1 „Magie“ oder: Wird der Teufel genannt… Oliver Ohanecian Magie ist allgegenwärtig. Wir alle glauben zu wissen, was Magie ist. Im Buchhandel begegnet uns der Begriff in einer Vielzahl an Publikationen und im Internet auf einer riesigen Fülle an Homepages und Foren. Der Filmindustrie beschert er jedes Jahr großen Profit, ein entsprechender Einzelhandel bedient seine Kundschaft mit Magie- Bedarfsartikeln und neben magischen Lehrgängen und Seminaren aller Art sind auch magische Dienstleistungen für alle Lebenslagen verfügbar, die von esoterischer Lebensberatung über magische Liebschafts- und Eheanbahnung bis hin zum Versprechen strafrechtlich nicht belangbarer Personenbeseitigung reichen. Fällt das Wort „Magie“, so beschwört es vielfältige Bilder herauf und entfaltet eine ihm eigene Faszination. Unzählige Gestalten der Literatur-, Film- und Zeitgeschichte prägen diesen Begriff. Ist die Rede von „Magie“, so sind Circe, Merlin, Harry Potter und all die anderen literarischen Figuren gegenwärtig, aus denen sich unsere Vorstellung speist und aus denen jeder von uns seinen eigenen Magie-Begriff konstruiert. Für manche Christen bezeichnet „Magie“ ein dämonisches Wirken in der Welt und sie wittern selbst in Kinderbüchern wie Harry Potter, in Preußlers kleiner Hexe oder den Märchen der Brüder Grimm den Einfluss des Teufels. Ihnen stehen unter anderem die Vertreter neuer Hexenkulte gegenüber, die magisches Handeln als wichtigen Aspekt einer Urreligiosität interpretieren, als deren Priester sie sich empfinden. Magie ist also kein einheitlicher Begriff, sondern umfasst eine breite Palette von Bedeutungen. Sie bezeichnet Zauberhandlungen wie den Liebeszauber, das Gesundbeten, Wahrsagerei und Schadenszauber ebenso, wie die religiösen Riten des in der Theurgie praktizierten „Götterzwanges“, die Dämonenbeschwörungen eines intellektuellen Okkultismus oder auch die naturreligiösen Praktiken der Neuen Hexen und Neoschamanen. Dem gegenüber erfreut sich „Magie“ auch einer gewissen Beliebtheit als polemischer Begriff, der unerwünschte und als fremd empfundene Kultpraktiken diskreditieren und verdammen soll. 2 Was aber soll das nun sein, „Magie? Schopenhauer glaubte, in der Magie sei der Wille „befreit von den kausalen Bedingungen des physischen Wirkens“ und Francis Bacon nannte Magie „praktische Metaphysik“. Die Brüder Grimm hingegen sahen darin „Religion für den ganzen niederen Hausbedarf“. Der englische Anthropologe Edward Burnett Taylor definierte Magie als „Ideenassoziationen, die für wahr gehalten werden“, während sein schottischer Kollege James George Frazer darunter eine „falsche Naturwissenschaft“ verstand. Frazer sah in Magie, Religion und Naturwissenschaft drei konkurrierende Systeme, von denen eins (Magie) in Bezug auf die Logik und eins (Religion) in Bezug auf die Tatsachen mangelhaft sei. Der englische Okkultist Aleister Crowley wiederum definierte Magie als „Wissenschaft und Kunst, Änderungen in Übereinstimmung mit dem Willen geschehen zu lassen“. Aus der Perspektive eines frommen Christen kann Magie als etwas Teuflisches sein; von Gott höchst selbst in der Heiligen Schrift verboten, so scheint es. Ihr wird in diesem Fall das zugewiesen, was in der eigenen, offiziellen Religion keinen Platz haben darf oder soll. Magie umfasst hierbei, was als unmoralisch und minderwertig bewertet wird, das Fremde, die verbotene, nichtautorisierte, übertriebene Kulthandlung. Was genau das aber sei, variiert je nach präferiertem theologischem Hintergrund. Innerhalb des Christentums betrieben z.B. die Lutheraner dementsprechend konfessionelle Polemik gegen den Katholizismus, indem