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Leben in der multikulturellen Gesellschaft: Die Entstehung kleiner Unternehmer und die Schwierigkeiten im Umgang mit ethnischen Minderheiten PDF

211 Pages·1993·9.359 MB·German
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Wolf-Dietrich Bukow Leben in cler multikulturellen Gesellschaft Wolf-Dietrich Bukow Leben in der multikulturellen Gesellschaft Die Entstehung kleiner Unternehmer und die Schwierigkeiten im Umgang mit ethnischen Mi nderheiten Westdeutscher Verlag Alle Rechte vorbehalten © 1993 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. Das Werk einschliel1lich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung aul1erhalb der engen Grenzen des Urheberrechts gesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Obersetzungen, Mikrover filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt Gedruckt auf saurefreiem Papier ISBN-13: 978-3-531-12370-7 e-ISBN-13: 978-3-322-85849-8 DOl: 10.1007/978-3-322-85849-8 Inhalt VOnNort 7 Zur Sache 8 1. Ansatzpunkte 14 1.1 Die gesellschaftswissenschaftliche Perspektive muB umgekehrt werden 15 1.2 Die gesellschaftsgeschichtliche Perspektive muB einbezogen werden 19 1.3 Die Frage nach dem Umgang mit Minderheiten muB syste- matisch gestellt werden 27 1.4 Die Eigenschaften der fortgeschrittenen Industriegesell- schaften mlissen den Referenzrahmen der Analyse bilden 35 2. Minderheiten in fortgeschrittenen Industriegesellschaften 41 2.1 Die erste Eigenschaft: Formale Rationalitat 41 2.2 Die zweite Eigenschaft: Das republikanische Prinzip 49 2.3 Einheimische und Einwanderer, kulturelle Mehrheiten und ethnische Minderheiten 62 3. Restaurative Tendenzen und deren Folgen 68 3.1 Der Beginn einer neuen Restauration 69 3.2 Das Wiedererstarken des Nationalstaatsgedankens 75 3.3 Neue Rahmenbedingungen fUr die Lage der Einwanderer 82 3.4 Ethnisierung: Soziogenese ethnischer Minoritiiten im Alltagsieben 97 5 4. Strukturelle Verfestigung ethnischer Minderheiten 112 4.1 Ethnisierung und strukturelle Verfestigung 113 4.2 Der Weg der selbstandigen kleinen Minderheitenunternehmer 125 Zu Struktur und Ansatz der Untersuchung (125) Selbstandige klassische Einwanderer (132) SelbsUindige Gelegenheitseinwanderer (145) Selbstandige Minderheitenangehorige (150) Weitere Gruppen (154) 4.3 Eine neue Mittelklasse zwischen Ghettoisierung und Emanzipation 155 S. Multikulturelle Gesellsdtaft oder Nationalstaat 161 5.1 Die Modernisierung 163 5.2 Das Projekt einer NutznieBersolidargemeinschaft 170 5.3 Pladoyer fUr einen gesellschaftlich verantwortlichen Umgang mit Minderheiten 187 ABKURzuNGEN 198 LITERATURVERZEICHNIS 198 NAMENINDEX 2~ SACHINDEX 209 6 Vorwort Die Bundesrepublik ist eine multikulturelle Gesellschaft.l Vnd doch ist sie es nieht. Sie ist eine multikulturelle Gesellschaft, die zumindest nach offizieller Version keine sein will, sondem naeh wie vor und heute wieder ganz besonders von einem homogenen, ja nationalen Gemeinwesen triiumt. Diese im Grunde ein fache Feststellung zu entschlusseln und deren folgenreiche gesellschaftliehe Bedeu tung aufzuzeigen ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. Es ist - so trivial diese Feststellung aueh sein mag -ein schwieriges Vorhaben. Aber es ist auch ein wichti ges und dringend gebotenes Vnterfangen. Dies gilt nieht nur im Blick auf die natiir lieh ganz besonders betroffenen ethnischen Minderheiten. Es gilt fOr jedes Gesell schaftsmitglied, das sieh unter solchen paradoxen Bedingungen tagtiiglich und ganz lebenspraktisch zu orientieren hat und einen Standpunkt beziehen muB. Vnd dies gilt besonders fur den Sozialwissenschaftler, der in einem speziellen MaS, namlich als