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Meine Zeit, mein Tier - Ossip Mandelstam - Eine Biographie PDF

637 Pages·2003·69.682 MB·German
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ist ein Mythos. Er gilt in Rußland und weltweit als Märtyrer der Poesie, der für seine 'bichtung mit dem Leben bezahlte. Vor allem bekannt ist er als politisch Verfolgter und als Autor eines scharfen, den •Seelenverdcrber« Stalin ent larvenden Gedichts. Sein Tod unter ent würdigenden Omständen 1938 in einem Zwangsarbeiterlager bei 'Wladiwostok beför derte entscheidend seinen Ruhm. Mandel stam als Gulag-Hiiftling. als Opfer totalitärer Macht im 2o.jahrhunden: Dies ist oft das gän gige Bild dieses Schtiftstcllers. Der stolze und selbstbcwuflte, scharfzün gige und streitlustige, sinnliche, lebensfrohe und witzige Mandelstam, der durchaus kein r... t ärtyrer sein wollte, wird aus dem Mythos meist ausgeblendet. wurde 1954 in Schaffhau Auch sein postumes Schicksal ist bemer sen (Schweiz) geboren, studierte in Zürich kenswert. Seine Frau Nadeschda überlebte und Paris Romanistik und Russistik. Er lebte wie durch ein Wunder die Stalin-Epoche, lern 1982 bis 1994 in Paris,_s either in Heidelberg. te Mandelstams Gedichte auswendig, um sie Er ist Essayist, Lyriker, Ubersetzer und Heraus vorStalins Häschern zu bewahren, versteckte geber der zehnbändigen Ossip-Mandelstam das Archiv bei wenigen Komplizen und Freun Cesamtausgabe im Ammann Verlag, wo auch den und ließ das Werk schließlich nach Ame seine Bücher über den russischen Dichter er rika schmuggeln. In ihren monumentalen schienen sind: Ossip Mandelsiam - »Als riefe Memoiren Das jah!'lmndert dl'l' Wölfr enthüllte mich lwi mfinnn Namen.r (1g8 ), Ein Fest sie 1970 das Ausmaß ''on Mandelstams Isolie 'IIUlll 0 mit Mandelstam. Über Xaviar, Brot und Poe.si~ rung und Verfolgung, aber auch seinen Mut (1991), Eumpas za1·te Hände (1995). Ralph und seine Zivilcourage in den finstersten Dutli erhielt mehrere Preise und Auszeich Jahren des Stalin-Tc.:rrors. nungen, :zuletzt den Stuugarter Literaturpreis Das vorliegende Buch ist die intemational 2002. erste Werkbiographie Ossip Mandelstams. Sie vermeidet beide Gelabten: das Weiterweben <\11 der Heiligenlegende und die modische Dernonlage der Person. Mandclstam braucht weder ein Heiliger zu sein noch ein Monster. Sein I .eben lang konnte er nichts anderes sein als Di~hter. Wer war dieser Dichter, der uns trotzaller Tragik seiner Lebensumstände laut Pier Paolo Pasolil\i •eine der glücklichsten Dichtungen des Jahrhunderts<• geschenkt hat? War sein Leben ein Albtl'aum, wie Kafka ihn hätte träumen können? Warum war er für \~e­ le - nicht nur russische-Künstler ein »moder ner Orpheus• Qoseph Brodsky)? Umschl:.ggt:!italtUtlg" ßeatc Beder U01'i.Chlagiii\L$UOUion: l.cot\' ßruni, Portrlt055ip ~llJldciM.tm~. 1916 Ralph Dutli Meine Zeit, mein Tier Ossip Mandelstam Eine Biographie Ammann Verlag Für Catherine, Boris und Olivier Erste Auflage © 2003 by Ammann Verlag & Co., Zürich Homepage: www.ammann.ch Alle Rechte vorbehalten Satz: Gaby Michel, Harnburg Druck und Bindung: WS Bookwell, Finnland ISBN 3-250-10449-3 Meine Zeit, mein Tier, gibts einen Der ins Aug dir blicken kann? Wer, mit seinem Blut, wirds leimen Das Jahrhundert -Wirbelband? 