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Krieger und Gelehrte Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg PDF

725 Pages·2010·2.081 MB·German
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licher Gegnerforschung und seiner Kritik der Was haben linke Intellektuelle wie Herbert westlichen Moderne, die er seit Beginn der Marcuse, Otto Kirchheimer und Franz Neumann e 1960er Jahre radikalisierte, zu entdecken? mit den amerikanischen Geheimdiensten zu Was haben Herbert Marcuse, Otto Kirchheimer und Franz t Eindrücklich beschreibt Tim B. Müller, dass tun? Anfang der 1940er Jahre nimmt eine r der Kalte Krieg auch ein Krieg der Ideen und Neumann mit den amerikanischen Geheimdiensten zu tun? Gruppe linksintellektueller Emigranten zu­ des Wissens gewesen ist, dessen Dynamik in Anfang der 1940er Jahre nimmt eine Gruppe linksintellektu­ h sammen mit ihren amerikanischen Kollegen, die wissenschaftliche Forschung auf ganz u.a. den Historikern Stuart Hughes und Carl eller Emigranten ihre Arbeit für den amerikanischen Kriegs­ e andere Weise hineinwirkte, als bisher ange­ Schorske oder dem Soziologen Barrington nommen wurde. geheimdienst auf. Wissenschaftliche Aufklärung, Gegner­ l Tim B. Müller Moore, ihre Arbeit für den amerikanischen e Die linksintellektuelle Gruppe um Herbert forschung und psychologische Kriegführung sind das Ge­ Kriegsgeheimdienst, das Office of Strategic G Marcuse, Vorbild des studentischen Protests Services (OSS), auf. Der demokratische Sozia­ schäft der Gelehrten im Staatsapparat. Am Anfang geht es von 1968, erfährt eine fundamentale Neu­ lismus der Emigranten verbindet sich mit dem inter pretation, indem sie hier erstmals in um das nationals ozialistische Deutschland, nach Kriegs­ d Linksliberalismus der »New Deal«­Denker, Krieger und Gelehrte ihrem historischen Kontext des frühen Kalten ende weitet sich der Einsatz auf das gesamte Europa und die n was sich zu Beginn des Kalten Krieges in For­ Krieges dargestellt wird. Sowjetunion aus. schungs­ und Strategiepapieren nieder­ u schlägt, die im US­Außenministerium gegen Tim B. Müller gelingt eine Neudeutung der intellektuellen Tim B. Müller, Dr. phil., studierte Geschichte die Blockkonfrontation opponieren und für und Philosophie in Heidelberg und an der Architektur des Kalten Krieges, die zugleich die Politik die­ r eine Entspannungspolitik optieren. Von den Cornell University, Ithaca, New York. Promo­ ser Epoche in neuem Licht erscheinen lässt. Und: Die links­ e Herbert Marcuse und Geheimdiensten wird Wissen, das von der tion 2009 an der Humboldt­Universität zu g offiziellen Linie abweicht, geradezu gesucht, intellektuelle Gruppe um Herbert Marcuse erfährt eine funda­ Berlin, 2006 Research Fellow am German His­ r e es ist von Anfang an integraler Bestandteil mentale Neuinterpretation, indem sie hier erstmals in ihrem torical Institute in Washington, von 2005 bis e der Kultur des Kalten Krieges. Wissenschaft­ i die Denksysteme im 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr­ historischen Kontext des frühen Kalten Krieges dar gestellt l liche Aufklärung, Gegnerforschung und psy­ stuhl für Neuere Geschichte an der Humboldt­ wird. ül Kr chologische Kriegführung sind das Geschäft Universität. Seit 2010 wissenschaftlicher der Gelehrten im Staatsapparat. M Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozial­ Am Anfang geht es um das nationalsozia­ Kalten Krieg forschung. Ausgezeichnet mit dem Humboldt­Preis der Humboldt­Uni­ listische Deutschland, nach Kriegsende wei­ versität zu Berlin 2009 und mit dem international renom­ B. tet sich der Einsatz auf das gesamte Europa und die Sowjetunion aus. Die Arbeit der lin­ mierten Fraenkel Prize 2009 der Wiener Library, London. m ken Denker findet Anerkennung, personelle Netzwerke entstehen. Sie erschließen der i Gruppe im Kalten Krieg institutionelle Res­ T sourcen, die ihnen entweder den Weg in die universitäre Welt der Vereinigten Staaten bahnen oder die Fortsetzung ihrer Forschung unter