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Kriegsland im Osten. Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg PDF

372 Pages·2018·2.485 MB·German
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Vejas Gabriel Liulevicius Kriegsland im Osten Eroberung, Kolonisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg Aus dem Amerikanischen von Jürgen Bauer, Edith Nerke und Fee Engemann HHaammbbuurrggeerr EEddiittiioonn Hamburger Edition HIS Verlagsges. mbH Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung Mittelweg 36 20148 Hamburg www.hamburger-edition.de © der E-Book-Ausgabe 2018 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-937-9 E-Book Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde © der deutschen Neuausgabe 2018 by Hamburger Edition ISBN 978-3-86854-322-3 Deutsche Erstveröffentlichung 2002 by Hamburger Edition © der Originalausgabe 2000 by Vejas Gabriel Liulevicius Veröffentlicht 2000 by Cambridge University Press Titel der Originalausgabe: »War Land on the Eastern Front. Culture, National Identity, and German Occupation in World War I« Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras Umschlagfoto: »Deutsche Truppen gehen in der Richtung auf Dünaburg vor«, 1915. Bundesarchiv Bild 183 / S-12301 Typografie: Jan Enns Satz: Utesch GmbH, Hamburg Inhalt Vorbemerkung zu Methodik und Quellen 7 Einleitung 9 Ankunft im Kriegsland 22 Die militärische Utopie 72 Die Verkehrspolitik 116 Das Kulturprogramm 143 Das deutsche Bild vom Osten 189 Die Krise 217 Der Freikorps-Wahnsinn 278 Der Triumph des Raums 301 Schlußbemerkung 337 Danksagung 341 Abkürzungen 342 Verzeichnis der Karten 342 Bibliographie 343 Register 363 Zum Autor 375 Vorbemerkung zu Methodik und Quellen Diese Studie will vor allem deutlich machen, welche Vorstellungen die deut- schen Besatzer von ihren eigenen Aktivitäten in den im Ersten Weltkrieg er- oberten osteuropäischen Gebieten hatten, also welche Denkweise, welche laut geäußerten oder unausgesprochenen Gedanken der deutschen Herr- schaft zugrunde lagen und ihre Ziele bestimmten, und wie dieses Gedanken- gut in die Praxis umgesetzt wurde. Dabei warfen die offiziellen deutschen Dokumente und die osteuropäischen Quellen, die im Zuge der Untersu- chung auszuwerten waren, eine Reihe methodischer Probleme auf. Ein Teil des Untersuchungsgegenstands waren die vom Militärregime er- stellten offiziellen deutschen Dokumente. Sie geben den »Blick von oben« auf die besetzten Gebiete wieder, lassen die Absichten der Militärs im besten Licht und die Schwierigkeiten, inneren Widersprüche und Widerstände eher unbedeutend erscheinen. Bei kritischer Lektüre dieser Schriftstücke zeigt sich, mit welchen Zielen und Ideen disparate politische Maßnahmen zu einer übergreifenden Vision vom Osten und seiner zukünftigen Gestalt – nach der Umformung durch die deutsche Herrschaft – verknüpft wurden. Den ergänzenden »Blick von unten« liefern einheimische Dokumente, das heißt Schriftstücke, die von der lokalen Bevölkerung verfaßt wurden (vor al- lem von Angehörigen der litauischen Volksgruppe). Sie unterscheiden sich ganz erheblich von den amtlichen Dokumenten der Verwaltung von Ober Ost mit ihrer uneingeschränkten staatlichen Autorität und Verwaltungsho- heit einschließlich der Verfügungsgewalt über alle Statistiken. Diese nicht- amtlichen Dokumente sind Erinnerungen und Zeugnisse einzelner Men- schen mit häufig anekdotenhaftem Charakter, die erst eine gewisse Zeit nach der Besatzung schriftlich festgehalten wurden. Bedingt durch die fehlende Ordnung und die Armut, die nach Kriegsende in Osteuropa herrschten, so- wie aufgrund der Tatsache, daß sich den nunmehr unabhängigen Staaten vie- le andere dringende Aufgaben stellten, wurden allerdings keine persönlichen Erfahrungsberichte verfaßt, die einen ähnlich maßgeblichen Eindruck von der Lage vermittelt