Hermes Ein vielgestaltiger Gott der Antike Virgilio Masciadri Merkur vereint ganz verschiedene Eigenschaften. Woher stammen seine so mannigfaltigen Kompeten- zen? Seine Zuständigkeiten und seine Attribute hat er sich bereits im Altertum allmählich erworben. Ein Spezialist für die antike Mythologie führt uns in die Welt dieser Gottheit ein. 169 Gegen Ende des trojanischen Krieges – so lautet eine berühmte Episode Ein Gott mit altem Namen aus der griechischen Heldensage – tötete Achilleus, der grosse Kämpfer der Achaier, den Stärksten der Trojaner, Hektor, und schleifte dessen Zu Hermes gehört, wie zu den meisten wichtigeren Personen der home- Leiche zu sich ins Feldlager. Hektors Vater, der alte König Priamos, rischen Gedichte, eine Reihe von poetischen Beiwörtern. Diese sind machte sich danach auf, um die Herausgabe seines toten Sohnes zu nicht vom Dichter erfunden, sondern entstammen älterer Tradition; erbitten. Als der Göttervater Zeus dies sah, beschloss er, dem König ihre Bedeutung war deshalb zum Teil schon bei den Griechen umstrit- sicheres Geleit zu geben, und trug seinem Sohn Hermes auf, diesen zu ten. Im eingangs zitierten Textabschnitt erscheinen zwei derartige Bei- begleiten. Der letzte Gesang von Homers »Ilias«, der die Geschichte wörter: der Geleiter (griechisch diaktoros), was auf die Rolle des Hermes erzählt, fährt hier fort: als Reisebegleiter verweisen könnte, und der Argostöter (griechisch argeiphontes), in dem vielleicht eine der Geschichten anklingt, die man So sprach er, und nicht ungehorsam war der Geleiter, über den Gott erzählte, jene von der Tötung des Riesen Argos. der Argostöter [Hermes]. Der Name Hermes ist der modernen Sprachwissenschaft rätselhaft, Sogleich band er sich dann unter die Füsse die schönen Sohlen, wie fast alle Götternamen der Griechen. Jedenfalls gehört Hermes zu Die ambrosischen, goldenen, die ihn über die Feuchte trugen, jenen Gottheiten, die bereits in den Tontafeltexten aus mykenischer Zeit Wie über die grenzenlose Erde, zusammen mit dem Wehen des Windes, mehrfach genannt werden. Diese liefern uns indessen keine Angaben, Und fasste den Stab, mit dem er die Augen der Männer bezaubert, die über eine etwa als Hermahas zu lesende alte Form seines Namens Von welchen er es will, und auch die Schlafenden wieder aufweckt. hinausgehen, und so können wir nicht sagen, ob der Gott schon im Diesen in den Händen flog der starke Argostöter, 2. Jahrtausend v. Chr. eine ähnliche Gestalt besass wie bei Homer oder Und schnell kam er nach Troja und zum Hellespontos ob in der für uns dunklen Epoche, die dazwischen liegt, einschneidende Und schritt hin und ging, einem fürstlichen Jüngling gleichend, Veränderungen geschahen. Sicher hat bereits die Hermesgestalt, die Einem im ersten Bart, dem am anmutigsten die Jugend ist. uns im frühgriechischen Epos entgegentritt, eine Vorgeschichte, die so (Homer, »Ilias«, 24. Gesang, Verse 339–348, deutsche Übersetzung weit zurückreicht, dass Vermutungen über den Ursprung oder eine erste von Wolfgang Schadewaldt) und eigentliche Bedeutung des Gottes müssige Spekulation bleiben. Diese Verse, die vielleicht gegen die Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. niedergeschrieben wurden, entwerfen ein Bild des Gottes Hermes, das Der Bote und der Schelm schon viele der in späteren Darstellungen allgemein üblichen Motive aufweist: Zu den Menschen kommt Hermes in jugendlicher Gestalt, mit Die mythischen Geschichten, in denen Hermes als Hauptperson auftritt, den Sandalen des Wanderers, die allerdings seinem göttlichen Rang sind nicht besonders zahlreich. In den homerischen Epen erscheint er, entsprechend aus Gold sind und zu Wasser ebenso tragen wie zu Land, wie in der geschilderten Szene aus der »Ilias«, vor allem als Reisebeglei- und in der Hand hält er einen Stab, dessen Kräfte über menschliches ter und – namentlich in der Odyssee – als Überbringer von Nachrichten, Mass hinausgehen, indem er die Menschen damit in Schlaf versetzen also in der später zum Klischee gewordenen Rolle des ›Götterboten‹. So und wieder aufwecken kann. Auch bei der Ankunft im Lager der Achaier schickt Zeus ihn, um der Nymphe Kalypso den Befehl zu bringen, sie wird Hermes deshalb einen Schlummer über die Wächter giessen, um solle Odysseus freigeben, den sie so lange auf ihrer Insel zurückgehal- Priamos gefahrlosen Eintritt zu verschaffen; einfach als der mit dem gol- ten hat, und ihn auf den Heimweg schicken (Homer, »Odyssee«, 5. Gesang, denen Stab wird