dem Schirm der Rockefeller Stiftung ermöglichen, häufig in verdeckter oder offe­ ner Kooperation mit dem State Department Hamburger Edition. Hamburger Edition. und auch der CIA. Sind vielleicht sogar Kon­ ISBN 978­3­86854­222­6 SozialforschungInstitut für SozialforschungInstitut für tinuitäten zwischen Marcuses geheimdienst­ Tim B. Müller Krieger und Gelehrte Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg Hamburger Edition Hamburger EditionHIS Verlagsges. mbH Mittelweg 36 20148 Hamburg www.Hamburger-Edition.de © E-Book 2011 by Hamburger Edition E-Book-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde ISBN: 978-3-86854-517-3 © der Printausgabe 2010 by Hamburger Edition ISBN: 978-3-86854-222-6 Umschlaggestaltung: Wilfried Gandras Typografie und Herstellung: Jan und Elke Enns Satz aus der Garamond von Dörlemann Satz, Lemförde Inhalt Einleitung 7 I Im Geheimdienst 31 1. Die Geburt des Geheimdienstes 33 2. Im Zentrum des geheimen Staatsapparats 39 3. Die Ordnung des geheimen Wissens 49 4. Zwischen Krieg und Freundschaft: Washington 1945–1948 59 5. Soviet Connection: Russische Spione und Spitzel desFBI 68 6. Der Weg in den Kalten Krieg 79 7. Die Geburt der psychologischen Kriegführung aus dem Geist des Marshallplans 89 8. Die Suche nach der psychologischen Superwaffe: Fortschritt und Herrschaft 102 9. Im Reich des Bösen: Die Dialektik der Kommunismusaufklärung 120 10. Wandel durch Aufklärung: Marcuse kommandiert die Kommunismusforschung 144 11. Marcuse und die strategischen Planer 169 II Philanthropie im Kalten Krieg: Die Welt der Stiftungen 187 1. Das teuerste aller Geschichtsbücher: Die Stiftung und die Grundlegung des »national security discourse« 191 2. Die Rockefeller Foundation am Anfang des Kalten Krieges 208 3. Das Russische Institut: Gegnerforschung im Kalten Krieg 219 III Die Stiftung und ihre Feinde: Wissenschaft, Politik und Freiheit im Zeitalter des McCarthyismus 245 1. Der politisch-philanthropische Komplex 251 2. Die nationale Sicherheit und die Freiheit der Wissenschaft 272 3. Was heißt subversiv? Die Stiftung vor dem Untersuchungsausschuss 293 IV Die Rockefeller-Revolution I: Die Wiedergeburt der Ideengeschichte 315 1. Franz Neumann und die Stiftung der Ideengeschichte 317 2. Die politische Theorie und ihre Gegner 339 3. Die Wiedergeburt der Ideengeschichte aus dem Kreis der Krieger 349 4. »Intellectual history« zwischen Weimar und Amerika 366 5. Ordnung und Chaos: Eine ideengeschichtliche Bilanz 397 V Die Rockefeller-Revolution II: Marcuse und die Marxismusforschung 405 1. Rockefellers Pater in der Schweiz 407 2. Karriereberatung und Utopie 415 3. Berlin und Stalin 424 4. In den Netzen der Sowjetforschung 432 5. Ein Manifest der Entspannungspolitik: »Soviet Marxism« 448 6. Rockefeller-Marxismus 489 7. Marx, Marcuse, Landshut 505 8. Das Dispositiv der Entspannung 513 9. Die Internationale der Marxismusforscher 522 10. Warten auf die Revolution 539 VI Intellektuelle in der Schlacht 551 1. Die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln 553 2. Das Ende der Ideologie 567 3. Die Erfindung einer liberalen Tradition: Intellektuelle Selbstfindung im Zeitalter des Konformismus 576 4. Die »akademische Unterwelt« 586 5. Eine Friedensbewegung in Zeiten des Krieges 615 6. Entzweiung und Freundschaft: Der Protest erreicht die Universität 627 7. Gegenkultur, Vernunft und Praxis 640 VII Epilog 651 Schluss 663 Bibliographie 678 Dank 723 Register 728 Zum Autor Einleitung Außerdem ist es nicht meine Schuld daß sich Alles mit Allem berührt. Jacob Burckhardt This is a very complicated case, Maude. You know, a lotta ins, a lotta outs, a lotta what- have-yous. And uh, lotta strands to keep in my head, man. Jeffrey Lebowski The context itself is a text of sorts. Dominick LaCapra Der Kalte Krieg ist beendet. Über vier Jahrzehnte lang hielt dieser globale Konflikt die Menschheit in Atem. Der Kalte Krieg machte Amerika und die Sowjetunion zu den entscheidenden weltpolitischen Akteuren. Er prägte die politische