Absurdes Amerika: Immigration und Sinnlosigkeit in Werner Herzogs Stroszek und Franz Kafkas Der Verschollene Absurd America: Immigration and Meaninglessness in Werner Herzog‘s Stroszek and Franz Kafka‘s Der Verschollene by Jonas Heintz A thesis presented to the University of Waterloo and the Universität Mannheim in fulfilment of the thesis requirement for the degree of Master of Arts in Intercultural German Studies Waterloo, Ontario, Canada / Mannheim, Germany, 2018 © Jonas Heintz 2018 Author‘s Declaration I hereby declare that I am the sole author of this thesis. This is a true copy of the thesis, including any required final revisions, as accepted by my examiners. I understand that my thesis may be made electronically available to the public. ii Abstract In this thesis I compare Franz Kafka‘s novel Der Verschollene with Werner Herzog‘s movie Stroszek by utilizing Albert Camus‘ philosophy of the absurd as a literary theory. The absurd ad- dresses the problem of meaninglessness with the resulting feeling of disconnect, and the break- down of connections with society, and transforms it into a live-affirming outlook. I will identify elements of the absurd in the two works and show how much the protagonists are conscious of it, as well as show their reactions to the absurd. I am doing this by analyzing the authors’ portrayal of immigration to the USA in regards to the absurd. America is used by the authors as a play- ground to explore the idea of finding meaning and a sense of belonging somewhere through im- migration. But the dream of becoming oneself turns into a nightmare of losing oneself. America turns out to be a dreadful place where antonomy and chaos reigns. Consequently, the protago- nists fail in every regard, both professionally and in their personal relationships; they are alien- ated from American society and cannot stake out a meaningful existence. The authors show this mainly through the use of circle motives of repetitions in continuously worsening strorylines. In the end, Bruno in Stroszek becomes conscious of the absurd, but he is unable to solve it and chooses suicide to escape his suffering. Karl in Der Verschollene is unable to recognize the ab- surdity of his existence and he does not have to experience Bruno’s pain, yet he also has no chance of redemption. iii Acknowledgements Foremost, I would like express my sincere gratitude to my thesis supervisors Prof. Dr. Thomas Wortmann and Prof. Dr. James M. Skidmore for taking care of me and leading me towards knowledge. I learned a lot from you. A very special thank you goes out to everybody at the Germanic and Slavic Department at the University of Waterloo for providing me with guidance and hosting me during my exchange year. I am also grateful for my family and friends, who have gave me so much moral and emotional support during my whole life. And finally, l would like to thank my loving girlfriend Andrea for providing me with encourag- ment during that difficult time and for always having my back. iv Table of Contents 1. Einleitung.....................................................................................................................................1 1.1 Grundlegendes.......................................................................................................................1 1.2 Das Absurde und Albert Camus............................................................................................4 1.2 Werner Herzogs Heroismus und Wahrheit...........................................................................9 1.3 Franz Kafka.........................................................................................................................12 2. Hauptteil.....................................................................................................................................17 2.1 Stroszek...............................................................................................................................17 2.1.1 Die Fremde..................................................................................................................17 2.1.2 Der amerikanische Alb-Traum....................................................................................26 2.2.3 Der Fatalismus und das Zyklische...............................................................................32 2.2 Der Verschollene.................................................................................................................37 2.2.1 Die Fremde..................................................................................................................37 2.2.2 Der amerikanische Alb-Traum....................................................................................49 2.2.3 Der Fatalismus und das Zyklische...............................................................................59 2.3 Die Reaktion der Protagonisten auf die Absurdität.............................................................65 2.3.1 Stroszek: Brunos Revolte und