S itzu ng sberi c hte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Stiftung Heinrich Lanz Philosophisch-historische Klasse ====== ====== Jahrgang 1~. 26. Abhandlung Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten Von A. WARBURG in Hamburg Eingegangen 25. Oktober 1919 Vorgelegt von F. BOll Mit 30 Textabbildungen und 5 Tafeln Heidelberg 1920 earl Winters Universitätsbuchhandlung Vorbemerkung. Auf Veranlassung seines Freundes BOLL hat der seit Ende Oktober :19:18 sr:hwer erkrankte Verfasser in die Drucklegung des vorliegenden Fragmentes eingewilligt, obgleich eR ihm nicht mög lich war, nötige Verbesserungen, geschweige - wie er sich vor (jS genommen hatte .- wesentliche El',veitel'ungen aus einer un1e kannten Fülle fr'üher durchgearbeiteten und vorbereiteten 'Mate I'ials beizubringen. Er ließ aber dieseS' Bruchstück doch hinaus gehen, weil er sich einerseits vorhielt, daß dieser Versuch einem SpurenfolgeI' später doch helfen könne, und daß andererseits die Möglichkeit, ausländiseh lagernde Fäden einzuspinnen - mochte der bisheT'ige \i\Te})er gut oder sehlecht sein -, techniseh unserem fonwhenden Deutschland für lange geraubt ist. Er bittet deshalh die Freunde und Kollegen, die illlujahrelal).g unermüdlich halfen, aUen voran FRANZ BOLL, diese Zustimmung zur Veröffentliehnng eine]' Unzulänglichkeit als Dankesäußerung aufzufassen. Ohne die weitgehende jahrelange Hilfe der Bibliotheken und Archive -81ea11e ZI111ennen, ist dem Verfasser zurzeit unmöglich - erwähnt Reien nllr vor allem Berlin, Dresden, Göttingen, Hamburg, Königs berg, Leipzig, München, Wolfenhüttel, Zwickau und Madrid, Oxford, Paris, Horn - wären seine Studien unausführbar geblieben. Weit übel' die nächste Amtspflicht hinaus halfen dem Verfasser, anßer seinem verstorbenen Freund HOBERT MÜNZEL, Prof. PAUL FLEMMING in Pforta, Prof. ERNST .KROKER in Leipzig, Dr. GEORG LEIDINGER in München, P. FRANZ EIlRLE (früher in Rom), Prof. t HICHARD SALOMON in I-Iamburg und Prof. GUSTAV MILCH SACK in Wolfenbüttel. WILHELM PRINTZ und FRITZ SAXL, die ihm jahre lang bis zuletzt treulich beigestanden haben, gebührt an dieser Stelle sein herzlicher Dank. Den Mitgliedern der Religionswissen sühaftlichen Vereinigung zu Berlin konnte er leider das Referat in der ve:l'sprochenen Form nicht mehl' liefern. Sie mögen dennoch diese Schrift als Zeichen seines aufrichtigen und steten Dankes für die Sitzung vorn 23. April :1918 ansehen. Meinei, liehen Frau sei diese Schrift zur Erinnerung an den Winter 1888 in Florenz zugeeignet. HambUJ'g, 26. Januar :1920. A. Warburg. 1* 1. Reformation, Magie und Astrologie. Es ist ein altes Buch zu blättern: Vom Harz bis Hellas immer Vettem. Faust II. Dem fehlenden Handbuch "Von der Unfreiheit des ahel' gläubigen modernen Menschen" müßte eine gleichfalls noch un geschriebene wissenschaftliche Untersuchung vorausgehen über: "Die Renaissance der damonischen Antike im Zeitalter der deut schen Reformation". Als ganz voT'läufiger Beitrag zu diesen Fragen sollte ein Vortrag dienen, den der Verfasser in der Religionswissen schaftlichen Vereinigung in Berlin über "Heidnisch -antike Weis sagung zu Luthers Zeiten in Wort und Bild" gehalten haP. Diesel' Vortrag liegt dem vorliegenden Versuch zugrunde. Die dahei unter suchten Bilder gehören im weiteHten Sinne wohl zum