Job-Angst-Skala (JAS) Ein Selbstbeurteilungs-Fragebogen zur Erfassung arbeitsplatzbezogener Ängste Michael Linden & Beate Muschalla Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité Universitätsmedizin und am Rehabilitationszentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund Originalpublikation: Linden M, Muschalla B, Olbrich D (2008). Die Job-Angst-Skala (JAS). Ein Fragebogen zur Erfassung arbeitsplatzbezogener Ängste. Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie, 52, 126-134. Kontaktadresse: Dr. Beate Muschalla & Prof. Dr. Michael Linden Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité Berlin und am Rehabilitationszentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund Lichterfelder Allee 55, 14513 Teltow/Berlin Tel: 03328/345678, Fax: 03328/345555, Email: [email protected] 1 Inhaltsverzeichnis 1. Zusammenfassung 2. Theoretischer Hintergrund 3. Struktur der Job-Angst-Skala (JAS) 4. Fragebogenentwicklung und Stichprobenbeschreibung 5. Testgütekriterien 6. Zusammenhänge mit Begleitvariablen 7. Faktorielle Struktur 8. Interkorrelationen der Subskalen 9. Diskussion 10. Hinweise zur Anwendung der Job-Angst-Skala 11. Literatur 12. Anhang A: Tabellen und Abbildung 13. Anhang B: Job-Angst-Skala: Fragebogenform mit Instruktionen 14. Anhang C: Job-Angst-Skala: Übersicht über Items, Hauptdimensionen und Subskalen 2 1. Zusammenfassung Die „Job-Angst-Skala (JAS)“ ist ein Fragebogen zur Erfassung der verschiedenen Dimensionen arbeitsplatzbezogener Ängste (Linden et al., 2008). Die Skala besteht aus 70 Items, die 14 Subskalen abbilden und in fünf Oberdimensionen zusammengefasst werden können: Stimulusbezogene Ängste und Vermeidungsverhalten; Soziale Ängste und Beeinträchtigungskognitionen; Gesundheits- und körperbezogene Ängste; Insuffizienzerleben; Arbeitsplatzbezogene generalisierte Sorgen. Eine Untersuchung der psychometrischen Qualität erfolgte an N = 190 Patienten einer orthopädischen und psychosomatischen Rehabilitationsklinik. Die interne Konsistenz beträgt .98. Die Retestreliabilität der Gesamtskala beträgt .815. Faktorenanalysen bestätigten die theoretisch vorgegebenen Subskalen. Die durchschnittliche Inter-Item-Korrelation der Gesamtskala beträgt .389. Es fand sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen der JAS und der STAI-Trait, was als Hinweis auf die Validität der JAS angesehen werden kann. Dies ist ein Kurzmanual zur Einführung in die Entwicklung der JAS und soll als Anleitung zur Anwendung der Skala in der Praxis hilfreich sein. Aus Platzersparnisgründen stehen die meisten der im Text genannten Tabellen im Anhang A. 3 2. Theoretischer Hintergrund Die Gefährdung der Erwerbsfähigkeit ist in der medizinischen Rehabilitation ein Thema von vorrangiger Bedeutung. Neben krankheitsspezifischen Leistungseinschränkungen kommt hierbei auch Ängsten und Insuffizienzgefühlen im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz eine große Bedeutung zu. „Arbeitsplatzängste und Arbeitsplatzphobien" sind häufig, haben jedoch bis vor wenigen Jahren in der wissenschaftlichen Literatur nur eine unzureichende Aufmerksamkeit gefunden (Haines et al., 2002; Linden et al., 2003; Linden & Muschalla, 2007). Zuvor wurden arbeitsplatzbezogene Ängste in der arbeitswissenschaftlichen Perspektive allenfalls implizit im Rahmen von Modellen wie "Mobbing", "Stress am Arbeitsplatz" oder "Burnout" thematisiert (z.B. Leymann 1993a; Zapf et. al., 1996; Selye, 1983; Greif et. al., 1991; Maslach & Jackson, 1981; Gusy, 1995; Kirchner, 1993; Rohmert, 1984). In der arbeitspsychologischen Forschung wurden weiterhin emotionale Arbeitsanforderungen, affektive Reaktionen bei bestimmten Arbeitsbedingungen, Abwesenheitsverhalten, Arbeitszufriedenheit, sowie Belastungs- und Beanspruchungskonzepte diskutiert (Dormann et al, 2002; Wegge & Neuhaus, 2002; Szesny & Thau, 2004; Treier, 2003). Es gibt auch viele Untersuchungen zum grundsätzlichen Zusammenhang von Arbeitsplatz und Psychopathologie (Haslam et. al., 2005; Buddeberg- Fischer et. al, 2005; Helge, 2001; Hobson & Beach, 2000; Turnipseed, 1998, Kawakami et. al., 1996; Brodsky, 1988). Dabei wird jedoch auf die herkömmliche Klassifikation von Angststörungen oder Depressionen Bezug genommen. Auch die Posttraumatische Belastungsstörung wurde im Kontext des Arbeitsplatzes behandelt. (MacDonald et. al., 2003; Laposa et. al., 2003; Price et. al., 2005) Des Weiteren gibt es Berichte über arbeitsplatzbezogene Angstphänomene bei spezifischen Berufsgruppen. (Fehm & Schmidt, 2006). Eine Bearbeitung und Differenzierung verschiedener Formen spezifischer arbeitsplatzbezogener Ängste fehlt jedoch (Linden & Muschalla, 2007b). So gibt es bislang auch noch kein Erfassungsinstrument speziell für arbeitsplatzbezogene Ängste. Auf diesem Hintergrund wurde die „Job-Angst-Skala (JAS)“ entwickelt, die im Folgenden erstmals beschrieben wird. 4 3. Struktur der Job-Angst-Skala (JAS) Mit der Entwicklung der „Job-Angst-Skala (JAS)“ sollen die unterschiedlichen Formen speziell auf den Arbeitsplatz bezogener Ängste erfasst und differenziert werden. Arbeitsplatzbezogene Ängste sind kein homogenes Phänomen, sondern können sehr unterschiedliche Facetten haben. Die hier vorgestellte Version der JAS umfasst fünf Hauptdimensionen, die sich jeweils noch in weitere Subskalen aufteilen lassen (Tabelle 1): Tabelle 1. Hauptdimensionen und Subskalen der Job-Angst-Skala (JAS) Dimension Subskalen Stimulusbezogene Ängste - antizipatorische Angst und Vermeidungsverhalten - phobische Vermeidung - konditionierte Angst - globale Arbeitsplatzangst (Globalitems) Soziale Ängste und - Ausbeutungsangst Beeinträchtigungskognitionen - Soziale Ängste - Bedrohungs- und Beeinträchtigungsüberzeugungen Gesundheits- und - hypochondrische Tendenzen körperbezogene Ängste - Panik und körperliche Symptome - Funktionsbezogene Ängste Insuffizienzerleben - allgemeine Insuffizienzgedanken - Veränderungsängste Arbeitsplatzbezogene Sorgen - Sorgen im Sinne arbeitsplatzbezogener generalisierter Angststörung (GAD) - Existenzangst 5 Stimulusbezogene Ängste und Vermeidungsverhalten umfassen antizipatorische Ängste mit allgemeiner Anspannung am Arbeitsplatz, bei Gedanken an den Arbeitsplatz oder in Erwartung kommenden Ereignisse bei der Arbeit. Hierzu gehören auch phobische Vermeidungen, die Arbeitsplatzsituationen ebenso betreffen können wie Begegnungen mit Kollegen oder Vorgesetzten, sei es am Arbeitsplatz oder auch an Orten außerhalb der Arbeit. Auch der Arbeitsplatz als solcher kann vermieden werden. Es kann zu schneller Flucht nach der Arbeit oder Krankschreibungen bei der Antizipation von Arbeitsplatzproblemen kommen. Konditionierte Ängste sind in ihrer Entstehung ereignisbezogen, ähnlich wie bei einer PTSD. Zwei Globalitems erfassen eine generelle Angst bezüglich des Stimulus Arbeitsplatz. Soziale Ängste beziehen sich auf die Antizipation und Vermeidung sozialer Situationen mit Kollegen oder Vorgesetzten. Beeinträchtigungskognitionen umfassen die Befürchtung, von Kollegen oder Vorgesetzten ausgenutzt oder bedroht zu werden. Gesundheits- und körperbezogene Ängste umfassen hypochondrische Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz und Überzeugungen, dass die Arbeit gesundheitsschädlich ist und die Arbeitsbedingungen krank machen. Insuffizienzängste umfassen Sorgen wegen der eigenen unzureichenden Qualifikation, Überforderung, mangelndem Wissen und daraus resultierenden Fehlern. Dazu gehören auch Veränderungsängste im Sinne von Angst vor der Übernahme neuer Aufgaben, strukturellen, personalen oder technischen Veränderungen im Betrieb und die Unsicherheit, was als nächstes auf einen zukommt. Arbeitsplatzbezogene generalisierte Sorgen im Sinne einer Tendenz zu generalisierten Befürchtungen und ständiger Besorgtheit wegen alltäglicher Kleinigkeiten am Arbeitsplatz betreffen die Beschäftigung mit Arbeitsproblemen in der Freizeit sowie die Einschränkung anderer alltäglicher Verrichtungen durch die Besorgnis über Arbeitsangelegenheiten. Hierzu gehören auch Existenzängste mit Befürchtungen, den Arbeitsplatz verlieren zu können und einen Verlust an sozialem Ansehen und wirtschaftlicher Existenzsicherung hinnehmen zu müssen. 