der Gott darum anderswo in den homerischen Gedich- Verse 28 – 148). ten angeredet. Eine originellere Rolle hat der Gott an einer anderen Stelle in der So ausgerüstet, beschützt Hermes den König auf seiner schwierigen »Odyssee«. An dieser trägt ein Sänger ein Lied über den Ehebruch der Fahrt, die ihn zu einer Begegnung mit dem Tod, mit dem Leichnam Aphrodite mit dem Kriegergott Ares vor: Als in dieser Geschichte der seines Sohnes führt. Der Gott erscheint also in seiner auch später wich- betrogene Ehemann, der Schmiedegott Hephaistos, die beiden Übeltä- tigen Rolle als Schutzherr der Reisenden, doch zugleich spielt hier be- ter in einem magischen Netz auf ihrem Bett gefangen und die anderen reits seine andere Aufgabe als Seelengeleiter mit hinein, in der er die Götter herbeigerufen hat, um ihnen die auf frischer Tat Ertappten vor- Menschen auf ihre letzte Reise, ins Totenreich führt. Der Schlaf, die zuführen, wendet sich Apollon mit der Frage an Hermes, was er von Reise, der Tod sind allesamt Zustände, die den Menschen aus seiner dieser Bestrafung halte. Jener erwidert: Er würde sich noch so gerne mit gewohnten Lebenswelt hinausführen – am Übergang zu solchen heik- dreimal stärkeren Fesseln binden lassen, wenn er dafür mit der golde- len Rändern scheint zunächst der Platz des Hermes zu sein. nen Aphrodite schlafen dürfte – eine Anwort, die bei den anwesenden 170 171 Göttern Gelächter hervorruft (Homer, »Odyssee«, 8. Gesang, Verse 333 (Bakchylides, »Dithyramben«, 5.25 – 33 = Fragment 19.25 – 33); nach einer bis 343). Der witzige Kerl, der Spieler, der auch einmal etwas riskiert und anderen versetzte er ihn in Schlaf – durch Flötenspiel, Geplauder und skrupellos sein kann, um zu seinem Vergnügen zu kommen, das ist eine unter Einsatz seines Wunderstabes – und schlug ihm danach mit einem zweite, für die Griechen auch wichtige Seite des Hermes. Sichelschwert den Kopf ab. Diese zweite Version erzählt uns erst der römische Dichter Ovid (»Metamorphosen«, I, 682 – 721); doch schon auf Vasenbildern aus der Zeit um 500 v. Chr. sehen wir Hermes mit dem Schwert auf Argos einstechen. Dies ist übrigens die einzige Geschichte, in welcher der sonst ausgesprochen friedfertige Gott ein menschliches Wesen tötet. Hermes wiegt mit seinem Flötenspiel den Argos in den Schlummer. Titelkupfer 1736; Hephaistos überrascht Ares und Aphrodite. Auf dem Olymp brechen die Götter – unter Kupferstich von Johann Lochmann (Zürich, 1700 bis ca. 1762) aus dem Neujahrsstück ihnen Hermes – in Gelächter aus. Hinterglasgemälde von Hans Conrad Gyger (Zürich der Musikgesellschaft »ab dem Music-Sal«, Nummer LII, 1736, Seiten 409—416. 1631). Eine weitere Sage handelt von den übermütigen Riesen Otos und Ephi- In einer Reihe von traditionellen Erzählungen übernimmt der Gott altes, die Ares gefangennahmen und dreizehn Monate lang in einem nicht unbedenkliche Aufgaben: Als Zeus sich in die schöne Io verliebt Krug versteckt hielten; erst als ihre Stiefmutter die Sache dem Hermes hatte, verwandelte Hera das Mädchen in eine Kuh und liess sie vom verriet, konnte dieser den Kriegsgott aus seinem Gefängnis stehlen. Ein allsehenden Argos bewachen, der am ganzen Leib Augen hatte, die nie- andermal kämpfte der monströse Typhon gegen Zeus, und dabei gelang mals gleichzeitig schliefen, und so die lückenlose Kontrolle über die es ihm, den Göttervater kraftlos zu machen, indem er ihm die Sehnen Nebenbuhlerin der Zeusgattin sicherstellten. Allein der Göttervater von Händen und Füssen entwand; er versteckte sie in einer Bärenhaut, schickte Hermes, um den wunderbaren Wächter zu überwältigen. Darü- und abermals musste Hermes ausgeschickt werden, um sie ihm zu ber, wie der jüngere Gott dabei vorging, gibt es verschiedene Berichte: stehlen und Zeus seine Kraft zurückzugeben. In beiden Geschichten ist Nach der einen Fassung, die wir zuerst im 5. Jahrhundert v. Chr. bei es also die Dieberei des Hermes, welche einen mächtigeren Gott davor dem Lyriker Bakchylides finden, tötete er Argos durch einen Steinwurf bewahrt, seine ganze Kraft zu verlieren. 