Beobachtungs gebiet der Kunstgeschichte (soweit nämlich alles Bildschaffen in ihr Studiengebiet einbegriffen ist), aber sie entstammen (bis auf das Bildnis Carions2 TaL V) dem Kreise der Buohkunst oder der , druckenden Kunst und sind deshalb ohne das zugehörige Wort - es mag nun dal)eistehen oder nioht - für die rein formale Betrachtung der heutigen Kunsthistorie um so weniger ein nahe liegendes Oh:iekt, als sie neben ihrer seltsamen inhaltlich illustra tiven Gehundenheit ästhetisch nicht an ziehend sind. Aus dem Kuriosum den geistesgeschichtlichen Erkenntniswert herauszuholen, liegt aher Religionswissensohaftlern von vornherein näher als den Kunsthistorikern. Und dooh gehört die Einbeziehung dieser Gebilde aus der halhdunklen Region geistespolitisoher Tendenzliteratur in gründliche historische Betrachtung zu den eigentlichen Aufgahen der Kunstgeschiohte; denn eine der Hauptfragen der stilerforschen den KulLuI'wissenschaft - die Frage nach dem Einfluß der Antike auf die europäische Gesamtkultur der Renaissaneezeit - kann nur so in ihrem ganzen Umfange hegriffen und zu heantworten ver sucht werden. Erst wenn wir uns entschließen, die Gestalten der heidnisohen G6tterweIt,wie sie in der Frührenaissance im Norden Vgl. Prof. PAUL HlLDEIJRANDT in clerVoss. Ztg. 306 vom 18. Juni 1918. I 2 Siehe unten S. 66 Anm. '126. WARBURG : I-Ieicln.-ant. Weissagung in Wort u. Bild zu Luthers Zeiten. ;; und Süden wiederauferstehen, nicht nur als künstlerische Er scheinungen, sondern auch als religiöse Wes'en aufzufassen und zu untersuehen, lernen wir allmählich begreifen, welche Schicksals macht der Fatalismus der hellenistischen Kosmologie auch für Deutschland wal', selbst noch im Zeitalter der Reformation; der heidnische Augur, der noch dazu unter dem Deckmantel der naturwissenschaftlichen Gelehrsamkeit auftrat, wal' sehwer zu bekämpfen, geschweige zu besiegen. Die klassisch-veredelte, antike GötLerwelt ist uns Heit WINCKEL~ MANN freilich so sehr als Symbol der Antike überhaupt eingeprägt, daß wir ganz vergessen, daß sie eine Neuschöpfung der gelehrten humanistischen Kultur ist; diese "olympische" Seite der Antike mußte ja erst. der althergebrachten "dämonischeli-" abgerungen werden; denn als kosmische Dämonen gehörten die antiken GötLer unllnter brochen seit dem Ausgange des Altertums zu den reli giösen Mäch ten des christlichen Europa und bedingten dessen praktische Lebensgestaltung so einschneidend, daß man ein von der christlichen Kirche stillschweigend geduldetes Nebenregiment der heidnischen Kosmologie, insbesondere der Astrologie, nicht leugnen kann. Durch getreue Überlieferung auf der Wlmrlerstraße vom Hellenismus h81' übel' Arabien, Spanien und Italien nach Deutsehland hinein (wo sie schon von 1470 ab in der neuen Druck kunst in Augshurg, Nürnberg und Leipzig in Wort und Bild eine wanderlustige Renaissance vollführen) waren die Gestirngöttl1I' in Bild und Sprache lehendige Zeitgottheiten geblieben, die jeden Zeitabschnitt im Jahreslauf, das ganze Jahr, den Monat, die Woche, den Tag, die Stunde, Minute und Sekunde, mathematisch bezeichneten, zugleich aber mythiseh-persönlich heherrschten. Sie waren dämonische Wesen von unheimlich entgegengesetzter Doppel macht : als Stern z e ich e n waren sie Raumerweiterer, Richtpunkte .