Heinrich von Kleist Der zerbrochne Krug, ein Lustspiel Textkritische Edition der Handschrift Herausgegeben von Günter Dunz-Wolff Sonderband des Kleist-Jahrbuchs 2020 Sonderband des Kleist-Jahrbuchs 2020 Im Auftrag des Vorstandes der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft und des Kleist-Museums herausgegeben von Andrea Allerkamp, Andrea Bartl, Anne Fleig, Barbara Gribnitz, Hannah Lotte Lund und Martin Roussel Heinrich von Kleist Der zerbrochne Krug, ein Lustspiel. Textkritische Edition der Handschrift herausgegeben von Günter Dunz-Wolff J. B. METZLER Über den Herausgeber: Günter Dunz-Wolff ist Schatzmeister der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft und Herausgeber von kleist-digital.de Satz: Günter Dunz-Wolff Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-662-62285-8 ISBN 978-3-662-62286-5 (eBook) Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. J.B. Metzler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany J.B. Metzler © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature, 2020 Inhalt Über diese Edition ............................................................... VII Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug, ein Lustspiel. [Textkritische Edition der Handschrift] ........................................ 1 Anhang Textgenese und Darstellungskonzept. Ziele dieser Edition ...................... 155 Textgenetische Problemfälle. Analyse und Diskussion einzelner Verse der ›Krug‹-Handschrift ....................................................... 171 Paralleldruck versübergreifender Varianten. Vergleichende Darstellung umfangreich überarbeiteter Textabschnitte ................................... 205 Kleists Handschrift und ihre Entwicklung. Handschriftanalyse als Datierungsmethodik ................................. 223 Siglenverzeichnis ................................................................. 263 V Über diese Edition1 Diese Edition2 bietet erstmalig eine synoptisch-textgenetische Darstellung von Kleists Handschrift des ›Zerbrochnen Krugs‹. Die zahlreichen Änderungen Kleists im Manuskript werden in ihrer chronologischen Entstehung präsentiert, bei Abwei- chungen gegenüber den Fassungen des Erstdrucks oder der ›Phöbus‹-Fragmente3 werden deren Versfassungen zusätzlich dokumentiert. Um den Vergleich der drei überlieferten ›Krug‹-Textzeugen (Handschrift [H], › Phöbus‹-Fragmente [P] und Erstdruck [E]) zu erleichtern, wird in der Transkription der Handschrift die etablierte Verszählung des Erstdrucks übernommen. Im Vers- apparat werden alle Abweichungen inhaltlicher Art, Änderungen im Lautstand und Änderungen in der Zeichensetzung angezeigt.4 Unberücksichtigt bleiben dagegen zeitgenössische Abweichungen in der Orthographie.5 Die textgenetischen Varianten sind für eine bessere Lesbarkeit vollständig aus- geschrieben. Bei komplexeren Änderungen wird jeweils ein Faksimile-Ausschnitt vorangestellt, dem eine diplomatische Umschrift der Textstelle folgt. Kleists ein- zelne Änderungsakte, die verschiedenen Tilgungen und Hinzufügungen werden typo graphisch gekennzeichnet. Die Bedeutung der textkritisch-typographischen Auszeichnung wird in der nachfolgenden Übersicht erläutert. 1 Ich danke Herrn Dr. Oliver Schütze vom Metzler-Verlag für die Publikation dieser Edition und den Heraus geber*innen des ›Kleist-Jahrbuchs‹, diese Edition zusätzlich als Sonderband des KJb erscheinen zu lassen. Ein herzlicher Dank geht an alle Korrekturleser*innen, insbesondere Prof. Dr. Anne Fleig, Dr. Barbara Gribnitz, PD Dr. Martin Roussel und Dr. Sebastian Schönbeck. Prof. Dr. Klaus Müller-Salget danke ich für seine akribische Durchsicht des Manuskripts sowie der Hamburger Kleist-Gruppe für ihr hilfreiches und unterstützendes Feedback. Für die Erlaubnis, die Faksimile-Ausschnitte abdrucken zu dürfen, geht mein Dank an Frau Anne-Beate Riecke von der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – P reußischer Kulturbesitz. Und vor allem danke ich Anne, die mich in der Arbeit an der Edition durch alle Höhen und Tiefen begleitet hat. 2 Neben dieser Edition gibt es zwei weitere Editionen der ›Krug‹-Handschrift, die BKA-Ausgabe mit Faksimile und Transkription im Paralleldruck (BKA I/3, 215–419) und die Reclam-Studienausgabe (HAM, 105–207). Zu Zielen und Konzepten dieser Edition siehe auch den Beitrag ›Textgenese und Darstellungskonzept‹ im Anhang, S. 155–169. 