6 4. Fragebogenentwicklung und Stichprobenbeschreibung Auf der Basis von Patientenberichten über Arbeitsplatzängste, von diagnostischen Kriterien für Angsterkrankungen und von allgemeinen Angstfragebögen wurde eine Vorfassung des Fragebogens mit 106 Items erstellt. Aufgrund der Ergebnisse einer Pilotuntersuchung konnte die Itemzahl auf 70 reduziert werden. Die Beurteilung erfolgt auf einer fünfstufigen Likert- Skala, von „0“ „trifft gar nicht zu“ bis zu „4“ „trifft voll zu“. Die JAS wurde den Patienten unter dem Titel „Fragebogen zu Arbeitsplatzproblemen“ vorgegeben, der „Situationen, Gedanken und Gefühle“ erfragt, „die man am Arbeitsplatz erleben kann“. Die Patienten wurden gebeten, sich mit ihren Antworten auf ihren gegenwärtigen Arbeitsplatz, oder – im Falle von Arbeitslosigkeit – auf ihren letzten oder einen ähnlichen Arbeitsplatz zu beziehen. Sollten sie in mehreren Arbeitsverhältnissen gleichzeitig stehen, so sollten sich die Antworten auf denjenigen Arbeitsplatz beziehen, der die meisten Einflüsse auf das Befinden und das Alltagsleben des Probanden hat. Der Skala vorangestellt wurde ein kurzer Bogen, der die soziodemografischen Variablen Alter und Geschlecht und arbeitsanamnestische Daten des Berufstätigkeitsstatus, Arbeitslosigkeits- oder Krankschreibungszeiten und Position am Arbeitsplatz erfasst. Zusätzlich zur JAS wurde das STAI-Trait (Spielberger et al., 1981) eingesetzt, um die generelle Ängstlichkeit zu erfassen. Die Patienten füllten die JAS zu Beginn ihres stationären Aufenthaltes in einer Rehabilitationsklinik aus. Eine Woche später erfolgte eine Wiederholungsmessung. Die Probandenstichprobe von N = 190 setzte sich zusammen aus 100 Patienten einer orthopädischen und 90 Patienten einer psychosomatischen Rehabilitationsklinik. 72 % waren Frauen. Das Durchschnittsalter der Patienten betrug 48,7 Jahre. (SD = 8,6). 82 % der Probanden waren bis zur Aufnahme in die Klinik berufstätig, 17,5% arbeitslos und eine Person berentet. 57% der Patienten kamen direkt von ihrem Arbeitsplatz in die Klinik, 25% waren vor der Aufnahme krankgeschrieben. Die Dauer der Arbeitslosigkeit betrug zwischen einem und 58 Monaten (M = 16), die Krankschreibungsdauer lag zwischen zwei und 72 Wochen (M = 7). 93% der Befragten waren in ihrem letzten bzw. aktuellen Arbeitsverhältnis als Angestellte tätig, 2,5% selbständig. 10% hatten eine mittlere und 5% eine gehobene Leitungsposition inne. 7 5. Testgütekriterien Die Retestreliabilität wurde in einer Teilstichprobe von N = 185 Patienten über die Items einzeln ermittelt und betrug im Gesamtmittel rit = .815. Die niedrigste Reliabilität wurde bei Item (59) gefunden (rit = .575), die höchste bei Item (33) mit rit = .933. Die Gesamtskala kann damit als ein zuverlässiges Instrument angesehen werden. Die internen Konsistenzen (Cronbachs Alpha; Tabelle 2, Anhang) der fünf Dimensionen über alle Patienten sind mit Werten zwischen .87 und .95, sowie der Gesamtskala mit .98 als gut bis sehr gut einzuschätzen. Die Mittelwerte der Dimensionen (Tabelle 2, Anhang) bilden bei beiden Teilstichproben eine nahezu identische Rangreihe: Die höchsten Werte findet man auf der Dimension 5 „Arbeitsplatzbezogene Sorgen“, gefolgt von Dimension 3„Gesundheitsängste“ und Dimension 4 „Insuffizienzängste“. Die Dimensionen 1 „Stimulusbezogene Ängste und Vermeidung“ sowie 2 „Soziale Ängste“ bekamen die geringsten Mittelwerte. Die beiden Teilstichproben der Psychosomatik- und Orthopädiepatienten unterschieden sich signifikant nicht nur hinsichtlich des STAI-T, sondern auch bezüglich der Mittelwerte der fünf JAS-Dimensionen und aller Subskalen, bis auf „hypochondrische Tendenzen“ und „funktionsbezogene Ängste“. Abbildung 1 (Anhang) zeigt die Mittelwerte der 14 Subskalen für die Gesamtstichprobe sowie die Teilstichproben. 