Originalveröffentlichung in: Millennium, Bd. 1 (2004), S. 25-57 Bilder zum Hören - Bilder zum Sehen: Lukians Ekphraseis und die Rekonstruktion antiker Kunstwerke BARBARA E. BORG Unsere Kenntnis der Vergangenheit ist fragmentarisch. Diese Feststellung ist an Banalität wohl kaum zu überbieten, und doch stellt sie nicht nur das notorische Lamento aller Altertumsforscher sondern zugleich ihre größte Herausforderung und eine Quelle der Faszination ihres Gegenstandes dar. Im Falle der Klassischen Archäologie wird durch die antiken literarischen Nachrichten über großartige, jedoch für immer verlorene Kunstwerke diese Fragmenthaftigkeit um so schmerz licher, während zugleich ihre rekonstruierende Überwindung in greifbare Nähe zu rücken scheint. So lesen wir etwa wieder dankbar Pausanias, nachdem wir erkannt haben, dass die auffällige Lückenhaftigkeit seiner Beschreibung Griechenlands offenbar nicht auf Unkenntnis, mangelnde Autopsie oder schlicht Schlamperei eines verhinder ten Baedekerautors zurückzuführen ist, sondern dass Pausanias Vollständigkeit offenbar gar nicht anstrebte. Vielmehr scheint es, wie zuerst Jas Eisner gezeigt hat, dass er eine Art Topographie griechischer Identität verfassen wollte, in der panta ta hellenika nur das bezeichnet, was die - überwiegend vergangene! - griechische Größe ausmachte.1 Zum Leidwesen der Archäologen gehörten jedoch die ästheti schen Qualitäten von Bildwerken für Pausanias nicht unbedingt dazu und so klingen seine Beschreibungen der Kunstwerke selbst denn auch eher lapidar.2 Als zuverlässiger Zeuge antiker Denkmäler gilt auch Plinius, der vor allem im 34. und 35. Buch seiner Naturalis Historia eine Fülle von heute zumeist ver lorenen Kunstwerken samt den Namen ihrer Schöpfer erwähnt. Seine Angaben zu Malweisen und Erfindungen einzelner Künstler sind zweifellos von großem Wert und verraten über das technische Interesse hinaus durchaus einen gewissen Sinn 1 J. Eisner, Pausanias: A Greek Pilgrim in the Roman World, Past and Present 135,1992, 3-29; ders., From the pyramids to Pausanias and Biglet: monuments, travel and writing, in: S. Goldhill - R. Osborne (Hgg.), Art and text in ancient Greek culture (Cambridge 1994), 224-254; ders., Art and the Roman Viewer (Cambridge u. a. 1995) 125-155; für verwandte Interpretationsansätze s. auch S. Alcock (Hg.), Pausanias: Travel and Memory in Roman Greece (Oxford u. a. 2001). 2 Dies wurde in älteren Arbeiten auch mit Missbilligung hervorgehoben, s. z. B. T. Birth, Laienurteil über die bildende Kunst bei den Alten, Marburger Akademische Reden 7 (Marburg 1902); H. Blümner, Archäologische Studien zu Lukian (Breslau 1867) 2. 26 Barbara E. Borg für Ästhetik. Doch so überschwänglich sein Lob einzelner Künstler und Werke gelegentlich ist, so fallen die Beschreibungen bei ihm oft sogar noch knapper aus als bei Pausanias, wenn er sich nicht ganz auf reine Aufzählungen beschränkt. So liegt es offensichtlich auch nicht in seiner Absicht, dem Leser die Kunstwerke durch eine entsprechend anschauliche Schilderung vor sein geistiges Auge zu stellen. Genau dies tut nun allerdings ein Autor in so meisterhafter Weise, dass man seine schillernde Persönlichkeit und sein irritierendes Spiel