172 173 Das Bild von Hermes als dem diebischen Gott wurde allerdings vor mit seinem Bruder zu versöhnen, wenn er das Instrument bekäme; ja er allem durch die Geschichte über seine Geburt und Kindheit geprägt, die schenkte dem Hermes dafür sogar einen goldenen Hirtenstab, der Segen uns der sogenannte »Homerische Hymnus an Hermes« erzählt. Dieses und Reichtum zu gewähren vermochte. Fortan waren die beiden Götter Gedicht lehnt sich an den Stil der homerischen Epen an, stammt aber unzertrennliche Gefährten, und Hermes wurde von Zeus zu seinem aus späterer Zeit und schlägt einen eher humorvollen Ton an. Danach Boten und zum Seelengeleiter in die Unterwelt berufen. wurde der Gott als Sohn des Zeus und der Atlastochter Maia in einer Höhle in Arkadien geboren. Schon wenige Stunden nach seiner Geburt entwich er heimlich aus der Getreideschwinge, die seine Wiege war. Im Ein Gott fürs Finden und Erfinden Freien traf er auf eine Schildkröte, packte sie, tötete sie, nahm ihren Rückenpanzer, bespannte ihn mit Saiten und erfand so ein Musikinstru- Die Geschichte vom Rinderdiebstahl zeigt uns Hermes nicht nur als ment, die Leier. Meisterdieb, sondern auch als Hirtengott, der sich mit Kühen abgibt – nicht zufällig wird also seine Geburtshöhle in eines der grossen Weidege- biete Griechenlands verlegt, nach Arkadien im Inneren der Peloponnes. Noch wichtiger ist, dass Hermes als Erfinder erscheint: Das Opfer- feuer, das er anzündet, ehe er die beiden Rinder schlachtet, soll das erste überhaupt gewesen sein. Daneben steht die Erfindung eines Mu- sikinstruments, der Leier. Der göttliche Botschaftenbringer wird damit auch zum Urheber wichtiger kultureller Errungenschaften, die die Ver- bindung zwischen Menschen und Göttern sicherstellen: des Opferfeu- ers und der Musik, die in Griechenland zu fast jedem Götterfest dazu- gehören. Von der Listigkeit des Hermes bahnt sich hier bereits der Weg an, auf dem der Gott dann in der späteren Antike als Vermittler beson- ders tiefgründigen Wissens erscheinen wird. Das Erfinden gehört im Griechischen wie im Deutschen eng mit dem Finden zusammen, beides kann mit demselben Verb heuriskein bezeichnet werden. So wird Hermes für die Griechen zum Herrn des glücklichen Findens, ja jeder glückliche Zufallsfund trägt seinen Namen, heisst hermaion. Im weiteren Sinne entwickelt er sich damit zum Gott, der Glück und Reichtum schenkt, wie es bereits bei der Übergabe des goldenen Stabes am Ende des Hermeshymnos angedeutet wird. Auch Ludwig Keiser (geb. 1816 in Zug; 1836 bis 1853 in München; seit 1855 Lehrer für Markt und Handel, als Orte, wo glücklicher Gewinn angestrebt wird, Modellieren und ornamentales Zeichnen am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich; gest. 1890 in Zürich), Hermes auf der Schildkröte, Marmor, 75 cm hoch; 1878 vollendet. kommen unter sein Patronat, und das ist der Punkt, an dem später die Römer ihren Mercurius mit dem Gott der Griechen in Verbindung brin- Dann ging er nach Thessalien und stahl dort fünfzig Rinder seines gen werden. älteren Halbbruders Apollon, wobei er, um nicht entdeckt zu werden, das Vieh rückwärts gehen liess und seine eigenen Fussspuren ver- wischte. Zwei von den Tieren schlachtete er, briet sie und verteilte sie Der Mann mit den Flügelschuhen als Opfer für die zwölf grossen Götter, ohne selber davon zu essen; die übrigen versteckte er und kehrte zu seiner Geburtshöhle zurück. Unter- Neben den Erzählungen über Hermes steht seine Darstellung in Bild- dessen hatte Apollon den Diebstahl bemerkt und kam, um seine Rinder werken. Bereits auf archaischen Vasenbildern tritt er als Götterbote und zurückzufordern; allein sein diebischer Bruder war schon wieder in Geleiter auf, und auf den Grabvasen des klassischen Athen, den soge- ein kleines Kind zurückverwandelt, lag in der Wiege und spielte den nannten Lekythoi, die uns in grosser Zahl erhalten sind, erscheint er re- Unschuldigen. So schleppte Apollon ihn zu Zeus, wo Hermes nach län- gelmässig als Seelenbegleiter, der die Toten ins Jenseits hinüberführt. gerem Leugnen gestehen musste und einwilligte, das Vieh zurückzu- Im späteren 5. und im 4. Jahrhundert v. Chr. entstehen dann die klassi- geben. Als Apollon dann jedoch hörte, wie der kleine Dieb auf der Leier schen Hermes-Statuen, die in zahlreichen Variationen und Kopien in die spielte, war er von dem Klang so bezaubert, dass er bereit war, sich ganze alte Welt verbreitet wurden. 