3 Überliefert sind die Handschrift (H) von 1806 (mit Korrekturen von 1808), die ›Phöbus‹-Frag- mente (P) von 1808 und der Erstdruck (E) von 1811. Der Text von H wird hier zeichengenau tran- skribiert unter Beibehaltung der Unterscheidung von rundem s und langem ſ. In den aus P zitierten Versen wird das ›ß‹ originalgetreu als ›ſs‹ wiedergegeben. In Zitaten aus E wird die Umlautdarstel- lung beibehalten: aͤ, oͤ, uͤ. 4 Hierunter fallen auch alle Fälle, wo in H oder E abweichend voneinander ein Apostroph gesetzt wurde: z.B. ›mußt‹ vs. ›mußt’‹. 5 Hierzu zählen Konsonantenverdopplungen wie in ›trit-tritt‹, ›Wirthſchafft-Wirthſchaft‹, Ersatz von ›ie‹ durch ›i‹ oder umgekehrt wie in ›gieng-ging‹, das Einfügen oder Weglassen von ›h‹ wie in ›gebohren-geboren‹, der Ersatz von C durch K wie in ›Karl V.-Carl V.‹ oder ›Hauptpunct-Haupt- punkt‹, der Austausch von ›s‹ und ›ß‹ wie in ›Mistrauns-Mißtrauns‹, der Ersatz von ›tz‹ durch ›z‹ wie in ›Ehrgeiz-Ehrgeitz‹, die Änderung von Groß- und Kleinschreibung wie in ›jemand Anders-jemand anders‹, der Austausch von ›ia‹ durch ›j‹ wie in ›Schubiak-Schubjak‹, die Änderung von ›y‹ in ›i‹ oder ›ÿ‹ in ›y‹ wie in ›seid-seyd‹ und ›Briggÿ-Briggy‹, der Austausch von ›k‹ durch ›g‹ wie in ›kuckt-guckt‹ sowie die Umlautdarstellung von z. B. ›Ü‹ vs. ›Ue‹ wie in ›Übel-Uebel‹. VII Typographisch-textkritische Auszeichnungen [Streichung] Gestrichene Sequenz. Anfang und Ende der Streichung werden mit eckigen Klammern angezeigt. Die Reihenfolge der Streichungen ist der Variantendarstellung zu entnehmen. Streichung Gestrichene Sequenz, durch Punktierung rückgängig gemacht. Korrektur In der Korrektur hinzugefügter Text. Die Reihenfolge der Hinzu- fügungen ist der Variantendarstellung zu entnehmen. [Korrektur] Wieder gestrichene Korrektur. Korrektur Hinzufügung 1808 im Zusammenhang der Einrichtung der ›Phöbus‹- Fragmente. [Korrektur] Wieder gestrichene Korrektur von 1808. Beispiel: Grundschicht [gestrichen] ergänzt [ergänzt und gestrichen] ergänzt 1808 [ergänzt 1808 und gestrichen] a, b, C Die Versvarianten werden chronologisch dargestellt und mit a, b, c laufend gekennzeichnet. Text, den Kleist in der folgenden Variante gestrichen hat, wird grau angezeigt, neuer Text halbfett: Beispiel: a Jetzt, jetzt. Im Augenblick, da ich dem Bett’ ɑ, β, ɣ Varianten, die sich über mehrere Verse erstrecken, werden versüber- greifend zusätzlich mit den Siglen ɑ, β, ɣ ausgezeichnet, um ihre Zusammengehörigkeit zu kennzeichnen. Beispiel: b / β, ɣ Wie meint ihr das? Wie Teufel, meint ihr das? c / β Es trüge jeglicher den Stein —? P, E Versvariante im ›Phöbus‹ oder Erstdruck. titulo Wechsel der Handschrift in lateinische Schrift. [¿] Buchstabe nicht identifiziert (Anzahl ¿¿ steht für Anzahl Buchstaben). [ ] Keine Versentsprechung in anderer Textquelle (P oder E). Die Transkription von Kleists eigener Seitennummerierung wird in der laufenden Textzeile durch Tabulator eingerückt. Beispiel: 1. Die Verszählung ist rechtsbündig gesetzt. Die Verszählung wird übernommen von KD. Sie ist identisch mit der Zählung der Editionen SW⁹ und DKV. Beispiel: 1234 VIII Der zerbrochne Krug, 1.* ein Luſtſpiel. [Leerseite] 2. Vorrede. 