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Im Westen was Neues: Kommunalwahl 1999 in NRW PDF

318 Pages·2002·11.135 MB·German
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Im Westen was Neues Uwe AndersenlRainer Bovermann (Hrsg.) Im Westen was Neues Kommunalwahl 1999 in NRW Leske + Budrich, Opladen 2002 Gedruckt auf alterungsbeständigem und säurefreiem Papier Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für die Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erMltlich ISBN 978-3-8100-3373-4 ISBN 978-3-322-95037-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-95037-6 © 2002 Leske + Budrich. Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen. Übersetzungen. Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Leske + Budrich. Opladen Inhaltsverzeichnis Uwe AnderseniRainer Bovermann Einführung: Die Uraufführung der Bürgermeisterdirektwahl in NRW ..... 7 Uwe Andersen Kenntnisnahme, Bewertungen, Erwartungen. ....... .................... ... .......... .... 37 Lars Holtkamp/David H. Gehne Bürgermeisterkandidaten zwischen Verwaltungsprofis, Parteisoldaten und Schützenkönigen................................................................................. 55 David H. Gehne/Lars Holtkamp Wahlkampf: Nicht ohne meine Partei? ...................................................... 89 Rainer Bovermann Kommunales Wahlverhalten zwischen Partei-, Themen- und Kandidatenorientierung ...................................................................... 115 lennifer Neubauer Sozialstruktur und Wahlentscheidung in kleinräumiger Perspektive ........ 161 David H. Gehne Die neuen Bürgermeister ........................................................................... 221 Lars Holtkamp Das Verhältnis von Bürgern und Bürgermeistern ...................................... 235 Uwe AnderseniRainer Bovermann Resümee und Ausblick .............................................................................. 255 Anhang ...................................................................................................... 269 Literatur ..................................................................................................... 325 Die Autorinnen und Autoren ... ..................... ........ ....... ........ ................ ...... 331 Uwe Andersen/Rainer Bovermann Einführung: Die Uraufführung der Bürgermeisterdirektwahl in NRW 1. Vorstellung des Forschungsprojektes "Im Westen was Neues" - dieses auch als Titel des vorliegenden Sammelban des gewählte Schlaglicht beschreibt zutreffend, wenn auch zugespitzt, die Kommunalwahl 1999 in Nordrhein-Westfalen unter zwei zentralen Aspekten. Zum einen handelt es sich bei der Kommunalwahl 1999 um eine "Urauffüh rung", insofern sie unter tiefgreifend veränderten institutionellen Rahmenbe dingungen stattfand. Die kommunale Verfassungs,,revolution" von 1994 in Nordrhein-Westfalen war nach der grundlegenden kommunalen Gebietsreform der 70er Jahre und der anschließenden begrenzten kommunalen Funktionalre form zweifellos der weitreichendste Eingriff in die Rahmenbedingungen der kommunalen Selbstverwaltung bzw. Kommunalpolitik. Zu den wichtigsten Veränderungen 1994 zählt die Abschaffung der norddeutschen Ratsverfassung, insbesondere die Einführung des hauptamtlichen Bürgermeisters' als Einheits spitze - Vorsitzender des Rates und Verwaltungschef - an Stelle der Doppel spitze sowie seine Direktwahl durch die Bürgerschaft. Zum anderen führte die Kommunalwahl 1999 zu einer erheblichen Veränderung der parteipolitischen Landschaft. Mitbedingt durch eine ausgeprägte Schwächephase der SPD geführten rot-grünen Bundesregierung gelang der CDU ein beeindruckender kommunalpolitischer Wahlsieg. So eroberten CDU-(Ober-)Bürgermeister selbst eine Reihe von