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Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 2007 PDF

271 Pages·2006·1.519 MB·German
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Preview Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 2007

CLAUS ROXIN / HELMUT SCHMIEDT / HARTMUT VOLLMER Das siebenunddreißigste Jahrbuch ist unter Umständen erarbeitet und fertiggestellt worden, wie sie trauri- ger kaum denkbar sind. Seit dem Erscheinen des vorigen Bandes sind zwei der darin verzeichneten Herausgeber verstorben: Reinhold Wolff, zugleich Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft, am 10. November 2006, und Hans Wollschläger, einer seiner Stellvertreter, am 19. Mai 2007. Der Philologe Professor Dr. Reinhold Wolff, geboren 1941, hat sich in seinem Fachgebiet mit Abhandlungen über die verschiedensten Themen profiliert, von methodologischen Reflexionen über die psy- choanalytische Literaturwissenschaft bis zu Detailstudien über die Aufklärung. Entsprechend komplex waren die Anregungen und Er- kenntnisse, die er der Karl-May-Forschung vermittelte: Man kann das anhand seiner eigenen Beiträge dazu feststellen – die so erstaunliche Titel tragen wie ›Dallas und Denver aus Dresden‹ (in unserem Jahr- buch 2000, bei dem er erstmals auch als Mitherausgeber fungierte) –, aber auch mit Hilfe der Publikationen, die er gefördert und für die Karl-May-Gesellschaft eingeworben hat. Über sein umfangreiches Gesamtwirken für die Karl-May-Gesellschaft und seine weiteren dies- bezüglichen Pläne informiert im vorliegenden Band der Bericht von Joachim Biermann. Ein halbes Jahr nach Wolffs Tod verlor die Karl-May-Gesellschaft mit Dr. Hans Wollschläger, geboren 1935, eines ihrer Mitglieder der ersten Stunde; seit 1971 gehörte er ohne Unterbrechung dem Vorstand an, seit 1975 dem Herausgebergremium des Jahrbuchs. Seine Karl- May-Studie aus dem Jahr 1965 – zuerst erschienen in der renommier- ten Monographienreihe des Rowohlt-Verlags und später wiederholt neu aufgelegt – gehört zu den Meilensteinen der frühen May-Forschung, deren Entwicklung er dann durch eine Vielzahl weiterer Arbeiten vo- rantrieb. Mit Hermann Wiedenroth gab er 1987 die ersten Bände der historisch-kritischen May-Ausgabe (HKA) heraus, deren Weiterfüh- rung nach einigen Jahren der Stagnation er noch kurz vor seinem Tod mit großem Engagement herbeizuführen versuchte. Am Ende seines Lebens wie seiner Beschäftigung mit Karl May standen ferner die Ver- öffentlichung der Manuskriptfassung von ›Ardistan und Dschinnistan‹ im Karl-May-Verlag sowie die Planung des vorlie- genden Jahrbuchs, über dessen Textzusammenstellung er als geschäfts- führender Herausgeber noch hat entscheiden können. Wollschläger war eine im kulturellen Leben Deutschlands hochge- schätzte Persönlichkeit mit zahlreichen Begabungen. Er arbeitete als Übersetzer und Essayist, schrieb Sachbücher unter anderem über die Geschichte der Kreuzzüge und den sadistischen Umgang mit Tieren in unserer Gesellschaft sowie das Romanfragment ›Herzgewächse‹ (1982), edierte außer May Friedrich Rückert, betätigte sich als Orga- nist, Theaterregisseur und – immer wieder auch bei den Tagungen der Karl-May-Gesellschaft, wie zuletzt 2005 in Essen – als höchst ein- drucksvoller Rezitator und Vortragsredner. Das punktuell größte Auf- sehen erregte seine Neuübersetzung von James Joyce’ ›Ulysses‹ (1975). Die Reihe der kulturellen Koryphäen, die Hans Wollschläger besonders schätzte, wirkt – man spürte es bis in die Nachrufe hinein – verwirrend: Gustav Mahler und Karl May, Theodor W. Adorno und Arno Schmidt, Sigmund Freud und Karl Kraus – passt das zusammen? Bei Wollschläger passte es tatsächlich, und vielleicht liegt in der küh- nen Kombination