hätten wie die offiziellen Dokumente der Besatzungs- macht. Was gesammelt wurde, sind Zeugenberichte und Schilderungen, die Bruchstücke der Alltagsgeschichte und der täglichen Erfahrungen der ein- heimischen Bevölkerung mit dem Besatzungsregime bewahren. Diese in oft sehr schlichter Form verfaßten persönlichen Zeugnisse tragen gleichwohl zu einem umfassenden Bild von der Erfahrung mit dem deutschen Besatzungs- 7 regime in Osteuropa bei. Auch wenn in ihnen gelegentlich melodramatische und nationalistische Elemente vorkommen, werden doch wiederkehrende Bilder und identische Erfahrungen der einfachen Menschen mit dem Besat- zungsregime sichtbar (wobei dieselben Quellen oft auch wenig schmeichel- hafte Darstellungen des Verhaltens der Einheimischen unter deutscher Be- satzung enthalten). Diese wichtige Ergänzung zum Korpus der amtlichen deutschen Dokumente korrigiert die allgemeinen Feststellungen über den Erfolg von Programmen und Initiativen und verdeutlicht, daß der alltägliche Kontakt zwischen Besatzern und Besetzten weniger von (durchaus zu beob- achtendem) gutem Willen und Großzügigkeit gekennzeichnet war, sondern in erster Linie von Unterordnung, Gewalt und Angst. Methodisch gesehen sind diese Quellen zwei unterschiedlichen Typen zu- zuordnen. Bei den einen handelt es sich um offizielle Schriftstücke mit amt- lichem Charakter, bei den anderen um persönliche, private Quellen, die die Erfahrungen der einheimischen Bevölkerung während der Besatzung aufzei- gen. Wer zu einem umfassenden Bild von Zeit und Ort gelangen will, muß beide Quellentypen zur Analyse des Besatzungsregimes heranziehen. Pennsylvania, im Juli 2001 8 Einleitung Die Erfahrungen, die die deutschen Soldaten im Ersten Weltkrieg an der Westfront beziehungsweise an der Ostfront machten, schienen Welten von- einander entfernt. Diese verschiedenen »Welten« führten zwangsläufig zu unterschiedlichen »Fronterlebnissen« (selbst bei Soldaten, die an beiden Fronten kämpften), die folgenschwere Konsequenzen während des Krieges und danach haben und zum Zeugnis für die Auswirkungen des Krieges auf die ganze Kultur werden sollten. Während es »im Westen nichts Neues« gab, nur die bekannte Hölle aus Schlamm, Blut und Granatfeuer in den Schützen- gräben, mußten die Millionen Soldaten, die zwischen 1914 und 1918 an der Ostfront kämpften, Feuerproben ganz anderer Art bestehen. Was sie dort sa- hen, in den zumeist unbekannten Gegenden und unter den fremden Völkern, sei es an der Front oder in den riesigen besetzten Gebieten hinter der An- griffslinie, hinterließ bleibende Eindrücke. Die entscheidenden ersten Ein- drücke wiederum sollten das Bild der Deutschen von den Ländern und Men- schen im Osten nachhaltig prägen – nicht nur während des Krieges, sondern auch in den darauffolgenden Jahren, bis sich schließlich die Nationalsoziali- sten dieses Gedankenguts bemächtigten und es im Sinne ihrer Neugestaltung Europas radikalisierten. So gesehen waren die Erlebnisse an der Ostfront ein »verborgenes Vermächtnis« des Weltkriegs von 1914 bis 1918. Die Nieder- lagen in diesem Krieg hatten weitreichende Folgen, denn aus den realen Be- gegnungen entwickelte sich im Laufe von vier Jahren ein Bild vom Osten, das irreale und auch brutale Zielsetzungen beförderte. Wichtig ist, daß beim Ein- marsch deutscher Soldaten unter Führung der Nationalsozialisten in die Län- der Osteuropas nicht zum ersten Mal deutsche Armeen in diese Gebiete ka- men. Im Gegenteil: Die Ostfronterlebnisse von 1914 bis 1918 bildeten den unerläßlichen kulturellen und psychologischen Hintergrund für das, was sich später in diesem blutigen 20. Jahrhundert noch ereignen sollte; sie formten die dafür notwendige Einstellung. Diese Untersuchung will das Gedankengut und die Vorstellungen aufzei- gen, die sich aus den Erlebnissen der deutschen Besatzer an der Ostfront heraus