Wissenschaftler, gesellschaftliche Verantwortung fur die Gesellschaft, die er nieht nur thematisiert, sondern deren Teil er auch ist, tragt. Glucklieherweise sehen viele Menschen diese Paradoxie, auch wenn es im Au genblick so aussehen mag, als ob die Verfechter eines nationalistischen Gesell schaftsverstandnisses wieder die Oberhand gewinnen. Ich darf an dieser Stelle besonders den studentischen Mitarbeitern danken, weil sie sieh nieht irritieren lieBen und diese Problematik mit kleinen selbstandigen ethnischen Vntemehmern, die die angedeutete Problematik in geradezu exemplarischer Weise spiegeln, in vielen Gesprachen durchgegangen sind.2 Und ich darf dem Kollegen Roberto Uaryora danken, der wie bei den vergangenen Arbeiten stets rechtzeitig mit Kritik und GegenvorschUigen zur Hand war und von dort her die Arbeit maBgeblieh gefOrdert hat. Vnd schlieBlich: Die einzelnen Bausteine der Arbeit wurden in zahl reiehen Veranstaltungen "vor Ort" diskutiert und kritisiert. Dhne diese Kritik durch Alteingesessene und alte wie neue Einwanderer und Fliichtlinge ware diese Arbeit so nieht zustande gekommen. 1 Ich beabsichtige damit weder die Konstatierung eines "Problembestandes" noch die Etikettie rung einer neuartigen Entwicklung, sondern will damit nur eine Aussage fiber eine •g esellschaftliche Normalitat" Machen. Multikulturalitiit ist einfach eine Grundeigenschaft komplexer Gesellschaften. 2 Dies war noch vor der Novemberrevolution in der DDR. Die Gespriiche wurden 1988/89 durchgefUhrt und waren im Sommer 1989 abgeschlossen. 7 "Sobald die Nationalitat zum h6chsten Wert in einem Staat wird, wird der Mensch zu Bestie. Diesen Weg sind viele Volker gegangen. Das deu tsche Volk ist ihn zum Beispiel bis zum Ende gegangen. "1 Zur Sache Das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft konnte angesichts der Eigen schaften fortgeschrittener Industriegesellschaften eine eher selbstverstandliche und fraglos hingenommene Angelegenheit sein. Doch das Gegenteil ist der Fall. Das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft wird nicht nur in Frage gestellt oder in Zweifel gezogen, sondem die Sachlage selbst wird geleugnet, ja verdrangt, tabui siert, und entsprechende Erfahrungen werden blockierf. Stattdessen geht man nach wie vor von der imaginiiren Vision einer in sich mehr oder weniger einheitli chen, geschlossenen und ethnisch reinen Gesellschaft, ja von einem Nationalstaat aus. Wenn man dann gleichwohl auf eine multikulturelle Realitat trifft, nimmt man dies zum AnlaB, geeignete MaBnahmen zu ergreifen, urn "Ordnung" herzustellen.3 Eine der ersten MaBnahmen ist, einen Diskurs fiber den" Auslander" zu beginnen, urn ihn zu "skandalisieren"4. Vnd schon dies wird dann fUr alle besonders betrof fenen Bevolkerungsgruppen, namlich die ethnischen Minderheiten5, sehr schnell brisant.6 1 Yeshayahu Leibowitz in der FR 13/5/1988. 2 Vgl. O.Negt, A.Kluge: Offentlichkeit und Erfahrung. Frankfurt 1972 S.64f. 3 Genau das wird mit dem neuen Auslandergesetz von 1990 beabsichtigt. 4 M.Brum1ik: Was heiBt Integration? In: A.Bayaz, M.Damolin, H.Ernst (Hg.): Integration: AnRasssung an die Deutschen. Weinheim 1984 5.75££. 