Korruption: Risikofaktor Mensch Sven Litzcke • Ruth Linssen Sina Maffenbeier • Jan Schilling Korruption: Risikofaktor Mensch Wahrnehmung – Rechtfertigung – Meldeverhalten Sven Litzcke Ruth Linssen Fakultät Wirtschaft und Informatik Fachbereich Sozialwesen Abteilung Betriebswirtschaft Fachhochschule Münster Hochschule Hannover Münster, Deutschland Hannover, Deutschland Sina Maffenbeier Jan Schilling Personalentwicklung Ausbildung Kommunale Hochschule für Verwaltung Penny Markt GmbH Niedersachsen Hannover, Deutschland Hannover, Deutschland ISBN 978-3-531-18711-2 ISBN 978-3-531-18712-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-18712-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de ab- rufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die- sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be- trachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Vorwort Das vorliegende Buch über Korruption als Sicherheitsrisiko fasst die zentralen Er- gebnisse des Forschungsprojekts Subjektive Sicherheit – Einflussfaktor auf Korrup- tionsschwellen zusammen. Das Projekt ist vom TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt e. V. gefördert worden. Wesentliche Teile des Buches gehen auf den Abschluss- bericht zum Forschungsprojekt aus dem Jahr 2010 sowie auf die im Rahmen des Forschungsprojekts an der Hochschule Hannover verfasste Masterarbeit von Sina Maffenbeier aus dem Jahr 2011 zurück. Neben den Autoren dieses Bandes waren auch Felix Schön, MSc., Grace Latussek, BSc. und Prof. Dr. Max Hermanutz an dem Forschungsprojekt beteiligt. Wir danken Jessica Henne und Frank Heber, die bei der Buchbearbeitung geholfen haben. Die Masterarbeit von Felix Schön, die ebenfalls im Rahmen dieses Forschungsprojekts verfasst wurde, ist im Jahr 2011 als Buch erscheinen (Korruption – Wie eine Hand die andere wäscht). In dem vor- liegenden Buch werden die methodischen Aspekte der Studie ausführlich erklärt, so dass auch Leser ohne umfassende Vorbildung in empirischen Forschungsme- thoden sich ein eigenes Bild über die Passung von inhaltlichen und methodischen Aspekten machen können. Das Folgeprojekt Korruption – Risikofaktoren der Person und der Situation wird ebenfalls vom TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt e. V. gefördert und hat eine Laufzeit von 2011 bis 2012. Wie das erste Korruptionsforschungsprojekt, Subjektive Sicher- heit – Einflussfaktor auf Korruptionsschwellen, wird auch dieses Projekt am Insti- tut für Innovationstransfer (ITI) der Hochschule Hannover, Arbeitsschwerpunkt Kontraproduktivität in Organisationen durchgeführt. Kooperierende Hochschulen im ersten Kooperationsprojekt, über das in diesem Buch berichtet wird, waren die Fachhochschule Münster (Prof. Dr. Ruth Linssen) sowie die Kommunale Hoch- schule für Verwaltung in Niedersachsen (Prof. Dr. Jan Schilling). Im Folgeprojekt Korruption – Risikofaktoren der Person und der Situation sind kooperierende Hoch- V VI Vorwort schulen die Fachhochschule Münster (Prof. Dr. Ruth Linssen) sowie die Hochschu- le für Polizei in Villingen-Schwenningen (Prof. Dr. Max Hermanutz). Hannover und Münster Sven Litzcke September 2012 Ruth Linssen Sina Maffenbeier Jan Schilling Inhalt 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Relevanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.2 Zielsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1.3 Vorgehensweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2 Korruption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2.2 Korruptionsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2.3 Korruptionshäufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.4 Korruptionsursachen – Personenfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.4.1 Intelligenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.4.2 Psychopathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.4.3 Organisationaler Zynismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 2.5 Korruptionsursachen – Situationsfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.5.1 Rational Choice. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.5.2 Kognitive Dissonanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.5.3 Zusammenspiel von personalen und situativen Faktoren. . . 28 2.5.4 Korruptionsprävention. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.6 Rechtfertigungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2.7 Etablierung von Korruption in Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.8 Meldeverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 3 Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.1 Quantitative Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.1.1 Versuchsaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.1.2 Operationalisierung der Personenfaktoren. . . . . . . . . . . . . . . 53 3.1.3 Operationalisierung der Situationsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . 56 3.1.4 Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.1.5 Manipulation Checks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.1.6 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 VII VIII Inhalt 3.2 Qualitative Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3.2.1 Induktive Kategorienbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.2.2 Deduktive Kategorienbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4 Ergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.1 Verhaltenseinschätzung – Wahrscheinlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.2 Verhaltenseinschätzung – Vertretbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.3 Neutralisierungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4.4 Meldeverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4.5 Personenfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.5.1 Intelligenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.5.2 Psychopathie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4.5.3 Organisationaler Zynismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 4.5.4 Zusammenhänge zwischen den Personenfaktoren . . . . . . . 