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Heinrich Heines heroische Leidenschaften: Anthropologie der Sinnlichkeit von Bruno bis Feuerbach PDF

221 Pages·2000·22.009 MB·German
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Heinrich Heines heroische Leidenschaften Heine-Studien Herausgegeben von Joseph A. Kruse Heinrich- Heine-Institut der Landeshauptstadt Düsseldorf Kai Neubauer Heinrich Heines heroische Leidenschaften Anthropologie der Sinnlichkeit von Bruno bis Feuerbach Verlag 1. B. Metzler Stuttgart · Weimar Danksagung Vorliegende Arbeit ist aus meiner Promotion am Lehrstuhl von Prof. Anton, Heinrich Heine-Universität Düsseldorf, hervorgegangen, dem ich hiermit meine große Anerkennung ausdrücken möchte. Daneben gilt mein Dank Herrn Professor Kruse für die Lektüre der Arbeit und deren Aufnahme in die »Heine-Studien«. Ganz besonders danke ich meinen Eltern für das aufopferungs volle Korrekturlesen. Die Drucklegung wurde ermöglicht durch einen Zuschuß des italienischen Forschungsministeriums »Murst« im Rahmen des »Forschungsprojekts von nationalem Interesse« zur Wirkungsgeschichte Giordano Brunos. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Neubauer; Kai: Heinrich Heines heroische Leidenschaften: Anthropologie der Sinnlichkeit von Bruno bis Feuerbach / Kai Neubauer. -Stuttgart ; Weimar: Metzler, 2000 (Heine-Studien) ISBN 978-3-476-01795-6 ISBN 978-3-476-01795-6 ISBN 978-3-476-02723-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-02723-8 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2000 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und earl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2000 www.metzlerverlag.de [email protected] Inhaltsverzeichnis 1. Vorwort S. 1 2. Einleitung und Forschungsüberblick S.5 3. Heine, Bruno und der Spinozismus der Goethezeit S.25 4. Sinnlichkeit und Transzendenz 4.1. Zum Begriff der Sinnlichkeit S.37 4.2. Sensualismus und Reformation S.41 4.3. Sensualismus und Renaissance S.51 4.4. Heine im unheimlichen Italien S.63 4.5. Nationale Kunst und Nachahmung S. 72 4.6. Goethe und Spinoza S. 79 4.7. Erotisierung des Pantheismus S.85 4.8. Pantheismus oder Panentheismus? S.94 4.9. Libertinismus S.101 4.10. Von der Naturphilosophie zur Anthropologie S.109 4.11. Vom Sensualismus zur Sinnlichkeit S. 121 4.12. Mystik und Geheimnis S.127 5. Gestaltungen der Sinnlichkeit 5.1. Tod und Sinnlichkeit S.139 5.2. Vom Pantheismus zum Hellenismus S. 145 5.3. Die langsame Rückkehr zum persönlichen Gott S. 150 6. Heroische Leidenschaften 6.1. Zerrissenheit und Pedantenturn S.160 6.2. Diana und Aktaion S. 166 6.3. Heroische Liebe S.170 6.4. Heros und Wahnsinn S.178 6.5. Todesküsse S. 187 7. Aufklärung und Sinnlichkeit S.197 8. Bibliographie S.203 Vergeistigung! lautet der sentimentalische Imperativ der Lieblinge der Natur, wie derjenige der Geistessöhne Verleiblichung lautet. Thomas Mann, Goethe und Tolstoi. Fragmente zum Problem der Humanität 1. Vorwort Von Heine selbst stammt der Hinweis, daß es lohnenswert sein könnte, ihn einmal in seiner Beziehung zur Renaissance zu betrachten: Die Renaissance, wie man das Zeitalter Franz I. benannt, ist jetzt in Mode in Paris. Alles meublirt und kostumirt man jetzt im Ge schmack dieser Zeit; ja manche treiben dieses bis zur Wuth. Was bedeutet diese plötzlich erwachte Leidenschaft für jene Epoche der erwachten Kunst, der erwachten Lebensheiterkeit, der er wachten Liebe für das Geistreiche in der Form der Schönheit? Vielleicht liegen in unserer Zeit einige Tendenzen, die sich durch diese Sympathie beurkunden. (DHA xn, 296 f.; B 9, 142)1 Dies schreibt Heine in einem seiner Korrespondenzartikel 1836 aus Paris. Die Erklärung, daß es sich bei diesen Tendenzen um den Saint-Simonismus handelt2, liegt nahe, greift aber zu kurz, wie die Tatsache beweist, daß die Entsprechung bei der Epochen ganz im Gegenteil auch in ihrer restaurativen