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Liebe am Don PDF

655 Pages·2016·2.35 MB·German
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Heinz G. Konsalik LLiieebbee aamm DDoonn Inhaltsangabe Mit einer Sondergenehmigung des sowjetischen Innenministeriums gelangt der deutsche Journalist Eberhard Bodmar nach Moskau, um dort die Spuren der 6. Armee, mit der auch sein Vater bei Stalingrad unterging, zu verfolgen. Am Flug- hafen wird er von der hübschen Dolmetscherin Jelena Antonowna abgeholt, die sich sofort in ihn verliebt. Bodmar ahnt jedoch nicht, daß Jelena ihn ununterbro- chen für den KGB überwacht. Bodmar ist der Faszination dieses Landes zwischen Don und Wolga schnell erlegen, er fühlt sich gefangen von der einfachen Schön- heit der weiten Steppe und der Unendlichkeit des strahlenden Himmels. Als Bod- mar auf die wilde Schöne Njuscha trifft, eine temperamentvolle Kosakentochter, die nur den Gesetzen der Natur gehorcht, entwickelt sich eine Liebe, die Grenzen überschreitet und kein Zurück mehr kennt… Genehmigte Ausgabe 2000 für H+L Verlagsgesellschaft mbH, 50667 Köln © 1982 by Hestia (VPM, Verlagsunion Pabel-Moewig KG), Rastatt Titelgestaltung: Roberto Patelli, Köln Titelfoto: Corel Professional Photos Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten Dieses eBook ist umwelt- und leserfreundlich, da es weder chlorhaltiges Papier noch einen Abgabepreis beinhaltet! ☺ ERSTES KAPITEL DD er Blitz schlug ein, als niemand in der Kirche war. Vater Ifan Matwejewitsch Lukin hatte draußen im Garten gear- beitet und die Bohnen angehäufelt, als der Regen begann, ein völlig unplanmäßiger Regen in dieser Jahreszeit, in der alles grünte und blühte und der schwere Duft des Wermutkrautes sich vermischte mit dem süßen Hauch der Kirschblüten, ein Odem, der über die Steppe schwebte und mit der Strömung des Flusses nach Süden ge- tragen wurde. Plötzlich war das helle Blau des Himmels dunkelgrau geworden, aus dem Norden pfiff ein Wind heran, trieb dicke Wol- ken über den Don und ließ es regnen, als bräche der Himmel ein. Ifan hatte sich schimpfend in den Schutz eines alten Schuppens ge- stellt, stützte sich auf den Schaufelstiel und starrte mißmutig in die dicken prasselnden Tropfen. Da geschah es. Ein Zucken in den Wolken, ein heller zischender Strahl, darauf ein Krachen, daß sich das Trommelfell bog, Vater Ifan bekam wei- che Knie und bekreuzigte sich, es roch sogar nach Schwefel, als sei der Satan selbst unter die Menschen gefahren … dann schlossen sich die Wolken, der Donner grollte dumpf, und vorbei war alles. Selbst der Regen versiegte, der Wind trieb die graue geballte Masse weg über den Fluß, das Blau des Himmels schälte sich wieder aus trei- benden Wolkenfetzen, der herbe Duft der getränkten Erde schweb- te über den Gärten. Nur ein Blitz war es gewesen, ein völlig wider- sinniger Blitz, aber er hatte in Perjekopsskaja eingeschlagen: in die alte hölzerne, rosa und gelb gestrichene Kirche. Ifan Matwejewitsch sah es sofort, denn in dem Dach klaffte plötz- 1 lich ein Loch. »Welch ein Unglück!« schrie er und warf die Schaufel weg. »Wa- rum in die Kirche? Gibt es nicht genug Häuser von ungläubigen Genossen? Immer trifft es die Falschen!