117 5 Diskussion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 5.1 Wahrnehmung und Bewertung von Korruption. . . . . . . . . . . . . . . . 119 5.2 Neutralisierungstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 5.3 Meldeverhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 5.4 Limitationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5.5 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Kurzfassung Korruption wird in dieser Studie definiert als Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats zur Erlangung eines Vorteils für sich oder Dritte, mit Eintritt oder in Erwartung des Eintritts eines Schadens oder Nachteils für die Allgemeinheit oder für ein Unternehmen (Bundes- kriminalamt, 2011). Untersucht wird die Wahrnehmung und Bewertung von Kor- ruption in Abhängigkeit von Personenfaktoren und Situationsfaktoren mit schrift- lichen Fallvignetten. Als Personenfaktoren sind die Konstrukte organisationaler Zynismus, Psychopathie und Intelligenz berücksichtigt worden. Als Situationsfak- toren werden die Art der Korruption (situative versus strukturelle), die Höhe des erlangten Vorteils (kleiner versus großer) sowie der Rezipient des Vorteils (Vorteil für sich selbst versus Vorteil für Dritte) betrachtet. Insgesamt haben 390 Personen an der Studie teilgenommen, hierunter 123 Studierende der Wirtschaftswissen- schaften von der Hochschule Hannover, 137 Studierende der Verwaltungswissen- schaften von der Kommunalen Hochschule für Verwaltung in Niedersachsen und 130 Studierende der Sozialen Arbeit von der Fachhochschule Münster. Personenfaktoren haben sich stärker auf die Bewertung von Korruption aus- gewirkt als Situationsfaktoren. Insbesondere Personen, die zynisch eingestellt sind, haben Korruption als üblich unterstellt. Damit einhergehend haben sie korruptes Verhalten eher als vertretbar bewertet. Personen mit hohen Psychopathiewerten haben korrupte Handlungen eher als vertretbar bewertet als Personen mit nied- rigen Psychopathiewerten. Die Personenfaktoren organisationaler Zynismus und Psychopathie haben nachweisbare Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Be- wertung von Korruption gehabt und sollten bei Präventionsüberlegungen künftig stärker berücksichtigt werden. Demgegenüber hat sich der Personenfaktor Intelli- genz als wenig aussagekräftig erwiesen. Die untersuchten Situationsfaktoren haben sich kaum auf die Wahrnehmung und Bewertung von Korruption ausgewirkt. Sofern sich dieser Befund in weiteren Studien replizieren lässt, wären bislang in der Korruptionsbekämpfung teilweise IX X Kurzfassung falsche Schwerpunkte gesetzt worden, indem bei der Korruptionsprävention und bei der Korruptionsbekämpfung zu einseitig auf Situationsfaktoren gesetzt wurde. Aussichtsreicher könnte es sein, Personen vor deren Einstellung gezielt auf Perso- nen(risiko)faktoren hin zu testen. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung verweisen jedoch auch auf weiteren Forschungsbedarf. Feldstudien und weitere Vi- gnettenstudien sind notwendig, um präzisere Erkenntnisse zum Zusammenspiel von Personenfaktoren und Situationsfaktoren zu erhalten. Die nachfolgend berich- teten Ergebnisse sind somit als Zwischenstand zu verstehen. Studierende der Wirtschaftswissenschaften entschuldigen und tolerieren Kor- ruption eher als Studierende der Sozialen Arbeit und der Verwaltungswissenschaf- ten. Die angehenden Verwaltungswissenschaftler empfinden Korruption am ver- werflichsten und ergreifen drastischere Maßnahmen als Studierende der beiden anderen Fachrichtungen. Studierende der Verwaltungswissenschaften, die eine Korruptionshandlung nicht melden oder keine Strafanzeige erstatten würden, be- gründeten signifikant häufiger als die anderen Testpersonen ihre Nichtreaktion mit Angst vor negativen Konsequenzen. Außerdem wird eine korrupte Verhaltensweise eines Korruptionsgebers eher toleriert und entschuldigt als eine korrupte Hand- lung eines Korruptionsnehmers. Weiterhin zeigt die Analyse, dass eine Vorteils- gabe am häufigsten wegen finanzieller Engpässe legitimiert wird. Demzufolge gilt Korruption als entschuldbar (Neutralisierungstechnik), wenn die unternehmeri- sche Existenz und Arbeitsplätze durch eine korrupte Handlung gesichert werden. Am häufigsten gilt beim Korruptionsnehmer eine Annahme unrechtmäßige Vor- teile unter der Prämisse objektive Entscheidung als gerechtfertigt. Demnach gilt Korruption auf der Korruptionsnehmerseite dann als legitim, wenn eine Organi- sation auch ohne Bestechungsangebot den Auftrag akquiriert hätte und der Vorteil lediglich als eine Art Bonus einbehalten wird. Die Untersuchungsergebnisse zeigen ferner, dass Korruption in der Wahrneh- mung und Bewertung häufig als Kavaliersdelikt angesehen wird, und zwar trotz der inzwischen zunehmenden öffentlichen Ächtung von Korruption. Dieser Befund könnte auch erklären, weshalb die Bereitschaft, selbst aktiv gegen wahrgenommene Korruption vorzugehen, in allen Untersuchungsgruppen relativ gering ist.