Nach dem Erfolg von Lothar-Günther allen meinen Kameraden geschah. Mit Hilfe Buchheims Epos »Die Festung« geisterte ein meiner Fotos sollte ich sogar die Wahrheit Phantom durch die Medien - ein Buch, das belegen können, meine Bilder würden keiner kannte, das aber belegen sollte, sprechen, auch dafür, wie wir uns mit zwei Buchheim sei Kriegspropagandist gewesen. Gegnern herumschlagen mußten: dem Feind Die Kontroverse um das 1943 zur See und in der Luft und dem feindlichen abgeschlossene Werk »Jäger im Weltmeer« Element, der See.« faßte A. J. Andreas in der »Welt am Sonntag« zusammen: »Buchheim hatte auch dieses Buch für den Verlag geschrieben, dessen Chef mit den Lothar-Günther Buchheim, geboren 1918 in Nazis nichts im Sinn hatte, Peter Suhrkamp. Weimar. Schon mit vierzehn Jahren als Der ehemalige Stoßtruppführer war einer der zeichnendes und malendes »Wunderkind« letzten Aufrechten, Unbestechlichen im Mitarbeiter von Zeitungen und Zeitschriften. deutschen Literaturgewerbe. ‚Jäger im Erste Kollektivausstellungen und erste Weltmeer’ konnte für seinen Verlag Monographie (1935). Fährt nach dem Abitur überlebenswichtig sein. Was geschah, nimmt mit dem Faltboot die Donau hinab bis ins sich heute geradezu gleichnishaft für den Schwarze Meer. Als literarischer Ertrag Niedergang des hitlerschen Deutschland aus: dieser Reise erscheint 1939 bei S. Fischer Die gesamte Auflage wurde in der der Band »Tage und Nächte steigen aus dem Spamerschen Druckerei in Leipzig bei einem Strom«. Studium an den Kunstakademien in Bombenangriff vernichtet. Ein Dresden und München. Im Zweiten Neudruckversuch, im Elsaß, wurde von Weltkrieg Kriegsberichter, ursprünglich als französischen Widerstandskämpfern durch Kriegsmaler, mit Einsätzen auf zufällige Sabotage verhindert; ein weiterer, Minenräumbooten, Zerstörern und vor allem in Norwegen vorgesehener, unterblieb. Peter U-Booten. Nach dem Krieg Gründung einer Suhrkamp war nach einer Denunziation Kunstgalerie und später auch eines verhaftet worden. Die Denunziation Kunstverlages. Lothar-Günther Buchheim ist Buchheims durch ‚Jäger im Weltmeer’ Autor zahlreicher Standardwerke über den scheitert an diesem Buch selbst. Wer Expressionismus. 1973 erschien sein Roman Gelegenheit hat, es zu lesen, findet nicht eine »Das Boot«, 1995 »Die Festung«, Spur von Propaganda. Im Gegenteil: dazwischen unter anderem die nüchterner, sogar skeptischer hätte kein Bild/Textband-Trilogie Kriegsberichter schreiben können, und die »U-Boot-Krieg« (1976), »Die U-Boot- Jäger sind vor allem Gejagte... ein Buch, das Fahrer« (1985), »Zu Tode gesiegt« (1988). nicht lügt, ein Vorläufer zum ‚Boot’.« Daneben immer wieder Fernsehfilme und Nach den Angriffen gegen sein Buch legt Reportagen. Lothar-Günther Buchheim lebt Buchheim jetzt die Karten auf den Tisch und in Feldafing am Starnberger See. Seine veröffentlicht »Jäger im Weltmeer« Sammlung expressionistischer Kunst ist unverändert. In seinem Vorwort schreibt er: legendär. »Dieses Buch habe ich, vierundzwanzig Jahre alt, mitten im Krieg gemacht - genauer: Peter Suhrkamp hat es konzipiert, als sein Verlag in äußerster Bedrängnis war: Er sah Alexander Rost, Jahrgang 1924, ist Publizist die Fotos, die ich von der fünften und und Schriftsteller in Hamburg. Er ging 1942 sechsten Feindfahrt mit U96 zurückgebracht zur Marine und war nach Kriegsende zwei hatte, und erkannte in meinen Bildern Jahre lang Seeoffizier im Minenräumdienst. sogleich eine geschlossene Reportage, wie Nach dem Studium, Hauptfach Geschichte, sie noch nicht existierte... Ein neues Vehikel, wurde er Journalist und arbeitete bei um meine Zeugenschaft an den Mann zu wichtigen Tages- und Wochenzeitungen. bringen, war gefunden: der Text-Bild- Ausgezeichnet wurde er unter anderem mit Report. Damit