Suizid..........................................................................65 2.3.2 Der Verschollene: Karls Hoffnung und Vermeidung..................................................73 3. Schluss.......................................................................................................................................85 References......................................................................................................................................92 v 1. Einleitung 1.1 Grundlegendes Amerika ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten – oder auch nicht. Die Erkenntnis, dass dort anstatt Reichtum und Freiheit genauso gut kapitalistische Ausbeutung droht, ist alt. Schon 1855 setzte sich Ferdinand Kürnberger in Der Amerika-Müde. Amerikanisches Kulturbild mit der deutschen Auswanderung ironisch auseinander und wirft kritische Fragen auf. Anderer- seits befeuern wenige Jahrzehnte später Abenteuerromane, wie die von Karl May, die Fantasie und evozieren Bilder von weiten Prärien und verwegenen Draufgängern. Das deutsche Amerika- bild ist komplexer geworden, heute speisen sich die Vorstellungen aus der unendlichen Bildpro- duktion Hollywoods, während Massenmedien den einfachen Zugriff auf Informationen erlauben, die die Fantasien gleichermaßen bestätigen und enttäuschen können. Vergangen ist die Binarität von dem Schreckgespenst des amerikanischem Hyperkapitalismus und Wunschträumen von in- dividueller Freiheit. Amerika wird mal zum Faszinosum, mal zum Tremendum und ruft alle Zwi- schenstadien des Sehnens und Fürchtens hervor. Auch die Protagonisten von Werner Herzogs Stroszek und Franz Kafkas Der Verschollene machen sich auf die Reise und es erweist sich schnell, dass das Amerika, in das sie ihre Protagonisten emigrieren lassen, ebenso faszinierend wie grotesk und absonderlich ist. Es ist nun diese besondere Situation, in die die Protagonisten geworfen werden, die die Frage nach dem Sinn des Seins besonders offen zu Tage treten lässt. Sinnlos kann das Leben natürlich auch in der Heimat sein, doch insbesondere unter den Umstän- den, die von der Immigration geschaffen werden, werfen sich existentielle Fragen deutlich auf. 1 Zur Erörterung dieser Probleme möchte ich mich auf Albert Camus‘ Idee des Absurden als Literaturtheorie beziehen. Das Absurde ist vor allem eine Phänomenologie, die die Erfahrung einer sinnlosen, chaotischen Welt, in der nichts vorgegeben, aber alles möglich ist beschreibt. Camus versucht der resultierenden Ohnmacht, Desillusionierung und Todessehnsucht eine positi- ve Ideologie, die Tatkraft und Freiheit betont, entgegenzustellen. Dieses Konzept ist attraktiv für die Literaturwissenschaft, denn es entspringt aus der Literatur. Camus ist auch ein herausragen- der Autor, der seine philosophischen Erkenntnisse in seinen fiktionalen Werken entwickelt und erprobt. Eine Untersuchung Kafkas mit der Fragestellung, ob Kafka ein Dichter des Absurden sei, wurde interessanterweise bereits von Camus höchstselbst unternommen. Für Der Process fiel diese positiv aus, für Die Verwandlung und Das Schloss hingegen negativ. Camus betrachte- te aber nicht Kafkas gesamtes Werk, weshalb sich eine Untersuchung für Der Verschollene an- bietet. Ich möchte zeigen, inwieweit Werner Herzog und Franz Kafka das Absurde in den Wer- ken thematisieren und zu welchem Zweck. Ich will argumentieren, dass in Stroszek und Der Ver- schollene das Absurde besonders offensichtlich zu Tage tritt, gleichzeitig gilt es zu untersuchen, wie die Protagonisten auf es reagieren und wie zweckmäßig die von Camus‘ formulierte Lösung des Problems des Absurden tatsächlich ist. Ein Vergleich von Der Verschollene und Stroszek ist interessant, da die Werke viele strukturellen Gemeinsamkeiten aufweisen. In beiden Werken emigrieren die Protagonisten unter Zwang, sie besuchen ähnliche Orte und machen die Bekannt- schaft mit amerikanischen Stereotypen. Aber auf die ähnlichen Umstände reagieren sie auf sehr unterschiedliche Weise, denn die Autoren Werner Herzog und Franz Kafka könnten unterschied- licher nicht sein. Sie gehören verschiedenen Kulturen und verschiedenen Epochen an und benut- zen unterschiedliche Medien. Auch charakterlich stehen sie sich diametral gegenüber. Werner Herzog ist ein selbstbewusster Macher, der sich seine erste Filmkamera stiehlt und Franz Kafka 2 ist der zögerliche ewige Sohn, der in seinem Zimmer bei seinen Eltern im schummrigen Licht der Nacht sich in Ekstase schreibt. Franz Kafka ist einer der am meisten rezipierten deutschspra- chigen Autoren, die Forschung ist mittlerweile so hypertroph, dass man Kafka ein eigenes Studi- enfach widmen könnte. Bei Werner Herzog hingegen ist der alte Spruch, dass ein Prophet nichts im eigenen Land gilt, zutreffend. Werner Herzogs Filme sind in der Vielzahl ebenso wichtige Kunstwerke, die aber in Deutschland seltsam unbeachtet blieben, was auch an der von Herzog kultivierten Persona des kompromisslosen Auteurs liegen mag, an der sich so manch einer in Deutschland reibt. Einleitend werde ich zunächst das als theoretisches Fundament meiner Arbeit dienende Konzept des