mit Worten und Wahr heiten nur zu gern zu vergessen bereit ist. „Mit Recht werden Lukians Nachrich ten und Urteile über Werke der bildenden Kunst sehr hoch geschätzt - verdanken wir doch diesem Schriftsteller einige Ecksteine zum Aufbau der griechischen Kunstgeschichte", so etwa Friedrich Koepp, „...es bleibt eine Tatsache, dass diese Zeugnisse zum Wertvollsten gehören, was uns von antiker Kunstbetrachtung erhalten ist."3 Dass diese Ansicht über den Satiriker des 2.Jhs.n.Chr. im Prinzip auch heute noch geteilt, wenn auch weniger emphatisch vorgetragen wird, lehrt der Blick in die archäologische Literatur wie in neuere philologische Kommen tare.4 Lukians vielleicht berühmtestes Gemälde ist die Diabole, die Verleumdung, des Malers Apelles, die in Archäologie und Kunstgeschichte bis heute als Prototyp und ältestes Beispiel einer echten Allegorie gilt, und damit wahrhaftig ein Eckstein nicht nur der griechischen, sondern der europäischen Kunstgeschichte insgesamt wäre (vgl. Abb. 1). Rechter Hand sitzt ein Mann, der so ansehnliche Ohren hat, dass ihnen wenig zu Midasohren fehlt, und schon von ferne der auf ihn zukommenden Verleumdung (öia- ßoXf|) die Hand entgegenreicht. Zu beiden Seiten stehen zwei Frauenspersonen neben ihm, die mir die Unwissenheit (äyvoKx) und das Misstrauen (ÜJt6A.m|nc,) vorzustellen scheinen. Diesem nähert sich von der anderen Seite die Verleumdung in Gestalt eines wunderschönen, aber etwas erhitzten Mädchens (yuvcuov eig uJteoßoXfiv JtäyxaXov, üJI6ö£QU.OV öe xai Jtaoa>tEXivT|uivov), deren Gesichtszüge Groll und Ingrimm ver raten; sie trägt in der linken Hand eine brennende Fackel und schleppt mit der Rechten einen jungen Menschen bei den Haaren herbei, der die Hände gen Himmel streckt und 3 F. Koepp, Ogmios. Bemerkungen zur gallischen Kunst, Bonner Jahrbücher 125, 1919, 38-73, hier 38; Bei anderen wird Lukian geradezu zum Kunstkenner schlechthin, z. B. Blümner (s. Anm. 2) passim; V. Andö, Luciano critico d'arte (Palermo 1975). 4 S. z. B. H. A. Shapiro, The Origins of Allegory in Greek Art, Boreas 9,1986, 4-23, der die Diabole als „earliest and best known example" einer echten Allegorie bezeichnet (S. 4); I. Scheibler, Griechische Malerei der Antike (München 1994) mit ihren Re konstruktionsversuchen S. 43-45; J. Bompaire, Luden ecrivain. Imitation et creation (Paris 1958) 713-718; ders., Luden. CEuvres. Tome I (Paris 1993) 56 (zum Herakles- Ogmios); Tome II (Paris 1998) 137 (zur Diabole); St. Altekamp, Zu den Statuen beschreibungen des Kallistratos, Boreas 11, 1988, HOf. 28 Barbara E. Borg die Götter zu Zeugen seiner Unschuld anruft. Vor ihr geht ein hässlicher, bleichsüchti ger Mann (dvrio (0x065 xal äuoocpo?) mit stechendem Blick (ö|i> öe&ooxwg), der so aussieht, als ob er von einer langwierigen Krankheit ausgezehrt wäre und den man ohne Mühe als den Neid (<p&6voc;) erkennt. Hinter der Verleumdung gehen zwei andere Weibspersonen, die sie aufzuhetzen, zu unterstützen und sie herauszuputzen scheinen, und deren eine (wie mir der Ausleger des Gemäldes sagte) die Arglist (dnißouX.f|) und die andere die Täuschung (äJt&TT|) vorstellt. Noch weiter hinter ihnen folgt in einem schwarzen und zerrissenen Traueraufzug (Jievftixöjc; Tic; £OX£WX0^6VT), HeX.avstu,(DV xal xaTEOJiaQaY(ilvT|) die Reue (nEtavoia): sie weint und wendet das Gesicht beschämt vor der Wahrheit, die sich ihr nähert, ab, als ob sie sich scheute, ihr in die Augen zu sehen. (Übersetzung Wieland) Die Beschreibung ist detailreich und anschaulich, so dass sich niemand wundern wird, dass Maler und Zeichner der Renaissance die Ekphraseis des Lukian und nicht die des Plinius oder Pausanias als Vorlage für ihre Bilder wählten.5 Und doch sind Lukians Bilder und insbesondere seine Diabole alles andere als unproblematisch. Letztere ist im Text gewissermaßen doppelt gerahmt. Den äußeren Rahmen bildet die eigentliche Lehr- und Mahnrede des Lukian über die Gefahren von Neid, Verleumdung und Leichtgläubigkeit. Darin findet sich als Exempel die Geschichte des Malers Apelles, der von einem neidischen Kolle gen bei dem leichtgläubigen Pharao Ptolemaios der Beteiligung an einer Ver schwörung beschuldigt worden sei, zuletzt aber seine Unschuld beweisen konnte und daraufhin das oben zitierte Gemälde geschaffen habe. Die Geschichte ist fast zu schön um wahr zu sein und enthält in jedem Fall einen krassen Anachronis mus. Der Aufstand des Theodotos, von dem Lukian spricht, fand tatsächlich statt, und zwar im Jahr 219 v.Chr. Die Schaffenszeit des Apelles liegt dagegen nach übereinstimmenden Zeugnissen ein Jahrhundert früher.6 Auch war Apelles Hof- 5 Albertis Empfehlung in seinem Traktat über Malerei, erstmals lateinisch publiziert 1435 und ein Jahr später in italienischer Übersetzung, markiert den Begin einer reichen kreativen Rezeption. Zur neuzeitlichen Rezeption der Bilder Lukians s. D. Cast, Lucianic and Pseudo-Lucianic themes in the Renaissance: A Study in Renaissance Humanism (New York 1970); D. Rosand, Ekphrasis and the Generation of Images, Arion 1, 1990, 61-105; speziell zur Diabole s. D. Cast, The Calumny of Apelles. A Study in the Humanist Tradition (New Häven/London 1981); J.M. Massing, Du texte ä l'image. „La Calomnie" d'Apelle et son iconographie (Strasbourg 1990); zum Herakles-Ogmios ER. Varwig, Raffaels Herakles 'Ogmios' - Ein Paradeigma zur Ikonologie des sprachlichen Wohlklangs, in: F. R. Varwig (Hg.), AINirMA. Festschrift für Helmut Rabn (Heidelberg 1987) 35-75. 6 Der Neue Pauly 12/1 (2002) s.v. Theodotos Nr. 3 (W. Ameling). Der Anachronismus erstmals bemerkt von J. Toll in: Lucianus Samosatensis de Calumnia cum notis Jacobi Tollii (Leiden 1677) 10 Anm. 1, und diskutiert von R Bayle, Dictionnaire historique et critique I (Rotterdam 1697) 300-301; vgl. Massing (s. Anm. 5) 16. Bilder zum Hören - Bilder zum Sehen 29 maier Alexanders des Großen. Plinius (NH 35, 89) berichtet zwar, Apelles sei durch einen Sturm nach Alexandria verschlagen worden, wo ihm durch einen Nebenbuhler ein Streich gespielt wurde. Doch bestand dieser bei Plinius in dem vergleichsweise harmlosen Scherz, den Maler ohne Wissen des Ptolemaios an dessen Tafel zu laden. Apelles klärt das Missverständnis auf, indem er das Porträt des Spaßvogels mit einem Stück Kohle auf die Wand skizziert, woraufhin Ptole maios den Urheber des Affronts sofort identifiziert. Hier dient die Anekdote letztlich dazu, die Ähnlichkeit der von Apelles gemalten Porträts mit