysen der Frühaufklärung 143 1) Spätaufklärung und Schwärmerwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2) »Entzückung« oder Milzsucht? Orthodoxe Polemik .......... . 150 3) Zwei Grundschriften: Henry More und Meric Casaubon über den Enthu siasmus 156 X 4) »Sprachgebrauchspolitik«. Die Paradigmen Böhme und Arnold. Jakob Bruk- ker und die melancholische Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5) Enthusiasmus und Vernunft. Lockes Kapitel ,.Qf Enthusiasm« und Thoma- sius. Swifts "Tale of a Tub«. Shaftesburys »Letter concerning Enthusiasm« 171 li. Die Schwärmerkritik der deutschen Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . 185 1) »Warnung vor dem Fanaticismus«. Von Johannes Stinstra bis zum Baron d'Holbach . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2) Wielands Schwärmerkuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 3) Herrschaft der Phantasie. Schwärmerei als Thema der Popularphilosophie 203 4) Historien der Schwärmer. Schiller, Spazier, Adelung 210 5) Johann Georg Zimmermanns »Einsamkeit« . . . . . . . . . . . . . 217 Vierter Teil UMWERTUNGEN I. Metamorphosen der Melancholie. Karl Philipp Moritz 226 1) Anton Reiser der Schwärmer . . . . . . . . . . 226 2) Acedia und Unterdrückung . . . . . . . . . . . 234 3) Neue Melancholien: der Metaphysiker und der Dichter 246 II. Dichtermelancholie . . . . . . . 256 III. Schwärmer, Melancholiker, Genies . . . . . . . . . . . 270 1) Die neuen Schwärmer . . . . . . . . . . . . . . . 270 2) Johann Georg Hamann. »Grämliche Autorschaft«, »Heterogeneität«, »Wolken« 278 ANMERKUNGEN . . . . . 293 LITERATURVERZEICHNIS 434 NAMENREGISTER 466 EINLEITUNG I. Melancholie historisch. Melancholieforschung und 18. Jahrhundert »Aristoteles quidem ait omnes ingeniosos melancholicos esse« [1]. Die anhal tende Faszination der Melancholie, die erstaunliche Partizipation der schwarzen Galle an der •Geistesgeschichte<, an der Geschichte des Verständnisses und Selbstverständnisses außerordentlicher Geister und außergewöhnlichen Verhaltens beginnt mit der Frage der pseudo-aristotelischen Problemata, auf die sich Cicero mit seinem eben zitierten Votum bezieht. Sie stammt wahrscheinlich von Theo phrast und lautet in der Übersetzung von Hellmut Flashar: ••Warum erweisen sich alle außergewöhnlichen Männer in Philosophie oder Politik oder Dichtung oder in den Künsten als Melancholiker; und zwar ein Teil von ihnen so stark, daß sie sogar von krankhaften Erscheinungen, die von der schwarzen Galle ausgehen, er griffen werden, wie man z. B. berichtet, was unter den Heroen dem Herakles widerfuhr? Denn auch jener scheint eine derartige Naturanlage gehabt zu haben, weshalb auch die Alten die Krankheiten der Epileptiker nach ihm •heilige Krankheit< genannt haben« [2]. Neben Heroen und Politikern aus Mythos und Geschichte führt der Text Empe dokles, Plato und Sokrates an. Und auch die meisten Dichter, so heißt es da, be kräftigen mit ähnlichen Leiden die These von der melancholischen Ingeniosität, die das >>Problem« dann im einzelnen begründet. An der Wirkungsgeschichte von Problemata XXX,1· entzündete sich ein Inter esse an der Melancholie, das, keineswegs auf die Medizinhistorie beschränkt, in zwischen eine weitverzweigte, interdisziplinäre und sehr lebhafte kultur-, kunst und literarhistorische Melancholieforschung ins Leben gerufen hat, zu der neuer dings auch ein bedeutender soziologischer Abkömmling gestoßen ist. »Ich habe Ihnen einige Kostbarkeiten, die Geschichte der Melancholie und den Saturn-Glauben betreffend, zusammengestellt. (Das Wichtigste, die Arbeit von Saxl-Panofsky, liegt ganz obenauf [. ..] }«> so schreibt, in Walter Jens' Roman Herr Meister, der Literaturwissenschaftler dem Schriftsteller, der einen Roman über den »homo melancholicus« plant [3]. In der Tat sind Erwin Panofskys und Fritz Saxls Studien zu Dürers Melencolia I von 1923 für jedes nicht unmittelbar