INTENTIONALITÄTSTHEORIE BEIM FRÜHEN BRENTANO PHAENOMENOLOGICA REIHE GEGRÜNDET VON H.L. VAN BREDA UND PUBLIZIERT UNTER SCHIRMHERRSCHAFf DER HUSSERL-ARCHIVE 159 ARKADIUSZ CHRUDZIMSKI INTENTIONALITÄTSTHEORIE BEIM FRÜHEN BRENTANO Redaktionskomitee: Direktor: R. Bemet (Husserl-Archief, Leuven) Sekretär: J. Taminiaux (Centre d' etudes phenomenologiques, Louvain-la-Neuve) Mitglieder: S. IJsseling (Husserl-Archief, Leuven), H. Leonardy (Centre d' etudes phenomenologiques, Louvain-la-Neuve), U. MeIle (Husserl-Archief, Leuven), B. Stevens (Centre d' etudes phneomenologiques, Louvain-la Neuve) Wissenschaftlicher Beirat: R. Bemasconi (Memphis State University), D. Carr (Emory University, AtIanta), E.S. Casey (State University of New York at Stony Brook), R. Cobb-Stevens (Boston College), J.F. Courtine (Archives-Husserl, Paris), F. Dastur (Universite de Paris XX), K Dsing (HusserI-Archiv, Köln), J. Hart (lndiana University, Bloomington), K Held (Bergische Universität Wuppertal), D. Janicaud (Universite de Nice), KE. Kaehler (Husserl-Archiv, Köln), D. Lohmar (Husserl-Archiv, Köln), W.R. McKenna (Mi ami University, Oxford, USA), J.N. Mohanty (Temple University, Philadelphia), E.W. Orth (Universität Trier), B. Rang (Husserl-Archief Freiburg i.Br.), K Schuhmann (University of Utrecht), C. Sini (Universita degli Studi di Milano), R. Sokolowski (Catholic University of America, Washington D.C.), E. Ströker (Universität Köln), B. Waldenfels (Ruhr-Universität, Bochum) ARKADIUSZ CHRUDZIMSKI Pädagogische Universität in Zielona Gora, Poland, and Universität Salzburg, Austria .. INTENTIONALITATSTHEORIE BEIM .. FRUHEN BRENTANO Springer-Science+Business Media, B.Y. A C.LP. Catalogue record for this book is available from the Library of Congress. ISBN 978-90-481-5670-2 ISBN 978-94-015-9668-8 (eBook) DOI 10.1007/978-94-015-9668-8 Printed on acid-free paper All Rights Reserved © 2001 Springer Science+Business Media Dordrecht Originally published by Kluwer Academic Publishers in 2001. Softcover reprint of the hardcover I st edition 200 I No part of the material protected by this copyright notice may be reproduced or utilized in any form or by any means, electronic or mechanical, inc1uding photocopying, recording or by any information storage and retrieval system, without written permission from the copyright owner INHAL TSVERZEICHNIS EINFÜHRUNG 1. VORSTELLUNG 10 1.1 Das Problem der Intentionalität 10 1.2 Die frühe Theorie Brentanos als eine reine Objekt-Theorie 13 1.3 Die Platonische Mediator-Theorie 26 1.4 Die Theorie Brentanos als eine Objekt-Theorie mit zwei Objekten 33 1.5 Die Theorie Brentanos als eine Deskriptionstheorie 37 1.6 Die Position des immanenten Objekts 39 1.7 Die Theorie Brentanos als eine Objekt-Theorie mit nicht-existierenden Objekten 41 1.8 Das Schema der Theorie der Logik-Vorlesung 42 1.9 Die ontologische Struktur des immanenten Objekts 46 2. URTEIL UND WAHRHEIT 50 2.1 Urteil 51 2.2 Die adaequatio-Lehre des Vortrags Über den Begriffd er Wahrheit 58 2.3 Die Theorie der Logik-Vorlesung [EL 80] 62 2.4 Die Theorie der Würzburger Vorlesungen zur Metaphysik [M 96] 67 2.5 Die späte, epistemische Formulierung des Wahrheitsbegriffs 69 2.6 Der Begriffsempirismus und der Wahrheitsbegriff 71 2.7 Die realistische Wahrheitsdefinition und Metasprache 74 2.8 Zwei Theorien der Intentionalität des frühen Brentano 80 2.9 Die Intentionalität der Gemütsbeziehung 84 2.10 Der normative Diskurs 87 3. INNERE WAHRNEHMUNG 90 3.1 Die Cartesianische Psychologie 90 3.2 Die Doppelintentionalität des Bewußtseins 94 3.3 Die Erkenntnistheorie Brentanos 97 3.4 Der epistemische Charakter der inneren Wahrnehmung 101 3.5 Innere Wahrnehmung und die Struktur des immanenten Objekts 104 3.6 Die Oszillation zwischen OT und MT 108 3.7 Die Seinsweise des immanenten Objekts III 3.8 Innere Wahrnehmung und die adaequatio-Definition der Wahrheit 