•.. beim Fluge der Seele durch das Weltall, als Sternbilder Götzen zugleich, mit denen sich die arme Kreatur nach Kindermenschenart , durch ehrfürchtige Handlungen mystisch zu vereinig'en strebte. ! Der Sternkundige der Reformationszeit durchmißt ehen diese dem heutigen Naturwissenschaftler unvereinbar erscheinenden Gegen pole zwischen mathl1matischer Abstraktion und kultlieh verehrender Verknüpfung wie Umkehrpunkte einer einheitlichen weitschwin genden urtümlichen Seelenverfassung. Logik, die den DenIe rau m - zwischen Menseh und Obj ekt - durch begrifflich sO n dernde Bezeichnung schafft und Magie, die eben diesen A, \VAI\BUI\r;: Dcnkra'um durch abcrgläubisch zusammenziehende -ideelle oder praktisehe - Verknüpfung von Menseh und Objekt "wieder zcrstört, beobachten wir im weissagenden Denkcn der Astrologie lloeh als einheitlich primitives Gerät, mit dem der Astrologe messen und zugleich zaubern kann. Die Epochc, wo Logik und Magie wie Tropus und Metapher (nach den Worten JEAN PAULS3) "auf einem Stamme geimpfet blühten", ist eigentlieh zeitlos, und in dcr kultur wissenschaftliehen Darstellung solcher Polarität liegen bisher un gehohene Erkenntniswerte zu einer vertieften positiven Kritik ciner Geschiehtsschreibung, deren Entwicklungslehre rein zeit hegrifflich hedingt ist. Die Astrologcn des Mittelalters trugen das hellenistisehe Erbc von Bagdad übel' Toledo und Padua nach Norden; so gehörten in Augsburg die Werke der arabischen und italienisehen Astrologen zu den ersten illustriertcn Erzeugnissen der Bu.chdruekerpresse. Daher stehen sieh um die Wende des 15. Jahrhunderts sowohl in Halien wie in Deutsehland zwei Auffassungen der Antike gegen über: die uralte praktisch-religiöse und, die neue künstlerisch ästhetische. Während die letztcre in Italicn zunäehst zu siegcn seheint und aueh in Deutsehland Anhänger findet, erfährt diE! astrologische Antike eine höchst eigentümliche, bisher noch gar nicht genügend heachtete Renaissance in Deutschland dadurch, daß die in der Weissagungsliteratur fortlehenden Gestirnsymholc - vor allem die menschengestaltigen sieben Planeten - aus der kampfdurchtohten sozialen und politischen Gegenwart eine Blut erneuerung erfahren, die sie gewissermaßen zu politischen Augen blicksgöttern macht. Neben diesen menschenförmigen Schicksal~- "Doppelzweig des bildlichen Witzes. Der bildliche Witz kann entweder den Körper beseelen, oder den Geist verkörpern. Ursprünglich, wo der Mensch noch mit der Welt auf Einem Stamme geimpfet blühte, war dieser Doppel-Tropus noch koiner; jener verglich nicht Unähnlichkeiten, sondern verkündigte Gleichheit; die Metaphern waren, wie bei Kindern, nur abgedrungene Synonymen des Leibes und Geistes. Wie im Schreiben Bilderschrift früher war als Buchstabenschrift, so war im Sprechen die Metapher, insofern sie Verhältnisse und nicht Gegenstände bezeichnet, das frühere Wort, welches sich crst allmählich zum "eigentlichen Ausdruck entfärben mußte. Das tropische Beseelen und Beleibcn fiel noch in Eins zusammen, weil noch Ich und Welt verschmolz. Daher ist jede Sprache in Rücksicht geistiger Beziehungen ein vVörLerbuch erblaßtel' Metaphern." (Vor schule der Ästhetik § 50.) Heidnbch-anLilw Weissagung in vVort und Bild zu Lulhers Zt!iten. 7 1en kern, die als Gestirnsymbole der methodischen Sterncleutekunst der "künstlichen" (cl. h. wissenschaftlichen) WeiRsagung unt.er liegen, muß man auch die irdischen :Monstra als SchicksalskündeI' der "wunderlichen" Weissagung in dic Betrachtung einbeziehen. Diese Scheidung zwisehen "künstlicher" und "wunclnl'liehnl'" vVeissagung4 müssen wir begreifen und uns deshalb heHonders vor Augen halten, weil sieh hier - wie gezeigt werden wird - din Wege von Luther' und Melanchthon trennen. Als Ausgangspunkt Boll hierbei ein bisher unbekannter Brief Melanchthons an den Astrologen und Historiker J OHANN CARION aus Bietigheim dienen, der am kl1l'brandenburgischen Hofe eine einflußreic.he Stellung Binllahm. 11. Heidnisch-antike Elem.ente in der kosmologischen und politischen Weltauffassung der Reformationszeit : Astrologie und Teratologie im Umkreise Luthers. 1. Der Brief lUe]al1chthons an Carion über den Kometen VOll 1531- Auf der Sudie nac.h Cariol1s Briefen verwies mic.h die Samm hlllg von J OI-lANNES VOIGT5 auf das Staatsarchiv zu Königsberg Imd diesern verdanktn ic.h die Möglichkeit, eine Reihe von seinen Bl'inf()ll in dm' Hamhurgischen Stadtbibliothek studiernn zu können. Dabni fand sieh als Beilage ein lateinisches Schreiben) das Me- 1 a n (J 11 t h 0 n am 17. Allgust.1531'1m ihn richtete. Dank der Frnund liehkeit von Prof. FLEMMING-inPforta konnte ich den lateinisc.hnn "rext (s. Beilage A. 1.) unter Benutzung der Textverbnsserungnn von t NIKOLAUS MÜLLER sicherstellen. Ich gehe hier den ganzen Inhalt in frnier Übersetzung windnr, weil uns jede Einzelheit Melanc.hthon überaus anschaulich in seinem für DeutlSchland so sc.hicksalbestirn mrmdlm Zwiespalt zwisc.hen humanistischer Intellnktualität und theolugisch-politisc.hem Reformationswillnn zeigt. Aufschrift: Dem hochgelehrten Hnrrn J ohann Carion, dnm Philosophen, sninem Frellnd und lieben Landsmann "zu nigen handen". - --- 4 Die Kernfrage, inwieweit im Kreis der reformatorischen Humanisten eine unmittelbare Ke'nntnis oder bewußte Abwandlung der antiken, stoischen 'rheorie von den zwei Arten der Mantik (artificialis und naturalis; 't'ex'iLY.·~ und Clm:x'ior, hei den griechischen Stoikern) vorliegt, kann hier nieht ein gehend behandelt werden. VgI. dazu Caspar Peucer (Melanclühons Schwieger sohn) Comm.de praecip. generibus divinationum (Ausg.Wit~enberg '1580), BI. 6. 5 Briefwechsel der herühmtesten Gelehrten d~s Zmtaltel's der Refor mation mit Herzog Albl'echt von Preußen. (Königsbel'g '18/1'1.) 8 A. VVARBURG: " .... Ich habe versucht, [den Text] mit den angesehensten Zitaten auszustatten. Was ich erreicht habe, mögen andere be ·urteilen. Der Spruch des Elias kommt nicht in der Bibel vor, f\Ondern bei den Rabbinen und ist sehr berühmt. Burgenr:lis (Paulus) 6 zitiert ihn und verficht unter Berufung auf ihn gegen die .luden (die Ansicht), daß der Messias schon erschienen sei. Den Hebräern ist dieser Ausspruch sehr geläufig und von mir an den Anfang Deintir Historia [Carions Chronica] geHetzt, um allgemeiner bekannt zu werden und Deinem Werke Empfehlung zu verschaffen. Solche Zitate werde ich später noch viele ·hinzusetzen. Du siehst (aber), wie die prophetische Stimme vorallsweist; so zutreffend (concinna; har},nonisch ?) ist die Verteilung der Zeitalter. jjieÜ{~t~ria werden wir diesen Winter, wie ich hoffe, voll- .I enden, denn bis jetzt wurde ich durch die Uberarbeitung meinel> Apologie, die