entwickelten. Vor allem sollen die psychologische Dimension des Er- lebnisses und das Bild vom Osten, das dadurch geprägt wurde, ausgeleuchtet werden. Das gedankliche Konzept eines aufrüttelnden Fronterlebnisses, das die Menschen von Grund auf wandelte, war nicht nur während des Ersten Weltkriegs, sondern vor allem danach von großer Bedeutung in Deutsch- 9 land, wo Millionen von Menschen nach einem zwingenden, »erlösenden« Sinn suchten für die Opfer eines globalen Kampfes, der in einer Niederlage geendet hatte. Im Westen war dieses Fronterlebnis von einer Material- schlacht geprägt, von all den technischen Auswüchsen der furchtbaren Zermürbungsschlachten wie vor Verdun und an der Somme. Dieses West- fronterlebnis, symbolisiert durch den Stellungskrieg im Schützengraben, hat einem großen Mythos des Ersten Weltkriegs zufolge einen »neuen Men- schen« ins Leben gehämmert, eine menschliche Kriegsmaschine, den gestähl- ten »Frontkämpfer«. Nach dem Krieg wurde in den Büchern des ehemaligen Stoßtruppführers Ernst Jünger und in der Flut der sogenannten »Soldatenli- teratur«, die Deutschland gegen Ende der zwanziger Jahre überschwemmte, mit der Figur des Elitesoldaten der »Sturmtruppen« ein neues und gewalttä- tiges Heldenmodell gezeichnet und mit der »Frontgemeinschaft« das militä- rische Modell einer Gesellschaft entworfen, die angeblich die Schwächen des liberalen Individualismus und, in einer wahrhaft egalitären Situation, auch die Klassentrennung überwunden hatte. Die technische Moderne und der Materialismus würden durch den Geist einer im Kampf geschmiedeten Elite ebenfalls überwunden: Die gestählten Helden des Schützengrabens gewön- nen in diesem modernen Krieg zusehends an Bedeutung, während der ge- wöhnliche einzelne Mensch immer weniger gelte. Selbst Remarque, der in seinem pessimistischen Werk den Staat anklagt, in der »Blutmühle« der Westfront zahllose Unschuldige verheizt zu haben, bekennt schwermütig, daß die gesamte Generation durch dieses Erlebnis verändert wurde und, so verwundet und verkrüppelt sie auch sein mochte, in ihrer Gesamtheit doch ein revolutionäres Potential in sich barg. Natürlich waren derlei Gedanken keine realistischen Beschreibungen der Gesellschaft, sondern vielmehr Aus- schmückungen eines Mythos. Doch Mythen bleiben nicht ohne Folgen. Das mythologisierte Erlebnis an der Westfront lieferte Schubkraft und Symbole nicht nur für die Militarisierung der Politik, sondern auch für die Akzeptanz politischer Gewalt im Deutschland der Zwischenkriegszeit. Während sich das mythische Bild im Westen immer klarer herauskristalli- sierte, verschwamm es im Osten zusehends. Dort blickte der deutsche Soldat mit weit aufgerissenen Augen in eine fremde Welt, auf fremde Menschen und neue Horizonte, und er spürte, daß diese Begegnung ihn ebenfalls veränderte, und zwar durch das, was er hier sah und tat. Die Armeen im Osten fühlten sich verloren, weitab von den Grenzen der Heimat, in riesigen, besetzten Ter- ritorien, von denen die meisten kaum etwas wußten. Vor dem Krieg hatte kaum ein Deutscher direkte Erfahrungen mit seinen unmittelbaren östlichen Nachbarn gemacht. Norbert Elias, der später als Soziologe berühmt wurde, erinnerte sich daran, daß er – immerhin Student – bei Ausbruch des Krieges 10 von Rußland nichts, rein gar nichts gewußt habe. »Der Zar und die Kosaken – alles Barbaren. Der barbarische Osten – das überstieg unser Vorstellungs- vermögen.