solcher Präferenzen der maßgebliche Grund dafür, dass dieser Künstler und Wissenschaftler so ertragreich hat wirken können. Möge im Sinne der beiden Verstorbenen auch dieser Band unserer Jahrbuchreihe das Interesse an Karl May wach halten und das Wissen über ihn bereichern. Dem Andenken an Reinhold Wolff und Hans Wollschläger ist er gewidmet. JOACHIM BIERMANN Karl May, Friedrich Naumann und die Datierung des zweiten ›Silberlöwen‹-Bandes I. Rassistische Stereotypen Zu den befremdlichsten Aspekten des May’schen Werkes gehört es, dass der Autor eine Reihe von Völkern in der Nachfolge der Physiog- nomik Lavaters typisiert und sich in einer Weise über sie äußert, dass man kaum anders kann, als diese Äußerungen als rassistisch zu charak- terisieren. Insbesondere gilt dies für die Armenier, über die sich abfäl- lig zu äußern May kaum einmal eine Gelegenheit ungenutzt ließ. Zu Mays Armenier-Bild gibt es mittlerweile einige bekannte Abhandlun- gen,1 denen zuletzt – nicht ganz ohne Grund – Dominik Melzig eine hagiographische Tendenz attestierte, um seinerseits noch einmal we- sentlich kritischer darauf einzugehen.2 Eine besonders ausführliche Passage zu den Armeniern findet sich im Anfangsteil des letzten Kapitels ›Ein Rätsel‹ in ›Im Reiche des silbernen Löwen II‹, wo May einen Zeitungsartikel zitiert, der aus der Feder eines geistlichen Herrn3 stamme, der Kaiser Wilhelm II. auf seiner Orientreise im Herbst 1898 begleitet habe. Im Kontext einer Ehrenrettung für die viel verleumdeten und auch von abendländischen Zeitungen oft angegriffenen Kurden4 schreibt May dort: Man hat grad in der Jetztzeit die Kurden so oft und mit solcher Erbitterung als Räubervolk verschrieen und ihnen die ganze Schuld an den vielbesprochenen armenischen Wirren zugeschrieben. Ich habe es schon gesagt und sage es hier wieder, natürlich im allgemeinen gesprochen und den Durchschnitt gemeint, daß mir ein Kurde zehnmal lieber ist als ein Armenier, obgleich der letztere ein Christ ist. Wenn und wo auch im Oriente irgend eine Niederträchtigkeit ge- schieht, da hat gewiß ein Levantiner, ein Grieche oder, was noch viel leichter denkbar ist, ein habichtsnäsiger Armenier die Hand dabei im Spiele. Und was die erwähnten Wirren betrifft, so weiß man ja, wie und wozu sie entstanden sind oder, richtiger gesagt – »entstanden wurden!« Ich habe nicht nötig, meine Ansichten zu wiederholen, sondern füge einen kurzen Zeitungsartikel bei, welcher, während ich dieses schreibe, mir zu Handen liegt. Er stammt aus der Feder eines geistlichen Herrn, welcher während der »Kaiserreise« in Kon- stantinopel war und folgendes schreibt: 9 »Am letzten Abend, den wir in Konstantinopel verbrachten, waren wir im deutschen Handwerkerkasino. Es war ein unvergeßlich schöner Abend. Gott grüße euch, ihr deutschen und österreichischen Brüder am Bosporus! Welcher Handwerkerverein hat einen solchen Musikdirigenten, wie ihr? Und wo ist so viel Anhänglichkeit ans Vaterland, als bei diesen Männern, die theilweise 30 oder 40 Jahre unter Türken, Griechen, Juden und Armeniern ihr deutsches Gewerbe hochhielten? Die ältesten von ihnen haben die Zeit noch erlebt, wo kein starkes geeintes Deutschland hinter ihnen stand. Aus verlorenen Söhnen der deutschen Erde sind Pioniere der deutschen Zukunftsmacht geworden. Unter dem Schutze der deutschen Botschaft leben sie ein gesichertes Leben, und eben, während wir bei ihnen sitzen, üben sie die deutschen Lieder für die Ankunft Wilhelms II. Gemeinsam sangen die Jerusalemfahrer und der Kon- stantinopeler Handwerkerverein ein lautes »Deutschland, Deutschland über alles« …5 Es war im Handwerkerverein, wo wir über die Armenier redeten. Uns gegenüber saß ein deutscher Töpfermeister, der 19 Jahre in