8 6. Zusammenhänge mit Begleitvariablen Es finden sich in beiden Patientengruppen signifikante Korrelationen der JAS mit der bisherigen Dauer der Arbeitsunfähigkeit (Tabelle 2). Im Vergleich zur JAS zeigt das STAI-T nur bei Psychosomatikpatienten einen Zusammenhang mit der Arbeitsunfähigkeits-Zeit. Bei STAI-T und JAS finden sich keine Zusammenhänge mit der Arbeitslosigkeit. Im Gegensatz zum STAI-T (und seinem negativen Zusammenhang mit dem Alter) findet sich bei der JAS kein bedeutsamer Zusammenhang mit dem Alter. JAS-Mittelwert und STAI-T korrelieren signifikant in der Gesamtstichprobe (r = .687**). Differenziert nach Teilstichproben ist der Zusammenhang bei den Orthopädiepatienten (r = .675**) sogar höher als bei der Psychosomatikstichprobe (r = .587**). Geschlechterunterschiede. Es finden sich keine bedeutsamen Geschlechterunterschiede für die JAS-Gesamtskala, aber signifikant höhere STAI-T-Werte in der Gesamtstichprobe bei den Frauen. 9 7. Faktorielle Struktur Die faktorielle Struktur des Fragebogens wurde sowohl für die JAS-Gesamtskala wie auch getrennt für die fünf Dimensionen mittels Hautkomponentenananlyse mit Varimaxrotation untersucht. Die Analyse über alle Items der Gesamtskala ergab in der Anfangslösung einen hohen Generalfaktor mit einer Varianzaufklärung von 41%. Bei einer Faktorenanalyse über die fünf Dimensionen (wobei eine Dimension als ein Item analysiert wurde) ergab sich ein Generalfaktor, der 79% der Varianz aufklärte. Die theoretisch angenommene Fünf-Dimensionen-Struktur konnte weitestgehend bestätigt werden. Es gab nur geringfügige Abweichungen der faktoriellen Lösung der JAS-Struktur von der theoretischen Vorgabe. Es bestehen hohe Trennschärfen bei fast allen Items bezüglich der Gesamtskala sowie hohe interne Konsistenzen aller Subdimensionen wie der Gesamtskala. Es wurde eine Faktorenanalyse für jede der fünf Dimensionen berechnet, um zu prüfen, inwieweit sich die Subskalen innerhalb ihrer Hauptdimension differenzieren lassen. Die theoretisch angenommene Struktur der Subskalen wurde bei diesen Faktorenanalysen der einzelnen Dimensionen im Wesentlichen bestätigt (Tabelle 3.1-3.5). Bei Dimension 1 „Stimulusbezogene Ängste und Vermeidungsverhalten“ laden 14 von 17 Items auf den postulierten Faktoren und bei Dimension 2 „Soziale Ängste und Beeinträchtigungskognitionen“ finden 14 von 19 Items ihre exakte Zuordnung. Die Dimensionen 3 „Gesundheits- und körperbezogene Ängste“ und 5 „Arbeitsplatzbezogene Sorgen“ werden in ihrer postulierten Struktur durch die Faktorenanalyse exakt abgebildet. Lediglich die Dimension 4 „Insuffizienzerleben“ zeigt in der empirischen Lösung nicht die theoretisch angenommene Verteilung der Ladungen auf eine Subskala „Allgemeine Insuffizienzgedanken“ und eine zweite „Veränderungsängste“, sondern die Items scheinen sich entsprechend anderer inhaltlicher Aspekte zu ordnen (vgl. Tabelle 3.4): So sammeln sich auf dem ersten Faktor Items, die Leidensdruck deutlich machen bezüglich Veränderungsunsicherheiten, Arbeitsumständen, Überforderungserleben und erlebten Einschränkungen (z.B. Items 11, 12, 18, 4, 13, 45), und die in erster Linie intrapsychisches Erleben erfassen. Im zweiten Faktor finden sich die konkreter situationsbezogenen Inhalte, wie bspw. Ängste bei betrieblichen Veränderungen, neuen Aufgaben, Qualifikation und 10
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