Sebastian Luft / Maren Wehrle (Hg.) Husserl Handbuch Leben – Werk – Wirkung Sebastian Luft / Maren Wehrle (Hg.) Husserl-Handbuch Leben – Werk – Wirkung J. B. Metzler Verlag Die Herausgeber Sebastian Luft ist Professor für Philosophie an der Marquette University, Milwaukee/Wisconsin (USA); Herausgeber von Husserliana XXXIV, des »Routledge Companion to Phenomenology« und Autor mehrerer Bücher zur Phäno- menologie. Maren Wehrle ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Husserl-Archiv in Leuven. Sie hat eine Monographie und zahlreiche Artikel (u. a. in Husserl Studies) zu Husserl und der Wichtigkeit seiner Einsichten für die interdisziplinäre Forschung verfasst. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. J. B. Metzler ist Teil von Springer Nature. Die eingetragene Gesellschaft ist Springer-Verlag GmbH Deutschland. ISBN 978-3-476-02601-9 www.metzlerverlag.de ISBN 978-3-476-05417-3 (eBook) [email protected] Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb (Foto: Göttingen/1905, © Husserl-Archiv Leuven) der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist Satz: Claudia Wild, Konstanz in Kooperation ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. mit primustype Hurler GmbH, Notzingen Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung J. B. Metzler, Stuttgart und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017 Inhalt I Einleitung Sebastian Luft/Maren Wehrle 1 16 Die Idee der Phänomenologie Hanne Jacobs 125 17 Phänomenologie als Erste Philosophie II Leben und Kontext Faustino Fabbianelli 135 18 Eidetik Julia Jansen 142 1 Persönlichkeit und Leben Thomas Vongehr 8 19 Genetische Phänomenologie 2 Das universitäre und soziale Umfeld Dieter Lohmar 149 Egbert Klautke 19 20 Phänomenologische Psychologie 3 Einflüsse auf Husserl Carlo Ierna 22 Thiemo Breyer 157 4 Die Husserls in Briefen Thomas Vongehr 32 21 Logik und Erkenntnistheorie 5 Die Geschichte der Rettung von Husserls Dieter Lohmar 165 Nachlass Thomas Vongehr 39 22 Wissenschaftstheorie Andrea Staiti 173 23 Phänomenologie und Mathematik Mirja Hartimo 179 III Werk 24 Ethik Sonja Rinofner-Kreidl 184 25 Urteilstheorie Andrea Staiti 196 A Veröffentlichte Texte 26 Phänomenologie der sinnlichen Anschauung 6 »Philosophie der Arithmetik« Eduard Marbach 204 Mirja Hartimo 48 27 Phänomenologie des Raumes und der Bewegung 7 »Logische Untersuchungen« Karl Mertens 216 Henning Peucker 55 28 Phänomenologie der Intersubjektivität 8 »Ideen zu einer reinen Phänomenologie Iso Kern 222 und phänomenologischen Philosophie« 29 Die Lebenswelt Christian Bermes 230 Nicolas de Warren 65 30 Grenzprobleme der Phänomenologie 9 »Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins« Natalie Depraz 237 Nicolas de Warren 75 10 »Formale und transzendentale Logik. Versuch einer Kritik der logischen Vernunft« IV Wirkung Michela Summa 83 11 Die »Cartesianischen Meditationen« / A Personen »Méditations Cartésiennes« Dermot Moran 90 31 Kitarōo Nishida Tetsuya Sakakibara 244 12 »Die Krisis der europäischen Wissenschaften 32 Max Scheler Annika Hand 246 und die transzendentale Phänomenologie« 33 Aron Gurwitsch Alexandre Métraux 251 Christian Bermes 97 34 José Ortega y Gasset 13 »Erfahrung und Urteil« Jagna Brudzińska 104 Agustín Serrano de Haro 254 35 Martin