sie die Transsubstantiationslehre als Aberglaube oder „Magie“ bezeichneten, während die Calvinisten in gleicher Weise über die lutherische Konsubstantiationslehre urteilten. Die betreffenden, als Begründung benutzten Bibeltexte selbst verdammen dabei im hebräischen Original keinesfalls ein erst später generalisierend als „Magie““ oder „Zauberei“ übersetztes ritualsymbolisches Handeln als solches, sondern allein die schädigenden Handlungen und ihre Anwendung durch nichtautorisierte Spezialisten1. Magie, das ist ein schillernder Begriff, der weniger eine bestimmte Aktivität bezeichnet, sondern vielmehr in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Färbungen und Bedeutungen erhält. So gesehen verrät er bisweilen mehr über denjenigen, der ihn verwendet, als über den Gegenstand, auf den er sich beziehen soll. Oft scheint „Magie“ in einem vermeintlichen Gegensatz zu „Religion“ und „Wissenschaft“ zu stehen. Neben anderen hat auch der schottische Anthropologe 1 Schmitt 2007: 13 3 James George Frazer versucht, derlei Unterscheidungen sorgfältig auszuarbeiten und als Grundlage seiner Betrachtungen zu verwenden. Im Rahmen seiner evolutionistischen Theorie sah er „Magie“ als Ausdruck des Primitiven und unterste Stufe einer Entwicklungsreihe, die über Animismus-Totemismus hin zur theistischen Hochreligion führt. Seiner Ansicht nach war Magie lediglich ein „System von Irrtümern“ oder gar ein „riesiger katastrophaler Trugschluß“2. Tatsächlich handelte es sich bei seinen Theorien allerdings um reine Gelehrtenstubenfiktion, die sich gegenüber Erfahrungen aus erster Hand als unhaltbar erwiesen3. In einer kritischen Anmerkung zu Frazers Werk beurteilte der Philosoph Ludwig Wittgenstein: „Frazer ist viel mehr savage, als die meisten seiner Savages, denn diese werden nicht so weit vom Verständnis einer geistigen Angelegenheit entfernt sein, wie ein Engländer des 20sten Jahrhunderts. Seine Erklärungen der primitiven Gebräuche sind viel roher, als der Sinn dieser Gebräuche selbst.“4 Wittgenstein bringt hiermit ein wichtiges Problem auf den Punkt. Die Betrachtungen Frazers wie auch einiger seiner Kollegen waren gänzlich eurozentrisch und einem evolutionistischen Denken verpflichtet, das in der herrschenden Oberschicht und Bildungselite der eigenen Kultur die Spitze der menschlichen Entwicklung sah. Außerhalb des von Frazer vorgegebenen kulturellen Rahmens jedoch verloren seine Theorien ihren Sinn. Denkweisen von Gesellschaften, die sich am Rande oder außerhalb der modernen westlichen Zivilisationen entwickelt haben, können sich grundlegend vom Denken ihres westlich zivilisierten Betrachters unterscheiden. Daher kann ein Vorgehen in hohem Maße problematisch sein, das die anderen Gesellschaften dem eigenen Denken entweder einfach konfrontiert oder sie seinen Begriffen unkritisch unterstellt. Das gleiche kann auch für unterschiedliche Strömungen des Denkens innerhalb unserer Gesellschaft gelten. 2 Frazer 1922: 26 3 Vgl. Wax in Petzoldt 1978: 328-329 4 Wiggershaus 1975: 45 4 Über den möglichen Umgang mit einem Thema wie der Magie findet sich ebenfalls bei Wittgenstein ein hilfreicher Ansatz: „Wenn man es für selbstverständlich hält, dass sich der Mensch an seiner Phantasie vergnügt, so bedenke man, dass diese Phantasie nicht wie ein gemaltes Bild oder wie ein plastisches Modell ist, sondern ein kompliziertes Gebilde aus heterogenen Bestandteilen: Wörtern und Bilder. Man wird dann das Operieren mit Schrift- und Lautzeichen nicht mehr in Gegensatz stellen zu dem Operieren mit „Vorstellungsbildern“ der Ereignisse.