Tendenz ausgemacht werden kann, was gar zu der Vermutung berechtigt, daß "la Restauration [ ... ] das eigentliche Modell für den Epochenbegriff der Renaissance gewesen sein könnte. ,,3 Die Tatsache einer solchen Bedeu tungsweite sowie der Umstand, daß Heine zu einer Zeit nach Paris übersie- lÄhnliches sagt er fünf Jahre später im Lutezia-Artikel vom 11. Dezember 1841, DHA XIII, 141; vgl. dazu den Gesamtüberblick vom Bearbeiter des Bandes Volkmar Hansen zu Heines Äußerungen über die Renaissance, S.I728 ff., wo auf die "Dialektik von Abwehr und >Reitz<, der Distanz zu einem >frischen Lebenstrank< aus der >Vergangenheit< und einem unabweisbaren, >fast schauerlichen Zauber<" hingewiesen wird. 2S0 im Kommentar zu der Stelle in B 10,891. 3Karlheinz Stierle: Renaissance. Die Entstehung eines Epochenbegriffs aus dem Geist des 19. Jahrhunderts.- In: Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, Poetik und Hermeneutik XII. Hrsg. v. Reinhart Herzog und Reinhart Koselleck. München 1987, S. 453-492, Zitat S. 466. delte, wo jener Epochenbegriff dort gerade erst gewonnen worden war4, die Rezeption der Renaissance in Deutschland aber schon den Zenith überschrit ten hatte, gibt Anlaß, seine Frage ernst zu nehmen, d.h. als eine, auf die erst die durch Burckhardt ermöglichten Forschungen, die in den letzten Jahr zehnten das weitverzweigte Fortwirken der Renaissance in der Entwicklung der europäischen Kultur aufgezeigt haben, eine Antwort geben konnten. In der Tat schreibt Reine obige Zeilen zu einer Zeit, wo sein Pantheismus sich voll ausgebildet hatte, und die moderne Forschung hat den Brennpunkt des sich in der Renaissance vollziehenden Epochenwechsels gerade in der Entwicklung des Pantheismus ausgemacht, was paradigmatisch Rans Blu menberg veranschaulicht hat in dem Übergang von Nikolaus von Kues zu Giordano Bruno.5 Dessen Philosophie war in vielem eine Wiederaufnahme des kusanischen Modells, doch in der Bestimmung des Verhältnisses Gott Welt entfernte Bruno sich uneinholbar von dem christlichen Standpunkt, den Cusanus in einer großartigen Anstrengung am Ende des Mittelalters noch einmal gerettet hatte. Die Verurteilung Brunos zum Tod auf dem Scheiterhaufen aufgrund seiner Christologie stellt einen epochalen Wende punkt dar, von dem ab der Epochenwechsel in der Neuzeit immer wieder neu ausgefochten wurde, beispielsweise von dem Philosophen Spinoza, den französischen Materialisten oder den deutschen Idealisten, die allesamt mit dem Vorwurf des Atheismus zu kämpfen hatten, aber auch von Dichtern wie Goethe oder eben Reine. In Feuerbachs Religionskritik kulminiert dieser Prozeß der Ablösung der Kardinalswissenschaft Theologie durch das Projekt einer Anthropologie, die das sinnliche Dasein des Menschen im expliziten Rückgriff auf die Errungenschaften der Renaissance aufwertet. Wenn hier im Bezug auf Reine Bruno gegen Spinoza ausgespielt wird, dann nicht mit dem Ziel, die Bedeutung des letzteren für die Ausbildung des deut schen Pantheismus von Lessing zu den Jungdeutschen herabzusetzen, son dern ganz im Gegenteil zu dem Zweck, die Aspekte jenes Einflusses ange messen beurteilen zu können, die Spinoza der Renaissance, und hier insbe sondere Bruno, verdankte bzw. verdrängte. Es ist sicher mehr als ein Zufall, wenn die Blüte des Pantheismus in Deutschland zu einer Zeit einsetzt, wo dort die Renaissance nachgeholt wird, weswegen es aufschlußreich sein könnte, zwei Ausläufer jener in vielem parallelen Zeitabschnitte einander gegenüberzustellen, auch wenn die Faktenlage auf den ersten Blick dagegen 4Ebda., S. 465. 5Legitimität der Neuzeit. Vierter Teil: Cusaner und Nolaner. Frankfurt am Main 1966. 