medizinische Interesse an der Melancholie fundamental [4]. Zu ihrer in der Schu le Aby W arburgs gesammelten Anregungskraft bekennt sich auch diese Arbeit. Als sich mit den beiden Kunsthistorikern noch der Philosoph Raymond Kliban sky verbündete, kam mit der erweiterten Fassung unter dem Titel Saturn and Melancholy (1964) das Meisterwerk der modernen Melancholieforschung zustan de [5]. Traditionsgeschichtlich und ikonologisch operierend, von ebenso umfas sender wie profunder Gelehrsamkeit und ohne Respekt vor Fachgrenzen, er schließt es zum erstenmal die verwickelten Stränge der Melancholietradition zwi- 2 Melancholie historisch sehen Corpus Hippocraticum und Dürer. Ziel und Schwerpunkt bleibt freilich die Melancholie-Konzeption der Renaissance, wie sie im Kreis der Florentiner Neuplatoniker (Marsilio Ficino) entwickelt wurde und von dort in den deutschen Humanismus (Agrippa von Nettesheim) und in Dürers Kupferstich einging. Zwar deuten die Autoren in großen Zügen auch das weitere Schicksal der Melancholie Auffassung an, bis hin zur >>Graveyard School« und zum Weltschmerz des 18. Jahrhunderts und der beginnenden Romantik. Doch wollen sie eine fortwirkende Kraft der traditionellen Melancholielehre nicht wahrhaben, reduzieren ihren Ab gesang ganz auf die sentimentale Variante der Melancholie - und lassen so man che Fragen und noch ein gutes Stück Arbeit übrig [6]. Wie weit reicht die tradi tionsstiftende Macht des aristotelischen Theorems? übersteht das Erklärungs potential der schwarzen Galle den Verfall der Humoralpathologie? Kann man die Geschichte der alten Melancholie mit Aussicht auf Erfolg überhaupt bis ins 18. Jahrhundert führen? Besitzt gar das aristotelische Konzept im aufgeklärten Zeital ter noch irgendeine Relevanz? Zunächst lernte man in der verdeckten Nachfolge von Panofsky und Sax! das 17. Jahrhundert im Zeichen der Melancholie sehen. Dies geschah durch die Ver mittlung Walter Benjamins, des wohl bedeutendsten und produktivsten Lesers von Panofsky-Saxl. Berichten von Freunden zufolge gehörte Benjamin übrigens selbst zu jener >>Kompagnie der Melancholischen<<, von der Jens Peter Jacobsen gelegentlich spricht [7]. Ein Makel, der freilich auch weniger wohlwollende Kom mentare provozierte [8]. Benjamins Trauerspielbuch von 1928, um das es hier geht [9], machte den erre genden Versuch, Melancholie als Denk- und Strukturprinzip des barocken Trau erspiels, als Apperzeptionsform seiner allegorisch-emblematischen Welt auszule gen, das Trauerspiel als Meditation des Melancholikers vor Melancholischen zu begreifen [10]. (Thomas Mann lernte das Buch durch Theodor W. Adorno ken nen [11]. Ebenso wie Dürers Melencolia I hinterließ es seine Spuren im Doktor Faustus [12] - ein erstes großes Beispiel für die Beziehungen, die die zeitgenössi sche Literatur zur Melancholieforschung unterhält. Walter Jens mit Herr Mei ster (1963) und Günter Grass mit dem Tagebuch einer Schnecke (1972) werden sie wieder aufnehmen.) Späte Resonanz fand Benjamins Barock-Abhandlung in der Literaturwissen schaft. Als erster setzte Herbert Heckmann Benjamins esoterisches Verfahren der Ideen-Konfiguration in die germanistische Münze der Textinterpretation um (1959) [13]. Gert Mattenklotts Melancholie-Buch, ebenfalls erklärtermaßen unter dem Patronat Benjamins, übertrug dann vor allem dessen Melancholie-Deutung entschlossen auf die Texte der melancholischen Stürmer und Dränger (1968) [14]. Zugleich unternahm Mattenklott einen ersten Vorstoß in das ziemlich unbekann te Feld der zeitgenössischen Psychologie und Psychopathologie, um seinem Me lancholie-Begriff ein historisch angemessenes Fundament zu verschaffen - ein Unternehmen, das zu den dringlichsten methodischen Anforderungen jeder weite ren Beschäftigung mit der Melancholie gehört. Wir befinden uns mitten im 18. Jahrhundert. Mit Mattenklotts Studien mündet

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