Kultur, die Institutionen und die Gesellschaften des Ostens und des Westens. Die Spaltung Europas, die Teilung Deutschlands und Konflikte in der Dritten Welt waren eine Folge des Kalten Krieges. Das Wettrüsten beherrschte die Staatsfinan- zen. Gewaltige Rüstungsindustrien wurden geschaffen. Die Welt stand permanent am Rande der nuklearen Selbstvernichtung. Auf einmal war alles vorbei. Vor zwanzig Jahren zerfiel in einer dra- matischen Abfolge von Ereignissen das sowjetische Imperium. Das Geschehen des Jahres 1989 hatte in Moskau selbst begonnen. Michail Gorbatschow, seit 1985 an der Macht, hatte ein neues Denken und eine neue Politik eingeleitet. Abrüstung, innere Liberalisierung, ein Ende der Repression und schließlich politische Freiheit für die Natio- nen Ostmitteleuropas gingen dem Fall der Berliner Mauer voraus. Eine Epoche wurde Geschichte. Nach 1989 eröffneten sich neue Wel- ten für Historiker des Kalten Krieges. Eine bis heute anhaltende Hochphase geschichtswissenschaftlicher Produktivität setzte ein. Ge- waltige Archivbestände wurden zugänglich, im Westen und teilweise auch im Osten. Zuvor bestehende Gewissheiten wurden über den Haufen geworfen. Historiker lernten, den Kalten Krieg mit neuen Au- gen zu sehen. 7 Sie betrachteten ihn nun aus der historischen Distanz. Die politi- schen Auseinandersetzungen waren abgekühlt. Mit nüchterner Sorg- falt rollten Historiker eine vergangene Epoche Schritt für Schritt auf. Bei allem Streit um Einzelheiten sind sie sich dabei in Grundsatzfragen näher gekommen. Die erbitterte Kontroverse um den Ausbruch des Kalten Krieges ist einer Rekonstruktion gewichen, die kaum noch vom politischen Standort des Betrachters abhängt. Einstige Kontra- henten sind heute kaum voneinander zu unterscheiden. Das »Veto- recht« der Quellen, von dem Reinhart Koselleck sprach, hätte seine Wirkungsmacht kaum deutlicher unter Beweis stellen können. Aus politischen Differenzen wurden historiographische Probleme. Die gravierenden Distinktionen sind heute Fragen des Ansatzes, der Me- thode, der geographischen Perspektive.1 Was für die politische Geschichte des Kalten Krieges gilt, lässt sich für die Geschichte der Ideen und Intellektuellen im Kalten Krieg noch nicht behaupten. Die Debatten um »1968« oder die so unterschied- lichen Reaktionen, die einer der Protagonisten dieser Arbeit immer noch auslöst, Herbert Marcuse, legen Zeugnis davon ab. Von einer Abkühlung ist hier nicht viel zu spüren. Alte ideologische Kämpfe werden immer noch ausgefochten. Die vorliegende Arbeit löst sich aus den Frontstellungen. Sie strebt für die Ideen- und Intellektuellen- geschichte des Kalten Krieges an, was die politische Geschichte für ihr Feld bereits geleistet hat. Dieses Ziel wird durch konsequente Histo- risierung verfolgt. Es handelt sich um eine Ideengeschichte, die sich für die politischen und institutionellen Kontexte, für die materiellen und epistemologischen Bedingungen von Ideen und Intellektuellen interessiert. Im Mittelpunkt steht eine Gruppe von Intellektuellen, die am Ende des Zweiten Weltkrieges in dieser Konstellation zusammenfanden und dauerhaft Freundschaft schlossen. Der Ort, an dem ihre gemeinsame Geschichte begann, war der amerikanische Kriegsgeheimdienst, das Office of Strategic Services (OSS). Alle Hauptpersonen dieser Arbeit 1 Vgl. etwa den konzisen Überblick über verschiedene neuere Deutungen und Ansätze:Westad (Hg.), Reviewing the Cold War; oder die jüngste souveräne Forschungssynthese, die unterschiedlichste Perspektiven und Positionen dis- kutiert und integriert:Leffler, For the Soul of Mankind.– Forschungsliteratur, zum Kalten Krieg und anderen Fragen wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit an der jeweils relevanten Stelle eingeführt und erörtert. In dieser Einleitung beschränke ich mich auf einige wenige Beiträge von grundsätzlicher Bedeutung für die gesamte Arbeit. 