konnte ich unmittelbar dem Theodor-Wolff-Preis. Zeugnis davon ablegen, was mit mir und LOTHAR-GÜNTHER BUCHHEIM JÄGER IM WELTMEER Mit einem Vorwort des Autors und einem Nachwort von Alexander Rost HOFFMANN UND CAMPE Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Buchheim, Lothar-Günther: Jäger im Weltmeer / Lothar-Günther Buchheim. Mit einem Vorw. des Autors und einem Nachw. von Alexander Rost. - 1. Aufl. - Hamburg : Hoffmann und Campe, 1996 ISBN 3-455-11172-6 »Jäger im Weltmeer« wurde 1943 für den Suhrkamp Verlag, Berlin, gedruckt, kam aber nie zur Auslieferung, da zwei Auflagen durch Kriegseinwirkungen in den Druckereien vernichtet wurden. © 1996 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg Schutzumschlaggestaltung: Lothar-Günther Buchheim Lithographie (Reprint der Originalausgabe): Lorenz und Zeller, Inning Druck und Bindung: Franz Spiegel Buch, Ulm Printed in Germany INHALT Vorwort 4 Jäger im Weltmeer 23 Auslaufen 35 Der Normaltag 40 Funk 64 Gammeln 68 Sturm 80 Kampf 88 Kriegstagebuch von U A vom 23. bis 28. November 99 Erklärung der seemännischen Ausdrücke 104 Die Bilder 106 Wegekarte 108 Nachwort 109 VORWORT D ieses Buch habe ich, vierundzwanzig Jahre alt, mitten im Krieg gemacht - genauer: Peter Suhrkamp hat es konzipiert, als sein Verlag in äußerster Bedrängnis war: Er sah die Fotos, die ich von der fünften und sechsten Feindfahrt mit U 96 zurückgebracht hatte, und erkannte in meinen Bildern sogleich eine geschlossene Reportage, wie sie noch nicht existierte. Als er sich für die Bilder begeisterte, war ich noch arglos: Einen Bildband hatte es schließlich im Suhrkamp Verlag noch nie gegeben. Ein Jahr zuvor hatte mich der dritte Gestellungsbefehl in München erreicht - ich war dort Kunststudent. Gestellungsbefehle, der »Ruf zu den Fahnen«, kamen zu Beginn des Krieges noch mit normaler Post; ich konnte sie verbrennen und jeweils in Eile den Wohnsitz - das heißt: die Bude - wechseln. Man wollte mich immer, was mir nicht behagte, zu »schweren« Waffen einziehen: zu den Pionieren, zur Küstenartillerie. Einmal sollte der Standort Straubing sein, das andere Mal Husum. Als dann mit jedem Tag deutlicher wurde, daß ich mich, schwergewichtig, wie ich nun mal war, nicht mehr in die Straßenbahn setzen konnte, ohne von allen Seiten giftig begafft zu werden - als das Leben als Zivilist im Ganzen sehr riskant wurde -, meldete ich mich »freiwillig« zu den Fahnen. Als Freiwilliger konnte ich mir die Waffengattung aussuchen, und da ging ich, ich kam aus Sachsen, zur Marine. Weil es schon etliche Veröffentlichungen gab, wurde ich sehr schnell Kriegsberichter und als solcher Kriegsmaler. Die Bezeichnung war eher komisch, tat ich doch alles mögliche andere als malen: Ich fuhr auf Zerstörern und schrieb Reportagen - wie hätte ich an Bord auch malen sollen! Es folgten Einsätze auf Schnellbooten, Minenräumbooten und anderen »fahrbaren Untersätzen«. Bald sprach sich herum, daß geplante Unternehmungen interessant würden, wenn ich an Bord war. Dann ging ich zu den U-Booten - und zwar zur 7. Unterseebootflottille mit dem Einsatzhafen Saint Nazaire. Hier fotografierte ich, obwohl das auch nicht meines Amtes war, bald wie ein Besessener, zeichnete ziemlich viel und heimste an Notizen ein, was nur einzuheimsen war. Und nun saß ich Zar Peter, meinem Verleger, in der Berliner Lützowstraße in der Uniform eines Leutnants gegenüber. »Wenn wir aus Ihren Fotos ein Buch machen könnten, würden wir kriegswichtig«, ging Suhrkamps Rede. Und weiter: »Dann wären wir fürs erste gerettet... Sie müßten nur noch einen Text dazu schreiben!