Konstantino- pel lebt und auch Anatolien kennt. Er sagte etwa folgendes: »Ich bin ein Christ und halte die Nächstenliebe für das erste Gebot, und ich sage, die Tür- ken haben recht gethan, als sie die Armenier totschlugen. Anders kann sich der Türke vor dem Armenier nicht schützen, von dem seine Noblesse, Trägheit und Oberflächlichkeit auf das unverantwortlichste ausgenutzt wird. Der Ar- menier ist der schlechteste Kerl von der Welt. Er verkauft seine Frau, seine noch unreife Tochter, er bestiehlt seinen Bruder. Ganz Konstantinopel wird von den Armeniern moralisch verpestet. Nicht die Türken haben angegriffen, son- dern die Armenier. Wir sind am Tage des Angriffs auf die Ottomanische Bank auf der Straße gewesen und wissen, wie es zuging. Den unierten Armeniern hat man nichts gethan, sondern nur den orthodoxen, denn diese sind die un- verbesserlichen. Daß die Armenier in Kleinasien besser seien, ist eine engli- sche Lüge. Ich bin auf den Dörfern gewesen und kenne die Dinge. Auch dort ist es der Armenier, der allein Wucher treibt. Daß die deutschen Christen Armenierkinder erziehen, hilft gar nichts. Diese werden später ebenso schlecht, wie die übrigen. Ein geordnetes Mittel, um sich gegen die Armenier zu schützen, giebt es nicht. Der Türke handelt in Notwehr!« – Es verdient Beachtung, daß diese Darstellung unseres Landsmannes die Zustimmung seiner Freunde hatte. Wir haben keine Stimme gehört, die sich anders äußerte. Teilweise war die Wut über die Armenier eine brennende. Der Armenier ist der Revolutionär, den die Engländer benutzen, um den Sultan zu stürzen. Das war der Refrain von rechts und links. Wir geben diesen Auszug unseres Gespräches ohne weitere Bemerkungen, da unsere grundsätzliche Haltung in dieser Sache den Freunden in Deutschland hinreichend bekannt ist. Allseitig wird aner- kannt, daß die Türkenherrschaft trotz unleugbarer persönlicher Vorzüge, die der Türke neben seiner Bummelei hat, nicht für alle Zeiten haltbar ist. Der Fremdkörper im Leibe Europas wird einmal ausgestoßen werden. Wann das geschieht, hängt von vielen Dingen ab, keineswegs bloß von Mittelmeerfra- gen.« Wenn ich hier eine Art von Ehrenrettung für den Kurden versuche, so ge- schieht dies in rein menschlicher Absicht, weil ich meine, daß man jedermann 10 nach den Verhältnissen beurteilen soll, die ihn erzogen haben und ihn noch jetzt beherrschen. … Ich bin von Kurden als Feind behandelt, nie aber von ihnen nach armenischem Muster hinterrücks bestohlen oder übervorteilt und betrogen worden. Ganz dieser meiner Ansicht war auch Hadschi Halef Omar, der trotz seiner lustigen Eigenheiten von jeder niedrigen Gesinnung abgesto- ßen wurde, und zwar bei mancher Gelegenheit sehr wacker auf die Kurden räsonniert, doch nie von ihnen als von gemeinen, ehrlosen Menschen gespro- chen hatte.6 Johannes Brand hat den von May angeführten geistlichen Herrn bereits vor Jahren als den evangelischen Theologen, liberalen Politiker und Begründer des kurzlebigen Nationalsozialen Vereins Friedrich Naumann (1860–1919) identifiziert und schrieb zur Herkunft des von May zitierten Artikels: Erschienen ist der Artikel während oder nach der Kaiserreise von 1898 (…), die Naumann in einer Reisegesellschaft begleitete. Er schrieb ihn ursprünglich für seine Zeitung ›Die Hilfe‹ oder für ›Die christliche Welt‹ und übernahm den Bericht über den Töpfermeister von Konstantinopel fast wörtlich so, wie ihn Karl May zitiert, dann auch in das Buch über seine Reise, das von 1899 bis zum 1. Weltkrieg viele Auflagen erlebte.7 Die etwas vagen Angaben Brands lassen sich präzisieren. Naumann sandte von der Orientreise Wilhelms II. eine ganze Anzahl von Reise- briefen an die von ihm selbst begründete Zeitschrift ›Die Hilfe‹.8 