5 Urn welche Gruppen handelt es sich? Nur urn "Auslander"? Konrad Kwiet hat analoge Probleme im Umgang mit Juden konstatiert. Ich denke, hier muB so grundsatzlich, namlich im Blick auf die Herstellung und Handhabung von Minderheiten uberhaupt gefragt werden. (K.Kwiet: Judenverfolgung und Judenvernichtung im Dritten Reich. In: D.Diner (Hg.): 1st der Nationalsozia lismus Geschichte? Frankfurt 19875.237££., hier 5.248) 6 Ein geradezu paradigmatisches Beispiel ist das Schicksal von FlUchtlingen, die in der Bundes republik Asyl erhalten haben oder doch zumindest geduldet werden. Hier gibt es mitunter re gelrechte Verfolgungsszenen, etwa den Fall einer alleinstehenden Mutter mit sechs Kindem (BNN 16/12/1989) im Raurn Karlsruhe, die sich einer sich selbst stetig weiter aufschaukelnden Ethnisierung ("Arabische Frauen konnen selbstandig keine Kinder erziehen" - eine pfarrfrau), Kriminalisierung ("solche Kinder sind Kriminelle" -der Landrat) ausgeliefert sieht. Das geht so wei!, daB die ortliche Polizei diese Kinder im Gewahrsam bedroht und schlagt. Und der NPD-Kreisverband macht Stimmung mit FlugbIattem. Nicht dieser Fall an sich, sondem das reibungslose Zusammenspiel zwi schen den Behorden und den verschiedenen lokalen Reprasentanten in diesem Fall ist die eigentliche 8 Zunachst einmal kann man jedenfalls feststellen, und das ist insoweit sicher lich nicht zu bestreiten: Die offentliche Diskussion wird mehr und mehr von dem Thema "Auslander" gepragt. Zeitweise wurde sogar behauptet, dem Thema kame eine mehr oder weniger direkt wahlentscheidende Bedeutung zu, Regierungen wiirden letztlich iiber dieses Thema bestimmt? Die Wahlen in Berlin vom Januar 1989 wurden jedenfalls das erste Mal von allen Seiten in dieser Weise gedeutet, wobei man freilich direkt nur von der "politischen Institutionalisierung" dieser Fragestellung, den Republikanem, spricht. 8 Offenbar wird die offentliche Dis kussion in dieser Angelegenheit immer prinzipieller. Und sie wird politisch immer starker aufgeladen. Schon fragt man -zumal nach den neuen Entwicklungen in der DDR -, mit welcher Berechtigung "Auslander" iiberhaupt in die Bundesrepublik kommen, die Bundesrepublik sei grundsatzlich kein Einwanderungsland. Worum geht es in der Diskussion eigentlich? Geht es bloB darum, neue Ein wanderer abzuwehren und die Grenzen endgiiltig zu schlieBen? Oder geht es auch darum, gegeniiber den langst hier lebenden Einwanderem repressive MaBnahmen zu ergreifen? 5011 ihnen untersagt werden, am gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik teilzunehmen oder sollen sie sogar im Alltag entrechtet werden? la, solI nicht auch versucht werden, diese Menschen zurUckzudrangen, also sie zur Riickwanderung zu bewegen? Es geht moglicherweise schon weiter, falls ernst gemeint sein sollte, was ein Minister der Bayrischen Landesregierung jiingst er klarte, namlich daB "eine Durchrassung des deutschen Volkes" drohe.9 Mit ande ren Worten, die Multikulturalitat Mitteleuropas solI nicht nur geleugnet, sondem brisante Pointe. 7 In Baden-Wl1rttemberg wird das Auslanderthema bereits seit 1973 immer wieder fUr die Landtagswahlen funktionalisiert. Dagegen haben sich jedoch aIle Parteien auBer der CSU bis 1985 gewehrt. Der langjahrige Generalsekretiir der CDU GeiBler wamte noch bei den Bundestagswahlen 1987 davor, dieses Thema fUr den Wahlkampf einzusetzen. Das war freilich zu diesem Zeitpunkt bereits vergeblich. 8 Tatsachlich haben es die rechten Stromungen in der BRD geschafft, das "Auslanderthema" zu einem "Auslanderproblem" von erheblicher politischer Brisanz zu entwickeln und es gleichsam als Partei zu institutionalisieren. Dies gelingt das erste Mal in Bremen in der Form der Liste-D, einem Zusammenschlu.B von NPD und DVU. im Sept.1987, wo diese Gruppe mit insgesamt drei Mandaten in die Gremien einzieht. Und es gelingt das zweite Mal in Berlin, wo die Republikaner am 29.1.1989 8,5% erzielen und damit nicht nur 11 Mandate erhalten, sondem sogar zwei Abgeordnete fur den Bundestag stellen konnen. Gleichzeitig haben sie damit den CDU-Senat von Berlin gesllirzt. Seitdem hat sich dieser Trend in den Kommunalwahlen von Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Wl1rttemberg verstarkt. Oft genug sind dabei Biirgermeister und Landrate gestiirzt worden. (Vgl. R.5tOss: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik. Opladen 1989 S.192ff.). Und im November 1989 fordert einer der "Leittheoretiker" der Republikaner, Rohrmoser (Studienzentrum Weikersheim -CDU), die "Frage der nationalen und multikulturellen Zukunft Deutschlands" miisse zum Wahlkampfthema Nummer 1 gemacht werden (zitiert nach der TAZ 21/1111989). 