122 4. ABSTRAKTION, ALLGEMEINHEIT, APODIKTIZITÄ T 128 4.1 Die epistemische Transzendenz der Empfindung 128 4.2 Die epistemische Transparenz 134 4.3 Beziehungen de re und de dicto. Die Platonische Theorie der Modalität 138 4.4 Die Theorie der Beziehung de re 143 4.5 Die Beziehungen de re und das immanente Objekt 147 VI 4.6 Die Abstraktionstheorie 154 4.7 Modalitäten 1. Modale Urteile als Metaurteile 160 4.8 Modalitäten II. Unreduzierbarkeit des apodiktischen Modus 165 4.9 Begriffliche Funktion der immanenten Objekte 169 4.10 Die Grammatik der intentionalen Beziehung 173 4.11 Unreduzierbarkeit des apodiktischen Modus noch einmal 177 5. EIGENSCHAFTEN 179 5.1 Eigenschaften als Fiktionen des Verstandes 179 5.2 Die Theorie der individuellen Eigenschaften 182 5.3 Die ontologische Struktur der intentionalen Beziehung 194 5.4 Allgemeine Begriffe und logische Teile 197 6. DAS PROBLEM DER INTERSUBJEKTIVITÄT 202 6.1 Außerseiende Gegenstände. Twardowski und Meinong 203 6.2 Der mentale Inhalt als vermittelnde Entität. Husserl 210 6.3 Die adverbiale Theorie der Intentionalität 215 6.4 Individuelle Eigenschaften und Intersubjektivität 218 6.5 Eine epistemische Analyse der Intersubjektivität 220 6.6 Zusammenfassung. Die Ontologie der intentionalen Beziehung 226 7. DINGE ALS OBJEKTE. DIE SPÄTE THEORIE 233 7.1 Intentionale Beziehung als etwas Relativliches. Zwei Interpretationen 233 7.2 Interne und externe Relationen 243 7.3 Die Eindeutigkeit des Vorstellens 247 7.4 Die reistische Übersetzung 257 7.5 Die psychischen Modi 260 7.6 Das Subjekt als das einzige Objekt der Intentionalität in recto (1914) 267 SCHLUSSWORT 272 BIBLIOGRAPHIE 278 NAMENREGISTER 288 EINFÜHRUNG Franz Brentano (1838-1917) gilt mit guten Gründen als der Philosoph der Intentio nalität. In allen Lehrbüchern wird er als derjenige Denker genannt, der die Proble matik der Intentionalität für die Neuzeit "neu entdeckt" hat. Die Formulierung des Problems der Intentionalität, die Brentano den nächsten Forschergenerationen hin terlassen hat, betont vor allem die Intuition des Gerichtetseins jedes psychischen Aktes auf ein Objekt, auf die wir uns im Folgenden oft mit dem Ausdruck "phäno menologische Intuition" beziehen werden. Wir verwenden diesen Ausdruck im Fol genden als eine Art terminus technicus, dessen Bedeutung als rein konventionell festgelegt gedacht werden kann. Aber diese Bezeichnung ist natürlich nicht arbiträr. Wir sind der Meinung, daß die so verstandene phänomenologische Intuition in der Mehrheit der Theorien, die im Rahmen der Geschichte der Philosophie als phäno menologisch klassiftziert werden, eine zentrale Rolle spielt. Wir wollen jedoch nicht behaupten, daß diese Intuition die einzige, die wichtigste oder eine unentbehrliche Intuition sei, auf die sich jede phänomenologische Philosophie stützen muß. Wir be haupten nur, daß diese Intuition für eine ganze Familie von Theorien, die man in der weit verstandenen phänomenologischen Tradition situieren kann, von sehr großer Bedeutung war, und der Einfachheit halber möchten wir uns auf sie durch einen festen Ausdruck beziehen. Daß diese Intuition aus einer Alltagsselbstverständlichkeit zu einem philosophi schen Problem wird, gründet in gewissen logischen Anomalien, welche die Be schreibungen der intentionalen Beziehung betreffen. Diese Anomalien werden heu te gewöhnlich unter dem Terminus der Nichtextensionalität der intentionalen Kon texte behandelt. Es geht darum, daß das gemeinte Objekt nicht zu existieren braucht (wir können z.B. an einen Zentauren denken) und daß verschiedene Beschreibungen desselben Objekts nicht ohne Einschränkungen füreinander substituiert werden dürfen. (Aus der Tatsache, daß Hans an den Sieger von Jena denkt, folgt nicht, daß er an den Besiegten von Waterloo denkt.) Einige Theorien der Intentionalität, die wir in unserem Buch erörtern, versuchen angesichts