ich an einzelnen Stellen verbesserte, daran verhindert. Du glaubst kaum, wie Hchwach meine Gesundheit ist; ich werde auch durch Sorge und Arbeit aufgerieben. Meine Frau genas mit Gottes Hülfe einer Tochter, deren Geburtszeit (Thema) ich Dir schicke, nicht etwa, um Dir :Mühe zu maehen. Ieh sehe nämlich, daß sie Nonne w.erclen wird7• Seit mehr als acht Tagen sehen wir einen Kometen. Wie urteilst DlJ darüber? Er seheint über dem Krebs zu stehen, da er gleich nach der Sonne untergeht und kurz vor Sonnenaufgang aufgeht. Wenn er eine rote Farbe hätte, würde er mieh mehr erschrecken. Ohne Zweifel bedeutet er clen Tod von Fürsten, er scheint aber den Schweif nach Pol e n zu wenden. Aber ich erwarte Dein Urteil. Ich wäre Dir von ganzem Herzen dankbar, wenn Du mir mitteiltest, was Du meinst. Nun komme ieh zu den heutigen Mitteilungen. Wenn ich etwas über die Vel'suche unserer Gegner wüßte, so würde ieh Dir alles schreiben, was daran wäre, denn wir brauchen die Pläne unserer Gegner nicht zu verbergen; für uns ist im Gegenteil nütz licher, sie zu enthüllen. Ich habe nämlieh schon lange nichts Sicheres über irgend weIcheVorbereitungen gehört, außer Befürchtungen, die die Unsrigen hegen wegen jener [nicht ?] kleinen Anzahl von Fußsoldaten, die in 6 Scrutinium scripturarum.' Vgl. Beil. A. 1. Anm. '135. 7 Vgl. Melanchthon an Camerarius 26. Juli '1531 (Corpus Reformatorum = CH. 11. 516). Peucer, der diese Tochter (MargareLhe) heiratete, hat die Weissagung' ad ahsurcluIl1 geführt. Heidnisch-anLike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeilen. 9 Friesland sind. Vielleicht denken sie daran, unter dem Vorwand des dänisehen Krieges auch über uns herzufallen. Aber der Pfälzer und d8J' Mainzer verhandeln mit den Unsrigen schon üher fried liche Beilegung, obwohl ich keine Friedenshoffnung habe. Ich werde nämlieh nieht allein dur eh astrologische Voraussagen beein druekL, sondern aueh durch Weissagungen. Haßfurt sagte, dem König Christian eine ehrenvolle Rückkehr voraus. Schep perus leugnet, daß er zurückkommen wÜl'de. Auf mich macht Schepperus keinen Eindruck. Er täuscht sich oft. Haßfurt sagte auch dem Landgrafen die größten Siege voraus und ein Bürger in Schmalkalden, der mir bekannt ist, hatte ein Wundel'gesieht über diese (politischen) Unruhen, eine Weissagung, auf die ich den grüßten Wert lege. Sie enthält die Voraussage auf eine glimpflich ver laufende Katastrophe, deutet dabei aber doeh an, daß unsere Gegner, von Sehrecken gepackt, jenem Löwen [dem hessischen Landgrafen] weiehen. Ein Weih in Kitzingen hat Schreekliehes Ober Ferdinand vorausgesagt. Er werde Krieg gegen uns führen, der für ihn aber unglüeklieh verlaufen werde. In Belgien hat eine .T Ilngfl'au dem Kaiflol' aueh geweissagt, was ieh aber noeh nicht genügond naehgeprüft habe. Im ganzen meine ich, daß irgend eine r Bewegung auftreten wird und ich flehe zu Gott: daß er sie zu gutem Ende lenkt und ihr einen der Kirehe und dem Staate günstigen Ausgang verleiht. Ieh arbeitete sehon vor Jahresfrist eifrig daran, claß sie mit uns Frioden machten. Hätten sie es getan, dann würde es weniger Aufruhr in Sehwaben gehen, das (jetzt) zum großen Teil der Sehweizer Theologie und Vermessenheit (lieentia) anhängt. Aber Ca m p e g g i will den Kaiserin einen deutschen Krieg hinein reißen und