den Dar gestellten hervorzuheben.7 Von einem längeren Aufenthalt des Apelles am Hof des Ptolemaios oder irgendwelchen Bildern, die er dort gemalt hätte berichtet Plinius jedoch ebenso wenig wie irgendein anderer Autor, obgleich doch an Apelles und zumal an seinem Leben lebhaftes Interesse bestand.8 Zumeist hat man diese Ungereimtheiten damit erklärt, Lukian habe bewusst oder aus Unkenntnis falsche Angaben gemacht. Nach Auffassung einiger ist die Anekdote mitsamt dem Bild glaubhaft, nicht aber die Zuschreibung an Apelles. Die Mehrheit streicht jedoch die Verleumdung bei Ptolemaios, wodurch das Bild nicht nur der europä ischen Kunstgeschichte, sondern auch dem Apelles erhalten bliebe, dem eine solch außergewöhnliche Bilderfindung eher zugetraut wird als einem unbekannten Maler.9 7 Entsprechend berichtet Plin. NH 7, 125; 35, 85, Alexander habe jedem anderen außer Apelles verboten, ihn zu malen. 8 Die testimonia bei Overbeck belaufen sich auf die stattliche Zahl von 80 (J. Overbeck, Die antiken Schriftquellen zur Geschichte der bildenden Künste bei den Griechen [Leipzig 1868] Nr. 1827-1906). Von diesen berichtet einzig noch Tzetzes Chiliades 8, 394 = Overbeck Nr. 1838 von einem Aufenthalt des Apelles am ptolemäischen Hof, doch beruft er sich hierfür ausdrücklich auf Lukian. Ein längerer Aufenthalt am Ptblemäerhof wird dennoch oft mit großer Zuversicht voraus gesetzt, s. z. B. J. J. Pollitt, The Art of Ancient Greece: Sources and Documents (Cambridge, MA, u. a. 1965) 163; Der Neue Pauly 1 (1996) 829f. s.v. Apelles Nr. 4 (N. Hoesch); s. auch die folgende Anm. Eine Bearbeitung der Künstleranekdoten und -biographien in der antiken Über lieferung, welche auch den literarischen Charakter, die Interessenlage der Autoren und die Topik dieser 'Textgenres' einbeziehen würde, ist ein dringendes Desiderat. 9 Die wenigen Zweifler, welche auch die Existenz des Bildes bestritten, sind weitgehend ohne Einfluss geblieben, s. Massing (s. Anm. 5) 17 mit Anm. 11-12. Scheibler (s. Anm. 4) 44 streicht nur den historischen Zusammenhang mit dem Theodotos-Aufstand; J. Onians, Art and Thought in the Hellenistic Age. The Greek World View 350-50 BC (London 1979) 97 f. verlegt mit dem Bild auch die Anekdote an den Hof Ptolemaios' I.; s. die Übersicht über weitere ältere Erklärungsversuche bei Scheibler (s. Anm. 5) 16f. Massing (s. Anm. 5) 20-22 Schlussfolgen, dass die Zuschreibungsfrage allein aufgrund der Schriftquellen kaum abschließend zu beantworten sei, ist jedoch von der Existenz des Bildes vor allem aufgrund zahlreicher literarischer Belege für die betreffenden (und verwandte) Personifikationen überzeugt; ähnlich Shapiro (s. Anm. 4) 5 Anm. 6. Zu die- 30 Barbara E. Borg Nun ist diese Lösung keineswegs undenkbar, aber ist sie damit schon plausi bel oder gar wahrscheinlich? Zum Vergleich hat man für die Gestalt der Diabole auf die Ikonographie der Erinnyen in der unteritalischen Vasenmalerei verwiesen, für die Komposition auf die Audienzszene auf der sog. Perservase (Abb. 2) und, als Beispiel einer aufgelockerteren Darstellungsweise und des Themas auf den Fries in Raum C der Villa Farnesina, der Gerichtsszenen zeigt und vielfach auf eine hellenistische Vorlage zurückgeführt