174 175 senenalter eine entscheidende Rolle zukam, dürfte ein grosser Teil der uns erhaltenen Hermesbilder aufgestellt gewesen sein. Auf all diesen Darstellungen begegnen uns schon früh die symbolischen Zeichen, an denen Hermes wie der römische Mercurius bis heute zu erkennen ist: So tritt er mit dem Hut des Wanderers und im Reisemantel auf, und be- reits auf Vasenbildern aus der Zeit um 600 v. Chr trägt er Schuhwerk, aus dessen Fersen die berühmten Flügel sprossen; rund hundert Jahre spä- ter erscheinen die Flügelchen auch auf dem Hut. Der Stab des Hermes Eine besondere Geschichte hat der Stab des Hermes. Bereits in den ho- merischen Gedichten trägt der Gott, wie erwähnt, einen Stab aus Gold, Hermes geleitet eine Verstorbene zu Charon (links im Nachen), weissgrundige attische und im Hermeshymnos wird der Rute, die Apollon seinem kleinen Bru- Lekytos, um 455 v. Chr. – Umzeichnung nach Ernst Pfuhl, Tausend Jahre griechischer Malerei, München 1940, Abbildung 542. der schenkt, sogar eine besondere Gestalt zugeschrieben: Sie soll mit drei Blättern gekrönt gewesen sein. Bei den Autoren des 5. Jahrhunderts v. Chr. begegnen wir dann dem besonderen Namen dieses Stabs, kery- keion. Durch Vermittlung der unteritalischen Griechen, die in ihrem do- rischen Dialekt karykeion sagten, übernahmen auch die Römer dieses Wort, verballhornten es aber zu caduceus, vielleicht weil sie den Stab als Abzeichen des Totengeleiters kennenlernten und in seinem Namen ei- nen Anklang an caducus, ›dem Tode geweiht‹, hörten. Im Griechischen freilich ist der Name von keryx, der Bezeichnung des Herolds, abgeleitet und bezeichnet den Stock, den jeder Botschafter und Nachrichten- bringer als Zeichen seines Amtes bei sich trug. Auf griechischen Vasen- bildern führen dementsprechend auch andere Figuren das kerykeion, Iris etwa, die Götterbotin, oder einzelne Herolde. Dennoch ist der Stab in erster Linie das Zeichen des Hermes und kann sogar als Symbol die Gestalt des Gottes vertreten. Alkestis – die sich für ihren dem Tod geweihten Gatten geopfert hatte – und Merkur als Seelengeleiter führen eine Verstorbene vor die Totengötter Pluto und Proserpina. Aus dem Nasoniergrab an der Via Flaminia in Rom um 160 / 170 n. Chr.; das heute weit- gehend zerstörte Bild ist überliefert in einem Kupferstich des 17. Jahrhunderts. Während der Götterbote in den frühesten Darstellungen als bärtiger, erwachsener Mann auftritt, erscheint er von der Mitte des 5. Jahr- hunderts v. Chr. an meist in jugendlicher Gestalt. Diese Verjüngung ist keine Besonderheit des Hermes, sondern erfasst als Stilwandel eben- so andere Götter. Dennoch dürfte die Veränderung auch mit einer Auf- gabe des Hermes zusammenhängen, die in nachklassischer Zeit immer wichtiger wird: Er ist der Schutzherr des Gymnasions, in Griechenland Hermes mit den Flügelsandalen; in der linken Hand hielt er den Caduceus. Römische der Ort der sportlichen Erziehung. In solchen Sportstätten, denen am Kopie nach Lysipp (4. Jahrhundert v. Chr.), gefunden in der Villa dei Papiri in Hercula- Übergang der männlichen Jugendlichen von der Kindheit ins Erwach- neum. Foto nach Kopie in der Sammlung K. Bernhard. 176 177 Iris von einer polychromen Lekythos auf schwarzem Grund, ca. 480 v. Chr. Kerykeion mit naturalistisch ausgestalteten Schlangen. Pompeij, Casa degli Epigrammi, Die Entwicklung des Kerykeion auf bildlichen Darstellungen folgt einem Umzeichnung. eigenen Weg. Von den frühesten Vasen an ist die Spitze von Hermes’ Stab besonders ausgestaltet: Meist wird sie von einem doppelten Ring Dieses einfache Ornament wird in der Folge in verschiedener Weise an- gekrönt, von dem der obere sich nicht ganz schliesst, gleichsam in Ge- gereichert, zum Beispiel, indem man einen weiteren Ring hinzufügt. Ge- stalt einer nach oben offenen arabischen Acht. Dieses Ornament, das gen Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. erscheint dann das abstrakte sich seltsamerweise nicht mit der Beschreibung im Hermeshymnos Element auch tiergestaltig ausgeschmückt, indem die einander zugekehr- deckt, scheint eine Erfindung der sogenannten ›Orientalisierenden Epo- ten Spitzen des oberen Halbrings mit Schlangenköpfen versehen werden. che‹ in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts v. Chr. zu sein, in welcher Dass daneben wirkliche kerykeia aus Bronze erhalten sind, die statt mit die bildnerischen Schöpfungen der Griechen sich eng an die Produktion Schlangen- mit Widderköpfen oder solchen des Gottes Pan gekrönt sind, der Völker im Raum zwischen Mesopotamien, Syrien und Palästina an- belegt, dass es sich bei dem ursprünglichen Ornament nicht um eine lehnten. Auf babylonischen Rollsiegeln finden sich jedenfalls Figuren, primitive Wiedergabe von Schlangen handelte. Weit eher dürften die die Ritualstäbe mit ähnlich gestaltetem Kopf tragen, ohne dass sich ein Tier leiber die sekundäre organische Ausgestaltung eines abstrakten Ele- exaktes Vorbild für das griechische kerykeion namhaft