Der- jenige, den May zitiert, trägt den Titel ›Hinter Konstantinopel‹ und erschien im 4. Jahrgang von ›Die Hilfe‹ in der Nr. 45 vom 6. Novem- ber 1898 auf S. 5–7. May zitiert aus dem abschließenden Teil auf S. 7. Wenn Brand schreibt, Mays Zitat finde sich »fast wörtlich« in der Buch-Ausgabe, so sollte es besser heißen, May habe den Naumann’schen Text ›fast wörtlich‹ aus der ›Hilfe‹ übernommen; es finden sich nämlich einige wenige der Flüchtigkeit des Abschreibens geschuldete Varianten, die Zeichensetzung und Wortwahl betreffen. Allein nennenswert, da leicht sinnverändernd, ist, dass May gegen Ende des Zitats schreibt: Auch dort ist es der Armenier, der allein Wu- cher treibt, während es bei Naumann heißt: »(…) der allen Wucher treibt«.9 Die von May gekennzeichnete Auslassung zu Beginn des Zitats nach »Deutschland, Deutschland über alles« betrifft lediglich einen Satz, in dem sich Naumann über den Preis deutschen Biers in Konstantinopel äußert. Eine weitere, umfangreichere Auslassung allerdings hat May nicht markiert. Sie findet sich gegen Ende des Naumann-Zitats nach den Worten den Freunden in Deutschland hinrei chend bekannt ist und betrifft eine gute halbe Spalte des Naumann- 11 Textes, in denen dieser von der Überfahrt von Genua nach Konstantin- opel berichtet.10 Naumann fasste, wie bei Brand erwähnt, seine Reiseberichte von der Orientreise wenig später in einem Buch zusammen; es trägt den Titel ›»Asia«. Eine Orientreise über Athen, Konstantinopel, Baalbek, Naza- reth, Jerusalem, Kairo, Neapel‹.11 Die Erstveröffentlichung des Reisebriefs in ›Die Hilfe‹ löste ein ge- waltiges Presseecho in Deutschland und darüber hinaus aus. Naumann äußert sich dazu ausdrücklich im Schlussteil von ›Asia‹: Es ist nun schon fast zwei Monate her, seit ich in Konstantinopel mit dem Töpfermeister über die Armenier redete. Er weiß vielleicht gar nicht, wieviel Zeitungen sich mit ihm befaßt haben. Fast die ganze deutsche Presse druckte seine Beurteilung der Armenier ab, und viele französische Blätter nahmen von ihr Notiz. Unsere offiziösen Zeitungen benutzten den Töpfermeister für ihre Auffassung, und unsere christlichen Blätter bekämpften ihn um der christli- chen Armenier willen. Oft aber schlugen sie nicht nur auf den Töpfermeister, sondern ebensosehr auf den Verfasser des Reiseberichts. Er sah sich darauf veranlaßt, in der ›Christlichen Welt‹ folgendes zu schreiben: Der Angeklagte erbittet sich das Wort zur Verteidigung. Ich bin angeklagt, in der armenischen Frage das christliche Bewußtsein und Gefühl verletzt zu haben. (…) Man begreift, daß der Schriftsteller sich zu Zeiten in die Rolle des Berichterstatters zurückzieht, der nur eben sagen will, was er gehört hat. Aber man begreift es nur schwer im Fall einer ungünstigen Aussage über die Arme- nier, weil man mich von vornherein im Verdacht hat, dem Töpfermeister zuge- nickt zu haben. Um also nach dieser Seite hin zuerst Klarheit zu schaffen, erkläre ich, daß ich mir die Aussage des deutschen Landsmannes in ihrer gan- zen Grundstimmung nicht aneignen kann, daß ich es aber noch heute für wert- voll und richtig halte, diese unter tüchtigen und erfahrenen Männern des Ori- ents weit verbreitete Grundstimmung nicht mit kurzer Handbewegung abzu- schieben oder einfach als Brotneid zu ignorieren. Es mag sein, daß diese Stimmung etwas Verwandtschaft mit dem Antisemitismus bei uns hat, aber selbst in diesem Fall gehört sie zum Gesamtbilde der armenischen Frage.12 Wie ernst diese Distanzierung zu nehmen ist, lässt sich vielleicht bes- ser einschätzen, wenn man auch die kleine Textänderung berücksich- tigt, die Naumann bei der Übernahme des Textes aus ›Die Hilfe‹ in den ›Asia‹-Band stillschweigend vornahm. In der Zeitschrift