“ 5 Wittgenstein stellt hier das Operieren mit Schrift- und Lautzeichen als gleichwertige Ausdrucksform der Phantasie neben das Operieren mit „Vorstellungsbildern“. Bei beiden handelt es sich um Funktionen des kreativen, denkenden Geistes. Die Konstruktion eines vermeintlichen Gegensatzes ist damit gleichermaßen artifiziell und unsinnig. Grundlegende Definition des europäischen Magie-Begriffes Das Vorstellungsbild, das dem abendländischen Magie-Begriff zugrunde liegt, beruft sich als Denksystem im wesentlichen auf die Idee von den sympathetischen Strukturen des Kosmos, die eine durch Sinn getragene Verbundenheit der Phänomene und eine sinnhafte Verbindung von Ereignissen im Sinne der von C.G.Jung beschriebenen Synchronizität beschreibt. Diese Verwobenheit von Makro- und Mikrokosmos ermöglicht ein Netz von Kommunikationsmöglichkeiten zwischen dem Menschen und den Göttern, beziehungsweise Dämonen. Dabei stellt das magische Ritual eine bild- und zeichenhafte kommunikative Handlung für die medialen Wesen dar, die diese rituelle Handlung ausführen. Das Konzept der Magie weist zudem eine binäre Struktur auf. Von der auf einem Vertrag oder Pakt beruhenden und daher verbotenen „magia daemoniaca“ (magia illicita) ist die „magia naturalis“ als erlaubte (licita) Handhabung der immanenten Kräfte, die durch den Schöpfungsakt der Natur innewohnen (qualitatis occultae), zu unterscheiden. Die Grenzen zwischen diesen beiden Bereichen waren jedoch immer umstritten und 5 Wiggershaus 1975: 44 5 unterlagen häufig ebenso subjektiven Einstellungen wie gesellschaftspolitisch umsetzbaren Ansprüchen6. Eine weitere Präzisierung dieses vor allem für das Mittelalter verbindlichen Magiebegriffes ergibt sich durch das Bild des Magiers und der Fähigkeiten, die man ihm zuschrieb: Er versteht sich auf das zauberische Wort, also auf Beschwörungen und Zaubersprüche (incantatio); auf die Anfertigung von Phylakterien (Schutz- und Verwahrungsmittel) und Amuletten, sowie die Zubereitung von Giften und magischen Getränken (veneficia); er versteht sich außerdem auf Techniken der Weissagung. Darüber hinaus erfolgte eine Zuordnung der Magie an den Götzendienst (idolatria, cultus idolorum). Auf diese Weise grob umrissen beschreibt das europäische Magie-Konzept Magie als willentliche Einflussnahme auf den Menschen (z.B. im Schaden- und Liebeszauber), auf die Umwelt (z.B. Wetterzauber) und als Reaktion auf alltägliche Bedürfnisse und Ereignisse wie Nahrung, Krankheit oder Tod. Die binäre Struktur von „magia daemoniaca“ und „magia naturalis“ setzt sich in den zauberischen Absichten als Teil und Ausdruck der gesellschaftlichen Ethik fort. Magie als elitäre Fiktion In der Auseinandersetzung mit dem Begriff „Magie“ stoßen wir beginnend mit den ältesten schriftlichen Belegen bis in die frühe Neuzeit auf ein zentrales, ganz bemerkenswertes Problem: Der schadende Zauber scheint real und allgegenwärtig, die Person der Zauberin und des Zauberers hingegen bleibt für lange Zeit in der Regel anonym, unwirklich und verborgen. Wo uns im Verlaufe historischer Ereignisse tatsächlich einmal eine Person als Magier oder Hexe vorgeführt wird, handelt es sich meist um eine von außen auf diesen Menschen projizierte Bezichtigung. Tatsächlich erfahren wir von Magie bis in die Neuzeit vorwiegend durch Erzählungen und Theoriebildungen einer gebildeten Elite: Magie im Sinne eines schadenden, dämonischen Wirkens ist das, was die anderen tun und was drohend im Geheimen wirkt. Wir können außerdem feststellen, dass mit dem Buchdruck und der daraus 6 Vgl. Daxelmüller 1993: 25-26 6 resultierenden größeren Verfügbarkeit von Büchern gerade derlei Theorien erst erschaffen haben, was