Absurden von Albert Camus erläutern und auch auf dessen Limitationen eingehen. Zudem gilt es die Biographien der Autoren und deren Selbstverständnis zu beleuchten und wie sie die untersuchten Werke beeinflussen, denn im Fremdbild steckt immer auch ein gehöriges Stück Selbstbild. Nicht umsonst fragt Sammons überspitzt, ob das amerikanische „dort“ über- haupt existiert oder ob es nur eine Projektionsfläche darstellt (54). Im Hauptteil werde ich je- weils zuerst die Amerika-Darstellung in Stroszek und Der Verschollene untersuchen und zeigen, wie bzw. ob die Protagonisten mit den fremden Verhältnissen fertig werden. Wie zu zeigen sein wird, scheitern sie und es schleicht sich das Gefühl des Absurden ein. Besondere Aufmerksam- keit möchte ich in diesem Zusammenhang den Kreismotiven in den Werken widmen und zeigen, dass der Kreis als Ausdruck ewiger Wiederholung ein wichtiges Symbol des Absurden ist. Schon im von Camus als Prototyp des Absurden identifizierten Mythos des Sisyphos kommt dem Kreis aufgrund der Form der Bewegung die der Stein vollführt, aber auch wegen der ewigen Wieder- holung des Vorgangs eine Schlüsselfunktion zu. Im nächsten Schritt möchte ich klären, wie die 3 Protagonisten auf die Absurdität reagieren. Es gilt zu erklären, inwiefern sie sich der Absurdität ihrer Lage überhaupt bewusst werden und so einen Ausweg finden können oder ob sie schlicht zu Grunde gehen. Camus selbst formuliert hierfür das Prinzip der „Auflehnung“, es gilt dement- sprechend auch zu zeigen, wie zweckmäßig es als Lösung des Absurden tatsächlich ist. 1.2 Das Absurde und Albert Camus Hauptdokument zum Verständnis von Albert Camus‘ Philosophie des Absurden ist der Essay Der Mythos des Sisyphos aus dem Jahre 1942. Camus beruft sich auf Vordenker wie Hei- degger und Kierkegaard, deren Denken seinen Ausgangspunkt in der leidvollen Erfahrung eines „unaussprechlichem Universums […], in dem Gegensatz, Widerspruch, Angst oder Ohnmacht herrschen“ (35), hat. Seine Untersuchung kann freilich keine Vollständigkeit beanspruchen. Setzt er sich mit religiösen Existentialisten wie Kierkegaard noch ausführlich auseinander und verwirft sie, da er nicht an Gott glaubt, ignoriert er Sartre völlig, während er Heidegger und Nietzsche nur flüchtig zitiert. Camus‘ eigenartige Beziehung zu der Philosophie zeigt sich, wenn er seine Über- legungen mit der mittlerweile berühmt gewordenen provokanten Feststellung beginnt: "Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord.“ (15). Trotzdem meint Ca- mus damit nicht, dass alle Philosophie nur Spielerei sei, er unterstreicht vielmehr, dass sich in der Moderne ein Problem auftut, von dem eine existenzielle Gefahr ausgeht. Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Frage nach dem Sinn virulent geworden ist. Die Leerstelle, die der schwin- dende Glauben an Gott hinterlässt, füllen Materialismus und Ideologien nur bedingt. Der Grund, wieso Menschen den Freitod wählen, ist laut Camus allzu oft die Erkenntnis dessen, was er das 4 Absurde nennt. Das Absurde ist ein schwer fasslicher Begriff, es ist laut Sherman „both an expe- rience and a concept“ (21) und wird von Camus zunächst annäherungsweise beschrieben. Schon alltägliche Erlebnisse lassen Blicke auf es erhaschen. Etwa wenn das Treiben der Menschen schlagartig merkwürdig und „mechanisch“ wirkt, auch das bekannte Gefühl des Schreckens, das einen ergreift, wenn man sich bewusst wird, dass man dem eigenen Tod unaufhaltsam entgegen- eilt, ist absurd. Das Absurde wird laut Bowker als Verlust thematisiert, „everyday understan- dings, purposes, and attachments somehow break down“ (1). Im Kern von Camus‘ Absurdem steht jedoch mehr als bloßer epistemologischer Skeptizismus des Alltäglichen, sondern eine pro- funde Erfahrung der Entfremdung und Isolierung: Aber in einem Universum, das plötzlich der Illusionen und des Lichts beraubt ist, fühlt der Mensch sich fremd. Aus diesem Exil gibt es keine Rückkehr, da es der Erinnerung an eine verlorene Heimat oder der Hoffnung auf ein gelobtes Land beraubt ist. Diese Entzweiung zwischen dem Menschen und seinem Leben, zwischen dem Handeln und seinem Rahmen, genau das ist das Gefühl der Absurdität. (Camus 18) Das Absurde offenbart sich weiterhin vor allem als Diskrepanz, etwa der Gegensatz zwischen menschlichen Träumen und Hoffnungen und der kalten Realität, die diese enttäuscht: „Es ist jene Entzweiung zwischen dem begehrenden Geist und der enttäuschenden Welt, es ist meine Sehn- sucht nach der Einheit, dieses zersplitterte Universum und der Widerspruch, der beide verbindet.” (Camus 62). Der Mensch sehnt sich nach Einheit und Harmonie, doch stattdessen er- lebt er ein fragmentiertes, widersprüchliches Universum und die damit einhergehende Enttäu- schung. Die Welt ist dabei nicht absurd an sich, genausowenig wie der Mensch selbst. Das Ab- surde tritt erst dadurch ein, dass der Mensch mit der Welt interagiert, sich an ihr reibt und an ihr droht zu scheitern, denn er kann keinen Sinn mehr finden. Gefühle des Absurden können, aber 5
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