Heidegger Thomas Nenon 257 B Nachlass 36 Alfred Schütz Emanuele Caminada 262 14 Überblick über Husserls Nachlass Sebastian Luft / 37 Jean-Paul Sartre Thomas Bedorf 268 Maren Wehrle 114 38 Emmanuel Levinas Matthias Flatscher 272 15 Systematischer Überblick über Husserls 39 Maurice Merleau-Ponty Sara Heinämaa 278 phänomenologisches Projekt Ullrich Melle 116 40 Paul Ricœur Natalie Depraz 284 VI Inhalt 41 Michel Foucault Arun Iyer 290 50 Feminismus Lanei Rodemeyer 336 42 Jacques Derrida Alice Mara Serra 292 51 Psychologie und Psychiatrie Thomas Fuchs 341 52 Soziologie Thomas Szanto 348 B Bewegungen 53 Kulturphilosophie Thiemo Breyer 355 43 Neukantianismus Andrea Staiti 299 54 Pragmatismus Stefan Niklas 360 44 Hermeneutik Sebastian Luft 304 45 Logischer Positivismus / Analytische Philosophie Harald Wiltsche 309 V Anhang 46 Strukturalismus Beata Stawarska 315 47 Philosophy of Mind Maxime Doyon 320 Werkausgabe 368 48 Ontologie und Metaphysik Inga Römer 327 Autorinnen und Autoren 370 49 Kritische Theorie Thomas Bedorf 332 Personenregister 372 I Einleitung S. Luft, M. Wehrle (Hrsg.), Husserl-Handbuch, DOI 10.1007/978-3-476-05417-3_1, © Springer-Verlag GmbH Deutschland, 2017 Einleitung der Herausgeber/innen nicht leisten, und so ist das Projekt der Phänomenolo- gie von Beginn an ein intersubjektives und intergene- »Mitunter winkt uns nach langen Mühen die ersehnte ratives, müssen sich die Beschreibungen ergänzen Klarheit« (Hua X, 393): In diesem kleinen Satzteil ver- und die Einsichten kritisch gegenseitig geprüft wer- birgt sich die Essenz von Husserls Werk, das er zu- den, und das in einer endlosen Anzahl von Forscher- gleich als seine Lebensaufgabe verstand. Ganz deut- generationen. Die Phänomenologie macht darauf auf- lich wird hier das ersehnte und erkämpfte Ziel: Klar- merksam, dass jede Wahrnehmung der Welt notwen- heit, sowie die etwas melancholische Einsicht, dass dig perspektivisch und jede Einsicht partiell ist. Damit diese, wenn überhaupt, nur unter Mühen erreicht trägt jede vermeintliche Klarheit einen Horizont an werden kann. Und letztendlich kann die vermeintli- Undeutlichkeit mit sich, der zukünftig und mit Hilfe che Klarheit für Husserl, der durch unermüdliches anderer Perspektiven und Einsichten ergänzt werden Beschreiben und Differenzieren versucht, zu den ›Sa- muss. Das unendliche Programm der Phänomenolo- chen selbst‹ zu gelangen, immer nur ein Etappenziel gie muss von endlos Vielen angepackt und arbeitsteilig sein, eine kleine trügerische Ruhepause auf dem Weg vorangetrieben werden. Dies war Husserls großer zur adäquaten Einsicht, ein im Unendlichen liegendes Traum, den er zeit seines Lebens jedoch nur unzurei- Ziel. Denn nach erneuter Prüfung treten alsbald neue chend verwirklicht sah. Dennoch war der Traum für Wiedersprüche und Undeutlichkeiten auf: »Die Ar- ihn selbst nie »ausgeträumt«, wie die berühmte Passa- beit und der Kampf beginnt von vorn« (ebd.). ge in einer Beilage der Krisis oft fehlinterpretiert wird Nicht umsonst bezeichnet Husserl seine Philoso- (vgl. Hua VI, 508). Ausgeträumt war er nur für die, die phie, die Phänomenologie, welche die Dinge, Welt vom rechten Weg abgekommen waren, etwas, was und Andere vorurteilsfrei und im Rückgang auf das Husserl selbst mit Argwohn mit ansehen