wird.10 Unabhängig davon, ob man an die Existenz einer solchen bildlichen Vorlage glaubt oder nicht, besteht das Ungewöhnliche der Bilderfindung der Diabole jedoch nicht in der Art der Kom position oder der Wahl des Themas, sondern in der Art der Figuren, ihrer bild licher Charakterisierung und ihrer Einbindung in einen narrativen Zusammen hang. Die Besonderheit des Bildes hat man immer bemerkt, doch nie genauer analysiert, und so wurde übersehen, dass dieses Bild nicht nur ungewöhnlich, sondern völlig singulär wäre - sowohl im 4.Jh. v.Chr. als auch in der gesamten griechisch-römischen Kunst. Zunächst fällt bei der Wahl der Personifikationen auf, dass die Mehrzahl im Bestand der antiken Bildüberlieferung überhaupt nicht nachzuweisen ist: nämlich Aletheia, Diabole, Epiboule, Hypolepsis und Metanoia.11 Agnoia, Apate und Phthonos sind zwar vereinzelt belegt, ihre Ikonographie entspricht jedoch in keinem Fall genau jener der lukianischen Beschreibung. Während für Agnoia offenbar überhaupt keine eigene Ikonographie entwickelt wurde, erscheint Apate einmal in einer erinnyenähnlichen Aufmachung (Abb. 2) und einmal ohne spezifi- sem Argument s.u. Anm. 48, zu den von ihr angeführten Bildern s. im Folgenden. Anders erging es bezeichnenderweise Seneca, der in seinen Controversiae (10, 5) behauptet, der Maler Parrhasios sei angeklagt gewesen, einen von Philip V. erworbenen alten Olynther gefoltert zu haben, um eine möglichst realistische Vorlage für ein Bild des Prometheus zu erhalten. Der Fall ist insofern ähnlich gelagert, als auch diese Anek dote nur einmal überliefert ist und einen Anachronismus enthält (Parrhasios war bei der Eroberung Olynths 348 wohl bereits ca. 30 Jahre tot). In diesem Fall reichten die Gründe jedoch aus, Geschichte und Bild allgemein für fiktiv zu halten - vermutlich wegen ihres abstoßenden Charakters. 10 Massing (s. Anm. 5) 22 f.; Scheibler (s. Anm. 4) 44. Zur Perservase s. H. Gabelmann, Antike Audienz- und Tribunalszenen (Darmstadt 1984) 76-80; zu den Farnesina-Fres ken s. I. Bragantini - M. de Vos, Museo Nazionale Romano. Le Pitture II 1. Le decora- zioni della Villa romana della Farnesina (Rom 1982) Taf. 134-161; Gabelmann (wie oben) 151 f.; Scheibler (s. Anm. 4) 44. 11 Vgl. Lexicon Iconographicum Mythologiae Classicae (= LIMC) I (1981) 486f. s.v. Aletheia (S. Settis); LIMC III (1986) 386 s.v. Diabole Q.-R. Gisler); LIMC III (1986) 803 s.v. Epiboule (J.-R. Gisler); LIMC V (1990) 609 s.v. Hypolepsis Q.-R. Gisler); LIMC VI (1992) 561 f. s.v. Metanoia (E. Polito). Mit Metanoia wurden vorschlags weise zwei Reliefdarstellungen identifiziert (LIMC ebd. Nr. 2 und 3), in keinem Fall ist jedoch eine Beischrift erhalten, welche die Benennung sichern könnte. Bilder zum Hören - Bilder zum Sehen 31 Barbara E. Borg Abb. 3: Bronzestatuette des Phthonos (Neid), kaiser zeitlich. Bilder zum Hören - Bilder zum Sehen 33 sehe Merkmale;12 Phthonos wird als nackter Mann dargestellt, der sich selbst mit beiden Händen stranguliert (Abb. 3-4).13 Wichtiger noch als diese Beobachtungen ist die einzigartige Konstellation der Personifikationen in einem vielfigurigen narrativen Zusammenhang. Selten werden in der griechischen Kunst überhaupt mehr als ein