dieser Probleme auf die Meta pher des Gerichtetseins (mindestens teilweise) zu verzichten. Brentano hat jedoch die Idee des Gerichtetseins und damit die Idee der Korrelation zwischen dem Akt und "seinem" Objekt sehr ernst genommen. In seiner Psychologie vom empirischen Standpunkt (1874), wo das Problem der Intentionalität in dieser Form zum ersten Mal formuliert wurde, hat Brentano auch eine Art der Theorie der Intentionalität vorgestellt, die heute als klassisch gilt. Diese frühe Theorie Brentanos wird gewöhnlich als reine Objekt-Theorie klassifiziert. Um dem quasi-relationalen Charakter der Intentionalität Rechnung zu tragen, führt näm lich Brentano gewisse spezielle Entitäten ein, die als Objekte der Intention fungie ren. Diese Entitäten heißen in der Terminologie Brentanos immanente Objekte. Der 1 2 EINFÜHRUNG größte Teil unseres Buchs befaßt sich mit den philosophischen Rätseln, die aus der Einftihrung dieser ontologischen Kategorie erwachsen sind. Angesichts der historischen und systematischen Bedeutung der frühen Intentio nalitätslehre Brentanos, wurde über seine Theorie des immanenten Objekts erstaun lich wenig geschrieben. Es fehlen im Besonderen die monographischen Arbeiten, die diese Kategorie gründlich analysieren würden. Das hat natürlich seine Gründe. Brentano hat zu Lebzeiten relativ wenig publiziert. Die frühe Lehre vom immanen ten Objekt wird deshalb gewöhnlich aufg rund der äußerst knappen Bemerkungen in der Psychologie rekonstruiert. Das Bild, das man anhand dieser Stellen erhalten kann, ist sehr skizzenhaft. Es läßt sich argumentieren, daß die Gegenüberstellung des Aktes und seines Objekts, die sich dort fmdet, eher auf das bloße Faktum der Intentionalität aufmerksam macht, aber noch keine bestimmte Theorie der intentio nalen Beziehung impliziert. Eine genauer artikulierte Theorie der Intentionalität ist erst in späteren Manuskripten zu finden. Auch die ersten begeisterten Kommentatoren Brentanos (darunter vor allem Alfred Kastil, Oskar Kraus und Franziska Mayer-Hillebrandt) haben zum Verständ nis der frühen Theorie ihres Meisters wenig beigetragen. In ihrer Konzentration auf die späte, reistische Lehre Brentanos haben sie die philosophische Bedeutung der frühen Theorie in der Regel eher bagatellisiert. Aus diesen Gründen wird gewöhnlich diese erste Theorie als der notwendige und beachtenswerte, jedoch noch sehr "unreife" erste Schritt auf dem Weg der Entwick lung des Intentionalitätsbegriffs betrachtet. Eine "richtige" Explikation des Intentio nalität-Gedankens wird dann entweder bei Meinong und Husserl oder in der späten Lehre Brentanos gesucht. Konsequenterweise betont man vor allem die Mehrdeutig keit der Rede von der Immanenz des immanenten Objekts, die Twardowski so beunruhigt hat, und dann lobt man entweder die von Husserl und Meinong unter nommenen Präzisierungen dieses Begriffs, die zu einer äußerst reichen Ontologie der intentionalen Beziehung bzw. zu einer transzendentalen Umformulierung des ganzen Problems geführt haben, oder man springt direkt zur asketischen Ontologie des späten Brentanos, in der es für die immanenten Objekte keinen Platz gibt. Es fehlen jedoch Versuche, der originalen Konzeption des immanenten Objekts Rech nung zu tragen. Mit unserem Buch wollen wir diese Lücke beseitigen, wobei uns als Grundlage sowohl die publizierten Texte als auch die unpublizierten Manuskripte Brentanos dienen. Im Besonderen sind die ontologische Natur der Brentanoschen immanenten Ob jekte und die genaue Funktion, die diese Entitäten in der Struktur der intentionalen Beziehung haben, in der bisherigen Brentano-Forschung keineswegs zufriedenstel Iend dargelegt worden. Wir meinen, daß sich diese Probleme auf Grund der publi zierten Schriften Brentanos auch kaum lösen lassen. Einige seiner unpublizierten Manuskripte enthalten dagegen sehr wichtige Anhaltspunkte. Die