sie beschreiben. Ein Prozess, der bis in die Gegenwart weiter wirkt: Weil Dämonologen und Theologen sich immer wieder zuweilen geradezu exzessiv der Beschreibung des Wirkens böser Hexen und Zauberer widmeten wurden Bücher in Umlauf gebracht, die zauberische Rituale beschrieben; weil Magie und Hexerei immer wieder Gegenstand gelehrter Spekulationen und Theoriebildungen waren, existieren in der postmodernen Gegenwart Menschen, die sich als Magier und Hexen bezeichnen Ein historischer Exkurs Doch werfen wir einen Blick auf die Geschichte des Magiebegriffes und der magischen Schriften. Nach dem Fall Assurs und Babylons wurden die „Chaldäer“ zum Inbegriff der „magoi“. Einer der ältesten „magischen“ Texte und herausragender Vertreter der umfangreichen „magischen“ und divinatorischen Literatur Mesopotamiens ist die neuassyrische Beschwörungssammlung „Maqlû“. Diese Sammlung ist u.a. in einer Version aus der Bibliothek des Königs Assurbanipal (7. Jahrhundert v.Chr.) überliefert. Eine Durchsicht der Keilschrifttexte führt zu einem überraschenden Ergebnis, denn es finden sich in dieser Beschwörungssammlung einzig Abwehrrituale, die vor dem bösen Treiben der anonym bleibenden Hexen und Zauberer, sowie vor verschiedenen Dämonen schützen sollen7. Hier kann also von einem generalisierenden Magie-Begriff keine Rede sein. Vielmehr wird vor dem schädigenden Zauber gewarnt, der zwar auch von bösartigen Menschen innerhalb der eigenen Gruppe ausgehen kann, jedoch ganz besonders bei den bösen Nachbarn vermutet wird. So nennt eine Maqlû-Beschwörung verschiedene den Assyrern benachbarte Völker, die vermeintlich ganz besonders in der Anwendung von Schadenszaubern geübt sind: Es sind die Gutäer und Elamiter, die Hanigbaltäer, Sutäer und Lullubäer, die als Ursache vielerlei Übels gesehen werden, das einem Assyrer jener Zeit widerfahren konnte8. Diese weitgehende Anonymität der schädigenden Magier und Hexen ist ein Prinzip, das sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und die Kulturen zieht. Die 7 Meier 1967; Thomseno.J.: 21-23 8 Thomsen 1987.: 24 7 schädigende Magie oder Hexerei ist geheim, erklärt Unglück und wird meist von Spezialisten beschrieben und diagnostiziert. Magie erscheint zu weiten Teilen vor allem als eine elitäre Utopie, die den Gelehrtenstuben entstammt. In ihrer Dynamik ergab sie eine gewaltige kulturelle Kreativität für die Struktur des modernen Denkens, für die Entstehung der Naturwissenschaften, für die historische Alltagserfahrung, aber auch für die Hexenverfolgung als zweitgrößter ideologisch begründeter Massenvernichtung nach dem Holocaust. Der Begriff Magie geht zurück auf die Bezeichnung eines Stammes der im Gebiet des heutigen Westirans ansässigen Meder. Möglicherweise handelte es sich bei diesen Maghuš oder Magu um eine Bezeichnung der Priesterkaste9. Eigene schriftliche Zeugnisse hinterließ die als Meder bezeichnete antike Konföderation iranischer Stämme nicht, jedoch berichteten die Babylonier, Assyrer und Griechen über sie. Der älteste Beleg des Wortes Maghuš/Magu/Mágos (pl. Magoi) findet sich bei Heraklit, der diese Kaste für ihre „pietätlosen Riten“ beschimpfte. In den Aufzeichnungen Herodots um die Mitte 5. Jahrhunderts vor Christus wird das griechische magoi in zweierlei Weise verwendet. Einmal erscheint es als Name in einer Liste medischer Volksstämme. An anderer Stelle verwendet Herodot das Wort als allgemeine Bezeichnung für iranische Priester im Achämenidenreich, bestimmte Rituale die in Verbindung mit Feuer ausführten, sowie Opferungen und Begräbnisse, deren Stammeszugehörigkeit er jedoch unerwähnt lässt10. So bleibt letztlich unklar, ob es sich bei Herodots medischem Volksstamm gleichzeitig um eine Priesterkaste gehandelt hat. Eine ausführliche Schilderung findet sich bei Xenophon (4.