oder zwei Personifika tionen gemeinsam dargestellt und fast nie sind sie unter sich. In der Regel besitzen sie eine kommentierende Funktion innerhalb mythischer oder historischer Dar stellungen. So etwa auf einem von Plinius (NH 35, 138) erwähnten Gemälde des Aristophon, das offenbar jene Episode aus dem Trojanischen Krieg wiedergab, in der sich Odysseus als Bettler verkleidet nach Troja einschlich. Neben Priamos, Helena, Odysseus und Deiphobos waren auch Credulitas (die Leichtgläubigkeit) und Dolus (die List) dargestellt, welche sich auf die das Geschehen leitenden Motivationen und Charakterzüge bezogen. Dieselbe Funktion haben Apate auf der sog. Perservase (Abb. 2), wo sie sich wohl auf die Verblendung bezieht, welche die Perser zu ihrem Kriegszug verführt hat,14 dieselbe Personifikation auf einem 12 Zu Agnoia: LIMC I (1981) 302f. s.v. Agnoia (F. Canciani); die ebenda aufgezählten Darstellungen mit zweifelhafter Benennung wurden von K. Lehmann, Ignorance and Search in the Villa of the Mysteries, Journal of Roman Studies 52, 1962, 62-68, in die Diskussion eingeführt, stammen aber anders als die inschriftlich gesicherten Dar stellungen alle aus dem dionysischen Bereich. Sie stimmen weder untereinander noch mit den sicheren Darstellungen ikonographisch genau überein. Die Gestalten scheinen eher ein allgemeines Darstellungsschema je nach Kontext zu variieren. Die dionysi schen Bilder sollten daher aus der Diskussion ausgeschlossen werden. Zu Apate: LIMC I (1981) 875f. s.v. Apate (G.G. Belloni) mit zwei inschriftlich ge sicherten Darstellungen auf apulischen Vasen (der aber das lukianische Gemälde nicht einmal unter den Schriftquellen erwähnt). 13 LIMC VIII (1997) 992-996 s.v. Phthonos (J.-R. Gisler) und grundlegend K.M.C. Dunbabin - M. W. Dickie, Invidia rumpantur pectora. The Iconography of Phtho- nos/Invidia in Graeco-Roman Art, Jahrbuch für Antike und Christentum 26, 1983, 7-37. Die einzige sicher vorkaiserzeitliche Darstellung auf einem apulischen Voluten krater {LIMC [wie oben] Nr. 26) zeigt Phthonos im Erostypus als Begleiter der Aphrodite beim Tod des Meleager und entspricht der Darstellung in der Diabole eben so wenig. Die übrigen Darstellungen sind mehrheitlich erst kaiserzeitlich, lediglich eine Gruppe von Terrakotten aus der Werkstatt von Smyrna kann nur grob in das 2. Jh. v. Chr. - 2. Jh. n. Chr. datiert werden. Sie könnte daher bereits hellenistisch sein, eben so gut jedoch wie die anderen erst kaiserzeitlich. Einen einigermaßen sicheren terminus ante quem gibt eine Bronze in Berlin, wenn die Angabe des Fundortes, Pompeji, denn zutrifft (Dunbabin - Dickie [wie oben] 22 f.). Alle diese Darstellungen zeigen einen nackten, ausgemergelten Mann, der sich selbst mit beiden Händen stranguliert. Die Benennung ist durch ein Mosaik aus dem Anfang des 3.Jhs. n.Chr. gesichert (LIMC [wie oben] Nr. 16; ausführlich Dunbabin - Dickie [wie oben]). 14 LIMC I (1981) 875 f. s. v. Apate Nr. 1 (G.G. Belloni); M. Schmidt, Asia und Apate, in: L. Beschi (Hg.), AiIAPXAI. Nuove ricerche e studi sulla Magna Grecia e la Sicilia 34 Barbara E. Borg Abb. 4: Bronzestatuette des Phthonos (Neid), kaiserzeitlich.
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