3. Dieſem Luſtſpiel liegt wahrſcheinlich ein hiſto⸗ riſches Factum, worüber ich jedoch keine nähere Aus⸗ kunft habe auffinden können, zum Grunde. Ich nahm die Veranlaſſung dazu aus einem Kupferſtich, den ich vor mehreren Jahren in der Schweiz ſah. Man bemerkte** darauf — zuerſt einen Richter, der gravitätiſch auf dem Richterſtuhl ſaß: vor ihm ſtand eine alte Frau, die einen zerbrochenen Krug hielt, ſie ſchien das Unrecht, das ihm widerfahren war, zu demonſtriren: Beklagter, ein junger Bauerkerl, den der Richter, als überwieſen, andonnerte, vertheidigte ſich noch, aber ſchwach: ein Mädchen, das wahrſcheinlich in dieſer Sache gezeugt hatte (denn wer weiß, bei welcher Gelegenheit das Delictum geſchehen war) ſpielte ſich, in der Mitte zwiſchen Mutter und Bräutigam, an der Schürze; wer ein falſches Zeugniß abgelegt hätte, könnte nicht zerknirſchter daſtehn: und der Gerichtsſchreiber ſah (er hatte vielleicht kurz vorher das Mädchen angeſehen) jetzt den Richter mistrau⸗ iſch zur Seite an, wie Kreon, bei einer ähnlichen Gele⸗ [als die Frage war, wer den Lajus erſchlagen?] g enheit, den Ödip[.][,]. Darunter ſtand: der zerbrochene Krug. — Das Original war, wenn ich nicht irre, von einem niederländiſchen Meiſter. * Die Seitenzahlen sind von Kleist auf den Bogen selbst eingetragen und in der Regel mit einem Punkt abgeschlossen. Seitenzahlen ohne Punktabschluss werden entsprechend transkribiert. Auf mehreren Seiten kommt es zu einer Falschauszeichnung Kleists: Die Seitenzahl 9 folgt zweimal aufeinander, ebenso werden die Seitenzahlen 11 und 12 zweimal benutzt. Kleists eigene Seiten angaben werden ohne Korrektur übernommen, sodass sich bei einem Vergleich der Transkription mit dem Auto- graph (oder einem Faksimile) die entsprechende Seite leichter finden lässt. ** Im Autograph ist das abschließende ›e‹ in »bemerkte« nicht mehr erkennbar. Der gesamte rechte Blattrand ist etwas verblasst, wesentlich durch Verschleiß und Alterung. Im Faksimile-Druck von 1941 sind dagegen die Buchstaben am rechten Rand noch deutlich lesbar; vgl. Heinrich von Kleist, Der zerbrochene [sic!] Krug. Eine Nachbildung der Handschrift, hg. von Paul Hoffmann, Weimar 1941. 1 Heinrich von Kleist Perſonen. 4 + Walter, Gerichtsrath. Adam, Dorfrichter. Licht, Schreiber. Frau Marthe Rull. + Eve, ihre Tochter. + Veit Tümpel, ein Bauer. Ruprecht, ſein Sohn. Frau Brigitte. + Ein Bedienter., Büttel, Mägde &. Die Handlung ſpielt in einem niederländiſchen Dorfe bei Utrecht. Scene: die Gerichtsſtube 5. * ᚨ Adam /: ſitzt und verbindet ſich ein Bein : / Licht /: trit auf : / Licht. Ei, was zum Henker, ſagt, Gevatter Adam! **1 Was iſt mit euch geſchehn? Wie ſeht ihr aus? 2 Adam. Ja, ſeht. Zum Straucheln braucht’s doch nichts als Füße. 3 E Ja, ſeht. Zum Straucheln braucht’s doch nichts, als Fuͤße. Auf dieſem glatten Boden, iſt ein Strauch hier? 4 Geſtrauchelt bin ich hier, und jeder trägt 5 P Geſtrauchelt bin ich hier, und jeder trägt E Geſtrauchelt bin ich hier; denn jeder traͤgt Den leid’gen Stein zum Anſtoß in ſich ſelbſt. 6 * Einfügemarke für Text, der auf einem Zettel auf der gegenüberliegenden Seite 4 angesiegelt ist. Der Eintrag lautet: »A. Erſter Auftritt.« – Diese Zettel finden sich an mehreren Stellen im Autograph. Auf der Rückseite dieses Zettels ist der getilgte Eintrag »1t Fr« notiert. Die Zettel sind im Rahmen der ›Phöbus‹-Überarbeitung entstanden. Da Kleist zu diesem Zeitpunkt wohl noch keine feste Gliederung der Auftritte erstellt hatte, schien er zunächst die ›Phöbus‹-Fragmente durchnummerieren zu wollen: 1t Fr[agment] etc., hat sich dann aber für eine (vorläufige) Auftrittsgliederung entschieden. Die Abfolge der einzelnen F ragmente im ›Phöbus‹ ist von ihm auf angesiegelten Zetteln alphabetisch gekennzeich- net worden: »A. Erster Auftritt.«, [›B. Vierter Auftritt.‹ (vgl. S. 40, Anm. *)], »C. Fünfter Auftritt.« ** Die Verszählung folgt den etablierten Zählungen in Editionen des ›Krug‹ (z. B. SW, DKV, KD). Der Verzicht auf eine eigene Verszählung für die Handschrift dient der einfacheren Vergleichbarkeit der jeweiligen Verse in den ›Krug‹-Textzeugen. 2