musste. Für erfahrende Bewusstsein bestimmen will, als ein »un- ihn stand fest, dass die Zukunft seine Philosophie (sei- endliches Programm« (Hua I, 178). Die Phänomeno- nen Nachlass) »suchen« und die phänomenologische logie muss ihren Ausgang dabei immer bei der jeweils Forschung wieder erwachen würde (Hua Dok III/3, eigenen Erfahrung nehmen, sie ist eine Übung in radi- 287), wie er mit großer Selbstsicherheit behauptete. kaler Selbstbesinnung. Diese Selbstbesinnung ist je- Noch vor zwei Jahrzehnten belächelt, zeigt sich nun, doch kein Selbstzweck oder eitle Nabelschau, sondern dass Husserls Vorhersage eingetroffen ist. lediglich der Ausganspunkt einer universalen und we- In der Tat folgten nur wenige Husserls Ruf in aller sensmäßigen Reflexion, die den allgemeinen Sinn und Konsequenz; Einfluss und Rezeption der Phänome- Ursprung der Begriffe Welt, Natur, Raum, Zeit, nologie blieben zu Lebzeiten, im Vergleich etwa zu Mensch, soziale Gemeinschaft und Kultur aufzuklä- seinem Schüler Martin Heidegger, eher verhalten. ren versucht (vgl. 180). Um zu den berühmten ›Sa- Dies liegt zum einen daran, dass Husserl seine aka- chen selbst‹ zu gelangen, muss man diese nach Husserl demische Karriere in der Philosophie erst spät begann zunächst durch Epoché – durch Einklammerung aller (erst studierte er Astronomie und Mathematik) und Kenntnisse und Vorurteile, sowie des natürlichen lange auf eine institutionelle Anerkennung warten Glauben an deren Sein – verlieren. Erst dann lässt sich musste, und zum anderen, dass er zu Lebzeiten nur die Welt und mit ihr die Dinge vorurteilsfrei und in wenig veröffentlichte. Husserl habilitierte sich 1889 in ›universaler Selbstbesinnung‹ wieder gewinnen (vgl. Halle bei Carl Stumpf Über den Begriff der Zahl und 183); wohl nicht umsonst hat Husserl dieses biblische bekam erst 1901/02, mit über vierzig, den Ruf auf eine Motiv aufgenommen, um den wahrhaft existentiellen Professur in Göttingen, nach vierzehn Jahren als Pri- Anspruch seiner Phänomenologie zu betonen (vgl. vatdozent in Halle (s. Kap. II.1). Im selben Jahr wurden Lukas 9,24–25; Matthäus 10,38–39). auch die Logischen Untersuchungen veröffentlicht, das Ein solches Projekt, das sich explizit als Arbeitsphi- erste Werk, das ihm zu einiger Bekanntheit und An- losophie, als handanlegende Arbeit an den Phänome- erkennung verhalf. Bis zu seinem Tode, im Jahre 1938, nen, versteht, kann aber eine einzelne Phänomenolo- arbeitete Husserl zwar unermüdlich an seinen berüch- gin oder ein einzelner Phänomenologe alleine gar tigten privaten, in Gabelsberger Stenographie verfass- Einleitung der Herausgeber/innen 3 ten Forschungsmanuskripten, ca. 40.000 an der Zahl, dass jedem prädikativen Urteil die passive, d. h. auto- veröffentlichte jedoch insgesamt nur sieben Bücher matisch vor sich gehende Wahrnehmung vorangehen (ein weiteres, Erfahrung und Urteil, wurde 1938 kurz muss, und jede Wahrnehmung selbst wieder mit einer nach seinem Tod von seinem Assistenten Ludwig passiven Affektion beginnt. Weiterhin finden sich im Landgrebe herausgegeben) und wenige Aufsätze und Nachlass Beschreibungen zu den verschiedensten For- Rezensionen. men der Intersubjektivität – von der Ich-Du-Bezie- Die Rezeption Husserls war deshalb zunächst auf hung, gemeinsamer