2 zu sprechen scheint, d. h. ihren gemeinsamen Todestag am 17. Februar zweieinhalb Jahrhunderte trennen und Bruno von Heine in seinem gesamten Werk nur einmal erwähnt wird. Giordano Bruno wird aber auch aus dem Grund bevorzugt zum Vergleich herangezogen, da er als Vertreter der Spät renaissance in vielerlei Hinsicht mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte, die auch Heine am Ende der "verspäteten", Winckelmannschen Renaissance zu schaffen machten. Deshalb gilt es zunächst, einen Überblick über jene Forschungsarbeiten zu bieten, die Heine und seine Zeit mit der Renaissance in Verbindung setzen. Dabei wird deutlich, wie tief Heine als "entlaufener Romantiker" und Spät aufklärer in der Renaissance wurzelt, und daß vor allem sein Pantheismus, der als sensualistische Synthese von antikem Materialismus und christli chem Spiritualismus verstanden sein will, vor einem tieferen Hintergrund gesehen werden muß, als dies bisher geschah. Hier erschien ein kurzer Ex kurs zu Goethe unumgänglich, da in den Forschungen zu dessen Pantheis mus eine ähnliche Tendenz besteht, die Perspektive auf Spinoza einzuengen, wie sie auch für Heine festzustellen ist. Aus diesem Grund werden im dritten Teil der Arbeit, wo es um eine Rekon struktion des geistigen Horizonts bezüglich des Pantheismus zu Heines Zeit geht, mögliche Quellen einer Brunofiliation genannt, wobei man sehen wird, daß der Pantheismus streit ohne den Bezug zu Giordano Bruno nicht richtig eingeschätzt werden kann. Im vierten Teil wird die Entwicklung von Heines Pantheismus bis 1835 nachgezeichnet, wobei längere Zitate bekannter Stellen unvermeidlich wa ren, um in ihrer Gegenüberstellung die Widersprüchlichkeiten hervortreten zu lassen, die Heines Bild von Renaissance, Reformation und Pantheismus bestimmen. Mit der Identifizierung der Sinnlichkeit als dem Problem, das Heines Widersprüchen zugrunde liegt, rückt diese in das Zentrum des Blick felds, wobei das Phänomen zunächst historisch eingeordnet wird, um daraus die Implikationen für Heines Zeit abzuleiten. In diesem Zusammenhang wird die Frage gestreift, wie Heine sich zum Libertinismus verhält, dessen Favorisierung der sensualitas gegenüber der sensibilitas zu Heines Zeit eine Akzentverschiebung im Begriff der Sinnlichkeit bewirkte, was im Kapitel zum Übergang von Schellingscher Naturphilosophie zu Feuerbachscher An thropologie nachgezeichnet wird. Dabei wird sich herausstellen, daß Heine schon früh die Aporien des Pantheismus zu erahnen beginnt, und daß er im vermeintlichen Rückgriff auf die Antike eigentlich Renaissance Vorstellungen aufgreift, die ihn zu einem erotisierten Neuplatonismus füh- 3 ren. In diesem Zusammenhang wird auch von Heines "Geheimnis" und sei nem Bezug zur Mystik zu sprechen sein. Mit dem Erfassen der fatalistischen und atheistischen Konsequenzen des Pantheismus erfolgt schon früh die Abkehr von ihm, wobei viele seiner Mo tive in einer oft enigmatischen und bisher nur unzureichend aufgeklärten Verwandlung in Heines Schriften überleben, was im fünften Teil der Arbeit zum Thema wird. In einem letzten Kapitel wird trotz der Brüche in Heines philosophischer Entwicklung versucht, durch den Rückgriff auf die kleineren Schriften und die Gedichte einen roten Faden seiner Anschauungen zu entwickeln, woraus eine Art Heinesche Liebestheorie erwächst, die zugleich seine Poetologie ist. In der Annahme, daß deren Basis die bei Feuerbach zu neuen philosophi schen Ehren kommende Leidenschaft bildet, von Heine oft "furor" genannt, wobei auch das politische Engagement mitschwingt, wird als Modell einer der prominentesten Vorläufer einer Leidenschaftspoetik mit politischer Komponente zum Vergleich herangezogen, Giordano Brunos Heroische Leidenschaften. Zitiert wird nach der Düsseldorfer Ausgabe (DHA), wobei allerdings jeweils die Belegstellen aus der Briegleb-Ausgabe (B) mit angeführt werden, um dem Leser, der keinen leichten Zugang zur DHA hat, das Auffinden der Zi tate zu ermöglichen. Alle Zitate, die keinen eigenen Belegvermerk haben, sind an der jeweils zuletzt angeführten Stelle zu finden. 4

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