jfg^ MICHAELA n WIESNER- BANGARD URSULA .L WELSCH IjS HP! IS ü CH LIEBE, RATSE NE BIOGRAPHIE Wiesner-Bangard • Welsch | Lou Andreas-Salome Ein faszinierendes Rätsel blieb Lou Andreas- Salome ihren Zeitgenossen wohl immer. Mit Nietzsche, Rilke und Freud stand sie nicht nur in lebhaftem gedanklichen Austausch. Ihre phi¬ losophische Scharfsichtigkeit rief Bewunderung hervor, als Schriftstellerin überzeugte sie durch psychoanalytisches Feingefühl. Die Autorinnen zeigen die unterschiedlichen Ge¬ sichter einer Frau, deren erklärter Anspruch es war, »im Ganzen Guten Schönen resolut zu leben«, und die damit die berühmtesten unter ihren Zeit¬ genossen beflügelte. Die einfühlsame Annäherung der Autorinnen macht die Gestalt der Lou Andreas- Salome anschaulich und läßt sie in ihrer ganzen Unbedingtheit lebendig werden. Durch das umfangreiche, sorgfältig recher¬ chierte und erzählerisch integrierte Quellenma¬ terial wird das Buch darüber hinaus zu einer pla¬ stischen Darstellung der Kultur- und Wissen¬ schaftsgeschichte der Jahrhundertwende. Michaela Wiesner-Bangard arbeitete nach dem Studium als freie Autorin und EDV-Redakteurin und ist seit 1988 in der Jugendbildung tätig. Ursula Welsch arbeitete nach dem Studium als Verlagslektorin und freie Autorin. Seit 2000 ist sie selbständige Verlagsberaterin für Elektro¬ nisches Publizieren. Michaela Wiesner-Bangard Ursula Welsch Lou Andreas-Salome »... wie ich Dich liebe, Rätselleben« Eine Biographie Thomas J. Rata Library TRENT UNIVERSUM PEilRBOROUGH, ONTARIO R E C L A M LEI P Z I G Über Anregungen, Hinweise, Informationen und Kritik unserer Leser würden wir uns freuen. Für die ersten vier Kapitel zeichnet Michaela Wiesner-Bangard verantwortlich, für die restlichen Ursula Welsch. Sie erreichen uns unter [email protected] bzw. [email protected]. Besuchen Sie uns im Internet: www.reclam.de © Reclam Verlag Leipzig, 2002 Erstmals erschienen 1988 im Verlag Internationale Psychoanalyse, München/Wien. Reclam Bibliothek Leipzig, Band 20039 1. Auflage, 2002 Reihen- und Umschlaggestaltung: Gabriele Bürde | Kurt Blank-Markard unter Verwendung von zwei Fotos aus dem Lou Andreas-Salome Archiv, Göttingen Gesetzt aus ITC Slimbach Satz: Peter Conrad, Brandis Druck und Bindung: Reclam, Ditzingen Printed in Germany ISBN 3-379-20039-5 Inhalt KINDHEIT. 7 Gott. 7 Familie. 12 Gillot. 22 JUGEND. 32 Die »Dreieinigkeit«. 32 Die »innere Abkehr«. 61 Die »herrliche Jugendzeit«. 70 REIFE. 85 Die ersten Ehejahre. 85 Die Frauen.100 Die Metropolen Europas.119 LEBENSMITTE.130 Rainer Maria Rilke.130 Russische Reisen.138 Reisen und Rasten.151 IN DER SCHULE BEI FREUD.165 Vaterfigur und Brüdergemeinschaft.180 Sigmund Freund.180 Die Psychoanalytische Mittwoch-Gesellschaft.184 Brüder.187 Viktor Tausk.187 5 Sandor Ferenczi.194 Zeit des Übergangs.196 Der Münchner Kongreß.198 Der Erste Weltkrieg.205 ALTER .210 Wiederkehr der Jugend.210 Anna Freud.212 Späte Literatur.225 Abschiede.236 Rainer Maria Rilke.237 Friedrich Carl Andreas.243 »Mein Dank an Freud«.249 Letzte Freundschaften.254 ANHANG Anmerkungen.263 Abkürzungen.280 Literaturverzeichnis.281 Drei Kurzbiographien.288 Register.292 6 KINDHEIT »Das war eine sonderbare Angelegenheit mit unseren Spiegeln. Wenn ich da hineinzuschauen hatte, dann verdutzte mich gewissermaßen, so deutlich zu er¬ schauen, daß ich nur das war, was ich da sah: so abge¬ grenzt, eingeklaftert: so gezwungen, beim Übrigen, so¬ gar Nächstliegenden einfach aufzuhören.