Intentionalität, bis hin zu sozialen diese wenigen Werke beschränkt, und viel dement- Verbänden. Vor allem Husserls Ethik, die in engem sprechend einseitig aus. Zudem wurde Husserl als Jude Zusammenhang zur Methode und den Zielen des phä- (wenn auch christianisierter, was für die Nationalso- nomenologischen Projekts steht, kann hier allererst zialisten allerdings nicht zählte) nach seinem Tod in entdeckt werden: Beginnend um 1909 mit einer for- Deutschland totgeschwiegen und seine Bücher entwe- malen und praktischen Axiologie, die als apriorische der schwer zugänglich oder nicht neu aufgelegt. Der Wissenschaft jede Praktik der Vernunft aufzuklären negative Einfluss des nationalsozialistischen Regimes versucht, bis hin zu einer Erneuerungs- und Liebes- war so groß, dass Husserl auch nach dem Krieg in ethik, die bei der radikalen Selbstbesinnung anknüpft Deutschland fast unbekannt war, was sich unter ande- und diese als »nie endende[ ] Selbsterziehung« im Sin- rem daran zeigte, dass der erste Herausgeber der Hus- ne der Vernunft auch ethisch einfordert (Hua XXVII, serliana, der belgische Pater Van Breda, in Deutschland 38). Darüber hinaus beschäftigte sich Husserl in seinen keinen Verlag finden konnte, der bereit war, dieses ver- Forschungsmanuskripten ausgiebig mit der Vorgege- meintliche verlegerische Risiko einzugehen. Erst der benheit und Horizonthaftigkeit der Welt, sowie mit Martinus Nijhoff-Verlag in Den Haag in den Nieder- den Grenzen der Phänomenologie, der Sache nach landen war bereit, die Husserliana-Serie zu überneh- (Geburt, Tod, Gott), sowie in Form einer Metakritik men, und auch das erst, nachdem die Edition finanziell ihre Methode und der Evidenz ihres Gegenstands- durch Zuschüsse seitens der UNESCO gesichert war. bereichs (vgl. Hua XLII; Hua VIII; Hua XXXIV). Im Oktober 1938 wurde am Husserl Archiv in Leu- Beschränkt man sich also auf die zu Lebzeiten ver- ven damit begonnen, die 40.000 Manuskriptseiten, die öffentlichten Schriften, ergibt sich ein ganz anderes, in Husserl bereits thematisch in Gruppen geordnet hatte, der Tat hochgradig verzerrtes Bild von Husserl, als zu transkribieren und zu edieren (s. Kap. II.5). Bis zum wenn man den Nachlass hinzunimmt. So zeichnen heutigen Zeitpunkt sind 43 Bände der Husserliana, der viele Interpreten bis heute ein Bild von Husserls Phä- Gesammelten Werke Husserls, erschienen, sowie zahl- nomenologie, das diese als intellektualistisch und so- reiche Dokumente, Briefe und Materialien. Der Haupt- lipsistisch erscheinen lässt, indem das Bewusstsein teil der Edition gilt damit nun als abgeschlossen. Die allmächtig und transparent ist und die Welt zum In- Rezeption dieses ertragreichen und vielseitigen Nach- halt einer Vorstellung degradiert wird. Andere wollen lasses beginnt hingegen erst. Dies macht die Besonder- in der Phänomenologie hingegen lediglich eine Form heit der Rezeptionsgeschichte von Husserl, aber auch der Introspektion sehen, die nach Herzenslust die ei- seines Werkes aus, das zum größten und wichtigsten genen inneren Erlebnisse und Gefühle beschreibt. Teil in diesem Nachlass beschlossen liegt. Viele derje- Beides erweist sich vor allem im Hinblick auf den nigen Themen, die den Kern der Phänomenologie bil- Nachlass eher als Karikatur denn als