9 So jedenfalls au.Berte sich erst jl1ngst ein bayrischer Minister (zitiert nach Kolner Stadtanzeiger vom 20.1.1989.) 9 die Vision einer homogenen Gesellschaft zur Realitat gemacht werden, wobei volkisch-nationale Konzepte Geburtshilfe leisten. Und ~o werden die Probleme festgemacht? Die in diesem Zusammenhang geaufierten Uberlegungen oder Bedenken beziehen sich teils auf die Minderheiten ("sie passen nicht zu uns"), teils auf die Einheimischen ("die nationale Identitiit sei gefahrdet") und teils auf beide Seiten. Oberwiegend jedoch macht man die ganze Diskussion an den Minderheiten, den Einwanderem und Fliichtlingen fest. Was auch immer diskutiert wird und wo auch immer die Probleme fest gemacht werden, letztlich geht die einhellige Meinung dahin, daB allein mit der Existenz ethnischer Minderheiten eine Problematik von erheblicher Brisanz vorliegt, die eine mehr oder weniger ausgepragt restrlktive LOsung erfordere. Die Argumen te in dieser Richtung werden laufend eindeutiger. Man kann iiberhaupt feststellen, daB diese Angelegenheit im Verlauf der Geschichte der Bundesrepublik eine schritt weise Zuspitzung erfahren hat. Wie kommt es zur Verdrangung der Multikulturalitat Mitteleuropas, zur Her ausarbeitung eines "Auslanderproblems" und zu einer derartigen Zuspitzung? Hat diese Sichtweise vielleicht zunachst einmal damit zu tun, daB hier langst nicht mehr mit der gebotenen Sachlichkeit, mit den bei einer solchen Fragestellung erforder lichen Kenntnissen, eben nicht in einem entsprechenden VerantwortungsbewuBt sein nachgedacht, argumentiert und gehandelt wird? Ein solcher Eindruck drangt sich nicht erst seit heute auf. Und er betrifft auch nicht nur das vorliegende Feld. Ganz zu Recht spricht Ulrich Beck von einer • organisierten Unverantwortlich keit" .10 Ein derartiger Eindruck ist insbesondere am Fall des "Auslanders" kaum von der Hand zu weisen, zumal wenn man endlich beginnt, die Karten auf den Tisch zu legen. Diese Sichtweise hat dann aber auch damit zu tun, daB die ganze "A usllinderproblematik" zu einem Vehikel fUr spezifische politische Steuerungs interessen wird. Sie wird zum Resonanz£eld populistischer MaBnahmen ausgebaut. Und auch dies betrifft nicht nur den vorliegenden Komplex, wie Helmut Dubiel mehrfach zeigen konnteY Es wird Zeit, statt weiter die Probleme der Minderheiten als Migrantenproble me zu beschworen, die Schwierigkeiten im Umgang mit Einwanderem zu thema tisieren12, generell die Situation von ethnischen Minderheiten aufzuarbeiten13 10 U.Beck: Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit. Frankfurt 1988 z.B. S.103ff. Seine Ar~entation gilt nicht nur gegenuber der Um-, sondem auch der Mitwelt. 11 H.Dubiel: Das Gespenst des Populismus. In: Ders. (Hg.): Populismus und Aufk1iirung. Frankfurt 1986 5.33££. 12 Die Formulierung "Die Schwierigkeiten, mit Einwanderem umzugehen" spielt ganz bewuBt auf die Arbeit von A.Kalpaka und N .Rathzel (Dies. < Hg. >: Die Schwierigkeit, nicht rassistisch zu sein. Berlin 1986) an, wobei ich bier eine weitergehende Perspektive aufgreife. Es geht nicht bloB um eine alltagskulturelle Einstellungsfrage. Die Schwierigkeitenhaben eine gesamtgesellschaftliche Tiefe. 