hieß es gegen Ende noch (so auch von May zitiert): 12 Wir geben diesen Auszug unseres Gespräches ohne weitere Bemerkungen, da unsere grundsätzliche Haltung in dieser Sache den Freunden in Deutschland hinreichend bekannt ist. In ›Asia‹ lautet die Passage jedoch nun folgendermaßen: Wir geben diesen Auszug unseres Gespräches ohne uns für das, was wir hör- ten, irgendwie verantwortlich zu fühlen, nur, damit die Stimme dieser deut- schen Handwerker auch gehört wird. Was wir selbst zur armenischen Frage zu sagen haben, wird später seinen Platz finden.13 Das klingt doch eher nach einem halbherzigen Rückzieher angesichts der unerwartet heftigen Reaktionen denn nach einer inhaltlichen Dis- tanzierung. II. Das publizistische Echo Das May’sche Naumann-Zitat im zweiten ›Silberlöwen‹-Band ist, trotz seiner typischen, den Leser eher in die Irre führenden statt informie- renden Anonymisierung,14 nicht unbeachtet geblieben und in letzter Zeit mehrfach mit kritischem Unterton in der Literatur angeführt wor- den. Jüngst erst geschah dies in Joachim Radkaus neuer Max-Weber- Biographie von 2005: Wie wir sahen, brachte Naumann es fertig, sogar die Hunnenrede des Kaisers zu verteidigen, die selbst vielen Kaisertreuen peinlich war. Da stieß er selbst seinen Mitstreiter Adolf Damaschke15 vor den Kopf, den Vorkämpfer der Bodenreform. Nicht genug damit, erregte er bald darauf16 auch in christlichen Kreisen, die ihm nahe standen, helle Empörung, als er öffentlich Verständnis für die türkischen Massaker an den christlichen Armeniern zeigte. Das von ihm berichtete Zitat eines »deutschen Töpfermeisters, der 19 Jahre in Konstantino- pel lebt«, ging durch die Presse: Der Armenier sei »der schlechteste Kerl von der Welt«, und die Türken hätten »Recht gehabt, als sie die Armenier totschlu- gen«. Karl May übernahm dieses Zitat kurz darauf in seinem Roman Im Reich des Silbernen Löwen; auf dem nationalsozialen Parteitag dagegen wurde der osmanische Padischah als »gekrönter Massenmörder« gebrandmarkt.17 Auch die Presse hat 2005 Mays negatives Armenierbild mehrfach er- wähnt. Mit seinem abschätzigen, rassistisch angehauchten Urteil über die Armenier trägt so May selbst heute noch dazu bei, dass sein 13 Image mit Makeln behaftet ist. Als besonders fatal erweist sich dabei der Bekanntheitsgrad des Schriftstellers, auf den man bei Ausführun- gen zur Armenierfrage immer besonders gern zurückgreift, geht man – zu Recht – doch davon aus, dass sein Name dem Leser auf jeden Fall etwas sagt. Und wo ein Autor wie Radkau noch korrekt zu differenzie- ren weiß, schlägt die recherchefaule Presse gleich auch noch die Naumann- bzw. Töpfermeister-Zitate aus dem ›Silberlöwen‹ May sel- ber zu (ganz so, wie Naumann zu beklagen hatte, man schiebe ihm die Aussage des deutschen Töpfermeisters in Konstantinopel unter). So lesen wir in der ›Nürnberger Zeitung‹ vom 8. April 2005: Bis auf warnende Stimmen aus der evangelischen Kirche war der vieltausend- fache Tod in der fernen Türkei kaum erwähnt worden. Die Armenier waren nicht beliebt. So schrieb auch Karl May: »Der Armenier ist der schlechteste Kerl der Welt.«18 Und auch ein renommiertes Blatt wie ›Die Zeit‹ weiß es nicht wesent- lich besser, obgleich auch Naumann Erwähnung findet: Die blutige Verfolgung der christlichen Armenier Ende des 19. Jahrhunderts führte schon damals zu großen Disputen zwischen engagierten Humanisten wie dem Theologen Johannes Lepsius und den Promotoren der Weltmachtrol- le. So bekundete Friedrich Naumann, der liberale Imperialist, wichtiger als die armenische Frage sei das deutsche Volkstum, »an dem noch einmal die Welt genesen soll«. Die Aufgabe Deutschlands lasse deshalb »die sentimentale Behandlung des Schicksals eines fremden Volkes in einem fremden Staat nicht zu«. Infam opferte Karl May die Armenier den kaiserlichen Interessen. Der Schriftsteller, der sich einer Breitenwirkung erfreute fast wie ›Bild‹ heute, schrieb in einer seiner Erzählungen: »Wo irgendeine Heimtücke, eine Verräte- rei geplant wird, da ist sicher die Habichtnase eines Armeniers im Spiel.