« Er rannte durch den Garten, raffte das lange schwarze Popenge- wand und ließ seinen weißen Bart im Wind wehen. In der Kirche roch es noch stärker nach Brand und Schwefel als draußen, doch beim ersten Blick bemerkte Ifan nichts, was zerstört war. Das ge- zackte Loch in der Decke wies den Weg, den der Blitz genommen hatte, auf dem Steinboden waren drei Platten zersplittert, und schon wollte Ifan aufatmen und dem heiligen Wladimir ein Loblied sin- gen, als er erstarrte und weite, vom Schrecken aufgerissene Augen bekam. Der Blitz war durch die Ikonastase gefahren, durch die Wand mit den bunten Heiligenbildern, und hatte die goldgrundige Ikone des Wladimir in zwei Teile zerrissen. Ifan Matwejewitsch setzte sich auf die Stufen vor der Ikonastase, verbarg beide Hände unter seinen Bart und seufzte tief. Der heilige Wladimir war der Schutzpatron von Perjekopsskaja. Man muß dieses Perjekopsskaja kennen, um zu verstehen, was das bedeutete. Ein elendes Nest ist es an den seichten Ufern des Don, ein Bauernflecken mit Holzhäusern, Blockhütten, einem Steinhaus für den Dorfsowjet, einem langgestreckten Bau, der als Fest- und Versammlungssaal dient, einer großen Banja, einer Kollektivscheune und einem riesigen Stall für die Schweinezucht der Kolchose ›Tri- umph der Revolution‹. Eine breite Straße führt durch das Dorf, im- mer am Ufer des Don entlang, vorüber an den Gärten mit den ge- flochtenen Zäunen oder den Palisaden aus Knüppelholz. Es ist ein friedliches Dorf, auch wenn seine Bewohner berühmt waren für ihre kriegerische Wildheit. Die Kosaken von Perjekopsskaja, das waren Kerle gewesen, die in allen Kriegen immer an der Spitze ritten, ver- wachsen mit ihren schnellen, halbhohen, struppigen Pferden. Wenn 2 sie die Lanzen fällten oder die breiten Kosakensäbel schwangen und mit heulendem Geschrei ihre Attacken ritten, fiel den Gegnern das Herz in die Hosen. Sonst aber waren sie fleißige Bauern, galten als wankelmütige Kommunisten und wurden in Woronesch, wo die Distriktregierung saß, seit jeher kritisch beobachtet. Es gab so vieles, was die Don-Kosaken von anderen Russen unter- schied. Sie hingen am alten, an der Tradition, obwohl die rote Fah- ne über dem Steinhaus des Dorfältesten wehte. Seitdem vor Jahr- hunderten die Tataren den Don und die Wolga hinaufgezogen wa- ren bis vor Woronesch, spukte etwas von einem unbeugsamen Frei- heitsdrang im Blut der Kosaken. Sie verprügelten sowjetische Kom- missare, wenn ihnen deren Ansichten nicht paßten, ehrten trotz in- tensiver Propaganda aus Moskau ihre Popen und besuchten die al- ten Kirchen, als habe es nie einen Kulturkampf und eine Entmach- tung der Religion gegeben. Sie leisteten sich weiterhin ihre Dorfhei- ligen, ließen sich in der Osternacht segnen und zogen um Mitter- nacht singend in die Kirche, brennende Kerzen in der Hand und das Osterbrot in der Tasche, das Vater Ifan an die Armen verteilen sollte. So sah es in Perjekopsskaja aus, diesem an den Fluß hingeduck- ten Dorf mit den weit heruntergezogenen Dächern aus Stroh. Und nun hatte der Blitz eingeschlagen und das Bild des heiligen Wladi- mir mittendurch gerissen. Der heilige Wladimir von Perjekopsskaja war ein Wunderbild. 