machen liesse. ments darstellen. In der für die Kunst seit der Renaissance massgeb- lichen Gestalt von zwei den Stab des Gottes umwindenden Schlangen ist das Kerykeion erst in späthellenistisch-römischer Zeit fassbar. Ins- besondere beim Mercurius der Römer ist es in dieser Form häufig, ohne dass daneben der ältere, einfachere Typ ganz verschwindet. In einem lateinischen Werk des 2. Jahrhunderts n. Chr., dem unter dem Namen des Hyginus überlieferten astronomischen Handbuch, fin- det sich dann sogar eine mythologische Geschichte, welche die Entste- hung des Schlangensymbols zu erklären versucht: Nachdem Hermes von Apollon seine wunderbare Rute geschenkt erhalten hatte, machte er sich nach Arkadien auf; unterwegs bemerkte er zwei kämpfend inein- ander verschlungene Schlangen und schlug mit der Rute zwischen sie, damit sie sich trennten; so sei dieser Stab zum Symbol des Friedens ge- worden (Hyginus, »De Astronomia«, 2. Buch, Kapitel 7.2). Dass der Botenstab als Friedenszeichen galt, steht auch bei anderen Autoren; es hängt wohl mit der Immunität zusammen, die dem Boten und Herold in der ganzen Antike zukam, und passt gut zur unkriegeri- Hermes auf einer Schale des Brygosmalers, nach 490 v. Chr.; Umzeichnung nach Ernst schen, friedliebenden Natur des Hermes. Pfuhl, Tausend Jahre griechischer Malerei, München 1940, Abbildung 424. 178 179 Ausserdem findet sich das Motiv des Schlages zwischen die Schlangen das Durchbrechen dieser heiklen Grenze keineswegs fremd, hat er noch in einer zweiten mythologischen Geschichte: In dieser ist es der doch nach dem Mythos mit Aphrodite den Hermaphroditos gezeugt. Seher Teiresias, der im Wald zwei nicht kämpfend, sondern beim Liebes- Dieses merkwürdige halb männliche, halb weibliche Zwitterwesen hat spiel ineinander verschlungene Schlangen trifft und mit seinem Wander- seit spätklassisch-hellenistischer Zeit die Phantasie der Dichter, Bild- stab dazwischenschlägt – unverzüglich verwandelt er sich in eine Frau, künstler und Philosophen lebhaft beschäftigt und noch Jahrhunderte und erst als er nach sieben Jahren dieselben Schlangen wiederfindet später den Alchemisten der frühen Neuzeit reichen Stoff zu ihren und ein zweites Mal dazwischenschlägt, wird er erneut ein Mann. Spekulationen gegeben. Die Hermenpfeiler Bildliche Darstellungen in menschlicher Gestalt waren freilich nicht die häufigsten sichtbaren Repräsentanten des Hermes im antiken Griechen- land. Weit öfter erschien der Gott in einer ganz anderen Form: als niedriger Steinpfeiler von viereckigem Querschnitt, aus dem oben ein bärtiger Männerkopf – also ein Hermes der älteren, archaischen Art – herauswuchs und an dessen Vorderseite das Zeichen eines aufgerichte- ten Phallus angebracht war. Eine solche Skulptur nennt man heute eine Herme, die Griechen selbst bezeichneten sie oft mit dem Namen des Gottes einfach als Hermes oder nach der Form als schema tetragonon, als ›Vierkant-Gestalt‹. Solche Hermen standen an Stadttoren, an Eingän- gen zu Tempeln, zu Gymnasien und anderen öffentlichen Gebäuden sowie bei den Türen zu vielen Privathäusern, aber auch in Innenhöfen und im Wohnbereich. In Hermengestalt begegnet uns der Gott auch in der Literatur: Am Ende der Komödie »Die Wolken« des Aristophanes aus dem Jahr 423 v. Chr. hält der Bauer Strepsiades, der sich zuvor mit der damals neumo- dischen Philosophie eingelassen und die Götter vernachlässigt hat, nach seiner Rückbekehrung zur guten alten Sitte eine Entschuldigungs- Tiresias und die Schlangen (Ovid, Metamorphosen III, 316—338); Kupferstich von rede an den Hermes, also die Herme vor seiner Haustür (Verse 1478 – 1485). Johann Ulrich Krauss (1655—1719), aus: Die Verwandlungen des Ovidii in zweyhundert und sechs und zwantzig Kupffern. In Verlegung Johann Ulrich Krauss, Kupferstechern in Augspurg [ca. 1690 /1700]; Nr. 34. Bei diesem Mythos vermuten wir heute einen Zusammenhang mit Ini- tiationsriten, wie sie in Griechenland da und dort belegt sind, die ein Element der Travestie enthielten und die Initianden vorübergehend das Geschlecht wechseln liessen. Auch deshalb wirkt er auf uns heute älter, archaischer als jener über den Stab des Hermes mit seiner gar gutgemeinten moralischen Botschaft, und tatsächlich wurde die Ge- schichte über Teiresias bereits in der sogenannten »Melampodie« erzählt, einem heute verlorenen epischen Gedicht aus dem 6. Jahrhundert v. Chr. (Hesiod, Fragment 275 Merkelbach-West). Vielleicht verweist die Analogie zwischen den Schlangengeschich- ten über den Gott und den Seher aber auf einen Zusammenhang: Auch Teiresias wird hier zum Meister eines gefährlichen Übergangs, nämlich Junger Mann krönt eine Herme, von einem attisch-rotfigurigen Becher, um 480/ über die Grenze zwischen Mann und Weib – und Hermes ist gerade 70 v. Chr. (sog. Maler der Berliner Dokimasie), Umzeichnung. 