Rathäusern des bisher sozialdemokratisch dominierten Ruhrgebiets, und die SPD verlor in einer Vielzahl von Räten dieser bisher tief roten Region ihre zur Tradition gewordenen Mehrheiten. Die kommunalen Wahlergebnisse im Einzelnen sind von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst worden. Bei einer landesweiten Betrachtung drängt sich der Eindruck auf, dass die Ergebnisse am stärksten von der bundespoliti schen Großwetterlage geprägt worden sind. Demgegenüber dürften die grundlegend veränderten Rahmenbedingungen, die für alle Beteiligten neue Chancen und Risiken bedeuteten, den landesweiten Ergebnistrend weniger Wir greifen hier der Lesbarkeit halber auf eine geschlechtsspezifische Schreibweise zurück, bemühen uns aber im Allgemeinen um geschlechtsneutraIe Formulierungen. 8 Uwe AndersenlRainer Boverrnann stark bestimmt haben. Gleichwohl stehen diese langfristig vermutlich bedeut sameren neuen Rahmenbedingungen und ihr Prägepotenzial im Mittelpunkt des Interesses dieses Sammelbandes. Die Herausgeber haben die Uraufführung der BÜfgermeisterdirektwahl als einmalige Chance gesehen, diese mit dem Reiz des Neuen ausgestattete Experimentalsituation wissenschaftlich empirisch zu begleiten und zu analy sieren. Dabei bot sich der methodische Zugriff insbesondere über kommunale Fallstudien unter Einschluss repräsentativ angelegter Umfragen auch deshalb an, weil solche empirischen Studien auf der kommunalen Ebene in Deutsch land bisher extrem selten sind.2 Eine gewichtige Ursache dieses Defizits dürfte in den erheblichen Kosten liegen, die insbesondere mit repräsentativen Umfragen verbunden und für die auf kommunaler Ebene Financiers schwer zu finden sind. Glücklicherweise stieß unser Forschungsvorhaben sowohl bei der Kommunalabteilung des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen als auch bei den ins Auge gefassten vier Kommunen, den Städten Essen, Duis burg, Xanten und der Gemeinde Hünxe, die sich zu einem Forschungsver bund zusammenschlossen, auf großes Interesse. Im Auftrag des Forschungs verbundes und mit finanzieller Hilfe des Innenministeriums haben die beiden Herausgeber mit einer Arbeitsgruppe im Zentrum für interdisziplinäre Ruhr gebietsforschung (ZEFIR) der Ruhr-Universität Bochum das Forschungs projekt umsetzen können. Die Herausgeber sind daher insbesondere Ministe rialdirigent a.D. Friedrich Wilhelm Held, dem damaligen Leiter der Kommu nalabteilung im Innenministerium, für sein Engagement und seine Hilfe so wie den politischen Spitzen der vier Kommunen und den beteiligten Mitar beitern zu besonderem Dank verpflichtet. Ohne ihre Offenheit, Unterstützung und Kooperation wäre die erfolgreiche Durchführung des Projektes nicht möglich gewesen. Der abschließende ausführliche Projektberiche ist an die vier Kommunen des Forschungsverbundes und das Innenministerium des Landes NR W übermittelt und von letzterem auch an den Kommunalaus schuss des Landtages weitergeleitet worden. Dieser Sammelband greift auf den Bericht zurück, geht aber sowohl in den behandelten Fragestellungen als auch in der Auswertungstiefe darüber hinaus und bezieht auch zusätzliches 2 Zu den wenigen Beispielen empirischer Untersuchungen mit repräsentativen Bür gerumfragen zu Kommunalwahlen zählen: Biege u.a. 1978; GabriellBrettscheiderl Vetter 1997; LöfflerlRogg 1985; Marcinkowski 2001. Beispiele für empirische Studi en unter Rückgriff auf Akteursbefragungen sind darüber hinaus die Untersuchungen von Hans-Georg Wehling zu den Bürgermeistern in Baden-Württemberg (Weh ling/Siewert 1984; Wehling 1998) sowie das von Janbernd Oebbecke geleitete For schungsprojekt zu den hauptamtlichen Bürgermeistern in NRW während der Über gangszeit 1994-99 (Lingk 1999, Schulenburg 1999). Zur Kommunalverfassung und Kommunalpolitik in NRW vgl. auch die Analyse von Jörg Bogumil (2001). 