eine angemesse- den, werden erst hier systematisch eingeführt oder al- ne Beschreibung dessen, worauf die Husserlsche Phä- lererst sichtbar, da, wie Husserl selbst bereits zu Leb- nomenologie abzielt. zeiten feststellte, »der größte und wie ich sogar glaube wichtigste Theil meiner Lebensarbeit noch in meinen Ein besonderes Anliegen dieses Handbuches ist es da- durch ihren Umfang kaum noch zu bewältigenden her, diesem Nachlass, den in ihm behandelten The- Manuskripten steckt« (Hua Dok III/3, 90). men, seiner Entstehung, und der sich durch diesen In den Manuskripten aus dem Nachlass treffen wir ausdrückenden Arbeitsweise Husserls, gebührend etwa auf Husserls genetischen Ansatz, der die passiven Raum zu geben. Die Betonung des Nachlasses in der Leistungen des Bewusstseins aufzudecken versucht Auswahl der in diesem Handbuch behandelten The- (vgl. Hua XI). In diesem Kontext zeigt sich, dass Inten- men ist in der Forschung zu Husserl ein Novum. tionalität sich nicht auf die Vorstellung oder das Den- Im ersten Teil, über das Leben Husserls, wird nicht ken beschränkt, sondern zunächst in passiven oder nur auf die ›Persönlichkeit und das Leben‹ Husserls, praktischen Formen auftritt. Husserl macht deutlich, sein ›universitäres und soziales Umfeld‹, seine Ein- 4 I Einleitung flüsse, Familie und Briefe eingegangen, sondern vor fundierenden Grundlagen in der Wahrnehmung zu- allem auch die Entstehung und Rettung des Nachlas- rückzubinden. Dieses Werk birgt bereits die Grund- ses dargestellt. annahmen einer genetischen Phänomenologie, die Das Werk gliedert sich dementsprechend in zwei erst durch die Edition der Nachlassmanuskripte zu ih- Rubriken, die der zu Lebzeiten veröffentlichten Werke rer vollen Gestalt kommen sollte. Die vielen Unter- (III.A), und den Nachlass, der in den Gesammelten titel, die auf den einführenden Charakter des jewei- Werken (Husserliana) veröffentlicht ist (III.B). ligen Werkes hinweisen, machen vielleicht deutlich, Trotz des Schwerpunkts auf dem Nachlass werden wie sehr Husserl in den einführenden Werken immer freilich die veröffentlichten Werke ausführlich be- wieder den Versuch unternommen hat, in seine Phä- sprochen, sind sie doch bis heute der erste Anhalts- nomenologie einzuleiten, worüber die Details seines punkt für an Husserls Philosophie Interessierte. Ent- Denkens oftmals zu kurz kommen. sprechend widmet sich in Teil A jeweils ein Beitrag ei- In Teil B wird der Nachlass Husserls, d. h. die kriti- nem zu Lebzeiten von Husserl veröffentlichten Werk sche Edition dieses Nachlasses thematisch dargestellt. und seiner Rezeption; beginnend mit der überarbeite- Die kritische Edition wird in den nächsten Jahren ih- ten Habilitationsschrift Husserls Philosophie der ren Abschluss finden. Bereits in diesem Handbuch be- Arithmetik (1891), darauf folgt dasjenige Werk, das rücksichtigt wurde die vierbändige Edition der Studien Husserls philosophischen Durchbruch bedeutete und zur Struktur des Bewusstseins, die 2017 erscheinen von vielen noch heute als sein wichtigstes Buch ange- wird, ebenso wie die im letzten Jahrzehnt veröffentlich- sehen wird, die Logischen Untersuchungen (1900/01); ten neueren Bände. Vorliegendes Handbuch ist inso- daran schließt sich eine Studie an, welche Husserls fern in der