180 181 Diese Bildpfeiler waren so zahlreich, dass kein anderer Gott in einer übernommen haben sollen. Der Geschichtsschreiber Herodot (gest. Stadt wie Athen in ähnlich vielen Zeichen und Kultmälern gegenwärtig um 424 v. Chr.) führt ihn auf eine sehr alte Zeit der Stadt zurück, als gewesen sein dürfte wie Hermes. Ihre Beliebtheit führte sogar dazu, in Attika noch die Pelasger gesiedelt hätten, ein mythisch-phantasti- dass man im Verlauf des 4. Jahrhunderts v. Chr. begann, auch die Köpfe sches Wandervolk, das später wieder abgezogen sein soll. Von diesen anderer Götter auf Hermenpfeilern abzubilden, und bei den Römern Pelasgern sollen die Athener die Darstellung des Hermes mit erregter wurde die Herme sogar – unter Weglassung des Phallus – zum Träger Männlichkeit übernommen haben, denn in den ebenfalls als pelasgi- zeitgenössischer Porträtköpfe und ging in dieser Form ins allgemeine sche Gründung geltenden Mysterienweihen auf der nordägäischen Repertoire der europäischen Bildhauerkunst ein. Insel Samothrake werde genau darüber eine heilige Geschichte erzählt (Herodot, »Historien«, 2. Buch, Kapitel 51). Tatsächlich scheint es vor dem Eingang der samothrakischen Weihehalle von Samothrake zwei Bronzestandbilder von Wächterdämonen mit aufgerichtetem Phallos gegeben zu haben, welche die Athener an ihren heimischen Hermes erinnerten. Dass der Gott damit eine Rolle in einem wichtigen Myste- rienkult erhielt, blieb für das Bild, das man sich von Hermes machte, gleichfalls nicht ohne Folgen. Die moderne Wissenschaft stellt sich die Herkunft dieser Kultmale allerdings etwas anders vor. Es gab nämlich eine weitere Art von Weg- marken, die mit Hermes verbunden wurden: Steinhaufen am Strassen- rand, die man auch hermaion nannte und zu denen jeder Vorbeikom- mende einen weiteren Stein hinzuwarf. Man erzählte darüber, dass Hermes, nachdem er den Argos getötet hatte, vor das Gericht der Götter gestellt werden sollte, da er als erster Gott einen Menschen umgebracht hatte; allein die Olympier scheuten sich, einen der ihren zu verurteilen, und sprachen ihn von dem Mord frei, indem sie die Stimm-Steine, die sie als Richter in die Stimm-Urne hätten legen müssen, dem Hermes vor die Füsse warfen; zur Erinnerung daran werfe man dem Hermes Steine hin. Aufgrund dieser Berichte vermutet man, dass der alte Brauch solcher Wegmarkierungen und die Vierkant-Hermen der klassischen Zeit auf nicht mehr klar fassbare Weise zusammenhängen. Wie man die Hermen in der frühen Neuzeit aus den damals bekannten Texten rekonstru- Auch zum Phallos-Zeichen an der Herme gibt es moderne Untersu- ierte: Hermes jugendlich und mit dem Flügelhelm; ohne Phallos; richtig gesehen indessen chungen: So hat man festgestellt, dass stilisierte Darstellungen von ist die Einbindung im Kult (Opferaltar mit Feuer). männlichen Geschlechtsorganen (vereinzelt auch von weiblichen) in Aus: Vincentii Chartarii Rhegiensis Neueröffneter Götzen-Tempel, zum ersten mahl ins Deutsche gegeben, Franckfurt: Bourgeat 1692. vielen Kulturen an Eingängen zu Häusern und Heiligtümern angebracht werden. In diesem sogenannten ›phallischen Präsentieren‹ erkennt In Hermengestalt erhielt der Gott auch kultische Verehrung: Er wurde man heute eine Geste, die eine Grenze markieren und sichern soll, und mit Blumen bekränzt, empfing Gaben von Weihrauch, Trankspenden Verhaltensforscher haben, um sein so weit verbreitetes Vorkommen zu von Milch und Honig, dazu Opferkuchen und Früchte. Insbesondere erklären, darauf hingewiesen, dass bereits Menschenaffen gewisse For- hören wir von dem Brauch, jeweils die erste reife Feige des Jahres bei men von Phallus-Weisen zur Reviermarkierung nutzen. Auch dieses Zei- der Herme vor dem Haus niederzulegen, wo sie von den Passanten chen scheint also auf die Rolle des Hermes als Herr des Übergangs über mitnehmen durfte, wer wollte. Auf manchen Vasenbildern steht vor der heikle Grenzen zu verweisen. Doch schon die gebildeten Griechen der Herme auch ein Altar, an welchem dem Gott Tieropfer dargebracht wer- Spätantike, denen solche ›obszönen‹ Bilder nicht mehr so leicht zu- den, namentlich Ziegenböcke und Widder. Sein regelmässiges Opfer gänglich waren wie in der archaischen und klassischen Periode, haben erhielt Hermes monatlich, an seinem heiligen Tag, dem 4. jedes Monats, versucht, darin eine tiefere Bedeutung zu finden, und so wird dieser der zugleich als sein Geburtstag galt. Phallos etwa bei dem Philosophen Plotinos im 3. Jahrhundert n. Chr. Das Errichten solcher Hermenpfeiler hielt man für einen im Ur- zum Symbol des logos, jener geistigen Urkraft, welche die sichtbaren sprung athenischen Brauch, den von da auch die anderen Griechen Dinge der Welt zeugt. 