GERMANISTISCHE ABHANDLUNGEN MÄDCHEN LITERAT UR DAGMAR GRENZ Mädchenli tera tur Von den moralisch-belehrenden Schriften im 18. Jahrhundert bis zur Herausbildung der Backfischliteratur im 19. Jahrhundert J. B. METZLERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG STUTTGART GERMANISTISCHE ABHANDLUNGEN 52 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Grenz, Dagmar: Mädchenliteratur: von d. moral.-belehrenden Sehr. im 18. Jh. bis zur Herausbildung d. Backfisch literatur im 19. Jh. / Dagmar Grenz. - Stuttgart: Metzler, 1981. (Germanistische Abhandlung; 52) ISBN 978-3-476-00486-4 NE:GT ISBN 978-3-476-00486-4 ISBN 978-3-476-03160-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-03160-0 © 1981 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1981 INHALT Vorwort...................................................... IX Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 ERSTER TEIL: SOZIAL- UND GEISTES GESCHICHTLICHER HINTERGRUND DER ENTSTEHENDEN MÄDCHEN LITERATUR .. . ... . . ... .... . . .......... . . 6 Kap. I: Wandel der Familienstruktur und der Geschlechterrollen im ausgehenden 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1. Zur Problemlage 6 - 2. In-frage-Stellung der patriarchalischen familienstruk tur und Herausbildung der »Geschlechtscharaktere« 12 Kap. 11: Die Polarität der Geschlechterrollen bei Rousseau und bei Humboldt. . . . . . . . . 21 1. Rousseaus Konzeption der Mädchenbildung 21 - 2. Humboldts Geschlech teranthropologie 25 ZWEITER TEIL: MORALISCH-BELEHRENDE LITERATUR FÜR MÄDCHEN IM 18. JAHRHUNDERT BIS ZUM BEGINN DES 19. JAHRHUNDERTS. . . . . . . . . . . 30 Kap. I: Die moralisch-belehrende Schrift und die Anfänge der Mädchenliteratur . . . . . . 30 Kap. 11: Vernunfterziehung und Religion. Die vorphilanthropische Mädchenliteratur . . . 35 1. Das Genre des Lehrgesprächs und das Erziehungsziel vernunftgemäßen, tugendhaften Handelns 35 - 2. Weibliche Gelehrsamkeit 38 - 3. Theologisch begründete Ehevorstellung - Rolle der Religion 41-4. Pflichten und Tugenden der Ehegattin und Hausfrau 44 VI Inhalt Kap. III: Gleichheitsgrundsatz und die dreifache Bestimmung der Frau als Hausfrau, Gattin und Mutter. Die philanthropische Mädchenliteratur am Beispiel von Campes» Väterlichem Rath für meine Tochter« (1789) ................... 47 1. Das Genre des elterlichen Rats und die von ihm entworfene Kommunikations situation 47 - 2. Der Väterliche Rath als Literatur für das bürgerliche Mädchen 49 - 3. Der Widerspruch zwischen der allgemeinen und der besonderen Bestim- mung der Frau 52 - 4. Die Bestimmung der Frau als Hausfrau und »beglücken- der Gattin« 57 - 5. Sinnlichkeit, Liebe, Ehe und Sexualerziehung 60 - 6. Die Frau als moralisches Wesen 62 - 7. Zusammenfassung 64 Kap. IV: Philanthropismus und Empfindsamkeit. Sophie La Roches »Briefe an Lina« (1785) . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . 66 1. Die Briefform - Verbindung empfindsamer Subjektivität mit Tugendlehre und Realienwissen 66 - 2. Bürgerlich-optimistisches Weltbild 68 - 3. Die Bestim mung der Frau als Hausfrau, Gattin und gebildeter Gesellschafterin 70 Kap. V: Allgemeine Menschenbildung und Idealisierung schöner Weiblichkeit. G. F. Niemeyers» Vermächtniß an Helene von ihrem Vater« (1794) . . .. . . . . . . 75 1. Der elterliche Rat als vertraulich-kontemplatives Gespräch 75 - 2. Soziale Schicht des angesprochenen Leserkreises - Zeitbezug und Zeitkritik 76 - 3. Die edlen Freuden der gebildeten Seele: Kontemplative Muße, Lektüre, Geselligkeit, Freundschaft, Liebe und Ehe 78 - 4. Geschlechtsspezifische Fixierung durch die Idealisierung schöner Weiblichkeit 82 Kap. VI: Verquickung von rousseauistisch-philanthropischem und neuhumanistischem Denken.]. L. Ewald: »Die Kunst ein gutes Mädchen, eine gute Gattin, Mutter und Hausfrau zu werden« (1798). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Genre, Kommunikationssituation 86 - 2. Intendierte Leserinnen - Zeitbezug und Zeitkritik 87 - 3. Das Paradigma des weiblichen »Geschlechtscharakters« 88 - 4. Die Frau als unschuldiges Naturwesen und tugendhaftes Vernunftwesen 90 - 5. Weiblicher »Beruf« als Selbstverwirklichung. Die Frau als Mutter, unauffällige Hausfrau, kultivierte Gattin und kokette Geliebte 94 Kap. VII: Die Verinnerlichung des weiblichen Wesens zur »schönen, frommen Seele«. }. Glatz' »Rosaliens Vermächtniß« (1808) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Genre, Darstellungsform 99 - 2. Die Gemeinschaft der >Gebildeten< - Religiosität und Jenseitsorientierung 101-3. Idealisierung schöner Weiblichkeit und ästhetische Bildung 104 - 4. Die Frau als triebunterdrückendes,ichloses Wesen, als »Veilchen« und »Engel« 105 - 5. Zusammenfassung 110 Inhalt VII DRITTER TEIL: ERZÄHLENDE LITERATUR FÜR MÄDCHEN IM 18. UND ZU BEGINN DES 19. JAHRHUNDERTS. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 113 A. ROMANE Kap. I: Mädchenliteratur und empfindsam-didaktischer Roman 113 1. Die Anreden an das weibliche Lesepublikum 113 - 2. Romane für Mädchen, Frauen und Eltern 118 Kap. II: Richardsons »Clarissa« (1747-48) und Schu/z' »Albertine« (1788-89). Das englische Original und seine deutsche Bearbeitung »für Mädchen«. . . . . . . . . .. 124 1. ClarissalAlbertine als Briefroman 125 - 2. Soziale und ökonomische Voraus setzungen des Konflikts zwischen Clarissa (Albertine) und ihrer Familie und Lovelace (Winterfeldt) 127 - 3. Clarissa/Albertine als Repräsentant des autono- men bürgerlichen Individuums 130 - 4. Clarissa/Albertine als leidende Tugend, als unschuldiges Opfer 133 - 5. Clarissa/Albertines Selbsttäuschung: Ihr Ver hältnis zu LovelacelWinterfeldt und die bürgerliche Sexualmoral 136 - 6. Sexualität und Liebe und die Entstehung des Romans für die erwachsene weibliche Jugend 143 Kap. I1I: Der empfindsame Roman als »Gegengift« gegen das Empfindsamkeitsfieber. F. H. Ungers »Julchen Grünthai« (1784) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 145 1. Angesprochener Leserkreis 146 - 2. Inhalt 147 - 3. Widerspruch zwischen moralisch-didaktischer Perspektive und realistisch-psychologischer Darstellung 148 - 4. Widersprüchliche Konzeption der Hauptfiguren 150 - 5. Wertvorstel lungen und Motive 152 - 6. Kritik am Lebensstil des Adels 153 - 7. Stellung der Frau - Bedeutung der Liebe 154 - 8. Ambivalente Einstellung zur Empfindsam- keit 156 Kap. IV: Der sentimental-religiöse Läuterungs- und Prüfungsroman. F. Jacobs: »Rosaliens Nachlaß« (1812) . ... . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. .. 159 1. Intendierter Leser und Autorenintentionen 159 - 2. Inhalt 161 - 3.Briefform und Reduktion der Welt auf abstrakte Gefühligkeit 161-4. Leben als Vorberei- tung aufs Sterben 165 - 5. Die Frau als Märtyrerin, als Heilige 167 - 6. Die »Fascination« der bösen Welt und die Verklärung gesellschaftlicher Gegensätze 169 -7. Vergleich mit Clarissa 171 B. ERZÄHLUNGEN Kap. V: Moralische Erzählungen für Mädchen im 18. Jahrhundert. . . . . . . . . . . . . . . .. 173 VIII Inhalt Kap. VI: Glatz' »Iduna« (1803) und» Theone« (1806). Die Verinnerlichung und Psycho logisierung der Beispielgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 182 1. Die Beispielgeschichten der Iduna 183 - 2. Das Motiv der Läuterung durch Leiden in der Iduna und der Theone 187 VIERTER TEIL: DIE WEITEREN1WICKLUNG DER LITERATUR FÜR MÄDCHEN IM 19. JAHRHUNDERT. EIN AUSBLICK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193 Kap. I: Christlich-idealistische Mädchenliteratur mit neuhumanistischen und romanti- schen Zügen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 193 1. Merkmale und Tendenzen 194 - 2. Der sentimental-religiöse Prüfungs- und Läuterungsroman und die Bildungsgeschichte eines Herzens 198 - 3. Die romantisch-religiöse Abenteuererzählung 201 Kap. 11: Moralische Erzählungen um 1850 oder die biedermeierlich-idyllische Verklä- rung der Welt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 206 Kap. III: Die Herausbildung der Backfischliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 214 Autorenbiographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 223 Anmerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 228 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 255 A. Mädchenliteratur; Literatur für Mädchen, Frauen und Eltern; allgemeine Kinder-und Jugendliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 255 B. Sonstige zeitgenössische Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 265 C. Bibliographien und Nachschlagewerke ........................ . . . .. 267 D. Sekundärliteratur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 269 Register. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 278 VORWORT Die vorliegende Untersuchung wurde unter dem Titel: »Studien zur Geschichte der Mädchenliteratur. Von den moralisch-belehrenden Schriften im 18. Jahrhundert bis zur Herausbildung der Backfischliteratur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts« im Winter 1980 von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln als Habilitationsschrift angenommen. Das Manuskript war im Dezember 1979 abge schlossen und wurde für die Drucklegung noch einmal geringfügig überarbeitet. Auch neuere Literatur wurde aufgenommen, allerdings nicht mehr für das Manuskript berücksichtigt. Bei der Quellenbeschaffung habe ich dankbar auf die Titellisten und Bestände des Forschungsprojekts »Geschichte der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur« zurückgegriffen, das unter der Leitung von Prof. Dr. Th. Brüggemann an der Erzie hungswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln arbeitet. Mein Dank gilt ferner Frau Diplom-Bibliothekarin I. Daube vom Institut für Jugendbuchforschung in Frankfurt, Herrn Abteilungsdirektor H. Wegehaupt und Frau Diplom-Bibliothekarin U. Henning von der Kinder- und Jugendbuchabteilung der Deutschen Staatsbibliothek Berlin sowie Herrn G. Rumler von der Internationalen Jugendbuchbibliothek Mün chen, die mich bei meinen Besuchen die Bestände der Bibliothek einsehen ließen und mich bei der Materialbeschaffung in freundlicher Weise unterstützten. Schließlich danke ich auch der Pädagogischen Hochschule Rheinland, die meine Arbeit durch Bereitstellung von Sachkosten und Reisebeihilfen gefördert hat, der Deutschen For schungsgemeinschaft für den von ihr bewilligten Druckkostenzuschuß und dem Metz ler-Verlag, der das Manuskript betreut und zum Druck gebracht hat. Und nicht zuletzt gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Th. Brüggemann für Anregung und ermunternden Zuspruch. EINLEITUNG Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die geschichtliche Entwicklung der in Deutschland erschienenen deutschsprachigen Mädchenliteratur von ihren Anfängen im 18. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts darzustellen. Eine solche Arbeit sieht sich zunächst mit dem allgemeinen Dilemma der Kinder- und Jugendge schichtsschreibung konfrontiert; so hat es bis vor wenigen Jahren noch nicht einmal in Ansätzen eine Geschichtsschreibung gegeben, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt hätte. Das ist vor allem seit Ende der 60er Jahre schon häufig genug konstatiert worden [1] und braucht deswegen nicht weiter ausgeführt zu werden. Als Beispiel möge genügen, daß noch 1968 von einem wissenschaftlichen Taschenbuchverlag die Litera turgeschichte von Koester aus dem Jahre 1906 herausgebracht wurde - nicht als historisches Dokument, sondern um Studenten, Erziehern, Pädagogen, Bibliothekaren, all denen, die mit Kinder- und Jugendliteratur zu tun haben, ein Hilfsmittel für ihre Arbeit an die Hand zu geben; eine neuere und bessere Literaturgeschichte stand nicht zur Verfügung. Immerhin haben die Forderungen nach einer wissenschaftlich fundierten Geschichts schreibung der Kinder- und Jugendliteratur zu einer Phase der Neuorientierung geführt, in der eine Reihe von Projekten und Einzelstudien in Angriff genommen und z. T. bereits publiziert worden sind. Zu nennen wären hier die Studien zur Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur, die in der DDR unter der Leitung von Horst Kunze entstehen und von denen bereits mehrere Bände vorliegen [2], das von Klaus Doderer herausgegebene Lexikon der Kinder-und Jugendliteratur, von dem inzwischen alle drei Bände erschienen sind[3], das Kölner Projekt »Erarbeitung einer Geschichte der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur für den Zeitraum 1750-1800« unter Leitung von Th. Brüggemann und schließlich Arbeiten, die sich an einer bestimmten Gattung orientieren und diese z. T. im historischen Längsschnitt verfolgen - so Untersuchungen zum Bilderbuch [4], zur Kinderzeitschrift[5], zum Kinderschau spiel [6] oder zur Robinsonade. [7] Daneben laufen Vorbereitungen zu der längst fälligen Erstellung einer Bibliographie Alte Deutsche Kinderbücher (als Gemeinschafts arbeit der deutschen Kinderbuchsammler und der Institute für Kinder-und Jugendlite ratur unter Leitung von E. L. Hauswedell) [8], die mit der Erschließung und Katalogi sierung der Quellen endlich die Voraussetzung für eine am Material abgesicherte Geschichtsschreibung der Kinder- und Jugendliteratur schaffen soll. Ein weiterer wichtiger Neuansatz ist schließlich die Aufbrechung der starren Grenzen zwischen ,hoher< Literatur und Kinder-und Jugendliteratur, die wesentlich zur Vernachlässigung