8 gehörten der Forschungs- und Analyseabteilung des OSS an. Deutsch-jüdische Emigranten und jüngere amerikanische Gelehrte begegneten sich. Neue Zusammenhänge wurden gestiftet, als dort die intellektuellen Emigranten Herbert Marcuse (1898–1979), Franz Neu- mann (1900–1954), Otto Kirchheimer (1905–1965), Felix Gilbert (1905–1991) und Hans Meyerhoff (1914–1965) auf ihre amerikani- schen Kollegen trafen, auf die Historiker Carl Schorske (geboren 1915), Stuart Hughes (1916–1999) und Leonard Krieger (1918–1990), den Soziologen Barrington Moore (1913–2005) und den Literaturwis- senschaftler Norman O. Brown (1913–2002).2 Die Geschichte des OSS und die Geschichte dieser intellektuellen Gruppe imOSS ist wiederholt erzählt worden. Meilensteine der For- schung haben Christof Mauch, Petra Marquardt-Bigman und Barry Katz gesetzt.3 Grundlagen legte zuvor bereits Alfons Söllner.4 In jüngster Zeit sind hilfreiche Quelleneditionen aus dem Nachlass Mar- cuses erschienen, die die betreffenden Jahre berühren.5 Ohne die Bü- cher und Editionen von Söllner und Katz wäre die vorliegende Arbeit nicht entstanden. Sie setzt jedoch da ein, wo die beiden enden – am Anfang des Kalten Krieges.6 Über Marcuse bemerkt Söllner treffend: »Im folgenden soll eine These vertreten werden, die den Philosophie- historiker ärgern und den Politikwissenschaftler verwundern wird: dass nämlich das Jahrzehnt zwischen 1942 und 1952, in dem Marcuse außer einer Rezension über Sartres ›L’Etre et le Néant‹ bekanntlich nichts veröffentlicht hat, zu seinen interessantesten Perioden gehört.«7 2 Veteranen desOSS, aber am intellektuellen Austausch innerhalb dieser Gruppe nur am Rande beteiligt, waren auch der emigrierte Historiker Hajo Holborn und die amerikanischen Historiker Gordon A. Craig, Franklin Ford und Ar- thur M. Schlesinger. Eine erste Skizze der Geschichte dieser Gruppe versucht Müller, Die gelehrten Krieger und die Rockefeller-Revolution. 3 Vgl.Katz, Foreign Intelligence;Marquardt-Bigman, Amerikanische Geheim- dienstanalysen; zur Geschichte desOSS insgesamtMauch, Schattenkrieg gegen Hitler. 4 Vgl.Söllner (Hg.), Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland, 2Bde. 5 Vgl. vor allemMarcuse, Collected Papers, Bd.1;ders., Nachgelassene Schriften, Bd.5.– Mit Marcuses Phase imOSS habe ich mich in früheren Arbeiten aus- einandergesetzt; vgl. Müller, Bearing Witness to the Liquidation of Western Dasein; ders., Herbert Marcuse, die Frankfurter Schule und der Holocaust; ders., Die geheime Geschichte des Herbert Marcuse. 6 Die Ideengeschichte des Kalten Krieges steht jedoch im Mittelpunkt späterer wichtiger Arbeiten:Söllner, Fluchtpunkte;ders./Ralf Walkenhaus/Karin Wie- land (Hg.), Totalitarismus. 7 Söllner, Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration, S.200. 9 Diese These könnte den Ausgangspunkt meiner Untersuchung um- schreiben. Allerdings ergeben sich daraus weitreichende Konsequen- zen. Denn wer die Spuren des »unbekannten« Marcuse immer genauer verfolgt, muss bald die nach wie vor übliche Trennung von intellek- tueller Emigration und amerikanischer Umgebung außer Kraft setzen: Dass Marcuse und seine emigrierten Freunde damals zu amerikani- schen Intellektuellen wurden, machte diese Jahre zu einer der inter- essantesten Perioden ihres Denkens. Die Unterscheidung von intel- lektueller Emigration und der Ideengeschichte Amerikas ist für diese Gruppe von 1945 an hinfällig. Von Marcuse und seinen Freunden im frühen Kalten Krieg ist we- nig bekannt. Was in Umlauf ist, entspricht nicht immer den Tatsachen, wie die Kapitel dieser Arbeit zeigen. Dabei geht es um die Denker ebenso sehr wie um ihre Produktionsbedingungen. Anders lässt sich diese Geschichte nicht erfassen. Marcuse war ein Jahrzehnt lang im amerikanischen Geheimdienst. Nachdem er den Staatsdienst verlassen hatte, löste er keineswegs die Verbindungen zu den liberalen Eliten Amerikas, die er im Geheimdienst geknüpft hatte. Bis zum Anfang der sechziger Jahre bewegte er sich gewandt im amerikanischen Establish- ment. Vom Geheimdienst ging es in die Welt der philanthropischen Stiftungen, der Rockefeller Foundation in