«1 Im Verlauf des Krieges sollten diese hohlen Gemeinplätze dann, gestützt zum einen auf die persönlichen, unmittelbaren Erfahrungen der Sol- daten und zum anderen auf die Politik und die Praktiken der Besatzungs- macht, durch konkrete Details und anekdotenhafte Verallgemeinerungen über den Osten ersetzt werden. Das Erlebnis an der Ostfront illustriert somit, wie das moderne Deutsch- land den Osten und die dortigen Gestaltungsmöglichkeiten wahrnahm. Mil- lionen von Soldaten durchlebten diese Erfahrung persönlich, aber auch zu Hause wurden unzählige Menschen von der Militärpropaganda über den Osten beeinflußt und fielen der annexionistischen Begeisterung anheim, von der bereits ein erheblicher Teil der Bevölkerung ergriffen war. Auch wenn die Erfahrungen der einzelnen Soldaten an der Ostfront nicht in jedem De- tail übereinstimmten, finden sich doch zahlreiche gemeinsame Grundannah- men und Sichtweisen. Sie unterschieden sich deutlich von den Erfahrungen im Westen. Zunächst einmal stand der Aufenthalt im Osten ganz im Zeichen der Okkupation durch die Deutschen. Anders als im industrialisierten Bel- gien und in Nordfrankreich hatten es die deutschen Besatzer hier jedoch nicht mit modernen, entwickelten Ländern zu tun, sondern trafen auf eine Situation, die dem Bild vom primitiven Chaos des Ostens zu entsprechen schien. Der zweite entscheidende Unterschied kristallisierte sich erst gegen Kriegsende heraus – ein grundlegender, aber häufig übersehener Punkt: Nachdem die Russen im März 1918 zum Abschluß des Friedens von Brest- Litowsk gezwungen worden waren, schien der Krieg bereits zur Hälfte ge- wonnen. Dieser scheinbare Sieg im Osten machte es um so schwerer, die im Sommer desselben Jahres durch die Schwächung der Deutschen im Westen und etwas später durch den revolutionären Zusammenbruch in der Heimat herbeigeführte Niederlage hinzunehmen. Die aus dem Ostfronterlebnis und seinem Scheitern gezogenen Schlußfolgerungen und Lektionen sollten zur Herausbildung eines verborgenen Vermächtnisses des Ersten Weltkriegs führen. In der wissenschaftlichen Literatur zum Ersten Weltkrieg ist der Krieg an der Ostfront nach wie vor weitgehend der »unbekannte Krieg«, wie ihn Winston Churchill im Titel seines vor fast siebzig Jahren erschienenen Wer- kes nennt.2 Seitdem haben sich viele Standardwerke zum Ersten Weltkrieg 1 Norbert Elias, Reflections on a Life, Cambridge, Mass. 1994, S.19f. 2 Winston S. Churchill, The Unknown War: The Eastern Front, New York 1931. 11 mit den Ereignissen im Westen befaßt – und nur gelegentlich den Blick auf die Ostfront gerichtet.3 Erst das exzellente Werk von Norman Stone, »The Eastern Front, 1914–1917«, geht im Detail auf die militärischen Ereignisse im Osten ein.4 Einen besonders wichtigen Beitrag zum tieferen Verständnis der Bedeutung des Ostens für die deutschen Kriegsziele sowie der interna- tionalen Verflechtungen leistete Fritz Fischer mit seinem 1961 erschienenen Werk »Griff nach der Weltmacht«, das eine heftige Kontroverse auslöste.5 Fischer dokumentiert die annexionistischen Ansprüche im Osten und stellt eine gewisse Kontinuität der Ziele des Kaiserreichs und derer des national- sozialistischen Regimes fest. Es folgten detaillierte Monographien, die auf dem von Fischer eingeschlagenen Weg weitergingen und einige seiner Schlußfolgerungen teilten.6 Doch weder in diesem Zusammenhang noch im Rahmen allgemeinerer Untersuchungen der Beziehungen Deutschlands zu Osteuropa wurde jemals umfassend analysiert, welche Bedeutung das Erleb- 3 In Untersuchungen neueren Datums wird dieser Themenbereich umfassender behandelt: Jay M.Winter, The Experience of World War I, Oxford und New York 1989; Bernadotte E. Schmitt und Harold Vedeler, The World in the Crucible, 1914–1918, New York 1984; Holger H. Herwig, The First World War: Germany and Austria-Hungary, 1914–1918, London 1997. 4 Norman Stone, The Eastern Front, 1914–1917, New York 1975. 5 Fritz Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/1918, Düsseldorf 1961; Wolfgang J. Mommsen, The Debate on German War Aims, in: Journal of Contemporary History (Juli 1966), S.47–72. 