Lou Andreas-Salomé Lebens rück blick n ngiyaw eBooks ngiy aw eBooks unterliegen den Urheber- (außer für die Teile, die public domain sind) und Lizenzrechten. Dieses ebook (pdf) darf weder neu veröffentlicht, kopiert, gespeichert, angepriesen, übermittelt, gedruckt, öffentlich zur Schau gestellt, verteilt, noch irgendwie anders verwendet werden ohne unsere ausdrückliche, vorherige schriftliche Genehmigung. ngiyaw eBooks werden Ihnen as-is ohne irgendwelche Garantien und Gewährleistungen kostenfrei angeboten. n © 2010 Sporer Peter Michael für ngiy aw eBooks. Földvári u. 18, H – 5093 Vezseny [email protected] - http://ngiyaw-ebooks.org Erstellt mit Microsoft @ Word 2010 Gesetzt in der Gentium Book Basic. Lou Andreas-Salomé Lebens rück blick n ngiyaw eBooks »Menschenleben — ach! Leben überhaupt — ist Dichtung. Uns selber unbewußt leben wir es, Tag um Tag wie Stück um Stück, — in seiner unantastbaren Ganzheit aber lebt es, dichtet es uns. Weit, weitab von der alten Phrase vom ›Sich-das-Leben-zum-Kunstwerk-machen‹; wir sind nicht unser Kunstwerk.« Lou Andreas-Salomé Das Erlebnis Gott Unser erstes Erlebnis ist, bemerkenswerter Weise, ein Entschwund. Eben noch waren wir alles, unabgeteilt, war unabteilbar von uns ir- gendwelches Sein — da wurden wir ins Gebo- renwerden gedrängt, wurden zu einem Rest- teilchen davon, das fortan bestrebt sein muß, nicht in immer weitergehende Verkürzungen zu geraten, sich zu behaupten an der sich im- mer breiter vor ihm aufrichtenden Gegenwelt, in die es aus seiner Allfülle fiel wie in — zu- nächst beraubende — Leere. So erlebt man zuerst gleichsam etwas schon Vergangenes, eine Abwehr des Gegenwärtigen; die erste »Erinnerung« — so würden wir es ein wenig später heißen — ist gleichzeitig ein Choc, eine Enttäuschung durch Verlust dessen, was nicht mehr ist, und ein Etwas von nach- wirkendem Wissen, Gewißsein, daß es noch zu sein hätte. Dies ist das Problem der Urkindheit. Es ist auch das aller Urmenschheit, daß sich in ihr ei- ne All-eingeborenheit weiterbekundet neben den Erfahrungen des zunehmenden Bewußt- werdens: wie eine gewaltige Mär von unver- lierbarer Teilhaberschaft an Allmacht. Und die frühe Menschheit wußte sich den Glauben da- ran dermaßen zuversichtlich zu erhalten, daß die gesamte Welt des Augenscheins mensch- lich zugänglicher Magie unterstellt erschien. Dauernd bewahrt das Menschentum etwas von diesem Unglauben an die Allgemeingültigkeit der Außenwelt, die einmal mit ihm ungeschie- den Ein-und-dasselbige schien; dauernd über- brückt es den für sein Bewußtsein entstande- nen Riß mit Hilfe der Phantasie, wenngleich diese das Modell ihrer göttlichen Korrekturen auch eben dieser mehr und mehr wahrge- nommenen Außenwelt angleichen muß. Dies Darüber und Daneben, dies phantasierte Dup- likat — berufen zu vertuschen, was sich mit dem Menschentum Fragwürdiges zugetragen hat — nannte der Mensch seine Religion. Deshalb kann es auch einem heutigen oder gestrigen Kinde geschehen — falls es noch ir- gendwo ganz selbstverständlich umstellt ist von elterlicher Gläubigkeit, von »Für-wahr- haltungen« —, daß es das religiös Geglaubte ähnlich unwillkürlich einheimst wie die sachli- chen Wahrnehmungen. Denn gerade seinen kleinsten Jahren, der kleinsten Unterschei- dungsfähigkeit, eignet noch die Urfähigkeit, nichts für unmöglich und das Extremste für das Wahrscheinlichste zu halten; alle Superla- tive geben sich noch ein magisches Stelldich- ein im Menschen als natürlichste Vorausset- zungen, bevor er sich an den Mittelmäßigkei- ten und Unterschiedenheiten des Tatsächli- chen gründlich genug gerieben hat. Man denke nicht, einem religiös unbeein- flußten Kinde werde solche Vorzeit ganz er- spart: die kindlichste Reaktion geschieht — in- folge noch ungenügender Unterscheidungs- kraft und um so fragloserer Wunschkraft — immer zunächst aus dem Superlativischen her- aus. Denn zu Beginn entschwindet