« So einen Text wollte ich jetzt aber nicht schreiben, arbeitete ich doch in jeder freien Minute an der ersten Fassung einer großen U-Bootreportage: »Das geduckte Leben«, aus der später »Das Boot« wurde. Ich fühlte mich zur Zeugenschaft aufgerufen, weil ich, wie kaum ein anderer, extreme Situationen erlebt und überlebt hatte. Der Stoff, den ich bewältigen wollte, war freilich übergroß, und die Arbeit daran wuchs sich bald zur Obsession aus: Das Erlebte war noch allzu nahe, und die Schreckensbilder bedrängten mich so sehr, daß jeder Schreibversuch zu einer heftigen Nervenanspannung wurde. Besonders deprimierte mich das Gefühl, ich könnte mich nicht verständlich machen, die Leser würden die Drangsal der U-Bootwelt nicht nachempfinden können. Simpel ausgedrückt: Jeder Mensch ist schon einmal über Erde gelaufen, er hat sich auch schon auf die Erde gelegt und kann das Erlebnis eines Infanteristen, der dicht am Boden Deckung sucht, nachempfinden. Selbst ohne geflogen zu sein, kann sich jemand das Fliegen vorstellen, wenn er schon einmal auf einem Turm gestanden und so die Welt von oben gesehen hat. Diese »allgemeinen Voraussetzungen« gibt es nicht für den submarinen Krieg. Die wenigen Bücher, die erschienen waren, schwiegen sich über die Besonderheiten dieses Krieges aus, in dem Physik, Chemie und Maschinenbau eine so große Rolle spielen. Den Leser, damit er dies Außerordentliche verstehen könne, geduldig quasi zum U-Bootfahrer zu machen, erschien mir als allzu langer Weg. Es gab noch mehr Hemmungen: Schon an Bord habe ich mich damals mit der Frage der »Wahrheit« beschäftigt. Mir wurde bald deutlich, daß man sogenannter objektiver Wahrheit nicht ohne alle erdenkliche Akribie habhaft werden kann. Daß ich im »Boot« die Ichform gewählt habe, sollte deutlich machen, daß es sich um meine eigene subjektive Wahrheit handelt. Mir war klargeworden, daß ich in Momenten äußerster Bedrohung die Geschehnisse anders erlebte, als sie unmittelbar danach in meiner Erinnerung waren. Ich konnte schon Minuten nach einem Wasserbombenangriff nicht mehr »objektiv« schildern, wie ich ihn erlebt hatte, weil sich sofort danach Empfindungen und Reflexionen einstellten, die ich »im Augenblick« nicht hatte. Ich fühlte mich deshalb auch gänzlich außerstande, zu meinen Bildern einen Text über die U-Boote zu schreiben - also aus dem eben Erlebten ein Buch zu machen. Peter Suhrkamp aber hatte schon den Titel gefunden: »Jäger im Weltmeer«. Und nun dekretierte er mit seiner ganzen imposanten Autorität gar, daß es jetzt für mich nichts anderes geben sollte, als aus meiner Fotobeute und meinen Notizen ein Buch zu machen und damit den Verlag vor der drohenden Schließung zu retten. Und zwar sofort! In Tag- und Nachtschichten, wenn es sein müßte - und wo auch immer. Mir war klar, was mir blühen würde. In meinem Buch »Die Festung« habe ich die Situation so beschrieben: »Ich wollte damals kein Buch schreiben, aber Suhrkamp war wie versessen darauf. Es geriet auch prompt zu einer schwierigen Zangengeburt: ein Buch in die Welt zu setzen, das einem guten Dutzend Dienststellen und Zensuronkels jedweder Couleur gefallen, dennoch aber möglichst kein Propagandagedröhn enthalten sollte - nicht gerade eine einfache Sache...« Plötzlich aber gewann ich Geschmack an Suhrkamps Plan und begann, wie ums Leben zu schreiben. Im Grunde kam mir Zar Peters striktes Gebot zupaß, wenn ich das auch nicht wahrhaben wollte und alles in mir gegen seine Strenge rebellierte. Ein neues Vehikel, um meine Zeugenschaft an den Mann zu bringen, war gefunden: der Text- Bild-Report. Damit konnte ich unmittelbar Zeugnis davon ablegen, was mit mir und allen meinen Kameraden geschah. Mit Hilfe meiner Fotos sollte ich sogar die Wahrheit belegen können. Und ich würde mich kurz fassen, meine Bilder würden sprechen, auch dafür, wie wir uns mit zwei Gegnern herumschlagen mußten: dem Feind zur See und in der Luft und dem feindlichen Element, der See.