3 Kommunalwahl 1999 - Erste direkte (Ober-)Bürgermeisterwahl in NRW. Analyse der Rats- und Bürgermeisterwahl auf der Basis von Fallstädten und einer landesweiten Ergänzungskomponente, Bochum 2000. Die Uraufführung der Bürgermeisterdirektwahl in NRW 9 empirisches Material aus anderen Befragungen ein. Die Verantwortung für Konzeption und Inhalt liegt selbstverständlich allein bei den Herausgebern und Autoren. Erfreulicherweise hat sich die Landeszentrale für politische Bildung NRW entschlossen, der speziellen Zielgruppe der Kommunen diesen Sam melband zur Verfügung zu stellen. Unser besonderer Dank gilt daher auch der Landeszentrale und insbesondere dem zuständigen Referenten Dr. An dreas Kost. 2. Ausgangssituation: Änderungen der Gemeindeordnung und rechtliche Rahmenbedingungen Der grundlegende Charakter der Änderungen der Gemeindeordnung Nord rhein-Westfalen im Jahre 1994 rechtfertigt die Bezeichnung kommunale Ver fassungsrevolution. Das betrifft sowohl die institutionelle Neukonfiguration der Gemeindeorgane - die "innere" Kommunalverfassung - als auch die durch gängige Grundtendenz eines erweiterten Angebots der Bürgerpartizipation. Letzteres gilt quantitativ wie qualitativ und bezieht sich sowohl auf Perso nalplebiszite - Bürgermeisterdirektwahl - wie Sachplebiszite. Auf die letzt genannte Möglichkeit von Bürgerbegehren und -entscheid wird im Rahmen dieses Sammelbandes nur am Rande eingegangen. Gleichwohl ist im Auge zu behalten, dass sie - und sei es als "fleet in being" - die Handlungsop tionen der Bürgerschaft erweitert und damit auch als Widerlager der durch Wahlen legitimierten Gemeindeorgane betrachtet werden kann, das deren Handlungsspielraum zusätzlich begrenzt und ein auch nur zeitweiliges Ent fernen vom kommunalen Mehrheitstrend politisch risikoreich macht. Die seit 1952 geltende Gemeindeordnung wurde von Anfang an kontro vers diskutiert. Trotz einiger bedeutender Änderungen kam es bis 1994 je doch nicht zu einer grundlegenden Systemreform.4 Zentraler Kritikpunkt in einer sich seit den 80er Jahren verschärfenden Debatte war die vom briti schen System des "Iocal government" beeinflusste Aufgabenverteilung an der Gemeindespitze. 4 Zu den seit 1952 vorgenommenen Änderungen vgI. Andersen 1998, 5lff. und aus führlich Lingk 1999. 10 Uwe Andersen/Rainer Bovermann Abbildung 1: Leitungsstruktur der Gemeindeordnung NRW (alt) ehrenamtlich hauptamtlich Bürgermeister Stadtdirektor t " I I Leitet als II Vorsitzender III Leitet I I , II I .. r I RAT Beigeordnete Verwaltung ~, Bürgerschaft -----------. = wählt Quelle: Andersen 1998, S. 62. Die theoretische Trennung von (unpolitischer) Verwaltungsführung durch den Stadtdirektor und (politischem) Ratsvorsitz und Repräsentation durch den ehrenamtlichen Bürgermeister sei weder von der Bürgerschaft verstanden worden, noch in der kommunalen Praxis durchzuhalten gewesen, was zu Reibungsverlusten zwischen den Akteuren und zu einem generellen Ausein anderklaffen von Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit geführt habe - so der Tenor der Kritik. Daher war die Vereinigung der beiden Spitzenäm ter zu einem neuen hauptamtlichen Bürgermeister, der von den Bürgerinnen und Bürgern direkt zu wählen sei, eine der zentralen Forderungen der Kriti ker der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung. Hier diente vor allem die baden-württembergische Gemeindeordnung als Vorbild hinsichtlich der Füh- Die Uraufführung der Bürgermeisterdirektwahl in NRW 11 rungsstruktur sowie der klaren Abgrenzung der Kompetenzen von Gemein despitze und Vertretungskörperschaft.s Andere Diskussionspunkte, wie beispielsweise Rolle und Selbstverständ nis der Ratsmitglieder , gerieten im Verlauf der Debatte zunehmend in den Hintergrund. Als Ergebnis eines kontroversen parlamentarischen Beratungs prozesses wurde 1994 schließlich die Doppelspitze in NRW abgeschafft.6 Abbildung 2: Leitungsstruktur der Gemeindeordnung NRW (neu) Bürgermeister Leitet als I I Vorsitzender I I I I Leitet als Vorsitzender I I I I I I I I I RAT II Verwaltungs vorstand I ---------------I~ - Beigeordnete I -., /I I Verwaltung :I """""""""" , I " I Bürgerschaft -----------. = wählt Quelle: Andersen 1998, S. 62. 