Beziehung, in welcher die frühe Lehre Brentanos zu den wichtigsten semantischen Doktrinen steht, die die heutige Philosophie der Intentionalität bestimmen, kann aufgrund die ser Manuskripte besser bewertet werden. Es erweist sich im Besonderen, daß die frühe Theorie der Intentionalität Brentanos keineswegs so eindeutig ist, wie man dies in den Standardinterpretationen sehen will. Wir finden bei Brentano sowohl die EINFÜHRUNG 3 Elemente einer Mediator-Theorie, die den postulierten Entitäten nur eine Funktion der Vermittlung der intentionalen Beziehung zumißt, als auch eine Theorie, die in der Zielposition der Intention Meinongsche nicht-existierende Gegenstände plaziert. Der späte Brentano hat bekanntlich seine erste Theorie verworfen. Nach 1904 ging er zu einer reistischen Ontologie, die als die einzige ontologische Kategorie reale Dinge zuläßt, und einer interessanten Relation-Theorie der Intentionalität über. Auch dieser Übergang, den wir im letzten Kapitel besprechen, läßt sich auf dem Hintergrund der frühen, unpublizierten Manuskripte viel besser verstehen. Bei Berücksichtigung dieser Manuskripte zeigt sich zum einen, wie kompliziert seine erste Theorie der Intentionalität im Laufe der Zeit geworden ist. Zum anderen ist ersichtlich, daß der frühe Brentano in Wirklichkeit nie so ontologisch liberal war, wie man aufg rund gewisser publizierter Schriften meinen kann. Im Besonderen erscheint der von Oskar Kraus publizierte Vortrag Brentanos Über den Begriff der Wahrheit (1889) [in Brentano 1930], der gewöhnlich als ein Manifest der frühen Position Brentanos gilt, bei der Berücksichtigung der Manuskripte nicht als ein repräsentativer Text. Der Übergang zur äußerst sparsamen Ontologie der zweiten Periode steht demgemäß mit den Haupttendezen der frühen Periode in keinem so krassen Widerspruch, wie man das in der Standardliteratur interpretiert. Zusammengefaßt: wir glauben, daß erst durch die Berücksichtigung der unpubli zierten Manuskripte die eigentliche Natur der Konzeption Brentanos geklärt und die Fragen bezüglich ihrer Entwicklung beantwortet werden können. Dies herauszustel len ist das erste Ziel unserer Arbeit. Das zweite Ziel ist dagegen systematisch. Wir meinen, daß die Philosophie Bren tanos keineswegs nur noch von historischer Bedeutung ist. Die Struktur der Prob lemstellung und die philosophischen Schwierigkeiten die auf dem Boden der Theo rie Brentanos entstehen, sind von allgemeiner philosophischer Bedeutung. Der Weg Brentanos, der um 1904 in eine dramatische Überzeugung vom Scheitern seines frühen Programms mündete, zeigt sehr deutlich gewisse allgemeine Probleme, wel che die Einführung von Entitäten von der Art der immanenten Objekte mit sich bringt. Die innere Struktur der Philosophie Brentanos läßt sich am besten verstehen, wenn man seine Theorie der Intentionalität mit seiner Epistemologie, und insbeson dere mit seiner Theorie der inneren Wahrnehmung, in Beziehung setzt. Diese zwei philosophischen Disziplinen erweisen sich weitgehend voneinander abhängig, was nicht nur die Philosophie von Brentano betrifft, sondern die ganze Gruppe der Lö sungen des Intentionalität-Problems, die man in der weit verstandenen Cartesia nischen Tradition situieren kann. Im ersten Kapitel wollen wir die frühe Theorie der Vorstellung Brentanos, und zwar zunächst in ihrer klassischen Interpretation, erörtern. Diese Interpretation faßt diese Theorie, wie bereits erwähnt, als eine reine Objekt-Theorie auf. Das Brentano sche Subjekt bezieht sich demzufolge ausschließlich auf immanente Entitäten, und diese sind entweder seine eigenen Akte oder die immanenten Objekte dieser Akte. Diese Auffassung stützt sich hauptsächlich auf die sehr knappen Bemerkungen, die Brentano in seiner Psychologie macht. Aufgrund dieser klassischen Stellen ist es
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