182 183 Der Weisheitslehrer Dazu kam, dass Hermes auch in Mysterienkulten eine Rolle spielte, wie in den schon erwähnten heiligen Geschichten der Mysterien von Samo- In der Spätantike wird Hermes überhaupt zu einem Lieblingsgott der thrake, die in hellenistischer und römischer Zeit in hohen Ehren stan- Philosophen, was seinem Namen ein ganz besonderes Nachleben si- den. Wichtig war schliesslich auch, dass die Griechen die Namen von cherte. Der Hintergrund dieser Um- und Aufwertung ist vielfältig: Göttern für übersetzbar hielten wie gewöhnliche Wörter und, wenn sie Sicher gehört dazu, dass der Gott der Boten und Herolde ein besonders fremden Völkern begegneten, für deren Gottheiten stets einen entspre- enges Verhältnis zur menschlichen Rede hatte. Zu den Übergängen, an chenden griechischen Namen suchten. Mit Hermes setzten sie denen er wirkte, zählte deshalb auch jener zwischen den Sprachen: Ih- etwa den ägyptischen Schreibergott Thoth gleich, den bereits Platon – ren Namen für den Übersetzer, hermeneus, sahen die Griechen in engem freilich unter seinem ägyptischen Namen – in einem berühmt gebliebe- Zusammenhang mit dem des Hermes. Den Übersetzer, der nicht anders nen Märchen über die Erfindung der Schrift auftreten liess (Platon, als der Gesandte mit dem Stab eine Botschaft vermitteln und »Phaidros«, 274c – 275b). die richtigen Worte finden muss, dachte man sich in der Obhut dieses All dies führte dazu, dass in den ersten Jahrhunderten nach Christus Gottes gut aufgehoben. eine ganze Sammlung von philosophisch-religiösen Schriften entstand, die sich als Offenbarungen des ägyptischen Hermes ausgaben, den man nun Hermes Trismegistos, ›Hermes den Dreimalgrössten‹ nannte. Als die Humanisten im Florenz des 15. Jahrhunderts diese Schriften wiederentdeckten, glaubten sie der Fiktion und hielten die Lehren die- ses Werks für uraltes Geheimwissen. So bekam der Begriff des Hermeti- schen den uns heute geläufigen Beiklang von tiefgründigem Geheimnis, mit dem er etwa noch der ›hermetischen Dichtung‹ des 20. Jahrhunderts den Namen geben sollte. Vom Boten zum Kaufmann: Hermes und Mercurius Die Kultur der Römer hat sich von Anfang an in engem Kontakt mit jener der Griechen entwickelt, die in Unteritalien und jenseits der Adria in ihrer Nachbarschaft wohnten. Dementsprechend haben sich für die meisten römischen Götter früh schon Gleichsetzungen mit griechischen durchgesetzt, wie sie später in die europäische Bildungstradition einge- hen sollten: Dem griechischen Hermes entspricht in Rom Mercurius. In diesem und ähnlichen Fällen wurde wohl nicht einfach einem altrö- mischen Gott ein griechischer Name als Parallele zugewiesen, noch hat man griechische Götter nach Rom übernommen und umbenannt; ebenso- wenig lässt sich das Profil einer solchen Gottheit einfach in ursprüng- lich römische und importierte griechische Einzelteile zerlegen. Vielmehr gewinnt es seine Eigenart gerade erst durch Überkreuzung, Fortent- wicklung und Umdeutung von Elementen unterschiedlicher Herkunft. Ein interessantes Zeugnis für diesen Prozess ist bereits der erste erhaltene lateinische Text, in dem Mercurius auftritt, die Komödie »Amphitruo« des Plautus, die wahrscheinlich in den Jahren um 190 v. Chr. Dem Hermes Trismegistos hat man vom ersten vorchristlichen bis zum vierten nach- christlichen Jahrhundert allerhand geheimnisumwitterte Bücher zugeschrieben, ein ihre Uraufführung erlebte. Der Stoff des Stückes entstammt der grie- schwer überschaubares Sammelsurium, das die Esoteriker und Alchemisten benutzten chischen Mythologie: Der Göttervater Zeus – oder hier eben römisch und deuteten. Iupiter – nähert sich Alkmene in der Gestalt ihres Gatten Amphitryon, Bild: Hermes Trismegistos; aus: Jean Jacques Boissard (1528—1602), Tractatus post- während dieser auf einem Feldzug im Ausland ist, und zeugt mit ihr den humus Jani Jacobi Boissardi Vesvntini De Divinatione & Magicis Præstigiis, Oppenheim: Galler, ca. 1615. grossen Helden Herakles. 