1 Ich will nicht von mir selber sprechen (Die Zerpulverung der Biographie) Der Mandelstam~Mythos. Märtyrer der Poesie, Heiligenlegende. Na deschda Mandelstams Werk der Bewahrung. Die Wahrheit der Mythen und Legenden. Poesie als Überlebensmittel in Zeiten politischer Re pression. Mandelstam, ein »moderner OrpheuS<< (Joseph Brodsky). Sein Leben als Kafkas Albtraum (Pier Paolo Pasolini). Der Unter gang des Sowjetimperiums, politische Entmythisierung, Demontage der Person. Die Klippen des biographischen Projekts. Mandelstams Mißtrauen gegen die Biographie. Die Negation der Autobiographie in Das Rauschen der Zeit. Das Leben als Werk. Ossip Mandelstam ist ein Mythos. Er gilt in Rußland und weltweit als Märtyrer der Poesie, der für seine Dichtung mit dem Leben bezahlte. Vor allem bekannt ist er als politisch Verfolgter und als Autor eines scharfen, den >>Seelenverder ber<< Stalin entlarvenden Gedichts. Sein Tod unter entwürdi genden Umständen 1938 in einem Zwangsarbeiterlager bei Wladiwostok hat entscheidend zu seinem Ruhm beigetragen. Mandelstam als Gulag-Häftling, als Stalin-Opfer, als Opfer totalitärer Macht im 2o.jahrhundert: Dies ist nicht selten das exklusive Bild von diesem Dichter. Mandelstam eignet sich wie kein zweiter russischer Dich ter zur Figur einer Heiligenlegende. Frühe Berufung, Armut, Verfolgung, Martyrium und später Triumph in der Nach welt. Alle Elemente der Heiligenlegende liegen auf der Hand. Mandelstam ist eine Verkörperung der Poesie bis hin zum Klischee vom bitteren irdischen Leidensweg des wahren Dichters. Der stolze und selbstbewußte, scharfzüngige und 7 streitlustige, sinnliche, lebensfrohe und witzige Mandelstam, der durchaus kein Märtyrer sein wollte, wird aus der Legende meist ausgeblendet. Auch sein postumes Schicksal ist Teil der Legende. Hier spielt seine Frau, Nadeschda Mandelstam, die Hauptrolle. Sie überlebte wie durch ein Wunder die Stalin-Epoche. Sie lernte Mandelstams Gedichte auswendig, um sie vorStalins Häschern zu bewahren. Sie versteckte das Archiv bei weni gen Komplizen und Freunden. Schließlich ließ sie das Werk nach Amerika schmuggeln und enthüllte in ihren monu mentalen Memoiren Dasjahrhundert der Wölfe 1970 der stau nenden Welt das Ausmaß von Mandelstams Isolierung und Verfolgung, aber auch seinen Mut und seine Zivilcourage in den finstersten Jahren des Stalin-Terrors. Mythen und Legenden haben ihre eigene Wahrheit. Die unschöne, unheroische Seite der Wirklichkeit blenden sie aus. Sie sind Reduktionen der Wirklichkeit. Aber sie sind keine reine Lüge. Menschen haben nicht zuletzt dank ihrer Strahlkraft Zeiten politischer Repression und geistiger Öde, Verhöre und Schikanen, ja sogar Lagerhaft überstanden. Es mochten anonyme Opfer eines Unrechtsregimes sein oder in offizielle Prominenz: Der populäre Sänger Wladimir Wys sozkij, das Jugend-Idol der siebziger Jahre mit der elektrisie rend rauben Wodka-Stimme, bekannte ohne Umschweife, die Gedichte Mandelstams hätten ihn vor Wahnsinn und Tod bewahrt. In ihrem Essay Poesie und Anthropologie erinnert sich die Ly rikerin Olga Sedakowa an einen Dissidenten, der in den sieb ziger Jahren verhaftet und während Monaten jeden Tag ver hört wurde. Von einem bestimmten Moment an sei ihm alles egal gewesen: Ich erwachte mit dem Gefühl, daß ich heute alles unterschreiben würde, was von mir verlangt wurde. Nicht aus Angst, sondern weil 8 alles egal war. Nichts mehr hatte irgendeine Bedeutung. Da tauchte in meinem Geist plötzlich Mandelsiams Gedicht »Theta und Iota der griechischen Flöte« auf, vom Anfang bis zum Schluß. Und ich erlebte das, was religiöse Menschen vermutlich bei der Kommunion erleben ... Die ganze Welt, wirklich die ganze, und ich als Teil von ihr. Nach diesem Erlebnis wußte ich mit Bestimmtheit, daß ich nichts