verstricken, um seine Macht zu ersehüttern, und elie /Ratt\Chläge des Campeggi billigen einige aus persönliehem Haß O'eO'en die Unsrigen. Gottes Auge aber ist g·oreeht. . Wir haben n b . sieherIich ninhts Sehleehtes gelehrt und befreiten viele fromme Seele~ von vielen verderblichen Irrlehren. S abi n u s sehiekt dir meine Vorrede über das Lob der Astronomie und Astrologie, über die ich Dein· Urteil erwarte. Lebe wohl. Anl Donnerstag naeh Mariao Himmelfahrt 1531. leh schicke Dir die Briefe zurüek. .... {DlALititOC;". In diesem Briefe sieht man Melanchthon in einem kritisehen Augenb1iek seines Lebens über die S\lhulter; wir finden ihI! drei fach sehl'il'tstellerisch beschäftigt, als Humanisten, Theologen und asLro politischen Journalisten. Zunächst bestimmt er durch den 10 A. V\T ARBU RG: sogenannten Spruch aus dem HauRe des Elias, durch den der welt , gllschichtliche Verlauf In drei P8l'ioden zu 2000 Jahren eingeteilt , wird, den Aufbau des erst durch Reine Mitwirkung für die deutsche Geschichtsauffassung'so einflußreichen, frühesten deutschen weIt geschichtlich('m Handbuches, Carions Chrol1ica8• Das muß er in einer Zeit tun, wo ihn die Überarbeitung der Augsburgischen Kon fession mit der schwersten Verantwortung belastet; denn seit dem 30. April ist das kaiserliche Ultimatum an die Protestanten abgelaufen, und nun droht, was MelanchLhon mit aller Macht zu yerhindern bestrebt war, bewaffneter Zusammenstoß zwischen twhmalkaldischem Bund und KarI V. Hierüber wünscht offenbar Carion, der ja der diplOlnatische Agent der Brandenburger war, genauer unterrichtet zu "ver den, und Melanchthon behandelt ihn dabei schon - das ist bemerkenswert - durchaus als Partei gänger der schmalkaldischen Seite. Aber Melanchthol1 ist hier nicht ein trockener politischer Chronist; die quälende Sorge um die Erhaltung des Friedens ruft bei ihm einen akuten Anfall seiner kosmologischen 'iVundergHiuhigkeit hervor: hierbei ist er Carion gegenüber nicht mehr qer überlegene, raterteilende Gelehrte; er naht sich dem hiederen9 Carion wie ein trostsuchender Patient, und konsultiert ihn als sachverst.ändigen Magus in astrologisch prophetischen Dingen. So sehickt er ihm die Genesis seiner ehen geborenen Tochter doch gewiß nicht ohne den Wunsch, daß er sie begutachten möge, und verlangt, wie er ausdrüeklich in seinem Brief sagt., ein Urteil üher seine (Melancl1thons) Gedanken über Astronomie und Astrologie, wie er sie z. B. soeben in der Ein leitung zu Sacroboseo10 veröffentlicht hatte. Vor allem aher soll er ihn übel' den Komet.en beruhigen, der im August erschien - es war der Halleysche -, der ganz Deutschland und Melanehthon noch ganz besonders erschreckte, weil es der erste war, den er je gesehen hatte. Dafür teiHe er ihm auch mit, was andere berühmte Astrologen seiner Zeit zur allgemeinen Lage prophezeiten. J ohann Virdung aus Haßfurt,' den er nennt, überschattet MelanchLhons Leben ja schon seit seiner Geburt mit seinen Warnungen; denn er hatt.e ihm damals auf Wunsch des Vaters gleich die Nativität gestellt, die z. B. die Warnung vor dem Norden und der Ostsee 8 Siehe Beil. A. r. Anm. 1. 35. 9,24. ( ?) .J uni 1531: candidus et Suevicae simplicitatis plurimum referens (CR. H. 505). 10 CR. L1'. 530ff., geschrieben im August 1531.
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