184 185 Abschnitt das lateinische Wort für den Gewinn, lucrum, vor; erst als zweite Aufgabe nennt Mercurius dann jene des Götterboten. Diese ist uns aus Mythologie und Dichtung der Griechen bestens vertraut, wäh- rend der Bezug des Gottes zu den Kaufleuten im griechischen Bereich eher am Rand seines Wirkungsfeldes steht. Für die Römer dagegen ge- hören offensichtlich Binnen- und Aussenhandel nicht nur eng mit sei- nen Botendiensten zusammen, sie bilden sogar die eigentliche Kern- kompetenz des Mercurius. Dies betont der Gott durch ein Wortspiel gleich im ersten Vers, denn der lateinische Begriff, der dort den Handel bezeichnet, mercimonium, klingt unüberhörbar an seinen Namen an. Nicht viel anders als der römische Komödiendichter leiten die Sprachwissenschaftler von heute den Namen Mercurius von einem nur auf Inschriften belegten Wort mercus ab, das wahrscheinlich Handel und Warentausch bezeichnete und mit merx, dem lateinischen Begriff für die Handelsware, zusammengehört. Kein Wunder, prägt man den Szene aus einer unteritalisch-griechischen Posse, die denselben Stoff behandelte Kopf des Gottes mit dem Flügelhut seit dem frühen 3. Jahrhundert v. Chr. wie später der Amphitruo des Plautus: Der verkleidete Zeus trägt eine Leiter, um zu Alk- auf Münzen, und noch in republikanischer Zeit erhält er auf Bildern mene ins Fenster steigen zu können; Hermes (erkennbar am Kerykeion) leuchtet ihm ein Attribut, das ihm die Griechen nicht gegeben haben: Er trägt einen als gefälliger Diener mit einer Lampe. Die Schauspieler tragen ausgestopfte Gewänder. Vase des Asteas aus Paestum; ca. 350 / 340 v. Chr. Geldbeutel in der Hand. Im Stück des Plautus hat Iupiter als Diener den Götterboten bei sich, eben Mercurius, der einen Prolog spricht und das Publikum wie folgt Die Verehrung des Mercurius in Rom anredet: Mit der engen Beziehung des Mercurius zur Geldwirtschaft hängt wohl So, wie ihr wollt, dass ich bei eurem Handel mich, auch die Bedeutung zusammen, die ihm im Privatkult der Römer zukam. Beim Einkauf und Verkauf durch reichlichen Gewinn In diesem muss er einer der wichtigsten Götter gewesen sein, denn von Euch gnädig zeige und in allem hilfreich sei, keinem anderen haben sich so viele jener Statuetten aus Bronze erhal- Und wie ihr wollt, dass euer Vermögen immerfort ten, die auf römischen Haus altären standen. Nur die eigentlichen Haus- Und Rechnungswesen im Aussenhandel wie daheim götter, die Laren, kommen ihm in der Verbreitung nahe. Die Archäologen Durch tüchtigen Gewinn von mir gesegnet sei, finden Letztere übrigens nicht selten zusammen mit einem Mercurius, Was ihr begonnen habt und erst beginnen wollt, gleichsam die Beschützer der Liegenschaft neben dem Schirmherrn Und wie ihr wollt, dass euch und auch den Eurigen von liquidem Vermögen und Einkommen – und sinnig genug gelten my- Ich stets mit guter Botschaft diene, immer nur thologisch die Laren als Kinder des Mercurius. Ausserdem gibt es unter Das meld’ und bringe, was ihr selbst am meisten wünscht, den Statuetten des Gottes sogar solche, die einen hohlen Sockel haben, (Ihr wisst ja doch, dass von den andren Göttern mir in dem wie in einer Sparbüchse ein Schlitz angebracht ist: Hier empfing Das zugestanden und verliehen worden ist, Merkur offensichtlich Münz-Opfer, die seinem Zuständigkeitsbereich Dem Botenwesen und Geschäften vorzustehn): besonders angepasste Gabe. So, wie ihr also wollt, dass ich dabei mich euch In ihrem Mercurius schufen die Römer somit eine Göttergestalt, Geneigt und gnädig zeige, dass es an Gewinn welche der sich ausbreitenden Geldwirtschaft mit einer leicht lesbaren Euch niemals mangle, ebenso nun bitt’ ich euch: Symbolik antwortete, für die es in Griechenland kein wirkliches Vor- Hört schweigend dieses Schauspiel an ... bild gibt. Wenn Hermes / Merkur in Bildkunst und Allegorie des neu- (Plautus, »Amphitruo«, 1–15, deutsche Übersetzung von Ludwig Gurlitt) zeitlichen Europa vor allem als Patron von Handel und Geldgewerbe Karriere gemacht hat, so setzt sich diese römische Neuprägung seines Hier stellt sich der Sprecher offensichtlich zuerst in der Rolle vor, in Charakters fort. welcher er den Zuschauern am nächsten ist: als Gott des Geldver- Noch in einem anderen Punkt unterscheidet sich Mercurius aller- dienens durch Handel und Geschäft – gleich drei Mal kommt in dem dings vom griechischen Hermes: Während Letzterer in seiner Heimat 186 187
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