13 Es ist keineswegs selbstverstandlich, "Auslander", Fluchtlinge usw. zusammen unter dem 10 und in den Zusammenhang einer multikulturellen Gesellschaft zu rUcken. Damit , ware gleichzeitig auch der Standpunkt markiert, von dem aus ein gesellschaftlich verantwortlicher Umgang mit Minderheiten diskutiert werden konnte. Auch dies gehOrt zur vorliegenden Thematik. Dieser letzte Punkt bedarf vielleicht noch einer Erkliirung. Die Frage nach dem Umgang mit Minderheiten und insbesondere nach dem Zusammenhang von Verantwortung und Minderheiten ist auf den ersten Blick sicherlich eine rein praktisch-politische Angelegenheit. Aber sie ist, genauer betrachtet, auch eine Frage der politischen Kultur einer Gesellschaft, ja von Kultur tiberhaupt.14 Und sie wird damit zu einer Frage, die direkt mit der Wissenschaft zu tun hat - z.B. mit den Sozial- und den Geschichtswissenschaften als Kulturwissenschaften. Was die Sozialwissenschaften betrifft, gilt dies sogar in vielfacher Weise. Zuniichst einmal tragen die Sozialwissenschaften als Sozialwissenschaft ganz unmittelbar und sogar recht erheblich zum gesellschaftlichen Umgang mit dieser Thematik bei und konnen gleichzeitig auch etwas tiber den allgemeinen gesellschaftlichen Umgang mit der Sache aussagen. Mit anderen Worten: Eine derartig ausgerichtete Wissenschaft ist ganz direkt und noch dazu auf eine doppelte Weise in diese Angelegenheit ver wickelt. Schon daraus ergibt sich die Verpflichtung, den von der Sache her offen kundigen Verflechtungen der Wissenschaft mit ihrem Gegenstand auch gerecht zu werden. Abgesehen davon ist die Sozialwissenschaft auch Tei! wissenschaftlicher Theoriearbeit und hat insofem genauso eine allgemeine gesellschaftliche Verantwor tung wahrzunehmen. Gerade die Soziologie ist von ihrer Entwicklung her seit der Aufkliirung immer schon aufs engste mit gesamtgesellschaftlich relevanten Prozes sen in kritischer Distanz verbunden.15 So findet die allgemeine gesellschaftliche Verantwortung hier eine Entsprechung in einer speziellen wissenschaftlichen Verantwortung.16 Begriff "Ethnische Minderheiten" zu surnrnieren. Dies geschieht hier jedoch aus guten Grunden. Es zeigt sich namlich, daB aIle diese Bevolkerungsgruppen in der BRD letztendlich als ethnische Minderheiten -aus welchen Grunden auch immer -in Erscheinung treten. Und dies ist der brisan teste Punkt am Gegenstand der Analyse, wei! das niimlich moglich macht, die Auslanderthematik unter dem Gesichtspunkt der Minderheitenproblematik zu entfalten. Damit wird letzlich eine Ver wandtschaft zwischen den vielen historisch bekannten ethnischen Minderheiten und der gegen wartigen "Auslander" -Bevolkerung postuliert, eine Verwandtschaft, die natiirlich nicht aus der 5ache selbst heraus begriindbar ist, sondem durch gesellschaftliche Definitionen hergestellt wird (vgl. W.D.Bukow, R.Uaryora : Mitbiirger aus der Fremde. Opladen 1988). 14 Vgl. U.Rode\, G.Frankenberg, H.Dubiel: Die demokratische Frage. Frankfurt 1989 Tei! VI. 15 Die spezielle Verantwortung der 50ziologie fUr die gesellschaftliche Entwicklung wird wohl heute kaum noch bestritten werden konnen. Dies hat bereits Max Horkheimer in seiner Ausein andersetzung mit der traditionellen Theorie deutlich gemacht (M.Horkheimer: Traditionelle und kritische Theorie. Frankfurt 1970 S. 12f£'). 16 Unter Riickgriff auf Jiirgen Habermas konnte man feststellen, daB sich die Verantwortung nicht nur des Wissenschaftlers heute immens ausdehnt, einfach wei! mehr und mehr Eingriffsmiig lichkeiten geschaffen wurden und werden. (Vgl. Gesprach mit Jiirgen Habermas: Grenzen des Neohistorismus. In: Frankfurter Hefte 361198914 5.37O£f, hier 5.374.). 11

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