-5. Jahrhundert v.Chr.), der die Magoi des achämenidischen Hofes als Experten in allen religiösen Angelegenheiten und Fragen der Ritualistik beschreibt. Ein sehr alter Beleg des Wortes stammt zudem aus dem Avesta11, der heiligen Schrift des Zoroastrismus. Schriftlich wurde dieser Text erst in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten niedergelegt, doch verrät seine Sprache, das 9 Nigosian 1993: 8 10 Nigosian 1993: 8 11 Wolff 1960: Y.65,7 8 Avestische, ein sehr viel höheres Alter. Diese Sprache ist jener Sprache eng verwandt, in der die Veden Indiens verfasst sind. Tatsächlich sind die avestische und die vedische Sprache nur durch einige dialektale Besonderheiten voneinander verschieden, daher wird die Entstehungszeit des Avesta heutzutage auf 1000-1500 v.Chr. datiert. Bis zur Zeit seiner Niederschrift, also über einen Zeitraum von mehr als tausend Jahren, wurde der gesamte heilige Text in seiner alten Sprache von einer Priestergeneration auf die nächste weitergegeben und auswendig gelernt. Im Avesta also findet sich eine Wurzel des Magie-Begriffes. Als Nominativ taucht das Wort dort nur ein einziges Mal auf, und auch nur in einer Verbindung, nämlich mogu.tbisch, was übersetzt wird als „feindselig gegenüber den Mogu“. Eine genauere Bedeutung ist aus dem Kontext nicht zu ersehen, aber aus spätantiken zoroastrischen Kommentaren ist zu entnehmen, dass die Theologen den Begriff als „feindselig gegenüber der zoroastrischen Gemeinschaft“ verstanden. In den griechischen und römischen Texten ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. dienen mágos und magus unmissverständlich als Bezeichnung eines zoroastrischen Priesters. In diesen Texten, die bis in unsere Zeit hineinreichen, wird Zarathustra selbst als Magus genannt, und den Mágoi werden alle möglichen Aufgaben und Fähigkeiten zugeschrieben. So verfügen sie über übernatürliches Wissen und fungieren als Wahrsager und Astrologen, betreiben Zauberei, sind Gauner und Scharlatane12. Der Begriff hat in dieser Zeit nicht selten eine negative Konnotation; insbesondere Plinius and Plutarch äußerten sich kritisch gegenüber den Mágoi. Diogenes Laertios referiert zudem Meinungen, denen zufolge die indischen Gymnosophisten (“nackte Weise“, d.h. Sadhus) und selbst das jüdische Volk auf die Mágoi zurückzuführen seien. Den Römern galt im übrigen alles Rituelle/Religiöse als "magisch" und verboten, was nicht öffentlich war und sich im privaten Kämmerlein abspielte. Selbst Gebete mussten hinreichend laut gesprochen werden. Die astrologischen Deutungen der Weisen aus dem Morgenland, die einem Stern nach Bethlehem folgen, sind möglicherweise das bekannteste Beispiel der Auffassung, die Magoi seien neben der Ritualkunde Experten der Astrologie gewesen. 12 Nigosian 1993: 8 9 Im Iran selbst erscheint das Wort erst wieder in frühsassanidischer Zeit in den Inschriften des Kartir (3.Jahrhundert n.Chr.). Diesen ist zu entnehmen, dass sich der Begriff magu auch unter Zoroastriern bereits zu einem Synonym für ‚Priester‘ entwickelt hatte (magupati > magbad > mobed). Das neupersische Wort mobed, das heute einen zoroastrischen Theologen bezeichnet, ist eine sprachliche Weiterentwicklung vom mittelpersischen magupati „Hohepriester“13. Im Arabischen ist majus ab dem 6. Jahrhundert als ein fester Begriff für einen Zoroastrier allgemein belegt. Während des ersten Golfkriegs (1980–1988) zwischen Iran und Irak wurde dieses Wort als Propagandabegriff