1914 hatte es begonnen, als die Kosaken im fernen Norden gegen die Deutschen ihre Attacken jagten. Die Weiber waren allein im Dorf, sie vermißten die Männer, gackerten wie die Hühner und hat- ten vor Sehnsucht schlaflose Nächte. Da hinein platzte eines Tages Iwan Iwanowitsch Schilow. Er war Kosak, verwundet am linken Arm, hatte Heimaturlaub und ließ sich von den Weibern bestau- nen. Einen Orden trug er sogar auf der Brust, aber das war es nicht, was die Frauen so wild machte. Schilow war kerngesund bis auf sei- 3 nen Arm, und – verdammt nochmal – er war ein Bild von einem Mann. Groß gewachsen, mit schwarzen Locken, einem Bärtchen auf der Oberlippe und harten Muskeln. Ifan Matwejewitsch, damals ein junger Priester, sah es mit verdun- kelten Augen: die Weiber kamen um den Verstand. Fast Schlange standen sie vor dem Haus Schilows, schlichen nachts durch dessen Garten, ließen die Türen ihrer Häuser offen oder trugen Decken in die Büsche am Don. »Er ist wie ein Stier!« seufzte Ifan. »Woher nimmt er das bloß?« Vor Ostern geschah dann das Wunder des heiligen Wladimir. Schi- low kam zur Beichte, um den Ostersegen reinen Herzens empfan- gen zu können, und erzählte Vater Ifan alles. Ifan Matwejewitsch wurde es schwarz vor Augen, als er die Na- men hörte, die Schilow herunterrasselte. Da fehlte kaum ein Frau- chen, selbst die Jungfrauen waren nicht verschont worden. Sogar Proskowja, die Frau des Dorfältesten, war dabei, und sie zählte im- merhin schon zweiundsechzig Jahre. »Ist das alles?« fragte Ifan mühsam. »Ich glaube, es sind alle«, antwortete Schilow demütig. Trotz sei- ner Potenz war er ein einfältiges Gemüt. In seinem Schädel lag mehr Luft als Hirn. »Habe ich einen Namen vergessen, Väterchen … was macht es? Ich habe die Kontrolle verloren –« Ifan Matwejewitsch starrte auf Schilows gesenkten Nacken. Dann sprach er mit dunkler Stimme: »Knie vor dem Bild des heiligen Wladimir und bete –« Schilow tat es, und da geschah das Wunder. Der Heilige sprach plötzlich zu ihm. Hohl, himmelsfern, ent- rückt, aber deutlich. »Dreh dich um, Schilow«, sagte er. Schilow gehorchte. Was dann passierte, erzählten Schilow und Vater Ifan mit heiligem Schauer. Der heilige Wladimir stieg aus der Ikone – Schilow sah es nicht, 4 denn er drehte ihm ja den Rücken zu –, und gab dem Sünder einen so mächtigen Tritt, daß Schilow wie aus einem Rohr geschossen durch die Kirche sauste, mit dem Kopf gegen die erste Betbank stieß und die Besinnung verlor. »O Gott!« sagte indessen Vater Ifan und hielt sich den rechten Fuß fest. »Hat der ein hartes Gesäß!« In der Sakristei zog er den Stiefel aus, konstatierte einen Bluter- guß im großen Zeh und hatte in den nächsten Tagen große Mühe, sich nicht durch Hinken zu verraten. Perjekopsskaja aber erstarrte in Ehrfurcht vor der Ikone. Schilow erzählte es jedem, wie der Heilige ihn bestraft hatte, und zwei Tage später fuhr er weg, in den Süden, nach Rostow, wo seine Schwester wohnte. Von Stund an galt der heilige Wladimir als Bestrafer der Ehebrecher. Immer wenn eine Frau vor ihm kniete und betete, be- kam deren Ehemann blanke Augen und stiftete heimlich eine dicke Kerze vor dem Wunderbild. Auch Vater Ifan, nun schon sechsund- fünfzig Jahre als Priester in Perjekopsskaja, lebte gut von der Furcht der Nesträuber. Sie brachten ihm heimlich Speck und Eier, Schin- ken und eingelegte kandierte Beeren, gesalzenen Fisch und dicke Sahne. »Sprich mit dem heiligen Wladimir«, hieß es dann immer. »Es war nur eine Verirrung bei mir. Bete für uns, Väterchen.