unsere »All- eingeborenheit« unserm Urteil nicht ohne die- se Hinterlassenschaft, die sich über die Gegen- stände unserer ersten Anhänglichkeiten oder ersten Empörungen legt wie Verklärung oder wie Verzerrung ins Überdimensionale — wie ein noch restloses Allumfangen selber. Ja, man darf sagen: wo etwa zeitliche Umstände — bei- spielsweise die heutigen oder die von morgen — einem Kinde allzuviel davon und von den sich ganz unvermeidlich daran anschliessen- den Enttäuschungen ersparen möchten, wo seine Nüchternheit allzufrüh kritisch einset- zen muß: da wäre eher zu fürchten, ob der na- türliche Phantasietrieb, der unserer Verstan- deswachheit so sehr lange vorangeht, sich nicht unnatürlich aufstauen könnte, um sich dermaleinst am nüchtern Realen in gespensti- schen Übertreibungen zu rächen, und ob er nicht eben damit, unter solchem nachträgli- chen Drang, gerade die sachlichen Maßstäbe ausließe. Wohl aber muß man hinzufügen: beim nor- malen Kinde weicht ein allzu »religiöses« Er- zogensein von selbst vor zunehmender Kritik am Wahrgenommenen — ähnlich wie die aus- schließliche Bevorzugung des Märchenglau- bens vor dem brennenden Interesse an der Re- alität. Geschieht dies nicht, so wird meistens eine Entwicklungshemmung vorliegen, eine Unstimmigkeit zwischen dem, was dem Leben entgegentreibt, und dem, was zögert, sich mit dessen Bedingtheiten zu befreunden. — Daß mit unserm Geborenwerden ein Riß — zwischen Welt und Welt — zwei Existenzarten fortan trennt, das läßt das Vorhandensein ei- ner vermittelnden Instanz sehr begehrenswert werden. In meinem Fall mögen die überall ein- setzenden Kleinkindkonflikte einen gewissen Zurückrutsch gezeitigt haben — aus bereits angepaßterer Urteilsweise in eine rein phanta- sierende, wobei sozusagen die Eltern und die elterlichen Standpunkte verlassen (fast verra- ten) wurden für ein totaleres Umfangen- und Aufgenommensein, für eins, worin man sowohl hingegeben war an noch größere Übermacht als auch in ihr teilhaftig jeder Selbstherrlich- keit, ja Allmächtigkeit. Man stelle sich das etwa im Bilde vor: als ha- be man sich vom Elternschoß, von dem man auch manchmal niedergleiten muß, mitten auf den Gottesschoß gesetzt, wie auf den eines noch viel verwöhnendem, alles billigenden Großvaters, der so schenkfroh ist, als habe er alle Taschen voll und als würde man dadurch fast ebenso allmächtig wie er, wenn auch wohl nicht so »gut«; er bedeutet eigentlich: beide Eltern ineinandergestülpt: mütterliche Schoß- wärme und väterliche Machtvollkommenheit. (Sie beide scheiden und unterscheiden, als Macht- und als Liebessphäre, ist schon ein ge- waltiger Bruch im sozusagen wunschlos- vorweltlichen Wohlsein.) Was aber bewirkt im Menschen überhaupt eine solche Fähigkeit, ein Phantasiertes für schlechthin Wirkliches zu nehmen? Doch nur die weiterwirkende Unfähigkeit, sich auf die Außenwelt, auf dieses Außerhalb Unser (groß geschrieben!), das wir gar nicht voraussetzen konnten, zu beschränken — als real voll anzu- erkennen, was uns nicht mit-in-sich enthält. Sicherlich wird dies ein Hauptgrund gewe- sen sein, warum mich die gänzliche Unsicht- barkeit dieser dritten Macht, der Übermacht auch noch über den Eltern, die letztlich ja doch auch nur durch diese alles empfingen, erstaun- lich wenig störte. Es ergeht ja allen für-wahr- haltenden wachechten Gläubigen so. In mei- nem Fall kam noch ein Nebengrund hinzu: das war eine sonderbare Angelegenheit mit unsern Spiegeln. Wenn ich da hineinzuschauen hatte, dann verdutzte mich gewissermaßen, so deut- lich zu erschauen, daß ich nur das war, was ich da sah: so abgegrenzt, eingeklaftert: so ge- zwungen, beim Übrigen, sogar Nächstliegen- den einfach aufzuhören. Blickte ich nicht hin- ein, drängte sich mir dies nicht ganz so auf, doch irgendwie leugnete mein eignes Empfin- den den Umstand, nicht in und mit Jeglichem
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