Fülle der Literatur zu Husserl einzigartig, als Wende zu einer transzendentalen Philosophie einlei- es diesen Nachlass, zentriert um seine Methoden und tete, die Ideen zu einer reinen Phänomenologie und wiederkehrenden Hauptthemen (unter Bezug auf die phänomenologischen Philosophie (1913); Jahre später jeweils relevanten Bände der Husserliana), zum ersten erst wird die Formale und transzendentalen Logik Mal systematisch und (beinahe) vollständig darstellt. (1929) publiziert, in der Husserl versucht, seine Ein- Dieser Darstellung ist eine kurzer Überblick der sichten zur Logik auf einer transzendentalen Ebene Herausgeber zur Ordnung und Form des Nachlasses weiter zu denken. Kurz zuvor erschienen im Jahrbuch (s. Kap. III.B.14), sowie ein inhaltlicher Überblick von für Phänomenologie die von Heidegger herausgegebe- Ullrich Melle, des ehemaligen Direktors des Husserl nen »Vorlesungen zum inneren Zeitbewußtsein« Archivs in Leuven, über das gesamte Projekt der Hus- (1928), in welchen Husserl seine einflussreiche Theo- serlschen Phänomenologie (s. Kap. III.B.15) vorange- rie des Zeitbewusstseins entwickelt. Im Jahre 1931 stellt. Die folgenden drei Beiträge beschäftigen sich wurden Husserls Pariser Vorlesungen, die Méditations mit der ›Idee der Phänomenologie‹ (s. Kap. III.B.16) Cartésiennes (1931) – allerdings nur in der französi- und ihren methodischen Zugängen und Ausrichtun- schen Übersetzung –, publiziert, in welchen er, neben gen, als erste (transzendentale) Philosophie und Eide- einer allgemeinen und knappen Einführung in die tik (s. Kap. III.B.17/18). Die Abschnitte sechs und sie- transzendentale Phänomenologie, seine Theorie der ben präsentieren zwei Ausformungen bzw. Anwen- Intersubjektivität und Einfühlung erstmals vorstellte. dungen dieser Methoden, die ›genetische Phänome- In Husserls letzten Lebensjahren erscheint das wohl nologie‹ und die ›Phänomenologische Psychologie‹ (s. bekannteste und am breitesten rezipierte Werk Hus- Kap. III.B.19/20). Die folgenden Beiträge befassen sich serls, die Krisis der Europäischen Wissenschaften und mit philosophischen oder formalwissenschaftlichen die transzendentale Phänomenologie. In dieser kultur- Teilbereichen, in Bezug auf welche sich die Phänome- und wissenschaftskritischen Studie, die gleichzeitig nologie positioniert bzw. ihre eigenständige Theorie (und erneut) eine Einführung und Rechtfertigung der entwickelt: ›Logik und Erkenntnistheorie‹, ›Wissen- Phänomenologie sein soll, prägt Husserl den Begriff schaftstheorie‹, ›Phänomenologie und Mathematik‹, der Lebenswelt (1936), der nun in vielen Wissenschaf- ›Ethik‹, ›Urteilstheorie‹ (s. Kap. III.B.21–25). Die wei- ten wie auch in der Alltagssprache wie selbstverständ- teren Einträge beschreiben zentrale Themenkomplexe lich gebraucht wird. Abschließend das kurz nach sei- der Phänomenologie Husserls, wie die ›sinnliche An- nem Tod von Ludwig Landgrebe herausgegebene schauung‹, ›Räumlichkeit und Bewegung‹, ›Intersub- Werk Erfahrung und Urteil, das anknüpfend an seine jektivität‹ und ›Lebenswelt‹ (s. Kap. III.B.26–29). Den frühere Auseinandersetzung mit der Logik versucht, Abschluss dieser Sektion bildet ein Beitrag zu den höhere kognitive Akte und Prädikationen auf ihre ›Grenzproblemen der Phänomenologie‹ (Hua LXII).