« Das war nun vorbei. Der Blitz hatte das Bild zerfetzt. Der heilige Wladimir hatte Perjekopsskaja verlassen. Ifan Matwejewitsch tat etwas, was sonst nur noch zu Ostern und bei Katastrophen üblich war: er läutete die Glocke. Er ließ sie bimmeln, als brenne die Steppe, soweit das Auge reicht, oder der Don trete über die Ufer und ersäufe das Dorf. Eine halbe Stunde später war die kleine, bunt bemalte Holzkirche voller Menschen. Von den Feldern und aus den Gärten waren sie herangelaufen, sogar die Fischer hatten die Kähne ans Ufer gerudert und standen nun, nach Fisch stinkend, vor der geschändeten Iko- 5 nastase. Vater Ifan bekam rotumränderte Kaninchenaugen. Er sah auf Dimitri Grigorjewitsch Kolzow herab und freute sich, daß auch die- ser in der Kirche war. Man muß wissen: Kolzow war der Bürger- meister des Dorfes, Mitglied des Bezirkskomitees, Altbolschewist und Vorsitzender der Kolchose ›Triumph der Revolution‹. »Was ist das, he?« schrie Kolzow, als Ifan hinter der Ikonenwand hervortrat. »Läutet die Glocken wie ein Irrer! Was soll's?« »Wir sind vernichtet«, sagte Ifan dumpf. »Die Kirche ist längst am Ende!« schrie Kolzow zurück. Er war ein schwerer Mann mit grauen Haaren, die wie ein Kranz um seinen dicken Schädel lagen. Er trug das knielange Hemd der russischen Muschiks, um den Bauch mit einem breiten Lederrie- men gerafft. »Ist das ein Grund, die Glocke zu schlagen?« »Der heilige Wladimir ist vernichtet –« Ifan trat zur Seite. Über die Leute von Perjekopsskaja senkte sich erschrockenes Schweigen. Auch Kolzow, der Dorfsowjet, starrte auf das zerrissene Bild. Ihm wurde heiß unter dem Kragen, und er fuhr sich mit beiden Händen um den Hals. »Welcher Hund war das?« schrie einer aus der Menge. »Unser Wunderbild!« »Es war der Himmel!« sagte Ifan feierlich. »Ein Blitz, Brüder. Ein einziger Blitz nur im ganzen Land … und er traf uns!« »Ich habe ihn gesehen und gehört«, rief eine alte Frau. »Er zuckte aus dem blauen Himmel.« Ifan widersprach nicht. Es ist das Recht der Wunder, sich in der Phantasie zu verstärken. »Das Gnadenbild ist zerstört.« Ifan Matwejewitsch hob beide Ar- me gegen das Loch in der Kirchendecke. »Der Herr sei mit uns allen.« »Und was bedeutet das?« fragte Kolzow. Seine Kehle war wie zu- 6 geschnürt. Der Bolschewismus ist von den Menschen gemacht, dachte er, aber das hier war ein Fingerzeig Gottes. Selbst ein Blin- der kann nicht daran vorbeisehen. »Es wird ein Unglück geben«, sagte Vater Ifan dröhnend. »Noch in diesem Jahr wird über Perjekopsskaja Feuer regnen –« Die Männer und Frauen des kleinen Dorfes am Don senkten die Köpfe. Ein Unglück? Gab es einen neuen Krieg? Kamen die Deutschen wieder? »Wir werden aufpassen!« sagte Kolzow in die qualvolle Stille hin- ein. »Wir werden auf der Hut sein, Genossen –« ** Jelena Antonowna stand neben dem Leiter der Zollabfertigung hin- ter dem langen blanken Tisch und blickte auf die runde Uhr in der weiträumigen Flughafenhalle. Am Horizont, glitzernd gegen den blauen Frühlingshimmel wie ein Raubvogel mit silbernem Gefieder, senkte sich eine Turboprop- Maschine auf das Rollfeld. Die Fahrwerke waren ausgeschwenkt, drei Omnibusse fuhren dem Flugzeug über eine Betonstraße entge- gen. Aus den Lautsprechern schallte die Stimme der Sprecherin im Kontrollraum. »Flug 23, Prag-Moskau, landet in wenigen Minuten.« »Das ist sie«, sagte der Leiter der Zollabfertigung. »Die TU 104. Soll ich ihn schon im Omnibus ausrufen lassen?« »Nein. In der Halle. Ich will ihn mir aus der Ferne ansehen.« Je- lena Antonowna knöpfte die Jacke ihres hellblauen Sommerkos- tüms zu. Sie war ein hübsches Mädchen mit langen Beinen und ei- 7

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