seinem Fall, wie der Ge- heimdienst ein Inbegriff des amerikanischen Establishments.8 Die Geschichte von Marcuses Freunden, ob aus Deutschland emi- griert oder in Amerika geboren, verlief auf ähnliche Weise. Schon das ist erklärungsbedürftig. Erst recht gilt das für den enormen Einfluss, den der Geheimdienst und das liberale Establishment auf das Werk und auf die Karriere der linksintellektuellen Protagonisten hatten. Das betrifft nicht allein die Geschichte einer Gruppe von Intellektuellen, sondern auch die Vorgeschichte von »1968«: Herbert Marcuse und Stuart Hughes gehörten– der eine auf eine eher theoretische, der an- dere auf eine eher politisch-praktische Weise– zu den Vorbildern des studentischen Protests und der Neuen Linken in den sechziger Jahren. Viele dieser Linksintellektuellen standen in den sechziger Jahren nicht weit entfernt vom Zentrum des Geschehens. 8 »The New York financial and legal community«, schrieb Arthur Schlesinger später, »was the heart of the American Establishment. Its household deities were Henry L. Stimson and Elihu Root; its present leaders, Robert A. Lovett and John J. McCloy; its front organizations, the Rockefeller, Ford, and Carne- gie foundations and the Council on Foreign Relations.«Schlesinger, A Thou- sand Days, S.128. 10 Zwischen dem Eintritt in den Geheimdienst und dem prominenten Auftritt in der Öffentlichkeit lagen zwei weitgehend unbekannte Jahrzehnte– eine vergessene formative Phase für die Karriere und das Erkenntnisinteresse dieser Linksintellektuellen. Zwei Jahrzehnte ver- brachten sie im Schatten der Geheimdienste und im Schutze des libe- ralen Establishments der Vereinigten Staaten. In Marcuses Fall erwies sich dieser Kontext als die entscheidende Verbindung zwischen einem »obskuren« Exilmarxisten in den dreißiger Jahren und dem »Guru« der amerikanischen Neuen Linken in den späten sechziger Jahren. Marcuse und seine Intellektuellenfreunde gehörten für viele Jahre einem diskursiven und institutionellen Zusammenhang an, der von ihren liberalen Kollegen und Fürsprechern in der Regierung, den Stiftungen und der akademischen Welt dominiert wurde. Marcuse, Hughes und ihre Freunde waren Teil der intellektuellen Kultur des Kalten Krieges. Sie vertraten eine in dieses politisch-intellektuelle Feld integrierte Position, bevor sich in den sechziger Jahren die linke und die liberale intellektuelle Sphäre voneinander entfernten. Der Anlass dafür waren politische Differenzen über die Interventionspolitik der liberalen Kennedy-Regierung in Kuba und Vietnam. Zugleich boten sich nach dem Ende des McCarthyismus neue Möglichkeiten des poli- tischen Engagements links von der Demokratischen Partei. Immer wieder wird auf den folgenden Seiten die politische Grund- lage zum Vorschein kommen, auf der sich die emigrierten Linksintel- lektuellen, ihre amerikanischen Kriegskameraden und die liberalen Eliten verständigen konnten. Die liberale Tradition Amerikas und ihre politische Ausgestaltung im »New Deal« der dreißiger und vierziger Jahre erwiesen sich als das entscheidende Verbindungsstück. Der ideenpolitische Kern des »New Deal« war die Versöhnung von Frei- heit und Gleichheit, von individueller Selbstbestimmung und sozialer Gerechtigkeit. Die Wurzeln dieses Liberalismus reichten zur ameri- kanischen Tradition des Progressivismus. Ein umfassendes Reform- programm, die Einhegung des Kapitalismus und staatliche Interven- tionen in die Wirtschaft kennzeichneten den amerikanischen »New Deal«-Liberalismus. Zwischen den Ansichten radikaler »New Dealer«, die eine progressive Umgestaltung der Gesellschaft bewirken wollten, und dem demokratischen Sozialismus der Emigranten bestanden kaum Unterschiede. Die Zerschlagung von Industriekartellen, »Trusts« und Monopolen oder eine Politik der sozialen Absicherung waren nur einige der politischen Maßnahmen, über die beide Seiten sich in Über- einstimmung befanden. Eine besondere Rolle spielten dabei in den 11

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