6 Gerd Linde, Die deutsche Politik in Litauen im ersten Weltkrieg, Wiesbaden 1965; A. Strazhas, Deutsche Ostpolitik im Ersten Weltkrieg. Der Fall Ober Ost 1915– 1917, Wiesbaden 1993; A. Strazhas, The Land Oberost and its Place in Germany’s Ostpolitik, 1915–1918, in: Stanley V. Vardys und Romualdas J. Misiunas (Hg.), The Baltic States in Peace and War, 1917–1945, University Park, Penn. 1978, S.43–62; Wiktor Sukiennicki, East Central Europe During World War I, 2 Bde., Boulder, Col. 1984; Pranas Eepinas, Nauj7j7 laik7 Lietuvos istorija, 2 Bde., Chi- cago 1976. Weitere Studien: Georg von Rauch, Geschichte der baltischen Staaten, 3. Aufl., München 1990; Werner Basler, Deutschlands Annexionspolitik in Polen und im Baltikum, Berlin 1962; Börje Colliander, Die Beziehungen zwischen Litauen und Deutschland während der Okkupation 1915–1918, Dissertation, Universität Åbo 1935; Stanley W. Page, The Formation of the Baltic States. A Study of the Effects of Great Power Politics on the Emergence of Lithuania, Latvia and Estonia, Cambridge, Mass. 1959; Alfred Erich Senn, The Emergence of Modern Lithuania, New York 1959; Marianne Bienhold, Die Entstehung des Litauischen Staates in den Jahren 1918–1919 im Spiegel deutscher Akten, Bochum 1976. 12 nis an der Ostfront für die Masse der einfachen Soldaten hatte, und welche kulturelle Auswirkungen es zeitigte.7 Bis heute existiert noch kein klares Bild von der Bedeutung der Geschehnisse im Osten. In den letzten Jahrzehnten erhielt die Forschung zum Ersten Weltkrieg neuen Schwung, als man sich mit den kulturellen Auswirkungen des Krieges zu befassen begann, der durch den Bruch mit Traditionen, die Auflösung und Neugestaltung alter Gewißheiten und den Zerfall von Weltreichen eine neue Epoche eingeleitet hatte. In diesen Untersuchungen beschränkt sich der Begriff »Kultur« nicht auf den Bereich der »hohen Künste«, sondern ist brei- ter und anthropologisch definiert: er umfaßt die Werte einer Gesellschaft, die vorherrschenden Gedanken und Perspektiven. Seit den siebziger Jahren konzentrieren sich die Untersuchungen zum Ersten Weltkrieg auf den Aspekt der entscheidenden Erfahrungen, die die moderne Gesellschaft mit- geprägt haben. John Keegan hat mit seinem wertvollen Beitrag den Weg ge- ebnet zu einem neuen Verständnis der kulturellen Bedeutung des Krieges und der Kriegserfahrungen der einfachen Menschen, indem er mit Nach- druck darauf verwies, daß das Gemeinsame aller Kriege dem Menschsein ent- spricht.8 Die Vorherrschaft des sozialgeschichtlichen Ansatzes verstärkte die Konzentration auf persönliche Erfahrungen als Kategorie der historischen Analyse und beförderte Untersuchungen, die über eine Chronologie der mi- litärischen Ereignisse hinausgehen und nach Interpretationen suchen, die die Teilnehmer am Ersten Weltkrieg aus ihren Erfahrungen ableiteten. Paul Fus- sell skizziert die Mythen des Ersten Weltkriegs als »historische Erfahrung mit unübersehbarer künstlerischer Bedeutung«, die von britischen Schrift- stellern und Dichtern erlebt und aufgearbeitet wurde.9 Andere Analysen konzentrieren sich auf den sozialhistorischen Aspekt des Stellungskriegs an der Westfront.10 Auf der Grundlage dieser Arbeiten bemühten sich die Kul- turhistoriker, die Bedeutung des Ersten Weltkriegs für die Herausbildung der für die Moderne charakteristischen Konturen zu ermitteln. Robert Wohl 7 Walter Laqueur, Russia and Germany: A Century of Conflict, London 1965; Günter Stökl, Osteuropa und die Deutschen. Geschichte und Gegenwart einer spannungsreichen Nachbarschaft, 3. Aufl., Stuttgart 1982. 8 John Keegan, Das Antlitz des Krieges. Die Schlachten von Azincourt 1915, Waterloo 1815 und an der Somme 1916, Frankfurt am Main und New York 1991, S.374–388. 9 Paul Fussell, The Great War and Modern Memory, Oxford 1975, S. IX. 10 John Ellis, Eye-Deep in Hell: Trench Warfare in World War I, New York 1977; Eric J. Leed, No Man’s Land: Combat and Identity in World War I, Cambridge 1979. 13

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