5 Vgl. hier vor allem die Beiträge von Banner 1984 und 1989. 6 Zum Verlauf des parlamentarischen Beratungsprozesses vgl. Lingk 1999, S. 149ff.; Andersen 1998, S. 56ff.; Kleinfeld 1996, S. 78 ff. sowie Freis 1998. 12 Uwe Andersen/Rainer Bovermann Die nun seit 1994 gültige Leitungsstruktur der Gemeindeordnung NRW hat sich in zwei wesentlichen Merkmalen der Gemeindeordnung Baden-Würt tembergs angeglichen: Der von den Bürgern direkt gewählte hauptamtliche Bürgermeister ist nun Vorsitzender des Rates sowie Leiter der Verwaltung (Einheitsspitze), allerdings ist die formale Stellung des hauptamtlichen Bür germeisters in Nordrhein-Westfalen sowohl hinsichtlich der Kompetenzaus stattung als auch des Wahlmodus (verbundene Wahl mit dem Rat) schwächer als die seines baden-württembergischen AmtskoJlegen. Man hat in NRW also bei allen Angleichungsprozessen der Gemeinde ordnungen in Deutschland eine eigene institutionelle Konfiguration entwik kelt. Trotz der Annäherung an die Süddeutsche Ratsverfassung durch die Di rektwahl der Einheitsspitze wurden wichtige institutionelle Arrangements, die gerade das Verhältnis von Rat und Bürgermeister maßgeblich mitbestim men, aus der alten Gemeindeordnung NRW übernommen (z.B. Rückholrecht des Rates, alleinige Ratswahl der Beigeordneten), und bei den Neuregelun gen wurde darauf geachtet, dass eine relativ enge Anbindung des Bürgermei sters an die Vertretungskörperschaft bzw. an die einzelnen Parteien erfolgt (z.B. verbundene Wahl, Vorschlagsrecht der Parteien bei Bürgermeisterkan didaten). Man kann dieses institutionelle Design vor dem Hintergrund des konfliktreichen Entscheidungsprozesses bei der Verabschiedung der neuen Gemeindeordnung NRW als ein Kompromissmodell zwischen süddeutscher Ratsverfassung und der bisherigen starken Stellung der Vertretungskörper schaft und der Fraktionen in NRW deuten. Entschiedene Befürworter des süddeutschen Ratsmodells sehen hierin eher eine Verwässerung. Von Arnim spricht sogar von den "Absonderlich keiten der neuen Kommunalverfassung in Nordrhein-Westfalen",7 die nach seiner Auffassung dadurch zustande kamen, dass man sich durch die Andro hung eines Volksbegehrens seitens der Politik gezwungen sah, die Direkt wahl des Bürgermeisters einzuführen, aber durch die institutionelle Ausge staltung sicherstellen wollte, dass die Einflusschancen der Bürger nicht zu groß werden bzw. die Interessen der Parteien nicht negativ tangiert werden. Auf der anderen Seite kann man dem entgegen halten, dass das institutionelle Design der neuen Gemeindeordnung NRW wohl nicht nur vor dem Hinter grund der unterschiedlichen Eigeninteressen der politischen Akteure auf der Landesebene zu erklären ist, sondern dass auch sachlich rationale Gründe da für sprechen, in NRW von der süddeutschen Ratsverfassung in einigen Punk ten abzuweichen. Ein Grund dafür mag z.B. in der unterschiedlichen durch schnittlichen Gemeindegröße liegen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Kommunalverfassung einen Tag nach der Kommunalwahl am 17. Oktober 1994 begann die lange Übergangsphase bis zur ersten Direktwahl der hauptamtlichen Bürgermeister am 12. September 1999. In dieser Phase hatten die Kommunen die Möglich- 7 V gl. von Arnim 2000.

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