« An anderer Stelle unterstützte er indirekt die Massaker: »Ein geordnetes Mittel, um sich gegen die Armenier zu schützen, gibt es nicht. Der Türke handelt in Notwehr!«19 Differenzierter und leider durchaus treffend heißt es, ebenfalls im Jahr 2005,20 in der ›Frankfurter Allgemeinen Zeitung‹: Zwar gab es auf seiten des deutschen Militärs und deutscher Diplomaten im Osmanischen Reich vereinzelte Proteste, insgesamt aber verhielt sich die politische Führung des Deutschen Reichs »realpolitisch«: Der türki- 14 sche Bündnispartner sollte nicht verprellt werden, die deutschen Interessen wogen schwerer als das Schicksal der christlichen Armenier. Mehr noch: Die Armenier trügen selbst die schuld an ihrem Untergang, so Friedrich Naumann (…). Die Armenier verhielten sich wie Parasiten auf dem sterbenden Leib des »kranken Mannes«. Die Armenier waren ihm bereits während einer Reise vor der Jahrhundertwende als »Zwischenvolk« ohne weitere historische Berechtigung erschienen. Karl May sollte diese rassistische Festschreibung in seinem Roman ›Im Rei- che des silbernen Löwen‹ nachhaltig popularisieren. Von hier als zur soge- nannten »Judenzählung« im Deutschen Heer von 1916, die auf dem explizit rassistisch begründeten Vorwurf parasitärer Feigheit vor dem Feinde beruhte, war es dann nur ein Schritt, ein rassistischer Nachvollzug im Innern, was man theoretisch im Hinblick auf das Osmanische Reich »völkisch« schon gebilligt hatte.21 May hat sich mit seinem unreflektierten Armenierbild nachhaltig selbst geschadet. Eine besonders eingehende und erhellende Einordnung nimmt Hans-Walter Schmuhl in einem Aufsatz von 2001 vor. Er be- richtet davon, dass Naumanns Zeitungsartikel Teil eines Diskurses zur Armenischen Frage gewesen sei, der sich im 19. Jahrhundert entwi- ckelt habe, und fragt dann: Was war nun das Besondere an diesem Diskurs, dieser besonderen Redeweise über die Armenische Frage? Es war seine rassistische Konnotierung. Die Ar- menier wurden mehr und mehr zu einer »Rasse« umdefiniert. Es wurde ein Rassenstereotyp mit einem negativen Rassencharakter (die Armenier als »ge- borenes Verbrechervolk«), mit einer spezifischen – ästhetisch abstoßenden – Physiognomie und mit einem Erklärungsmodell (die Armenier als »entwurzel- tes Schurkenvolk«) konstruiert, das die westliche Idee des Orients wie in ei- nem Brennspiegel verdichtet, von den muslimischen Türken (teilweise) ablöst und auf die christliche Minderheit der Armenier projiziert. Das Rassenstereo- typ ist dabei in ein Wortfeld – eingegrenzt durch Schlüsselbegriffe wie Raub- vogel, Schmarotzer, Parasit, Pest – eingebettet, das der ›Dehumanisierung‹ der Armenier massiv Vorschub leistet und damit eine unausgesprochene, durch die Textoberfläche vermittelte Legitimierung des Pogroms liefert. Solche Tenden- zen sind auch in Naumanns Texten unterschwellig angelegt. Offen zutage treten sie etwa bei Karl May, der Naumanns Textpassage mit der angeblichen Aussage des deutschen Handwerksmeisters schon kurz nach ihrem Erscheinen wörtlich in seinen Roman ›Im Reiche des silbernen Löwen‹ übernahm. In Karl Mays Werken, die ihrer ungeheuren Breitenwirkung wegen von besonderer Bedeutung sind, ist das antiarmenische Stereotyp auf die Spitze getrieben, wird der Massenmord an den Armeniern in den 1890er Jahren nahezu unver- hüllt gerechtfertigt.22 15

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