verwendet, der andeuten sollte, dass die Iraner keine echten Muslime seien, sondern noch ihren vor- islamischen Glauben praktizieren14. So kommt es im Verlauf dieser Entwicklung langsam zu einer Ausweitung der Begriffsbedeutung auf Träger und Vermittler von Weisheit, wie auch Zauberer, Betrüger und Scharlatane aller Art. Magie als positiver Begriff im intellektuellen Okkultismus Im Wesentlichen führen sich die intellektbetonten Strömungen der sogenannten hermetischen Tradition zurück auf eine zwischen 100 und 200 n.Chr. entstandene Geheimlehre, als deren Gründer der legendäre Hermes Trismegistos gilt. Die Gestalt des Hermes Trismegistos (gr. „dreimal größter Hermes“) ist eine synkretistische Verschmelzung des griechischen Gottes Hermes mit dem ägyptischen Gott Thot. Bis in die Neuzeit glaubte man, Hermes Trismegistos hätte tatsächlich gelebt und wäre der Verfasser der nach ihm benannten hermetischen Schriften. Die hermetische Lehre gründet auf einer Philosophie der Spiegelbildlichen Entsprechung von Oben und Unten, von Mikro- und Makrokosmos, von Himmel und Erde, der Einheit des Seienden. Diese magia naturalis erlebte ihre neuzeitliche Blütezeit als spekulative Naturphilosophie während der Renaissance und sie wurde 13 Boyce 2001 (1979): 65 14 Al-Marashi 2000: 5 10 namhaft vertreten durch Paracelsus (1491-1541) und Agrippa von Nettesheim (1486- 1535), der sein Werk De philosophia occulta dem ebenfalls im hermetischen Denken bewanderten und als Hexentheoretiker bekannten Abt Johannes Trithemius widmete, was von diesem wohlwollend angenommen wurde15. In die hermetische Tradition flossen auch weitere Stränge der intellektuellen Magie ein, wie der Neuplatonismus und die Astrologie samt ihrer hierarchisch gegliederten und vielfach bevölkerten Welt von strukturellen Kräften und Emanationen eines höchsten Weltprinzipes, personifiziert als Engel, Geistwesen und Dämonen. An diese Tradition knüpften die meisten Strömungen des modernen Okkultismus an, der sich ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts parallel zur Theosophie entwickelte. Die magischen Bücher „Magie“ im Sinne heutiger okkultistischer Bewegungen ist zu weiten Teilen ein literarisches Konstrukt, das sich historisch vorwiegend auf eine Zauberliteratur stützte, die bis weit ins 17. Jahrhundert unter Titeln wie den „Sigilla Salomonis“ in Abschriften im kleinen Kreis der Gelehrten zirkulierte und sich durch ihr Sprachgemisch aus Griechisch, Lateinisch und Hebräisch einem Zugriff durch unterschichtliche Gruppen vollständig entzog. Die gesamte Magie- und Zauber- Theorie, die solchen Schriften zugrunde liegt, weist einen ausgesprochen elitären Zug auf. Klischeehafte Bilder, welche die in solchen Schriften dargelegten Vorstellungen und Riten mit Menschen des einfachen Volkes oder, wie man es heute gerne formuliert, Angehörigen der „bildungsfernen Schichten“ in Verbindung bringen, entbehren jeglichen historischen Hintergrundes. Erst als die fiktive Welt der Hexen ins Wanken geriet und Gelehrte die Hexenverfolgung langsam zum Hexenwahn deklarierten, wurde der Zauber populär: Mit der akademischen Frühaufklärung in der zweiten Hälfte des 17. und der Volksaufklärung des 18. Jahrhunderts wurde der „überholte Aberglaube“ und der Glaube an die Wirksamkeit magischer Praktiken Schritt für Schritt den unterprivilegierten Bevölkerungsschichten zugewiesen. Der weitaus größte Teil der populären Zauberliteratur taucht zudem erst ab dem 17. und 18. Jahrhundert auf, was vermuten lässt, dass mit der voranschreitenden 15 Nettesheim 1982; Peuckert 1967: 35
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