unterschreiben würde. Gedichte sind gewiß nicht nur Durchhalte-und Trostmittel, sondern komplexe ästhetische Organismen. Aber die Mög lichkeit ihrer magischen Wirksamkeit in Extremsituationen ist nicht aus der Welt zu reden. Verschonte und Wohlbehal tene sollten die geistigen Überlebensmittel von Inhaftierten nicht vorschnell als billigen Trost abtun. Noch ein Beispiel: Joseph Brodsky, der Literatur-Nobel preisträger von 1987, bekennt sich in seinen Erinnerungen an Leningrad stolz zu jener Generation von jungen russischen Dichtern, ••für die Giotto und Mandelstam maßgeblicher wa ren als ihr persönliches Schicksal«. In seinem Essay Kind der Zivilisation (1977) hob er Mandelstams Bedeutung für die nonkonformen Künstler und Intellektuellen in der Sowjet union der sechziger und siebziger Jahre hervor: Eine Stimme, die bleibt, auch wenn ihr Besitzer nicht mehr ist. Er war ein moderner Orpheus: Er wurde zur Hölle geschickt und kehrte nicht zurück, während seine Witwe, ein Sechstel der Erdoberfläche durchmessend, von einem Schlupfwinkel zum nächsten floh, den Kochtopf fest an sich gedrückt, in dem zusammengerollt seine Ge dichte lagen, die sie sich nachts immer wieder hersagte für den Fall, daß sie von Furien mit einem Durchsuchungsbefehl gefunden wür den. Dies sind unsere Metamorphosen, unsere Mythen. (LG, 134 f.) Brodsky griff zum höchsten Dichter-Mythos, wie er in Ovids Metamorphosen (10. und 11. Buch) und in Vergils Georgica 9 >>Er war ein moderner Orpheus« (Joseph Brodsky): Lew Bruni, >>Üssip Mandelstam 1916«, das verschollene »blaue Porträt<< 10 (4. Buch) überliefert ist. Es ist der Mythos des >>reinen Sän gers« und Halbgottes Orpheus, dem wilde Tiere, Bäume und sogar Steine verzückt lauschten. Der mit seinem Gesang den Gott der Unterwelt und damit den Tod bezwang. Und der schließlich, von Mänaden enthauptet, den Opfertod starb. Im Beiwort des modernen Orpheus liegt der Schrecken des 2o.jahrhunderts versammelt. Der reine Sänger hatte auch noch politische Verfolgung, Konzentrationslager und hölli sche Quälereien zu erleiden. Doch die fortwährende Reduktion des Dichterlebens auf ein Martyrium führt zu einer Verkennung von Mandelstams dichterischer Potenz, die sich längst vor Stalins Machtüber nahme offenbart hatte. Dazu derselbe Brodsky in seinem NachrufaufNadeschda Mandelstam (tg8t}: >>Es ist ein gräß licher Trugschluß zu glauben, daß Leiden größere Kunst her vorbringe. Leiden macht blind, taub, es ruiniert, und oft tö tet es. Ossip Mandelstam war ein großer Lyriker noch vorder Revolution.« Am Mythos woben nicht nur russische Künstler, Dissiden ten und Bürgerrechtler, sondern auch westliche Intellektuelle, die von Nadeschda Mandelstams Memoiren tiefbeeindruckt waren. Pier Paolo Pasolini schrieb 1972, Mandelstam habe gelebt >>wie ein geblendetes Tier auf gänzlich unbekannten Weiden<<, ein entfremdetes Leben mithin, >>dessen Modell vielleicht in den Träumen oder in den Büchern Kafkas zu fin den wäre<< (LG, 83/86). Mandelstams Leben als Kafkas Alb traum? Das Bild ist verführerisch. Mandelstam als russisch jüdischer Joseph K.? Zu allem ist >>Ossip<< eine russifizierte Form des biblischen Namensjoseph ... Mandelstam als Land vermesser der Weltpoesie, der gegen die obskuren Machen schaften einer im unergründlichen Schloß-oder Kreml -ver schanzten Hierarchie vergeblich ankämpft? Sollte man an den Hungerkünstlerdenken? An den gepeinigten K. im Prozeß? Oder an die Erzählung In der Strafkolonie? Es sind die Höl- ll

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