« (LRB S. 12) Gott »Meine früheste Kindheitserinnerung ist mein Umgang mit Gott. Es klingt wunderlich, wenn man es ausspricht. Aber offen¬ bar verblaßten dieser Erinnerung gegenüber in meinem Be¬ wußtsein allmählich die ersten Eindrücke des häuslichen Lebens, der Familienbeziehungen, des Spiels mit den Altersge¬ nossen. Von den formlos ineinander rinnenden Bildern und Szenen dieser frühen Lebensjahre hob sich später, wie von buntgewirktem Hintergrund, in großen, einfachen Umrissen nur das Eine Bild ab, das in seiner eigentümlichen Monotonie sich gleich blieb die ganze Kindheit hindurch - der Umgang mit Gott.« (Gottesschöpfung S. 169). Mit einunddreißig Jahren zog Lou Andreas-Salome dieses aufschlußreiche Resümee ihrer Kindheit. Nicht die Familie war das Einprägsamste, sondern die innige Verbundenheit mit dem »lieben Gott«. Ihre Beziehung zu ihrem Kindergott erschöpfte sich nicht im allabendlichen Vor¬ tragen von einstudierten Kindergebeten oder der Furcht vor der wachsamen Instanz, der auch das kleinste Vergehen nicht ver¬ borgen bleibt: Ihr Verhältnis zu Gott war ein ganz anderes, es war allumfassend und vereinnahmend, denn sie betrachtete Gott als ihr »Eigentum«, in dem sich elterliche Autorität und großväterliche Nachsicht vereinten. Diesem Kindergott wurde denn auch ein ganzes kleines Universum angetragen, ihm er- 7 zählte sie eigenständige Geschichten, in denen die Grenzen von Wirklichkeit und Phantasie vollkommen verschwammen. Grundlage und Ausgangspunkt dieser Erzählungen waren die realen Menschen, denen das Kind bei Spaziergängen in der Stadt begegnete und die zu Protagonisten wurden, deren Schicksale die kleine Louise im Geiste miteinander verwob. »So entstanden lebende und doch erträumte Gebilde, die ich mit Na¬ men und Schicksal versah und, je nach Aussehen und Bedarf, mit allem, was ich in den schönsten Schaufenstern, ohne zu spa¬ ren, für sie aussuchte. Jeder Zug an diesen Menschen - Blick, Haltung, Miene - prägte sich mir unauslöschlich ein wie Offen¬ barung. Jedem neuen, mir begegnenden und geeignet erschei¬ nenden Exemplar ging ich innerlich (soweit es anging, auch äußerlich) so lange nach, bis es in den Kreis der schon vorhan¬ denen Zusammenhänge ordentlich eingereiht war, und wäh¬ rend sie ahnungslos an mir vorüberschritten, Männer, Frauen, Kinder, Greise, war schon über sie und über ihr Leben be¬ schlossen, besaßen sie schon zur gleichen Stunde ihre vergan¬ gene Jugend oder ihr zukünftiges Alter, ihre Vorfahren oder ihr Kindeskind in irgendeinem andern.« {Im Spiegel S. 86). Das Mädchen beschäftigte sich also nicht mit den realen Personen seiner Umgebung - seinen Eltern, seinen Brüdern, seinen Spiel¬ kameraden (so es denn welche hatte) -, sondern mit phanta¬ sierten Gestalten und Schicksalen. Mit dieser selbstgeschaffe¬ nen innerweltlichen Wirklichkeit füllte die kleine Louise den Raum aus, den die Beziehung zu ihrer Familie nicht füllen konnte: Sie kompensierte damit das Gefühl von großer Einsam¬ keit. Die Distanz zum Elternhaus ist sicherlich eine der Ursa¬ chen dafür, daß sie schon als Kind bei aller Sensibilität und Auf¬ nahmefähigkeit in so hohem Maße unabhängig und autonom sein konnte. Erst im nachhinein - als Erwachsene - hat Lou ihre Familie und ihre russische Heimat bewußt wahrgenommen, er¬ lebt und geliebt. In ihren Briefen und Tagebüchern finden sich immer wieder Stellen, wo sie die Erfahrung dieses nachträgli¬ chen Erlebens schildert - und in dem Einsamkeitsgefühl ihrer 8